Der Berner Vorort Worblaufen ist nachts so tot wie ein Friedhof. Nur die Fenster des Glaskastens an der Alten Tiefenaustrasse 6 sind regelmässig auch zu fortgeschrittener Stunde noch erleuchtet. Die Berater von McKinsey, Andersen und Co., die hier am Hauptsitz der Swisscom ein- und ausgehen, leisten seit Monaten Überstunden. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Denn das grösste Telekomunternehmen des Landes steckt in einer strategischen Sackgasse. «Die Zukunft der Swisscom wird sich in den nächsten neun Monaten entscheiden», sagt einer der Nachtarbeiter.
Auf der einen Seite schrumpft der Heimmarkt. Die Konkurrenz – Diax, Sunrise und Co. – nimmt der Swisscom zunehmend Marktanteile weg: 25 Prozent hat der Exmonopolist nach eigenen Schätzungen im Mobilfunk schon verloren, 20 Prozent bei Ferngesprächen im Festnetz und gar 35 Prozent bei den Auslandstelefonaten. Kein Wunder, brach der Betriebsgewinn im ersten Quartal dieses Jahres um 30 Prozent ein. Um die Verluste wenigstens annähernd wieder wettzumachen, muss die Swisscom im Ausland wachsen. Doch aus eigener Kraft ist sie dafür zu klein. Zwar hat sie im Elsass, in Süddeutschland, Norditalien und Österreich kleinere Auslandsaktivitäten aufgebaut. Zwar hat sie sich mit dem Kauf des Serviceproviders Debitel letzten Sommer besonders in Deutschland verstärkt, wo sie nun fünf Millionen Kunden vorwiegend im Mobilfunk bedient. Doch die finanziellen Möglichkeiten, durch weitere Akquisitionen substanziell an Grösse zu gewinnen, sind erschöpft. Im internationalen Massstab ist und bleibt die Swisscom ein Zwerg (siehe «Die weltgrössten Telekomkonzerne» auf Seite 53).
Derweil schliesst sich die Konkurrenz zu immer grösseren Mammutkonzernen zusammen: Vodafone schluckt Mannesmann, MCI Worldcom fusioniert mit Sprint, Qwest kauft US West. Auch die intensiven, wenn auch letztlich erfolglosen Übernahmeverhandlungen zwischen Deutscher Telekom und Telecom Italia, zwischen Telia (Schweden) und Telenor (Norwegen) oder zwischen der spanischen Telefónica und der holländischen KPN zeigen klar: Die Konsolidierung des Weltmarktes läuft auf vollen Touren. Anschauungsunterricht liefern die USA, wo der Telekommarkt bereits vor 16 Jahren liberalisiert wurde: «Von den ursprünglich 22 lokalen Exmonopolisten in den USA sind bald nur noch vier übrig», rechnet Peter Wild vor, der für die Schweizer Beteiligungsgesellschaft BT&T von San Francisco aus den globalen Telekommarkt beobachtet. «Ausser politischen Hindernissen gibt es keinen Grund, warum die Marktbereinigung in Europa anders ablaufen sollte.» Und die Swisscom droht zwischen den neu entstehenden multinationalen Grosskonzernen zerrieben zu werden.
Denn der Exmonopolist aus Bern darf im globalen Kampf um Märkte und Kunden nicht mitmachen. Selber ist die Swisscom zu schwach, als dass sie auf dem Weltmarkt eine Rolle spielen könnte. Sogar Verwaltungsratsmitglied Ernst Hofmann, als Gewerkschaftsvertreter des Fusionsfanatismus unverdächtig, sagt: «Ohne strategischen Partner kann die Swisscom nicht überleben.» Um sich aber an einen starken Partner anlehnen zu können, müsste sie eigene Aktien als Tauschwährung anbieten können. Denn lockere Allianzen ohne Kapitalverflechtungen waren in der Telekommunikation nur von kurzer Dauer. Doch eine namhafte Kapitalbeteiligung eines anderen Unternehmens an der Swisscom verhindert das Telekommunikations-Unternehmensgesetz (TUG), nach dem der Staat die Mehrheit an der Swisscom behalten muss.
