BILANZ: Herr Vincenz, Herr Bucher, wie lange dauert die Finanzkrise noch? Pierin Vincenz: Die Suprime-Krise hat man anscheinend langsam im Griff, sie wird allerdings da und dort noch betriebswirtschaftliche Auswirkungen haben. Die nötigen Massnahmen sind eingeleitet. Jürg Bucher: Die Finanzkrise ist für die ganze Branche schlecht. Die ständigen Negativmeldungen schaden allen. Und der Fall Birkenfeld, der Clinch der UBS mit den US-Steuerbehörden? Bucher: Man muss die Vorgänge in den Vereinigten Staaten ernst nehmen, sie sind ein weiterer Versuch, das Bankgeheimnis zu unterminieren. Vincenz: Der Steuerdisput ist schwer abzuschätzen. Wenn es gelingt, die Angelegenheit im Amtshilfeverfahren zu erledigen, wird das Problem relativ einfach zu bewältigen sein. Und wenn die USA den politischen Druck erhöhen? Vincenz: Die Aktionen der Amerikaner zielen klar auf eine Schwächung des Finanzplatzes Schweiz. Die Europäer werden exakt verfolgen, inwiefern man Rechtshilfe und Akteneinsicht gewährt – und werden allenfalls genauso Druck machen. Insofern kann der Fall massive Auswirkungen auf den Finanzplatz und das Bankkundengeheimnis haben. Aber wir werden zu Recht darauf pochen, dass der Kundenschutz gewährt bleiben muss. Sind PostFinance und Raiffeisen die grossen Profiteure der UBS-Krise? Bucher: Wir hatten bereits vor der Finanzkrise ein sehr schönes Wachstum. Letztes Jahr holten wir 3,4 Milliarden mehr Kundengelder rein, seit Anfang Jahr verzeichnen wir ein noch stärkeres Plus: Allein im ersten Halbjahr flossen uns weitere 3,5 Milliarden zu. Dank der UBS-Krise? Bucher: Nur weil es einem Mitkonkurrenten nicht so gut geht, heisst das nicht, dass man Neugeld kriegt. Nein, das Angebot muss attraktiv sein. Offenbar ist PostFinance sehr konkurrenzfähig. Vincenz: Konkurrenzfähig? Sie operieren mit Lockvogelangeboten. Auf die zugeflossenen Gelder zahlt PostFinance unter dem Strich drauf, betriebswirtschaftlich macht das keinen Sinn. Bucher: Doch. Wir lancierten im Frühling eine befristete Aktion: vier Prozent Sparzins auf Neugeld. Für uns geht die Rechnung – entgegen der Annahme von Herrn Vincenz – mittel- und langfristig auf. Weil diese Kunden uns erhalten bleiben. Wir zahlen ja nicht permanent vier Prozent Zins. Vincenz: Eben: Lockvogel. Bucher: Nein. Unser normales Angebot – Sparzinsen von zwei Prozent – ist im Schweizer Markt ebenfalls unschlagbar. Ein Imageproblem der Grossbanken, speziell der UBS, führt den Kunden wieder einmal vor Augen, dass man gut daran tut, auch mal andere Angebote zu prüfen. Vincenz: Die Raiffeisen Gruppe wächst seit Jahren über dem Markt, zum Teil extrem. 2008 haben wir weitere vier Milliarden an Kundengeldern reingeholt. Nach der Grossbankenfusion, dem Swissair-Grounding und der Subprime-Krise zeigt sich: Das Vertrauen in eine Bank ist zentral. Durch die Subprime-Krise bekam die Reputation eine weitere Dimension. Bucher: Richtig. Auch eine diversifizierte Anlagestrategie entdeckt man wieder als Wert. Gerade für Geschäftskunden ist es sinnvoll, wenn sie zu mehreren Instituten Bankbeziehungen unterhalten. Auch davon profitiert PostFinance. PostFinance will künftig eine Banklizenz, um sämtliche Bankgeschäfte anbieten zu können. Gerade in der Finanzkrise scheint ein neuer Player opportun. Vincenz: Es gibt bereits ein sehr breites Bankenangebot, auch aus dem Ausland. Diese Wettbewerbsintensität verunsichert uns nicht, im Gegenteil, wir sind sehr konkurrenzfähig. So kann Ihnen eine Postbank nichts anhaben? Vincenz: Mir passt nicht, dass mit PostFinance ein neuer Player mit einer