BILANZ: Jürgen Steinemann, Barry Callebaut ist der grösste Schokoladenhersteller der Welt – aber kaum jemand kennt Ihren Konzern. Ist das nicht frustrierend?
Jürgen Steinemann: Nein, überhaupt nicht, das finde ich super. Wir sind im B2B-Geschäft, damit muss man sich abfinden. Gestern war ich mit einem Bekannten an einem Tankstellenshop in Zürich. Beim Zahlen habe ich ihm die Kühltruhe mit den Glacen gezeigt. Bei sieben von zehn Produkten stammt die Schokolade von uns. An der Kasse lagen Kekse, auch mit Produkten von uns drin. Mein Grossvater hat immer schon gesagt: Im Schatten ist es besser als in der Sonne. Denn vom Schatten aus kann man ins Helle schauen – andersherum ist es schwierig.
Mit Lindt oder Cailler können Sie nicht mithalten.
Aber wenn ich in der Swiss sitze und die Flight Attendant offeriert mir Schokolade, dann habe ich meinen persönlichen Moment des Stolzes – weil auch diese Schokolade von uns stammt. Sagen wir es so: Wir müssen nicht im Vordergrund stehen, wir geniessen in der zweiten Reihe.
Die Schweiz ist auf der Welt für zwei Dinge bekannt – Uhren und Schokolade. Wann ändern Sie den sperrigen Namen Barry Callebaut in The Swiss Chocolate Company?
Unser Name ist nicht sperrig, der ist doch sensationell.
Es fängt damit an, dass man nicht weiss, wie man ihn ausspricht.
Aber er steht für Know-how und Tradition. Callebaut produziert seit über 100 Jahren Schokolade, Cacao Barry hat sogar über 170 Jahre Erfahrung. Man ist doch stolz darauf, wenn man diese Historie im Namen trägt. Ich muss Sie enttäuschen, eine Namensänderung ist kein Thema. Wir sind bei unseren Kunden bestens eingeführt – als Schweizer Unternehmen.
Dieses gehört zu knapp 70 Prozent der Familie Jacobs. Wie erklären Sie Ihrem Hauptaktionär, weshalb der Aktienkurs der Firma in den letzten zwölf Monaten deutlich schlechter abgeschnitten hat als der Markt?
Das liegt an der kürzlich abgeschlossenen Akquisition des Kakaogeschäfts von Petra Foods in Singapur, das eine tiefere Profitabilität hat als wir. Investoren und Analysten sagen uns, das macht strategisch viel Sinn. Aber natürlich erwarten sie nun, dass wir die Profitabilität hochbringen. Das verstehe ich, diese Herausforderung nehmen wir gerne an.
Bei einer US-Firma wären Sie jetzt mächtig unter Druck.
Es ist nicht so, dass unser Hauptaktionär uns sanfter anpackt, als dies etwa eine Beteiligungsgesellschaft tun würde. Wir werden schon herausgefordert. Nur hat die Familie Jacobs bei Investitionen sicher einen längeren Zeithorizont als ein auf kurzfristige Rendite ausgerichteter Investor. Wir haben die beste Struktur der Welt. Wir sind zwar börsenkotiert und erfüllen sämtliche internationalen Standards. Gleichzeitig haben wir mit der Familie einen Mehrheitsaktionär, der ein stabilisierendes Element birgt und auch ein sehr emotionales und persönliches.
Wie wollen Sie die Performance verbessern?
Indem wir Synergien ausschöpfen. Barry Callebaut ist schokoladenzentriert und sehr stark in Westeuropa und Nordamerika. Petra Foods ist sehr stark im Wachstumsmarkt Asien und auf Kakaopulver spezialisiert. Beide haben wir Splitter in Südamerika, die uns zusammengefasst ebenfalls die Marktführung geben. Barry Callebaut kauft die Rohwaren hauptsächlich direkt vor Ort ein, Petra Foods tat dies über den globalen Kakaohandel. Hier gibt es sicher Potenzial. Mit dem Zukauf steigern wir die Zahl unserer Kakaofabriken von 7 auf 16. Damit können wir Transportwege für Rohstoffe und Halbfabrikate verkürzen. Und es gibt Synergien beim Overhead. 2016 wollen wir bei der Ebit-Marge wieder dort sein, wo wir vor der Akquisition waren.
Was spüren Sie in den europäischen Krisenländern?