Zwar könnte die Eidgenossenschaft 15,5 Prozent ihres 65,5-Prozent-Anteils an der Swisscom abgeben, ohne das Gesetz zu verletzen. Aber eine Kleinbeteiligung an einem Kleincarrier ist für potenzielle Partner nur mässig interessant. Vor allem aber wäre die Swisscom nach wie vor ein Staatsbetrieb. Das TUG, einst eine typisch schweizerische Kompromisslösung, um bei der Liberalisierung ein Referendum zu vermeiden, ist nun im dynamischen Telekommarkt zur grössten Last für das Unternehmen geworden. Die Folge: «Das Rennen hat begonnen», sagt Nigel Deighton, Telekomanalyst bei der Gartner Group. «Aber die Swisscom ist noch nicht mal in den Startblöcken.»
Der Konzern mit seinen 22 000 Mitarbeitern muss die Folgen einer Liberalisierung tragen, die bestenfalls als halbherzig zu bezeichnen ist: Nicht nur, dass hier zu Lande der Telekommarkt später dereguliert wurde als in vielen EU-Ländern, womit die Swisscom im freien Wettbewerb Erfahrungsrück-stand hat. Vor allem fehlte der Schweiz der Mut, ihr Telekomunternehmen von Anfang an mehrheitlich zu privatisieren und ihm damit die volle strategische Handlungsfreiheit zu geben. Andere Staaten waren weniger zögerlich (siehe Karte links). Ihre Carrier sind heute bestens positioniert: Die holländische KPN, einst nicht grösser als Swisscom, hat den deutschen Mobilfunkanbieter E-Plus übernommen, durch Aktientausch den US-Carrier Qwest und den japanischen Mobilfunkoperator NTT Docomo als strategische Partner gewinnen können und ist nun in dem weltweiten Verbund die europäische Drehscheibe.
Tele Danmark, deutlich kleiner als die Swisscom, hat 42 Prozent der Aktien an Ameritech (heute Teil von SBC) verkauft und damit einen starken strategischen Partner gewonnen. Dadurch konnten die Dänen selber in zwölf europäischen Ländern aktiv werden, darunter in der Schweiz mit einer 44-Prozent-Beteiligung an Sunrise. Der spanische Exmonopolist Telefónica wiederum hat sich zum grössten Anbieter im lateinamerikanischen Telefonmarkt entwickelt; Interessenten standen und stehen Schlange für eine Fusion. Nur für die Berner interessiert sich keiner. Sie können ja nicht einmal verhandeln. Die Folgen tragen auch die Anleger: Die Aktienhausse, die seit letztem Herbst fast alle Telekomtitel erfasst hat, ist an der Swisscom nahezu spurlos vorübergegangen.
Schuld daran trägt auch der Verwaltungsrat der Swisscom unter Markus Rauh. Er vertrödelte fast zweieinhalb wertvolle Jahre. Seit seiner Ernennung im Januar 1998 verkündete Rauh frohgemut, das Unternehmen könne alleine bestehen – während beispielsweise die fünfmal grössere Deutsche Telekom schon lange zur Einsicht gekommen war, für den Weltmarkt zu klein zu sein. Statt energisch für die Vollprivatisierung einzutreten und damit die strategische Handlungsfreiheit seines Unternehmens sicherzustellen – selbstverständlich die oberste Aufgabe eines jeden VR-Präsidenten –, traute sich Rauh nicht, das politisch heikle Thema aufs Tapet zu bringen. Er wollte keine Auseinandersetzung mit Bundesrat Moritz Leuenberger, der Rauh als VR-Präsident vorgeschlagen hatte.
Die Referendumsangst im Nacken
Erst im Frühjahr 1999 begann Rauh zaghaft, hinter den Kulissen zu weibeln – und spielte seither ein klassisches Doppelspiel. «Er sagte uns, dass die Abschaffung des TUG die bestmögliche Unterstützung der Swisscom durch den Bund wäre», erinnert sich ein Vertreter des Departements Leuenberger. Auch Parlamentarier, die ihm politisch nahe stehen, versuchte der VR-Präsident unter vier Augen von der Privatisierungsidee zu überzeugen, während er in der Öffentlichkeit weiterhin die Splendid Isolation predigte. Am 14. Februar dieses Jahres ging Rauh politisch in die Offensive. An einem Hearing der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen bezeichnete er die Mehrheitsbeteiligung des Bundes als hinderlich.
