Inflation hat vielfältige Verteilungswirkungen. Erstens führt sie dazu, dass Erspartes weniger wert wird. Mit Bargeld oder Geld auf tief verzinsten Konti kann man am Ende weniger als zu Beginn des Jahres kaufen. Inflation wirkt entsprechend wie eine Steuer auf das Halten von Bargeld oder flüssigen Mitteln.
In der Schweiz betrug die Inflationsrate im Januar 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat 1,6 Prozent. Bei einem Negativzins von -0,75 verlor das Geld auf einem Transaktionskonto innerhalb eines Jahres 2,35 Prozent.
Zum Vergleich: In Deutschland betrug die Inflationsrate im Januar 2022 4,9 Prozent im Vergleich zum Januar 2021. Bei Negativzinsen von 0,5 Prozent hat ein Sparer somit innerhalb von 12 Monaten 5,3 Prozent verloren. Würde dies so anhalten, würde innerhalb von nur 13 Jahren der Wert eines Betrags auf dem Transaktionskonto halbiert.
In den USA ist dies noch ausgeprägter, betrug die Inflation im Dezember 2021 doch 7,5 Prozent. Wenn es so weitergehen würde, wären Dollar-Noten in den USA bereits in 9 Jahren nur noch halb so viel wert!
Rudolf Minsch ist Chefökonom und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsleitung bei Economiesuisse.
Zweitens verlieren Kreditgeber, weil der rückzahlbare Betrag am Ende der Periode inflationsbereinigt weniger wert ist. Auch private Anleger oder Pensionskassen werden nach Ende der Laufzeit zwar denselben Betrag zurückerhalten, nur hat dieser bis dahin deutlich an Wert verloren.
Hingegen werden die am höchsten Verschuldeten am meisten profitieren: insbesondere hochverschuldete Staaten, die tiefverzinsliche Anleihen auf dem Markt verkauft haben. Auch Immobilienbesitzer können sich mit der Inflationsrate sukzessive entschulden. Wer aber in einem Hochinflationsland seine Ersparnisse nicht in realen Werten angelegt hat, der verarmt.
Drittens verlieren Personen ohne stabile Einkommensverhältnisse. Diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind, erhalten den Teuerungsausgleich per Ende des Jahres oder teilweise sogar im Voraus. Andere Gruppen wie Rentner oder Langzeitarbeitslose bleiben in vielen Ländern auf der Strecke.
Gerade in den USA, wo die soziale Absicherung deutlich schlechter ausgebaut ist als in der Schweiz, kann eine höhere Inflation längerfristig zu grossen sozialen Problemen führen. Immerhin werden die Renten in den USA jährlich angepasst.
Viertens kann das Steuersystem bewirken, dass die Steuerlast real ansteigt. Aufgrund der häufig progressiv ausgestalteten Einkommenssteuer führt der Teuerungsausgleich dazu, dass bei gleichem realen Einkommen prozentual höhere Steuern bezahlt werden müssen. (Diese so genannte «kalte Progression» wird in der Schweiz seit dem Beschluss der eidgenössischen Räte im Jahr 2009 jährlich ausgeglichen, so dass diese Verzerrung hierzulande ausbleiben sollte.)
Fünftens verzerrt die Inflation die relativen Preise. Inflation bedeutet nämlich nicht, dass alle Preise im Gleichschritt und im exakt gleichen Ausmass angepasst werden. Vielmehr steigt die Preisvariabilität innerhalb einer Volkswirtschaft tendenziell mit der Höhe der Inflationsrate an.
Das bedeutet, dass ein Preis in Relation zu einem anderen Preis verzerrt wird. Beispielsweise kostet dann ein Kinoeintritt nicht mehr etwa dreimal so viel wie ein Kilo Brot, sondern vielleicht viermal so viel. Die Verzerrung der relativen Preise erzeugt Ineffizienzen, Fehlallokationen, vielleicht auch höhere Suchkosten.
Sechstens erschwert eine hohe Inflationsrate die Planung von langfristigen Projekten. Beispielsweise nimmt bei mittel- und langfristigen Bau- und Ausrüstungsinvestitionen die Unsicherheit bezüglich der tatsächlich anfallenden Kosten und somit auch bezüglich der Rentabilität zu. Die Vertragsparteien beginnen sich dann juristisch abzusichern.
Auftragnehmende koppeln beispielsweise die Offerten an die Preisentwicklungen, um selber nicht das Risiko tragen zu müssen. Auftraggebern, welche die künftige Inflationsrate zu tief einschätzen, laufen die Kosten während der Projektdauer davon. Wer hingegen die Inflation zu hoch einschätzt, verzichtet vielleicht auf die Investition, da er deren Rentabilität als zu gering betrachtet.
Inflation provoziert also erhebliche Verteilungswirkungen in einer Volkswirtschaft. Und je länger sie andauert und je höher sie steigt, desto mehr Menschen verlieren. Wenn die grosse Mehrheit verliert, und der Konsum und die Investitionen gehemmt werden, dann kann dies, wie in den siebziger Jahren, zu einer Stagflation führen. Also das gleichzeitige Auftreten von Inflation und wirtschaftlicher Stagnation. Ob man die Geister, die man rief, heute schneller loswird als früher?
3 Kommentare
Siehe Entwicklung der Inflationsraten in der Schweiz Die Inflationsrate für Konsumgüter in der Schweiz bewegte sich in den letzten 41 Jahren zwischen -1,1% und 6,5%. Für das Jahr 2020 wurde eine Inflation von -0,7% errechnet. Im Beobachtungszeitraum von 1979 bis 2020 lag die durchschnittliche Inflationsrate bei 1,7 % pro Jahr. Insgesamt betrug die Preissteigerung in diesem Zeitraum 96,48 %. Ein Artikel, der 1979 noch 100 Franken kostete, wurde Anfang 2021 also mit 196,48 Franken berechnet. Zudem widespiegelt der Konsumentenpreisindex CH die Lebenshaltungs-kosten einer Familie überhaupt nicht. Die Gesundheitskosten (Krankenkasse etc.) sowie die Wohnungskomponenten (Liegenschaftenpreis-entwicklung und Wohnungsmieten) sind darin nicht enthalten! Lohnt sich Sparen heute noch?? Wenn man die Steuerbelastung (Vermögenssteuer) mitberücksichtigt, lohnt sich sparen nicht!!
Ok, ist so weit richtig. Aber wer kann was dagegen tun?
Inflation trifft stets die breite Mittel- und Unterschicht einer Bevölkerung und nicht die 300 Personen welche in der Nr. 12 der Dezember-Ausgabe der Bilanz, gelistet sind. Darum meine Bitte: schicken Sie den Artikel an Thomas Jordan, damit er lesen kann, was er angerichtet hat. Inflation ist nämlich kein Naturereignis, sondern immer von Menschenhand gemacht.