Im Wilden Westen war es üblich, dass sich jedermann an der Verbrecherjagd beteiligte. Das war ein lukratives Geschäft, winkte doch demjenigen, der dem Sheriff einen Banditen auslieferte, ein ansehnliches Kopfgeld. Und da es nicht eben zimperlich zuging, gab es die Prämie auch dann, wenn der gesuchte Verbrecher zum Zeitpunkt der Auslieferung bereits das Zeitliche gesegnet hatte. Das Motto lautete «Dead or Alive». Gejagt wurden üblicherweise Pferdediebe, Bankräuber oder Zechpreller – Kopfprämien auf betuchte Steuerzahler kannte man im Wilden Westen dagegen nicht.
Diese Art des Kopfgeldes ist eine Erfindung der heutigen Zeit, und sie stammt aus dem Kanton Luzern. In den Gemeinden Emmen und Vitznau ist die Jagdsaison auf finanzstarke Steuerzahler eröffnet. Erfolgreichen Steuerzahlerjägern winkt eine Prämie von bis zu 100 000 Franken, wenn sie einen neuen Einwohner bringen, der mindestens 10 000 Franken Gemeindesteuer zahlt. Die Gemeinden reagieren mit solchen Aktionen auf den immer stärker werdenden Wettbewerb um private Steuerzahler und Unternehmen. «Es ist erstaunlich. Zuerst haben alle geschimpft, weil sie keine Konkurrenz zwischen den Gemeinden wollten. Jetzt haben plötzlich alle anderen Gemeinden auch Massnahmen ergriffen, wie sie für Steuerzahler attraktiver werden können», sagt Urs Dickerhof, im Gemeinderat von Emmen zuständig für Finanzen. Den Vermittlungsbonus gibt es seit Mai dieses Jahres, und es haben bereits über 30 Kopfgeldjäger ihr Interesse bekundet. «Mit so viel Resonanz haben wir gar nicht gerechnet», meint Finanzchef Dickerhof. «Viele Interessenten kommen aus der Innerschweiz, aber einige auch aus Deutschland.»
Wie erfolgreich die Kopfprämie tatsächlich sein wird, werden die Sheriffs in Emmen aber erst in ein bis zwei Jahren wissen. Denn ausgezahlt wird der Bonus erst dann, wenn die fraglichen Steuern tatsächlich in der Gemeindekasse klingeln. Erfunden wurde der Steuerbonus aber nicht in Emmen, sondern in Vitznau am Vierwaldstättersee. Und obwohl das Kopfgeld für reiche Steuerzahler hier schon 2002 eingeführt wurde, bekam noch kein einziger Jäger seine Prämie ausbezahlt. «Es dauert eine Weile, bis die neuen Steuerzahler definitiv eingeschätzt sind», erklärt Finanzchefin Irene Keller. Die Aktion habe vor allem dem Image von Vitznau gedient, indem sie viel Aufmerksamkeit auf die kleine Luzerner Gemeinde gelenkt habe. Sowohl in Vitznau als auch in Emmen betont man aber, dass die Kopfprämie nur eine von vielen Massnahmen sei, welche die Gemeinde attraktiver machen sollen. Denn nur wenn der Ort an sich interessant ist, kommen auch die attraktiven Steuerzahler.
Das sagt man sich auch im Laufental und setzt ganz aufs Motto «Unser Dorf soll schöner werden». «Werbeaktionen wecken nur kurzfristig die Aufmerksamkeit interessanter Steuerzahler», weiss Jean Pelluch von der Wirtschaftsförderung Laufental. Dabei sei es viel wichtiger, die Wohnqualität zu verbessern und das Tal interessant zu machen. Und so putzt sich die Region im Kanton Basel für potenzielle Zuzüger heraus. «Wir verschönern die Natur und vergrössern das Freizeitangebot», sagt Pelluch, der in Zwingen Gemeinderatspräsident ist. Sportplatzkonzepte, der Bau einer Golfanlage, die Verbesserung von Wanderwegen und die Verkehrberuhigung der Ortschaften sind nur einige der Punkte, die im Laufental derzeit in Angriff genommen werden. Und damit die Öffentlichkeit davon auch etwas mitbekommt, hat das Laufental einen eigenen Internetauftritt, eine Hochglanzbroschüre und verschickt Pressetexte. «Das ganze Marketing gehört natürlich zu unserer Arbeit, aber viel wichtiger ist die langfristige Qualitätssicherung. Dadurch kommen mehr finanzstarke Steuerzahler in unsere Region als durch aufwändige Werbeaktionen», ist Pelluch überzeugt.
Im Appenzellerland dagegen scheut man spektakuläre Auftritte ganz und gar nicht. Die Wirtschaftsförderung des Halbkantons Ausserrhoden setzt auf die von hohen Steuern gebeutelten Nachbarn aus Deutschland – und deren Liebe zum Bier. An einer Promotionsveranstaltung in Osnabrück präsentierte sie daher den ersten «Ausserrhoder Steuer-Bierdeckel». Seit vergangenem Jahr wird in Deutschland eine Debatte über die Vereinfachung des Steuersystems geführt. Gefordert wurde ein System, das so einfach ist, dass eine Steuerrechnung auf einen Bierdeckel passe. Während man in Deutschland von der «Bierdeckel-Steuer» noch Lichtjahre entfernt zu sein scheint, ist dies in Appenzell Ausserrhoden bereits Wirklichkeit. Der Ausserrhoder Steuer-Bierdeckel zeigt daher eine handschriftlich skizzierte Lohnsteuerberechnung für den Kanton – das Ganze natürlich in Euros. Darunter steht: «Unsere Steuern passen auf Ihren Bierdeckel. Und Sie zu Appenzell Ausserrhoden. Sie sind uns willkommen!» Wen das nicht zum Auswandern bewegt, der nimmt vielleicht wenigstens die Vorderseite des Bierdeckels wahr, der das Quöllfrisch-Motiv der Brauerei Locher zeigt.
