BILANZ: Michael Dell, einst waren Sie der gefeierte Börsenstar. In den letzten zwölf Monaten ist der Aktienkurs von Dell Computer um rund 50 Prozent gesunken. Wie erklären Sie das Ihren Aktionären?
Michael Dell:
In den letzten fünf Jahren hat unsere Aktie alle anderen Computerhersteller deutlich geschlagen. In den letzten zehn Jahren haben wir so ziemlich jedes Unternehmen auf diesem Planeten übertroffen. Unsere Aktionäre sind also ganz glücklich.

Nur jene, die schon länger als ein Jahr dabei sind.
Das sind die meisten; wir sind nicht die Art von Aktie, die alle vier Tage weitergereicht wird.

Trotzdem können Sie mit der Entwicklung ja wohl nicht zufrieden sein.
Natürlich wären wir gerne höher bewertet. Wenn man das Gewinnwachstum als Massstab nimmt, ist unsere Aktie im Vergleich zum Index unterbewertet. Aber im Moment geht die ganze Branche durch harte Zeiten.

Ist das nun das lange erwartete Ende der PC-Ära?
Nun, man spricht seit rund zwei Jahren vom Ende der PC-Ära. In diesen zwei Jahren wurden weltweit über 300 Millionen PC verkauft. Die Zeit des PC ist also noch nicht abgelaufen. Zwar haben andere Computerarten wie Server oder Speichersysteme an Bedeutung gewonnen. Aber momentan geht es dem PC noch ganz gut. Vielleicht ist es die Nach-PC-Ära für den einen oder anderen Konkurrenten, der im Wettbewerb nicht mithalten kann. Aber dazu gehört Dell nicht.

Wann wird die Nach-PC-Ära beginnen?
Der Bedarf an Rechenleistung ist nach wie vor vorhanden. Aber der PC verändert sich ständig. Er sieht heute ganz anders aus als vor fünf Jahren. Er wird zunehmend ein mobiles Gerät, mit Funkverbindung ins Internet. Der Trend zu drahtlosen Hochgeschwindigkeitsnetzen ist die nächste grosse Veränderung. Denn die Mobilfunktechnologie hält zunehmend Einzug bei den Computern, und die Computerwelt wird davon mehr profitieren als die Handywelt selber.

Wie bereiten Sie Ihr Unternehmen auf diese Technologie-Umwälzungen vor?
Das bedeutet für uns keine plötzliche Richtungsänderung, sondern ist ein konstanter Wandel. Auch wir werden die neuen Mobilfunktechnologien in unsere Notebooks einbauen wie beispielsweise GPRS zum blitzschnellen drahtlosen Surfen im Internet. Das ist Teil der ständigen Weiterentwicklung unserer Produkte.

Viele Ihrer Angestellten sitzen nach dem Sturz aus dem Börsenolymp nun auf wertlosen Aktienoptionen. Gleichzeitig wird der Kampf um Talente immer härter. Wie wollen Sie diese enttäuschten Mitarbeiter halten?
Loyalität zum Arbeitgeber hängt von einer Menge Faktoren ab, Bezahlung ist nur einer davon. Entwicklungsmöglichkeiten zu haben oder Teil einer spannenden Kultur zu sein, ist mindestens so wichtig. Aber was die Aktienkursentwicklung betrifft: Es gibt eine Reihe interner Programme, um die Folgen davon zu mindern. Aber die kommunizieren wir nicht nach aussen (lacht).


Die Margen im PC-Geschäft werden immer dünner …
Nicht für uns! Unsere Margen sind ziemlich stabil.

Dem Industrietrend werden sie sich langfristig nicht entziehen können. Wenn der Preisdruck in der Branche wächst, werden auch Sie weniger verdienen.
Wir verkaufen eine ganze Reihe von Produkten, vom Desktop-PC für 700 Dollar bis zum Serversystem für 100 000 Dollar. Die Margen sind dabei natürlich verschieden hoch. Deswegen greifen wir ja verstärkt den Markt für Server- und Speicherlösungen an, wo mehr zu verdienen ist.