Die unvorbereiteten Parlamentarier waren perplex. CVP-Präsident Adalbert Durrer: «Ich war schockiert, wie kaltschnäuzig Rauh über politische Realitäten hinweggeht.» Angesichts des Widerstandes wurde dem VR-Präsidenten bewusst, dass ihm die Zeit davonlief: An der Bilanzpressekonferenz Mitte April forderte er erstmals vor den Mikrofonen die Abschaffung des TUG. Seither ist die Diskussion ins Rollen gekommen. «Der Auftritt an der Bilanzpressekonferenz war ein Hilfeschrei», sagt ein Berater von Finanzminister Couchepin. Und was für einer: Rauh widerrief an jenem 13. April fast alle seine früheren Aussagen über das strategische Entwicklungspotenzial der Swisscom (siehe «Kehrtwende» auf Seite 56). «Wenn man sich als Politiker innert eines Jahres solche Widersprüche leistete, würde man von der Öffentlichkeit geprügelt», kommentiert Durrer das neue Weltbild.
Um das Unternehmen aus der Sackgasse zu bekommen, bleibt also nur der Rückwärtsgang. Und zwar Vollgas. Doch selbst das dürfte nicht mehr reichen: «Eigentlich ist es jetzt schon zu spät», beurteilt Martin Naville, Telekomexperte der Boston Consulting Group, die Diskussion um die Abschaffung des TUG. Bislang haben weder der Bundesrat noch das Parlament den politischen Willen zu einer Privatisierung erkennen lassen. Und selbst wenn der Bundesrat noch vor der Sommerpause entscheidet, bräuchte die politische Umsetzung rund zwei Jahre. Im hochdynamischen Telekommarkt ist das eine Ewigkeit: «Bis dahin ist der Markt weltweit aufgeteilt, und die interessanten Partner sind längst vergeben», urteilen unisono die Telekomanalysten.
Zwar könnte der Bundesrat, wenn er denn wollte, mit einem dringlichen Bundesgesetz die Privatisierung im Eiltempo durchziehen. Doch das steht gar nicht zur Diskussion – aus Angst vor dem dann obligatorischen Referendum. Eine Volksabstimmung wäre weltweit einzigartig und würde nicht nur dem Aktienkurs der Swisscom massiv schaden, sondern potenzielle strategische Partner erst recht abschrecken. Die Referendumsangst lässt eine Kompromisslösung erwarten, nach welcher der Staat zwar seine Anteile abgibt, aber ähnlich wie in Italien oder Spanien eine «goldene Aktie» behält, die ihm bei strategischen Entscheiden wie etwa Fusionen ein Vetorecht einräumt. Damit wäre die Swisscom auch weiterhin vor feindlichen Übernahmen geschützt und könnte sich ihre Partner aussuchen.
Zumindest theoretisch. De facto wird sie nehmen müssen, was noch übrig bleibt. Bereits hat sich die Konzernleitung damit abgefunden, die Selbstständigkeit eines Tages aufgeben zu müssen. «Unabhängigkeit ist per se kein Wert», gab der neue Konzernchef Jens Alder nach seinem Amtsantritt die Parole aus. Ins gleiche Horn bläst heute Dominik Koechlin, Strategiechef in der Konzernleitung: «Ob wir selbstständig bleiben oder eine Perle in einem Konglomerat sind, ist nicht entscheidend.» Und einer, der das Unternehmen auf oberster Ebene berät, spricht Klartext: «Dass die Swisscom übernommen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.»
Eine bemerkenswert programmatische Haltung, zumal für einen Staatsbetrieb. Denn es dürfte nicht wenige Stimmen geben, die den Verkauf der Swisscom an einen ausländischen Konzern als Landesverrat auslegen werden, auch wenn es ökonomisch zwingend sein wird. Welche Art von Partnerschaft sich der Swisscom-VR dabei wünscht, ist nicht klar. Rauh gelang das seltene Kunststück, an einem Tag zu dieser Frage zwei Statements abzugeben, die konträrer kaum sein könnten: «Für uns kommt nur ein kleinerer Partner in Frage, also weder die Deutsche Telekom noch France Télécom oder Telecom Italia», gab er an der Bilanzpressekonferenz dem Zürcher «Tages-Anzeiger» zu Protokoll. «Wir brauchen einen Partner, der uns Know-how, Zugriff auf Ressourcen und Skaleneffekte bringt. Das heisst, dass es sich nur um einen etablierten Grossen aus unserer Industrie handeln kann», diktierte er beim selben Anlass der «Berner Zeitung» ins Mikrofon.