Wenn jemand kommt und sagt, wir können nicht wachsen, weil die Wirtschaft schlecht läuft, dann habe ich damit ein Problem. In jedem Markt gibt es Chancen. In Spanien ist wohl der Boden erreicht, in Italien sieht man die Talsohle vermutlich noch lange nicht. Frankreich geht in die falsche Richtung, Osteuropa ist schwierig. Aber davon lassen wir uns nicht entmutigen. Unter dem Strich sind wir für Europa gedämpft optimistisch.
In der Türkei, die derzeit von Unruhen erschüttert wird, bauen Sie gerade eine Fabrik. Schlechtes Timing.
Wir werden die Fabrik im Herbst einweihen. Ich glaube fest an das Land und sehe grosse Chancen. Die Bevölkerung wächst, das verfügbare Einkommen ebenfalls. Und die Türkei hat eine grosse Schokoladentradition. Bereits heute ist die Hälfte unserer künftigen Fabrik vertraglich ausgelastet. Das zeigt, dass wir vorgängig robuste Analysen gemacht haben. Und im schlimmsten Fall dauert es halt ein halbes Jahr länger, bis wir die Fabrik eröffnen. Deswegen kriege ich kein Bauchweh.
Können Sie das Wachstumstempo der letzten Jahre halten?
Wir erwarten, dass wir in den nächsten drei Jahren bei der Verkaufsmenge weiter mit sechs bis acht Prozent wachsen. Das ist in unserer und verglichen mit anderen Branchen beträchtlich.
Aber es genügt nicht. VR-Präsident Andreas Jacobs nennt das Ziel, in den nächsten fünf Jahren den Umsatz zu verdoppeln.
Finde ich cool. Er legt die Latte immer so hoch, dass wir gerade nicht drankommen.
Also schaffen Sie die Vorgabe des Präsidenten nicht?
Vielleicht schaffen wir 99 Prozent. Jetzt kommt mit dem Kakaogeschäft von Petra Foods eine Milliarde Umsatz hinzu. Damit sind wir schon 20 Prozent weiter.
Barry Callebaut hat probiotische Schokolade auf den Markt gebracht, solche ohne Zucker, hitzebeständige, Fair Trade, Bio etc. Das alles verkauft sich kaum.
Ja, das stimmt.
Entwickeln Sie am Markt vorbei?
Nein. Ich glaube, dass man als Marktführer die Trends sehen und in Produkten abbilden muss. Selbst wenn manche unserer Produkte nicht gut laufen, sind sie trotzdem wichtig, weil der Kunde mit dem Lieferanten sprechen will, der am meisten Innovationsdynamik zeigt. Viele der genannten Produkte werden Nischen bleiben – Bio etwa. Aber es gibt Kunden, die bieten ein Gesamtsortiment an, zu dem auch Bio gehört. Wenn wir das nicht liefern können, haben wir ein Problem. Die Kunden kaufen zu 95 Prozent Standardprodukte bei uns. Aber sie wissen, sie bekommen bei uns auch die ausgefalleneren fünf Prozent.
Was sind die nächsten Trends am Schokoladenhorizont?
Nachhaltigkeit ist ein grosses Thema, etwa bei zertifizierten Schokoladenprodukten. Dann das Luxussegment, wo es weiter Richtung personalisierte Schokolade geht, deren Geschmack immer genauer auf immer kleinere Kundengruppen ausgerichtet wird. Dann funktionale Schokolade – etwa solche mit einem hohen Anteil an Polyphenolen, was erwiesenermassen gut ist für das Herz-Kreislauf-System. Man darf nicht nur Produkte auf den Markt bringen, die grosse Volumen bringen. Man muss auch die Trends beachten, und die beginnen oft klein.
Welche Zukunft hat Ihre Branche noch in Zeiten des Gesundheits- und Schlankheitswahns?
Da mache ich mich nicht verrückt. Schokolade ist Genuss. Es gibt sie schon sehr lange, es wird sie auch in Zukunft geben. Ich habe lange Gespräche geführt mit McDonald’s, mit Mars und anderen, die sich dieser Themen seit vielen Jahren annehmen. Nach wie vor haben sie ihre Ankerprodukte, aber darum herum bieten sie auch gesündere Alternativen. Interessanterweise überholen diese die Standardprodukte aber nicht. Deshalb glaube ich nicht, dass wir in fünf Jahren nicht mehr da sein werden. So gesundheitsverrückt ist die Welt eben doch nicht.
