BILANZ: Die 61 000 Mitarbeitenden der Post wüssten gerne, wer neuer Chef der Post wird.

Jürg Bucher: Es ist nicht an mir, über den nächsten Post-Chef zu kommunizieren. Darüber entscheidet und kommuniziert alleine der Verwaltungsrat.

Wann ist es so weit?

Der VR wird rechtzeitig kommunizieren. Es könnte noch in diesem Jahr sein.

Eher diesen Monat.

Im Oktober? Das wäre mir neu.

Es sind noch drei Kandidaten im Rennen.

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Das sind Ihre Spekulationen, dazu nehme ich keine Stellung.

Sie sind in den Auswahlprozess involviert.

Das ist richtig, ich diskutiere mit, aber ich entscheide nicht.

Bei PostFinance wurde festgelegt, dass ein Interner zum Zug kommt. Bei der Post soll es ein Externer sein. Nachfolgeplanung hatte offenbar keine Priorität.

Es wurden sowohl Externe wie Interne in die Evaluation einbezogen. Nun ist es Sache des Verwaltungsrates zu entscheiden.

Wie wäre es mit einem welschen Kandidaten?

Wir haben in der Schweiz drei Sprachregionen. Im Übrigen ist die Kompetenz das Wichtigste, nicht die Sprachregion.

Früher war der Präsident ein Romand und der CEO ein Deutschschweizer. Jetzt ist der Präsident ein Deutschschweizer. Da wäre es passend, wenn ein Romand zum Zug käme.

Im Post-VR sind das welsche, das Tessiner und das weibliche Element sehr gut vertreten. Mit anderen Worten: Der VR ist sehr ausgewogen zusammengesetzt. Das war nicht immer so.

Kann es sein, dass ein VR in der Pole Position steht?

Der Verwaltungsrat bestimmt den künftigen Post-Chef, Punkt.

Gemäss unseren Informationen hat Post-Verwaltungsrat Philippe Milliet sehr gute Chance. Er ist 47 Jahre alt, ein Logistiker.

Ich habe keine Lust, Ihre Spekulationen zu kommentieren.

Der neue Post-Chef hat weniger Macht. PostFinance wird ausgelagert, PostAuto in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Da braucht es vor allem einen starken Logistiker.

Es braucht jemanden, der den Mischkonzern Post führen kann. Der Post-Konzern ist ein Konglomerat von verschiedenen Grossunternehmen. PostMail, wo ein Kerngeschäft abgewickelt wird, hat 30 000 Mitarbeitende und ist grösser als SBB oder Swisscom. PostLogistics hat ebenfalls mehrere tausend Angestellte. PostMail muss mein Nachfolger nicht führen, da gibts eine starke Geschäftsleitung. Sein Ziel wird es sein, diesen Mischkonzern vorwärtszubringen. Es geht vielmehr um die Frage, wie viel Zentralisierung es braucht, um Kosten zu sparen, und wie viel Freiheit und Flexibilität, um sich in den Einzelmärkten optimal zu bewegen. Gefragt sind auch Ideen und Vorstellungen, wie spezifische Kundensegmente mit neuen Angeboten und Lösungen konzernbereichsübergreifend abgedeckt werden können.

Braucht es Branchenerfahrung?

Erfahrung aus dem einen oder anderen Gebiet ist ein Vorteil. Aber es braucht vor allem Generalisten- und Sozialkompetenz nach innen und nach aussen. Die Post ist ein öffentliches Unternehmen und steht im Schaufenster. Kunden, Politiker, Gewerkschafter, Mitarbeitende: Alle interessieren sich für die Post.

Nach der Absetzung von Post-Präsident Claude Béglé ist es ziemlich ruhig geworden um die Post. Manche sagen: zu ruhig.

Wenn Sie einen Post-Chef wollen, der als Ankündigungsminister in die Geschichte eingeht, dann wäre der Bucher der falsche. Meinem Charakter und meiner Stärke entspricht es, Projekte auf den Boden zu bringen und, wenn es so weit ist, auch zu kommunizieren. 2009 aber wurde primär kommuniziert. Das mag für Sie als Journalisten spannend sein, uns brachte es nicht weiter.

Ruhig kann auch zu ruhig sein.