Staatsgarantie in den Wettbewerb eingreifen will. Ich bin dagegen, weil dann nicht mehr alle mit gleich langen Spiessen kämpfen. Letztlich geniesst in der Schweiz jede Bank eine Staatsgarantie. Vincenz: Falsch. Vertreter der Schweizerischen Nationalbank sagen explizit, dass die Raiffeisen Gruppe keinesfalls ein Fall für eine Staatsgarantie sei, weil die volkswirtschaftlichen Folgen bei Zahlungsunfähigkeit nicht so gross wären wie bei anderen Banken. Bear Stearns war auch kein Koloss wie Citigroup oder Merrill Lynch. Vincenz: Bear Stearns war für den US-Markt wichtig. Viele Politiker und Teile der Bevölkerung gehen in der Schweiz von falschen Annahmen aus. Inwiefern? Vincenz: Sie glauben, das Bankenwesen sei mit wenigen Risiken behaftet und könne daher staatlich geführt werden. Falsch. Es ist ein Geschäft mit vielfältigen Risiken. Bei Fehlern muss sich ein Institut primär allein hochrappeln, wie es die UBS mit ihrer Kapitalerhöhung tut. Bucher: Entscheidend ist, dass eine Bank mit genügend Eigenkapital ausgestattet ist, damit das Risiko für die Eigentümer – Private oder Staat – minimiert wird. Es ist nicht unser Ziel, dass uns der Staat Eigenkapital zur Verfügung stellt. Sondern? Bucher: Dieses Geld wurde im Post-Konzern erwirtschaftet. Wir sind heute in der Lage, PostFinance im Alleingang genügend kapitalisieren zu können. Vincenz: Moment, das Eigenkapital wurde im Monopolbetrieb Post erwirtschaftet. Ich habe mit meinen Paketen und Briefen dazu beigetragen. Bucher: Falsch. Das Einzige, was noch unter einem Monopol steht, sind Briefe bis 100 Gramm, alles andere ist liberalisiert, das wissen Sie, Herr Vincenz. Und wenn wir schon dabei sind: Bis zu 40 Prozent des Post-Gewinnes wird von PostFinance erbracht, von PostFinance, die – auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen – von Anfang an im Wettbewerb stand. Das Eigenkapital haben wir also mehrheitlich im Wettbewerb erwirtschaftet. Allein die Gewinne von PostFinance genügten, um uns mit dem erforderlichen Eigenkapital auszustatten. Wir brauchen also kein Geld aus der Briefpost. Vincenz: Ihre PostFinance profitiert stark vom Markennamen Post, einem subventionierten Staatsbetrieb. Tun Sie doch nicht so, wie wenn PostFinance ein unabhängiges, isoliertes Gebilde wäre. Bucher: Es ist nichts Schlimmes, wenn ein Manager die Kraft einer Marke ausnützt und ein Geschäft daraus macht. Und die Staatsgarantie? Das ist zweifellos ein Wettbewerbsvorteil. Bucher: Mit einer Banklizenz muss PostFinance auf eine Staatsgarantie verzichten, im Krisenfall müsste die PostFinance mit ihrem Eigenkapital haften. Aber ich will nicht verleugnen, dass der Staat letztlich der Eigentümer ist, daraus ergibt sich eine gewisse subsidiäre Stütze. Das Gleiche gilt für die Kantonalbanken. Letztlich geniesst jede Bank in der Schweiz eine gewisse Staatsgarantie – selbst die Raiffeisen Gruppe, auch wenn Sie das Gegenteil behaupten. Ich habe den Untergang der Spar- und Leihkasse Thun miterlebt. Man hat dort gesehen, was passieren kann, wenn man selbst eine kleinere Bank fallen lässt. Heute würde man hier eingreifen. Vincenz: Ja, am Schluss hat der Steuerzahler geblutet. Die Raiffeisen Gruppe geniesst also doch so etwas wie eine Staatsgarantie? Vincenz: Fakt ist, dass die Kantonalbanken mit Staatsgarantie unterwegs sind; das ist aber noch keine Begründung, um weitere Banken mit Staatsgarantie zu installieren. Stattdessen bin ich dafür, dass man die Staatsgarantien der Kantonalbanken reduziert, gemäss internationalen Trends. Nochmals: Mich stören die ungleichen