In dieser Bereichen treffen Sie auf sehr harte Konkurrenz von etablierten Playern wie IBM, Sun, Compaq oder EMC.
Das stimmt. Trotzdem sind wir in diesem Bereich in den letzten vier, fünf Jahren um jährlich 80 Prozent gewachsen. Heute machen wir damit fünf Milliarden Dollar Umsatz.

Der Kosten- und damit der Wettbewerbsvorteil von Dell hat bisher darin bestanden, dass der Kunde online bei Ihnen bestellen kann, die Rechner erst dann zusammengebaut und schliesslich dem Kunden direkt zugeschickt werden. Das ahmen heute immer mehr ihrer Konkurrenten nach.
Ach ja? Wer denn?

Apple zum Beispiel, Gateway oder auch Compaq.
Vielleicht ahmen sie es nach. Aber bekommen sie die gleichen Resultate? Sicher nicht! Wir haben 16 Jahre lang Erfahrung mit diesem Geschäftsmodell sammeln können – das zu kopieren, ist sehr schwer. Wenn sich ein Kunde entscheidet, seinen PC direkt beim Hersteller zu ordern, wird er dann zu einem Unternehmen gehen, das erst letzte Woche mit dem Direktvertrieb angefangen hat, oder wird er nicht doch lieber zu Dell gehen? Wir wissen die Antwort, denn wir wachsen deutlich schneller als alle drei Unternehmen, die Sie genannt haben. Und wir liefern bessere Renditen: Vor sieben Jahren war unsere Eigenkapitalrendite 30 Prozent. Im letzten Quartal lag sie bei 294 Prozent! Das schafft sonst keiner.

Auch die anderen sammeln Erfahrungen. Je länger, je mehr verpufft Ihr Vorteil.
Das bleibt abzuwarten. Ich glaube nicht, dass man direkte und indirekte Lieferkanäle parallel betreiben kann. Um genauso effizient zu sein, müssten die anderen Computerhersteller also erst einmal ihr Händlernetz aufgeben. Doch davon sind sie alle weit entfernt.

Entsprechend steht es also auch für Dell ausser Frage, jemals ein eigenes Händlernetz aufzubauen?
Das ist nicht vorstellbar. Alle unsere Geschäfte sind auf dem Netz.

In Europa wächst Dell langsamer als im Rest der Welt. Was läuft falsch?
Wir wachsen immer noch schneller als der Markt. Aber in Europa wird zu wenig in Informationstechnologie investiert – die europäische Wirtschaft ist grösser als die amerikanische, die Bevölkerung ist grösser, und trotzdem gibt es nur halb so viele PC. Europa hat ein Technologiedefizit.

Was bedeutet das?
Das bedeutet zum Beispiel, dass die europäischen Unternehmen geringere Kapitalrenditen erzielen. Darüber muss man sich Sorgen machen. Diese Ungleichheit kann man auf die Dauer nicht beibehalten. Die Mobilfunktechnologie, in der Europa weltweit führend ist, wäre ein denkbarer Ansatzpunkt, um das zu ändern.

Die erste Phase des Internets war von amerikanischen Unternehmen dominiert, der Mobilfunkmarkt wird von europäischen geprägt. Wer wird die Oberhand behalten, wenn Internet- und Mobilfunktechnologie zusammenwachsen?
Der Markt wird so gross und vielfältig sein, das ihn niemand dominieren kann. Aber ich glaube nicht, dass die Frage heute noch so relevant ist wie vielleicht noch vor ein paar Jahren. Wir haben grosse Fabriken in Irland. Dell alleine ist verantwortlich für 16 Prozent der irischen Exporte. Sind wir nun eine amerikanische Firma, eine europäische oder eine irische?

Am Anfang des E-Commerce-Booms sprach jeder davon, dass früher oder später fast alles direkt à la Dell verkauft werde und das klassische Ladengeschäft in den meisten Branchen aussterbe. Das ist bis heute nicht passiert. Wie sehen Sie die Zukunft des Einzelhandels?
Das hängt vom Produkt ab. Der Computer ist ja nur ein Ausgangspunkt für eine ganze Menge anderer Produkte, die man bei der Bestellung auch noch gleich mitkauft: Drucker, Scanner, Software usw. Da fallen Kostenvorteile, die durch das Direktsystem entstehen, natürlich viel stärker ins Gewicht. Das ist nicht bei vielen Konsumgütern so.

