BILANZ: Seit dem 1. Januar sind Sie CEO der Swiss Re. Welches sind Ihre Führungsgrundsätze?

Jacques Aigrain: Ich bin jemand, der sich gern mit dem Team zusammensetzt und gemeinsam Dinge entwickelt und vorantreibt. Deshalb ist es mir wichtig, die Details zu kennen, aber auch zu vertrauen und zu delegieren. Man muss stets die Konsequenzen im Auge behalten. Zudem setze ich auf Enthusiasmus und Tempo: Ein Unternehmen muss eine gewisse Dynamik haben.

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Wer sind Ihre Vorbilder in der Managerwelt?

Es sind weniger einzelne Personen als vielmehr bestimmte Firmen oder Organisationen, die mich beeindrucken. Nehmen Sie die Investment Bank Goldman Sachs. Sie hat es geschafft, bei den Mitarbeitern ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur Firma zu implementieren. Das erscheint mir auch für die Swiss Re wichtig.

Inwiefern?

Von der Mitarbeiterstruktur her ist das Rückversicherungsgeschäft eine sehr spezielle Branche. Wir haben einen sehr hohen Prozentsatz hoch ausgebildeter Profis. Das sind alles starke Persönlichkeiten, die alle von den Zielen des Unternehmens überzeugt sein müssen.

Ihr Start erfolgte ja bereits mit einem Paukenschlag: Ende November hat Swiss Re mit dem rund sieben Milliarden Dollar teuren Kauf von GE Insurance Solutions die grösste Übernahme der Firmengeschichte getätigt. Sie haben diesen Deal in Zusammenarbeit mit Ihrem Vorgänger John Coomber eingefädelt. Wie lange wurde mit GE verhandelt?

Seit letztem Juni. Es war ein viermonatiger Verhandlungsprozess mit verschiedenen Stufen.

Wie sieht es mit den Risiken der Übernahme aus? In der Vergangenheit erfolgten bei manchen Grosskäufen nachträglich Milliardenzuschüsse an die Reserven.

Wir haben viel Zeit aufgewendet, um hinter alle Ecken zu sehen und jeden Stein umzudrehen. Dies mit Hilfe einer ganzen Reihe von Bewertungsexperten, Auditoren und Rechtsanwälten. GE hat die Reserven vor dem Kauf nochmals erheblich aufgestockt. Ich bin überzeugt, dass wir die Frage der Reserven gut gelöst haben. Zudem stimmt der Preis: Meistens wurde bei derartigen Übernahmen ein Zuschlag zum Buchwert bezahlt. In unserem Fall gab es einen Discount.

Nach dem Kauf ist Swiss Re die Nummer eins der Welt. Wie wichtig ist es, zuoberst auf dem Podest zu stehen?

Wichtiger als die Grösse ist die Ertragskraft, also die Qualität der Erträge. Der Kauf verbessert unsere Kundenstruktur.

Inwiefern?

In den USA waren wir stark im Lebensversicherungsbereich, aber schwächer im Sachversicherungsbereich. In Kontinentaleuropa war es umgekehrt. Mit dem Kauf verbessert sich dies nun: In den euro-päischen Märkten stärken wir unsere Life-&-Health-Position, in den USA den Sachversicherungsbereich. Zudem bekommen wir neu viele kleinere Kunden, während wir bisher vor allem mit Grosskunden arbeiteten.

Werden nun weitere Kunden mit Preiszugeständnissen geködert?

Die Leader in der Rückversicherungsindustrie sind weniger stark dem Preisdruck in der Branche ausgesetzt als kleinere Player. Der Mix zwischen den Preisen und den dafür erhältlichen Dienstleistungen ist entscheidend. In der Risikoverteilung oder dem kapitaleffizienten Einsatz der Mittel sind wir führend. Zudem bietet Swiss Re ein sehr gutes Rating, das unseren Kunden eine hohe Sicherheit garantiert.

Im Gegenzug zum Kauf von GE Insurance Solutions hat sich General Electric mit zehn Prozent an Swiss Re beteiligt. Was ändert sich dadurch für Sie?

GE ist als Investor sehr willkommen. So wie wir GE Insurance Solutions angeschaut haben, so hat sich GE auch Swiss Re genau angeschaut. Die wissen, was sie kaufen. Das ist ein Vertrauensbeweis für unsere Firma.

Kein Interesse, bei General Electric einzusteigen?

Nein. GE ist enorm gross. Wollten wir ein bedeutender Teilhaber werden, müssten wir einen zu grossen Teil unserer Ressourcen aufwenden. Das ergäbe keinen Sinn.

Warum wollte GE die Rückversicherungssparte loswerden?

Ich kann nicht für GE sprechen. Aber ich denke, der Deal ist auch aus Sicht von GE sinnvoll. Vor drei Jahren hat das Management angekündigt, das Rückversicherungsgeschäft abstossen zu wollen. Grundsatz von GE ist es ja, immer die Nummer eins oder zwei im jeweiligen Geschäft zu sein – das waren sie in diesem Geschäft definitiv nicht. Nun, nach der Transaktion mit uns, investieren sie in die kommende Nummer eins der Welt. Das scheint mir besser in die Strategie zu passen.