Ist eine Expansion in andere Felder wie etwa Kaffee ein Thema?
Gerade vor dem Hintergrund unseres Hauptaktionärs stellt man uns diese Frage immer wieder. Aber ich denke, wenn wir weiterhin sechs bis acht Prozent in unserem angestammten Geschäft wachsen können, dann sollten wir nichts anderes tun. Das ist sicherer, das ist stabiler, da kennen wir uns aus, da fühlen wir uns wohl. Mit dem Erwerb des Kakaogeschäfts von Petra Foods haben wir gerade einen grossen Sprung gemacht. Insgesamt gibt es noch viele Wachstumschancen. Wenn Sie ein Pferd reiten, das Sie kennen, dann fühlen Sie sich komfortabler und können mit dem Pferd auch mal in den Zirkus. Aber wenn Sie ein neues Pferd reiten, dann machen Sie das nicht.
Sie waren vorher beim Tierfutterhersteller Nutreco. Was ist der Unterschied, ob man Fischfutter verkauft oder Schokoladenmasse zartbitter?
Das Produkt ist anders. Aber die komplexe Kette dahinter, vom Ursprung bis zum Konsumenten, ist ähnlich. Die Verfügbarkeit von Rohwaren, die Nachhaltigkeit, die kosteneffiziente Verarbeitung, der globale Kundenaspekt – das sind alles vergleichbare Faktoren. Auch die Leistungsindikatoren, mit denen wir unseren Erfolg messen, sind sehr ähnlich.
Was bedeutet die 1:12-Initiative für den Standort Schweiz?
Ich bin ja nur Gast in diesem Land. Ich bin ein Fan der Schweiz, weil das Land so viele Vorteile hat – auch was die urdemokratischen Möglichkeiten hier angeht, die wohl stärker sind als sonst wo auf der Welt. Und bei vielen Abstimmungen habe ich mir gesagt: grossartig! Das Volk ist vernünftiger als die Politiker! Etwa bei der Abstimmung für eine sechste Ferienwoche. Aber es gibt viele Wirtschaftsführer im Land, die nervös sind und mir sagen: Es verändert sich etwas in der Kultur unseres ansonsten liberalen Denkens. Die Minder-Initiative fand ich nicht dramatisch ...
... was sind die konkreten Auswirkungen der Minder-Initiative für Barry Callebaut?
Keine. Bei uns hat vorher schon die Generalversammlung über den Vergütungsbericht abgestimmt. Das finde ich aber auch normal – das sind die Eigentümer, die sollen das tun. 1:12 hingegen ist gefährlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schweizer Stimmbürger, auf Deutsch gesagt, so unvernünftig ist und das durchgehen lässt.
Was würde bei einer Annahme passieren?
Es wäre ein Drama. Viele grosse Firmen würden das Land verlassen.
Barry Callebaut auch?
Ich würde das sicher beim VR-Präsidenten zur Diskussion stellen. Wir haben einen kleinen Hauptsitz mit wenigen Leuten. Ich würde nicht für das Gehalt arbeiten, das ich dann vorgeschrieben bekäme, ganz einfach. Keiner meiner Kollegen würde das tun. Aber wir sind ja nur ein kleines Rad – hier im Land gibt es ganz andere Konzerne, die Tausende Leute beschäftigen. Die würden alle im Laufe der Zeit ihren Hauptsitz verlegen. Das wäre ein Riesenproblem für die Schweiz.
Wird das Ihrer Meinung nach passieren?
Ich glaube an die Urvernunft des Stimmvolkes. Auch wenn ich die Frustration über die Masslosigkeit mancher Branchen nachvollziehen kann: Ich glaube trotzdem, dass die Leute sich der Konsequenzen einer Annahme dieser Initiative bewusst sind.
Heimlicher Schoggi-König
Jürgen Steinemann (55) ist seit 2009 CEO von Barry Callebaut. Der 3,5-Milliarden-Konzern mit Sitz in Zürich ist der weltgrösste Schokoladenproduzent. Ob Magnum-Glace, Oreo-Kekse, Pain au Chocolat von McDonald’s oder Godiva-Pralinen: Bei jedem vierten Schokoladenprodukt mischt der in den neunziger Jahren von Kaffeekönig Klaus J. Jacobs aufgebaute Konzern mit. Steinemann stammt aus Oldenburg, zuvor arbeitete er beim holländischen Tierfutterhersteller Nutreco.