Welche Branchen sind gefährdet?
Allgemein gesagt Branchen, die hohe Margen geniessen, wenig Service bieten und Produkte haben, die individueller auf Kundenwünsche angepasst werden können, wenn man keinen Händler dazwischenschaltet. Unser Geschäftsmodell wäre beispielsweise sehr gut anwendbar in der Autoindustrie.

Können Sie sich im Gegenzug vorstellen, das Geschäftsmodell von Dell auf andere Produktbereiche auszudehnen? Mit Ihrem Tochterunternehmen Gigabuys verkaufen Sie ja bereits neben Computerzubehör auch Schreibwaren, Büromöbel oder Glühbirnen.
Wir sind ziemlich gut ausgelastet mit dem Computergeschäft, denn das ist riesig. Und das wird auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren unser Fokus bleiben. Unsere Strategie ist nicht, der Supermarkt des Internets zu sein. Wir wollen der Dell des Internets sein.

Dell hat nie grosse Übernahmen getätigt. Ist das ein Grundsatz von Ihnen?
Das stimmt, wir haben nur einmal eine Firma übernommen, ConvergeNet, die Speicherlösungen entwickelt. Wir sind intern so schnell gewachsen, dass sich die Notwendigkeit nach Übernahmen nie richtig ergeben hat. Mit unserem Geld haben wir andere Sachen angestellt: Wir haben sehr aggressiv unsere eigenen Aktien zurückgekauft, etwa 30 Prozent der frei gehandelten Anteile! Und wir haben über unsere Tochter Dell Ventures eine Milliarde Dollar in über 100 junge Unternehmen investiert.

Wie viel ist davon noch übrig, seitdem die Internetblase geplatzt ist?
Dell Ventures geht es ganz gut. Wir hatten nicht viele Investments in Firmen vom Typ «Ich-wasche-Ihren-Hund.com». Wir haben uns mehr auf die Infrastrukturhersteller konzentriert. Mit denen, die bereits börsenkotiert sind, haben wir eine Rendite von 150 Prozent erzielt.

Werden die Internetaktien je wieder zu den alten Höhen zurückfinden?
Nur jene, die wirklich ein gutes Geschäft machen. Wenn Sie ein schlechtes Geschäft online bringen, ist es immer noch schlecht. Manche Leute dachten, durch das Internet würde sich das ändern. Dem ist nicht so.

Wie sehen Sie das Wiedererstarken Ihrer Konkurrenten Apple und Compaq?
Apple geht es, was die finanziellen Resultate angeht, einiges besser als früher. Ihr Marktanteil hat sich aber nicht gross verändert. Dennoch ist Apple als Konkurrent viel ernster zu nehmen als vor zwei oder drei Jahren. Compaq hat vor einem Jahr noch eine halbe Milliarde Dollar im PC-Geschäft verloren. Jetzt verlieren sie dort zwar nichts mehr, verdienen aber auch nichts. Ich glaube nicht, dass das schon ein Turnaround ist. Es ist sicher besser als auch schon. Aber wir wachsen auf jedem Markt in der Welt deutlich schneller als Compaq.

Trotzdem sind Sie seit einiger Zeit weltweit nur die Nummer zwei im PC-Markt. Werden Sie Compaq jemals überholen und zur Nummer eins werden?
Es gibt verschiedene Kriterien, wie man die Nummer eins definieren kann. Am wenigsten wichtig ist die verkaufte Stückzahl, denn die sieht man in der Bilanz nicht. Für mich sind Gewinn, Kundenloyalität und Umsatz – in dieser Reihenfolge – viel wichtiger. Bei Gewinn und Kundenloyalität sind wir bereits die Nummer eins, und beim Umsatz ist der Abstand deutlich kleiner als nach Stückzahlen. Aber wenn Sie die Marktforschungsinstitute fragen, dann gehen die davon aus, dass wir voraussichtlich nächsten Frühling auch nach diesen beiden Kriterien Compaq überholen.

Ist die Tatsache, dass Compaq ebenso wie Dell in Texas beheimatet und damit quasi ihr Lokalrivale ist, für Sie ein besonderer Anreiz, das Unternehmen zu schlagen?
Natürlich wollen wir Compaq schlagen, aber nicht deswegen. Es wäre übrigens für Dell ein Leichtes, den Umsatz zu verdoppeln und dabei unseren Gewinn zu halbieren. Beides gleichzeitig zu verdoppeln, ist viel schwieriger. Aber das ist unser Ziel.