Sie gelten als starke Persönlichkeit. Haben Sie keine Angst, dem andern starken Mann bei Swiss Re, dem langjährigen CEO und heutigen Verwaltungsratsvizepräsidenten Walter Kielholz, ins Gehege zu kommen?

Walter Kielholz hat ein ausserordentlich hohes Wissen und eine lange Erfahrung in der Rückversicherungsindustrie. Und er hat eine fundierte Vision für die Zukunft der Branche, auch das ist selten. Mein Verhältnis zu Kielholz basiert auf grossem gegenseitigem Vertrauen und Respekt. Ich freue mich auf das weitere intellektuelle Wechselspiel mit ihm.

Aber am Ende muss ja einer der Boss sein und die gültigen Entscheide fällen. Das geht nicht immer über Diskussionen, das birgt doch Konfliktpotenzial.

Das kommt auf die Persönlichkeiten an. Es gibt Firmen, in denen die Balance zwischen Verwaltungsrat und operativer Führung nicht stimmt, aber bei Swiss Re stimmt sie. Und seien Sie versichert: Es gibt keinerlei Unklarheit über meine neue Rolle als CEO, weder im Management Board noch in der Firma überhaupt.

Vor Ihrer Zeit bei Swiss Re waren Sie lange Investment Banker. Was hat Sie zum Wechsel bewogen?

Walter Kielholz hat mich abgeworben (lacht). Zwischen dem Investment Banking und der Rückversicherung gibt es viele Parallelen: Beides sind Finanzdienstleister, die sich im Grosskundengeschäft intensiv mit der Untersuchung und der Übernahme von Risiken auseinander setzen.

Seit 2001 sind Sie bei Swiss Re. Gab es schon vorher Kontakte?

Ja. Ich war rund zwanzig Jahre für JP Morgan tätig. In jener Zeit hat mich Kielholz zweimal kontaktiert, einmal 1996 und einmal 1998. Aber damals mochte ich mich noch nicht lösen.

Als Investment Banker waren Sie zuständig für Mergers & Acquisitions im Pharmabereich. 1996 fusionierten Ciba und Sandoz zu Novartis. Konnten Sie deshalb nicht weg?

Herr Kielholz hat mich 1996 erst nach Abschluss jenes Mergers kontaktiert. Es waren andere Aktivitäten, die mich damals forderten.

Wen haben Sie damals beraten: Ciba oder Sandoz?

Ciba. Ich arbeitete für Alex Krauer, den damaligen Verwaltungsratspräsidenten.

Bald jährt sich die Fusion zum zehnten Mal …

Ja, im Februar.

Ist Novartis eine Erfolgsgeschichte?

Vom Gesichtspunkt der Wertschöpfung aus war es ein ausserordentlich erfolgreicher Merger. Ich denke, das Management hat es geschafft, die Belegschaft rasch auf die Ziele des Unternehmens zu fokussieren. Das ist die Leistung von Daniel Vasella.

Sie arbeiteten zwanzig Jahre lang als Investment Banker. Wann funktioniert ein Merger, wann nicht?

Drei Aspekte scheinen mir wichtig. Erstens: Man muss immer im Auge behalten, was der Deal den beiden Parteien bringen soll. Kann das primäre Ziel, das für die Firma im Vordergrund steht, mit dem spezifischen Merger erreicht werden oder nicht? Zweitens: Viel schwieriger als die Übernahme ist die anschliessende Integration der beiden Firmen, sie muss sauber durchgeführt werden. Und drittens: Die Integration muss schnell und vollständig durchgeführt werden.

Kann man – wenn dies oft so problematisch zu sein scheint – die Integration nicht schon vorweg in den Verhandlungen regeln?

Nein. Man kann die konzeptionelle Vorarbeit leisten, die praktische Detailarbeit beginnt erst nach den Verhandlungen.

Warum ist Tempo so wichtig?

Änderungen müssen klar definiert und schnell implementiert werden. Man macht vielleicht nicht jeden glücklich. Aber noch schlimmer ist es, wenn man eine grosse Zahl von Leuten hat, die nicht wissen, was ihre neue Rolle in der Firma sein soll.

Oft gibt es ja Machtkämpfe im Management. Man kündigt einen Merger of Equals, einen gleichberechtigten Zusammenschluss, an, und am Schluss gibt es Streit, welches Management das Gebilde führen soll.

Einen Merger of Equals gibt es nicht – einer der beiden Partner ist de facto stets der stärkere. Einen Merger of Equals zu verkünden, mag sinnvoll sein hinsichtlich der finanziellen Aspekte der Transaktion, die dadurch oft vereinfacht werden. Die Managementfrage hat damit nichts zu tun.

Was ist denn der Hauptgrund dafür, dass Zusammenschlüsse so häufig scheitern?