Spiesse. Was macht eine Staatsgarantie aus? Vincenz: Die Refinanzierung von Hypotheken ist 0,3 Prozentpunkte billiger; die Kantonalbanken können günstiger Geld aufnehmen. Ich wehre mich dagegen, dass jetzt ein Player in diesen Markt eindringt, der eine noch verbindlichere Garantie hat – eine Bundesgarantie. Das ist ein unzulässiger Wettbewerbsvorteil. Sie jammern auf Vorrat. Die Raiffeisen Gruppe läuft auf Hochtouren: Allein bei den Hypotheken haben Sie im vergangenen Jahr um sieben Prozent zugelegt – doppelt so viel wie der Markt. Vincenz: Danke für das Kompliment. Ich behaupte nicht, dass wir einen schlechten Job machen. Nur: Wir wollen auch in Zukunft wachsen. Aber wenn ich fast nur noch gegen Konkurrenten antrete, die von einer Staatsgarantie profitieren, wird es schwierig. Das ist wie bei einem Berglauf: Die einen sind mit Doping unterwegs, ein paar andere – wir – ohne. Bucher: Ich kann Sie beruhigen, als Sportler wie auch als Leiter von PostFinance ist und war Doping für mich nie ein Thema. Wir haben bloss ein anderes Geschäftsmodell. Die Raiffeisen Gruppe ist primär eine Hypothekarkasse. Vincenz: Pardon, wir sind keine Kasse, sondern eine Bank. Bucher: Gut, die Raiffeisen Gruppe ist eine Hypothekarbank, wir sind ein Passivgeldinstitut. Wenn wir mit einer Banklizenz erweiterte Geschäftsmöglichkeiten im Hypothekar- oder im Firmenkundengeschäft erhalten, senken wir die Risiken. Wie das? Bucher: Wir haben ein Anlageportfolio von 50 Milliarden Franken. Von diesen Milliarden können wir nichts in den Schweizer Hypothekarmarkt investieren, weil der Gesetzgeber uns dies verwehrt. Wir müssen die Gelder also im internationalen Kapitalmarkt anlegen, schwergewichtig mit Anleihen. Da haben wir Ausfallrisiken, die grösser sind als im Schweizer Hypomarkt. Wenn wir hierzulande Hypotheken finanzieren, wissen wir genau, wie eine Liegenschaft oder ein Schuldner zu bewerten ist. Wenn ich aber 30 Millionen in eine internationale Firma investiere, habe ich viel weniger Informationen – dann bin ich auf Ratingagenturen angewiesen oder auf die Informationen der Firma. Nochmals: Wenn wir unsere Geschäftstätigkeit verbreitern können, sinken unsere Risiken, weil wir breiter diversifizieren. Genau das raten wir und auch Sie, Herr Vincenz, den Kunden. Vincenz: Genau so beginnen Fehler: Indem man das Risiko in der Schweiz negiert. Das haben schon andere zu spüren bekommen. Richtig ist: Der Wohneigentums- und Geschäftshäusermarkt ist ein Risikogeschäft. Bucher: Den Erfolg von PostFinance nur mit der staatlichen Unterstützung zu erklären, ist etwas gar einfach. Ich weiss auch, dass das Hypothekargeschäft risikobewusst gemacht werden muss. Wir kennen die Ausfallrisiken. Es ist schlicht eine Unterstellung, dass ein Neuer die Risiken nicht im Griff hätte. Die Schweiz ist «overbanked». Herr Vincenz, könnten Sie Ihre 1150 Bankstellen weiterführen, wenn PostFinance zur Bank mit einem flächendeckenden Netz würde? Vincenz: Wenn das Bankwesen verstaatlicht wird, nimmt der Margendruck zu. Wegen unserer teureren Refinanzierung müssten wir die Kosten optimieren. Mit Sicherheit hat es in manchen Regionen nicht Platz für zwei Bankfilialen: eine Raiffeisen, eine PostFinance. Dass Sie eine Raiffeisen-Filiale in Meiringen BE für sechs Millionen umbauen, deutet indes kaum auf Kostendruck hin. Vincenz: Wir investieren sorgfältig und wollen Teil einer Gemeinde sein. Vom Aussehen und von der Ausstattung her möchten wir einen respektablen Eindruck machen. Aber sind wir ehrlich: Wenn wir eine exakte Rentabilitätsrechnung machten, müssten