Sie meinen, es sei in den letzten anderthalb Jahren nichts passiert? Da täuschen Sie sich. Bei der Briefpost haben wir die automatische Gangfolgesortierung eingeführt, obwohl es Widerstand gab. Dann haben wir diverse Restrukturierungsprojekte durchgezogen. Im Frühling haben wir «ePost Product House» auf die Beine gestellt, wo wir die Kompetenz für elektronische Lösungen bündeln. Ich könnte diverse weiterer Projekte nennen.

Vom grossen Aufbruch spürt man nicht viel.

Was heisst das schon? Die Post war 2009 in einer äusserst schwierigen Situation. Damals wurden zuerst der CEO und dann der Präsident abgelöst. Ich persönlich habe den Job des Konzernchefs nicht gesucht, sonst hätte ich schon früher Interesse angemeldet. Nein, mir gefiel die Aufgabe als PostFinance-Chef. Doch nach dem Abgang des Konzernchefs stand ich vor der Frage: Stehe ich jetzt hin und übernehme Verantwortung oder nicht? Die Situation war heikel, auch politisch. Anfang 2010, kurz nach der Ablösung des VR-Präsidenten, waren wir in der parlamentarischen Kommission, um das neue Post-Gesetz zu diskutieren. Da sagten uns die Politiker klipp und klar: Bevor ihr nicht Ruhe im Haus habt und wisst, was ihr wollt, machen wir gar nichts. Wir mussten also zuerst unsere Hausaufgaben machen. Erst nachher haben sich die Politiker mit dem neuen Post-Gesetz befasst und es dann 2010 verabschiedet.

Worauf sind Sie in Ihrer Amtszeit als Post-Chef besonders stolz?

Auch wenn Sie von der BILANZ sind, werde ich hier nicht Bilanz ziehen. Immerhin bin ich noch fast ein Jahr im Amt, und da wird noch einiges passieren. Da können Sie sicher sein. Aber worauf wir besonders stolz sind: Wir haben eine Dienstleistungsoffensive lanciert. Die Qualität der Dienstleistungen hat heute einen wesentlich höheren Stellenwert. Dazu gehören attraktivere Briefkastenleerungs-Zeiten und die bessere Zugänglichkeit zum Kundendienst. Dann haben wir in den letzten Tagen ein neues Poststellen-Flaggschiff in Horgen ZH eröffnet: eine Stelle mit postalischen Leistungen, einem Markenartikel-Angebot und einer Finanzberatung. Nun werden wir sukzessive weitere Filialen wie jene in Horgen eröffnen. Die PostFinance-Kunden können dank Mobile Banking ihre Geldgeschäfte noch einfacher erledigen.

Sie haben das Projekt Post 2020 initiiert: Was ist zu erwarten?

Wir haben uns Szenarien überlegt, weltweit, schweizweit – und haben daraus Konsequenzen und Handlungspositionen entwickelt. Nun sind wir daran, diese Vorschläge zu verdichten. Post 2020 ist eine Basis, damit die kurzfristigere, die Drei-Jahres-Post-Strategie, entwickelt werden kann. Dieser weite Blick in die Zukunft ist neu für die Post.

Welches sind die inhaltlichen Kernpunkte?

Unser Grundszenario ist die global digitalisierte Welt. Die Briefpost wird abnehmen, der digitale Anteil an der Kommunikation zunehmen. Zentral wird die Schnittstelle zwischen «Physisch» und «Digital» sein. Hier sehen wir grosse Chancen.

Wie wird sich der Briefverkehr bis 2020 entwickeln?

Wir gehen von einem Best-Case- und einem Worst-Case-Szenario aus. Für mich ist aber nicht entscheidend, um wie viel der Briefverkehr jährlich schrumpft, sondern dass wir an der Schnittstelle Digital und Physisch die richtigen Antworten für unsere Kundschaft haben und unsere Kapazitäten flexibel an geringere Mengen anpassen können.

Ein Minus von ein bis zwei Prozent?

Schwer zu sagen. Derzeit leben wir in der besten aller Welten: Im ersten Halbjahr haben wir bei der Briefpost ein Prozent dazugewonnen. Aber strukturell würde ich von einem jährlichen Minus von ein bis zwei Prozent ausgehen. Wobei die konjunkturellen Schwankungen stärker ins Gewicht fallen können. In der Krise von 2009 brach der Briefverkehr um 4,7 Prozent ein.