Oft wird unterschätzt, wie wichtig es ist, den neuen Partner in die eigene Organisation einzubinden. Es ist wie bei einer Organtransplantation: Der Körper stösst das Fremde ab. Damit dies in der Firma nicht passiert, braucht es viel Verständnis gegenüber der Kultur des Partners. Vor allem bei Akquisitionen ist das wichtig, denn was man teuer gekauft hat, will man ja nutzen. Man braucht die eigene Kultur nicht aufzugeben, sollte sie aber etwas anpassen.

Sie sind auch im Verwaltungsrat der Airline Swiss. Wie kam es dazu?

Ende 2001 wurde ich von den Schweizer Unternehmen, die mitgeholfen hatten, die Swiss International Air Lines auf die Beine zu stellen, gebeten, dem Verwaltungsrat beizutreten. Es war, wie wir alle wissen, eine der schwierigsten Zeiten für die Airline-Industrie ganz allgemein. Speziell schwierig aber waren die Zeiten für mittelgrosse Carrier wie die Swiss, die ihren Heimatmarkt in einem zwar reichen und reisefreudigen, aber leider nicht sehr grossen Land hat.

Inzwischen ist die Swiss unter dem Dach der Lufthansa gelandet. Welche Rolle spielen die Deutschen für die Swiss?

Wichtig für die Schweizer Passagiere sind direkte Verbindungen, vor allem bei Langstreckendestinationen. Durch den Merger mit der Lufthansa wurde diese Frage aus Sicht der Schweiz sehr positiv gelöst. Die Lufthansa hat eine einzigartige Sicht eines Systems mit verschiedenen Hubs, da spielt Zürich eine wichtige Rolle.

Warum hat sich die Lufthansa für ein solch dezentrales System entschieden?

Weil sie keine andere Wahl hat. Deutschland ist nicht wie andere Länder von einer einzigen grossen Drehscheibe wie etwa Paris oder London bestimmt. Weltweit gibt es vielleicht fünf Städte, die als solche Grosshubs in Frage kommen, nebst Paris und London noch New York, Shanghai und Tokio. Das System der Lufthansa, mit mehreren Hubs zu funktionieren, kommt uns sehr entgegen. Zudem hat die Lufthansa eine echte Bewunderung für die Swiss als Premiumairline, vielleicht mehr als wir in der Schweiz selber (lacht).

Wenn das alles so gut zusammenpasst, dann stellt sich die Frage: Warum wurde das nicht schon zwei Jahre früher gemacht – die Lufthansa war ja schon damals mit der Swiss im Gespräch?

Sie haben Recht, vor rund zwei Jahren gab es Gespräche mit der Lufthansa und auch mit British Airways. Die Situation damals war aber anders. Die Lufthansa hatte damals ein viel negativeres Bild von der Swiss, vor allem in finanzieller Hinsicht. Sie trauten dem finanziellen Turnaround – der dann ja in den anschliessenden 18 Monaten von Christoph Franz und seinem Team vollzogen wurde – nicht so recht. Im Jahr 2003 war das Vertrauen der Lufthansa in die Swiss einfach nicht gross genug.

Bei der Swiss holen jetzt die Deutschen für uns die Kohlen aus dem Feuer. Sie selber sind Franzose und Schweizer, Ihr Vorgänger bei der Swiss Re ist Engländer. Haben wir Schweizer nicht die richtigen Manager?

Dieser Blickwinkel erscheint mir falsch. Leute aus aller Welt kommen gerne in die Schweiz, um hier zu arbeiten. Es ist ein tolles Land, und es war nie schwierig für die Schweiz, Talente anzulocken. Das ist ein Privileg, welches das Land bietet, und von diesem multikulturellen Hintergrund konnten auch viele hiesige Unternehmen profitieren. Was die früheren Probleme der Schweizer Airlineindustrie betrifft, so hat dies wenig mit der Nationalität der Führungsleute zu tun. Eher mit dem lange Zeit zu starken politischen Widerstand, der wichtige Veränderungen blockierte.

Die Swiss Re verwaltet Anlagegelder in Höhe von über 180 Milliarden Franken. Für die Vermehrung dieser Gelder spielt die Börsenentwicklung eine grosse Rolle. Wie beurteilen Sie die Aussichten für 2006?

Was das Wirtschaftswachstum betrifft, bin ich vorsichtig optimistisch. Die bessere Konjunktur dürfte zu leicht höheren Zinssätzen führen. Höhere Zinssätze sind generell günstig für Versicherungsunternehmen.

In welchem Ausmass werden die Zinsen steigen?

Nur marginal. Dass sie aber steigen werden, liegt an der generell wachsenden Weltwirtschaft. Natürlich gibt es auch einige Unsicherheiten, etwa hinsichtlich der Inflationsentwicklung oder der Wachstumsstärke Kontinentaleuropas.

Die Börse war 2005 sehr gut. Wird dies so weitergehen?

Ich erwarte für 2006 ein recht gutes Börsenjahr, allerdings ein weniger berauschendes, als es 2005 war. Der US-Aktienmarkt zeigt wenig Dynamik. Und die japanischen und kontinentaleuropäischen Aktienmärkte haben im vergangenen Jahr schon stark aufgeholt. Nun gibt es weniger Spielraum für weitere Verbesserungen.