Dell hat traditionell sehr enge Beziehungen zu Microsoft. Welche Auswirkungen für Dell hat das Urteil der Wettbewerbsbehörde, den Softwarehersteller aufzuspalten?
Wir machen Geschäfte zum Wohl unserer Kunden und Aktionäre und nicht zum Wohle von Microsoft. Auf unseren Computern laufen eine ganze Reihe von Betriebssystemen und Programmen, auch wenn die beliebtesten natürlich von Microsoft kommen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Das weiss niemand so genau, weil niemand das endgültige Ergebnis des Berufungsprozesses kennt. Aber unsere Kunden haben uns gesagt, sie würden weiterhin dieselbe Software kaufen, ob sie jetzt von einem oder zwei oder drei oder wie vielen Herstellern auch immer kommt. Kurzfristig würde uns das also wahrscheinlich nicht gross treffen.

Nicht nur Microsoft ist im Kreuzfeuer, auch der Chiphersteller Intel kommt nun unter starken Druck durch die Konkurrenz von AMD und Transmeta. Neigt sich das Wintel-Duopol, die Dominanz von Windows und Intel, nach zwanzig Jahren seinem Ende zu?
Nein, nicht so schnell (lacht). Ich würde mich jedenfalls wundern, wenn im PC-Bereich irgendein Betriebssystem gegen Windows mehr als 25 Prozent Marktanteil erreichte. Und bei den Chips stellt sich die Frage, ob AMD und Transmeta überhaupt so grosse Stückzahlen herstellen können, um mit dem Markt mitzuhalten. Aber für uns ist es egal, ob wir die Komponenten nun von Intel oder Microsoft oder von wem auch immer beziehen. Wir bauen, was immer unsere Kunden verlangen.

Der Erfolg von Dell Computer ist eng mit Ihrer Person verknüpft. Manche Beobachter bezeichnen das Unternehmen gar als One-Man-Show. Wie bereiten Sie Ihre Nachfolge vor?
(Lacht) Nun, ich bin 35 Jahre alt. Ich sorge mich noch nicht um mein Ableben. Aber wenn mir doch etwas passieren sollte: In der obersten Unternehmensspitze sind neben mir noch Jim Vanderslice und Kevin Rollins. Die beiden erledigen den Grossteil des Tagesgeschäfts. Ich kümmere mich um die Strategie und die Entwicklung des Managementteams. Diese Struktur haben wir seit sechs oder sieben Jahren, sie funktioniert sehr gut.

Wer von den beiden würde Sie beerben?
Beide sind fähig, Dell Computer zu leiten.

Sie sind jetzt 35 Jahre alt und haben in den letzten 16 Jahren als CEO alles erreicht, was man erreichen kann. Was motiviert Sie noch?
Vielleicht sieht es so aus, als hätte ich 16 Jahre lang den gleichen Job gemacht. Aber das Geschäft ändert sich ständig und damit auch mein Job. Das ist Motivation genug.

Hatten Sie dabei niemals das Gefühl, etwas im Leben zu verpassen?
Nein, nie. Ich habe eine wunderbare Frau, vier Kinder, darunter Zwillinge. Das ist eine ganz gute Balance zwischen Geschäft und Familienleben.

Sie haben Ihr Unternehmen gegründet, als sie 19 Jahre alt waren. Was würden Sie heute einem 19-Jährigen raten, der sein eigenes Unternehmen gründen will?
Man muss bereit sein, zu experimentieren und Fehler zu machen. Je mehr Fehler man macht, desto besser – solange man davon lernt und sie nicht ständig wiederholt. Und ansonsten: Nimm einen grossen, ineffizienten Markt, und erfinde ein Businessmodell, das die Industrie revolutioniert (lacht).

Das war vor 16 Jahren genau Ihre Strategie. Kann die heute noch gültig sein?
Ja, wenn Sie so eine Industrie noch finden. Viele gibt es nicht mehr.

Wo würden Sie suchen?
Ich weiss es nicht. Ich habe nie mehr darüber nachgedacht

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