PostFinance verwaltete Mitte Jahr 86 Milliarden Franken. Heute?

Im September waren es über 90 Milliarden an Kundenvermögen.

Und wie legen Sie dieses Geld in diesen volatilen Zeiten an?

Wir fahren seit je eine vorsichtige Anlagepolitik. Aber die Schulden- und Währungskrise macht es nicht einfacher. Heute kann man nicht einmal sicher in Staatsanleihen investieren, bei Investitionen in Banken haben wir ohnehin seit Jahren ein Moratorium. Unsere Investitionen in den Hypothekarmarkt sind gesetzlich beschränkt, obwohl wir bei den zwei Pfandbriefbanken mit 12 Milliarden im Hypomarkt investiert sind.

Sie haben Milliarden bei der Nationalbank parkiert?

Wir haben im Frühling aufgrund der Unsicherheit an den Finanzmärkten einen Anlagestopp verfügt. Wir lagen richtig. Nun sitzen wir auf sehr viel Liquidität, die nicht verzinst wird.

Wie viel ist das von den 90 Milliarden?

Ende Jahr dürften es rund 20 Milliarden in Cash sein, die fehlenden Zinseinnahmen wird man in den Resultaten sehen.

Das Gesamtergebnis wird deshalb schlechter ausfallen?

Wir gehen von einem guten Ergebnis aus, für PostFinance in der Grössenordnung von 2010.

2010 erreichten Sie einen Rekordgewinn von 911 Millionen.

2011 werden es rund 900 Millionen Franken sein. Aber diese Gewinnhöhen verwischen Schwachstellen und Herausforderungen im Konzern. PostFinance wird 2012 und 2013 nicht mehr an die Gewinne von 2010 und 2011 herankommen, ausserdem wird der gute Gewinn in der Briefpost durch den Zeitungsvertrieb und das Vertriebsnetz laufend reduziert werden. Dann haben wir stark steigende Kosten bei der Vorsorge, auch diese belasten den Konzern in der Zukunft.

2012 und 2013 wird unter dem Strich weniger verdient?

Ja, die Ergebnisse werden deutlich tiefer liegen. Wir haben strategisch eine Spanne von 700 bis 800 Millionen festgelegt. Wenn wir diese Spanne 2012 erreichen, haben wir sehr gut gearbeitet. Es wird nicht einfach werden.

Und wenn Sie unter die Marke von 700 Millionen fallen?

Ich werde alles daransetzen, dass es nicht so weit kommt. Diesen Ehrgeiz habe ich.

Als Konzernchef Ulrich Gygi abtrat, gabs fürs Personal einen Nominal-Lohnzuwachs von 3,1 Prozent. Gibt es bei Ihrem Abtritt ein Bucher-Zückerli?

Das werden wir sehen. Die Lohnentwicklung hängt ja nicht von mir ab, sondern von der Leistung und der Geschäftsentwicklung. Abgesehen davon halten wir unsere Mitarbeitenden sehr gut.

Sie haben sich als PostFinance-Chef immer als Banker verstanden, da sind Ihnen Boni nicht fremd.

Sie haben mich kürzlich beim Banker-Rating der BILANZ in der Kategorie Retail auf Platz eins gesetzt. Vermutlich deshalb, weil ich von den Bankern am wenigsten verdiene. Im Ernst: Ich beklage mich nicht über meinen Lohn, sonst hätte ich schon lange in die Privatwirtschaft wechseln müssen.

 

Der langjährige PostFinance-Chef Jürg Bucher (64) übernahm Ende 2009 zusätzlich das Amt des Post-Chefs. Im August 2012 tritt er ab. Der Posten war bislang mit 850 000 Franken dotiert. Als Nachfolgekandidaten gelten Verwaltungsrat Philippe Milliet sowie Dieter Bambauer, Chef PostLogistics. Den Chefposten bei PostFinance übergibt Bucher Ende Jahr Hansruedi Köng. Bucher gilt als Anwärter auf das VR-Präsidium der neuen PostFinance AG.