«Es ist eigentlich nur ein Werbegag, mit dem wir versuchen, auf uns aufmerksam zu machen», sagt Martin Alther, Chef der Wirtschaftsförderung in Ausserrhoden. «Wir sind ein kleiner Kanton mit einer schwierigen Geografie. Wir suchen daher eher kleine Firmen, aber auch Privatpersonen.» In Deutschland dürfte das Appenzellerland nicht nur wegen der einfacheren Steuerberechnung, sondern vor allem auch wegen der deutlich niedrigeren Steuersätze besonders attraktiv sein. Dennoch löste die Bierdeckel-Aktion bislang keinen Einwanderungsstrom aus. «Bei der Veranstaltung stiessen wir auf Interesse und Belustigung. Konkrete Anfragen haben wir aber deswegen noch nicht», räumt Alther ein.
Hans Schäfer von der Kantonalen Planungsgruppe Bern wundert das überhaupt nicht. Der Experte für Gemeindefinanzen weiss: «Marketing-Gags und Werbemassnahmen sind, wenn überhaupt, nur kurzfristig von Bedeutung.» Der Standortwettbewerb und die damit verbundenen Bemühungen der Gemeinden haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Fast jede Gemeinde versucht durch Messeauftritte, Werbeprospekte oder steuerliche Anreize auf sich aufmerksam zu machen. Schäfer hält davon nicht allzu viel: «Die Gemeinden sollten besser überprüfen, wie erfolgreich all ihre Massnahmen überhaupt sind.» Und wenig sinnvoll sei es zudem, bei der Werbung nur aufs Thema Steuern zu setzen.
Die Bedeutung der Steuerbelastung bei der Standortsuche wird nämlich oft überschätzt. Die Attraktivität eines Standortes macht neben angemessenen Steuern und Gebühren zum Beispiel auch eine gute Infrastrukturausstattung aus. Daher ist es nach Ansicht von Hans Schäfer umso wichtiger, dass die Gemeinden auf ihre individuellen Stärken aufmerksam machen. Und bei einigen Gemeinden hält der Berater jede Art von Bemühung für sinnlos: «Man hört von Gemeinden, die Land kostenlos abgeben, die Ortdurchfahrten beleuchten und sonst was tun, um Steuerzahler anzulocken. Aber es gibt eben auch solche Gemeinden, die so schlechte Voraussetzungen haben, dass alles nichts hilft. Mancherorts könnte man sogar die Steuern auf null herunterschrauben, und es gäbe trotzdem keine Zuzüge.»
Von solchen Horrorszenarien lässt man sich in Kaiseraugst nicht abschrecken. Erst recht nicht, seit die Gemeinde im Kanton Aargau für das Standortmarketing mehrere Partner gefunden hat. Beim Wettbewerb um Steuerzahler setzt man auf Zusammenarbeit. Der Gemeindeammann von Kaiseraugst, Max Heller, rief zu diesem Zweck eine Kommission ins Leben, die das Standortmarketing für die gesamte Region Fricktal in die Hand nehmen soll. «Natürlich kann sich jede Gemeinde auch einzeln verkaufen, aber gemeinsam ist man stärker. Für das Fricktal, als Randregion des Aargaus, ist das besonders wichtig. Wir waren in
Sachen Standortmarketing bislang die Waisenkinder», erklärt Heller. Dabei stehen hier noch über 30 Hektar Industrieland zur Verfügung, die so schnell wie möglich bebaut werden wollen. «Als Region sollten wir daher auf Messen auftreten, um Firmen anzuwerben. Und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland. Denn es gibt etwa in Süddeutschland viele Unternehmen, für die unser Standort sehr interessant ist», sagt Finanzchef Heller. «Eine Kopfprämie wie im Kanton Luzern finde ich für diesen Zweck keine schlechte Idee. Das sollten wir uns mal überlegen.»
Völlig undenkbar sind solche Massnahmen für Alois Bühler. Der Gemeindepräsident von Eschenbach findet es zwar wichtig, dass die Gemeinden kreativer und unternehmerischer werden und auch das Marktgeschehen beeinflussen, «doch mit Western-Methoden wie einer Kopfprämie entfernt man sich von einer gewissen Kultur.» In Eschenbach ist man auch ohne solche Anreize erfolgreich bei der Akquisition von Unternehmen. Nächstes Jahr werden sich hier fünf Firmen neu ansiedeln. «Das ist auf unseren guten Service zurückzuführen», sagt Bühler. Denn es komme auf den Umgang mit den potenziellen «Kunden» an, wie der Gemeindepräsident die Steuerzahler nennt. «Um Wünsche unserer Kunden zu erahnen, müssen wir schon mal länger arbeiten, aber darauf kommt es beim Standortwettbewerb an – man muss immer etwas besser sein als die anderen. Ohne Anstrengung schafft man es nicht auf den ersten Rang.»
Was noch vor zehn Jahren undenkbar war, ist heute also Realität. Mit dem blossen Verwalten einer Gemeinde kann man nicht mehr reüssieren. Wer beim Wettbewerb um den besten Standort die Nase vorn haben will, der muss tiefer in die Trickkiste greifen. Professionalität bei der Akquisition, Kreativität und die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten, sind gefragt. Wer weiter ein Beamtendasein führen will, für den wird es schwierig, sich durchzusetzen. Alle anderen werden sich weiter um die heiss begehrten, steinreichen Steuerzahler bemühen, sei es nun im Wildwest-Stil oder auf eine ganz gesittete eidgenössische Art und Weise.