wir bereits heute darüber diskutieren, ob wir alle 1150 Bankstellen betreiben sollen. Wie gesagt: Es geht uns auch darum, in der Region präsent zu sein. Was haben denn die viel rentableren Grossbanken in der Vergangenheit gemacht? Die Zahl der Filialen reduziert. Wir aber bieten so etwas wie einen Service public an. Aber Sie wollen nicht auch noch eine staatliche Abgeltung dafür? Vincenz: Um Himmels willen, nein! Aber es ist unsinnig, dass uns jetzt ausgerechnet noch der Bund in den Regionen mit einer eigenen Bank attackieren will. Bucher: Es geht nicht darum, eine Postbank zu schaffen. Die Bank heisst bereits PostFinance – und würde auch mit einer Banklizenz so heissen. Es stellt sich lediglich die Frage, ob PostFinance weiter an der kurzen Leine geführt wird. Die Grundbedürfnisse im Bankwesen – Transaktionskonti, Sparkonti, Debit-Kreditkarte, Ein- und Auszahlungen – bieten wir bereits heute in 2500 Postfilialen an. Für komplexere Produkte haben wir Filialen, mobile Berater, das Internet. Wir sind also bereits heute als Retail-Bank flächendeckend und rund um die Uhr unterwegs – mit oder ohne Banklizenz. Vincenz: Jetzt müssen wir zuerst abklären, ob es verfassungsmässig ist, dass der Bund eine Bank betreibt. In der Verfassung ist das nicht vorgesehen. Es kann nicht sein, dass der Bund ohne Verfassungsauftrag in die Privatwirtschaft eingreift. Bucher: Verfassungsrechtler haben verschiedene Meinungen. So wie Sie einen finden, der uns das Bankgeschäft gemäss Verfassung verbieten möchte, finden wir einen, der es uns erlauben würde. Sie müssen den grösseren Zusammenhang sehen: Der Postmarkt wird liberalisiert, das schmälert die Margen und die Rentabilität. Mit gestutzten Flügeln wird es schwierig, eigenwirtschaftlich zu sein. Wir sind doch alle froh, wenn ein öffentliches Unternehmen nicht auf Steuereinnahmen angewiesen ist. Vincenz: Ihre Herausforderung müsste sein, innerhalb der bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingung profitabel zu geschäften und nicht weitere Risiken einzugehen. Bucher: Danke für die Blumen. Wir haben innerhalb von ganz engen Rahmenbedingungen unseren Gewinn in den letzten Jahren verdreifacht und die Eigenkapitalrendite auf fast 20 Prozent erhöht. Vincenz: Dann soll der Bund also in jede Branche einsteigen dürfen, um Geld zu verdienen? Die Bäcker hätten vermutlich auch keine Freude, wenn der Bund plötzlich Gipfeli anbieten würde. Und die Migros hätte auch etwas dagegen, wenn der Staat an jeder Ecke einen Gemüseladen aufmachte. Jürg Bucher Der Ökonom, Jahrgang 1947, leitet seit fünf Jahren PostFinance, gleichzeitig sitzt er in der Post-Konzernleitung. PostFinance verwaltet Kundengelder von über 50 Milliarden Franken und weist über drei Millionen Kundenkonten aus. Bucher möchte eine Banklizenz, um damit das Dienstleistungsangebot zu vergrössern und rentabler zu werden. Raiffeisen Gruppe und Kantonalbanken sind vehement dagegen. Im Rahmen der Post-Liberalisierung wird das Parlament über eine Banklizenz befinden. Pierin Vincenz Der promovierte Betriebswirt, Jahrgang 1956, leitet seit neun Jahren die Raiffeisen Gruppe mit Sitz in St.  Gallen. Die Bankengruppe, bestehend aus 390 Raiffeisenbanken, verwaltet gegen 100 Milliarden Franken an Kundengeldern. Im Hypothekarmarkt ist die Gruppe einer der führenden Player, ihr Marktanteil in Franken beträgt 14 Prozent. Der Bündner Vincenz sitzt im VR von Helvetia und Vontobel, weiter ist er Mitglied im VR-Ausschuss der Schweizerischen Bankiervereinigung.
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