Doch eigentlich sind die Kriterien klar: Der zukünftige Partner muss der Swisscom globalen Kundenzugang bringen, technisches und organisatorisches Know-how sowie Wettbewerbsgeist.
«Ich bin kein Freund von Partnerschaften, bei denen beide das Gleiche an den Tisch bringen», sagt Koechlin. Die anderen europäischen Exmonopolisten fallen damit von vornherein aus dem Rennen, denn ihre Mitgift bestünde primär aus den gleichen Problemen, wie sie die Swisscom hat: Aufgeblasene Kostenstrukturen, träge Beamtenapparate und wenig internationale Präsenz.
Wenn Zwerge Heiraten, wird kein Riese draus
Genauso wenig Sinn macht die von Rauh angedachte Strategie, sich mit mehreren kleinen Carriern zusammenzuschliessen. Zwar könnte die Swisscom in so einem Verbund eventuell noch das Sagen haben. Doch wie viel Koordinationsaufwand eine Patchwork-Strategie benötigt und wie leicht man sich dabei verzetteln kann, muss im Bereich Luftfahrt die SAirGroup schon seit Jahren erfahren. Vor allem wäre ein Zusammengehen mit verschiedenen Telekom-Start-ups nur eine Lösung auf Zeit. «Die kritische Masse würde letztlich trotzdem fehlen», sagt Rudolf Fischer, Telekomexperte bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little.
Erfolgversprechender ist da schon die Aussicht, mit einem grossen amerikanischen oder asiatischen Carrier zusammenzuspannen und für diesen die Rolle der europäischen Drehscheibe zu übernehmen. Das brächte der Swisscom nicht nur Skaleneffekte (ein Telefongespräch könnte um den halben Erdball gehen, ohne durch fremde Netze geleitet zu werden), sondern vor allem den Zugang zu deutlich mehr Kunden ermöglichen, als die Swisscom jemals alleine ansprechen könnte. Auf der Gegenseite kämen als Interessenten jene internationalen Grosscarrier in Frage, die in Europa bisher weder Präsenz noch Partner haben. «Die Schweiz wäre ein guter Ausgangspunkt, um den europäischen Markt anzugreifen», sagt Nigel Deighton von der Gartner Group. Denn der Schweizer Markt ist attraktiv. Weil hier zu Lande zahlreiche Multis und internationale Organisationen ihren Hauptsitz haben, sind die Kommunikationsausgaben im Vergleich zu anderen Ländern überproportional hoch.
Strategisch noch wertvoller wäre für die Swisscom allerdings eine Partnerschaft mit einem Medienkonzern. Denn mit dem reinen Gesprächs- und Datenverkehr wird in einigen Jahren kaum mehr Geld zu verdienen sein; zu gross sind dann die weltweiten Überkapazitäten bei den Leitungen. Inhalt, auf Neudeutsch Content, wird für die Carrier immer bedeutsamer. Deswegen hat Telefónica gerade für stolze 5,5 Milliarden Euro den holländischen Fernsehproduzenten Endemol («Traumhochzeit», «Big Brother») gekauft. Die Swisscom hat hier nur die Zusammenarbeit seiner Internettochter Blue Window mit dem Verlagshaus TA-Media sowie einige Kooperationen beim WAP-Portal zu bieten – langfristig viel zu wenig. «Eine strategische Partnerschaft mit einem Medienkonzern würde Sinn machen», bestätigt Koechlin diese Überlegungen.
Doch damit ein potenzieller Medienpartner seine Inhalte an den Mann bringen kann, muss der Carrier die entsprechenden Kanäle bieten. Unter anderem deswegen bewirbt sich die Swisscom für die Mobilfunklizenzen der dritten Generation. Mit dem UMTS-Netz können in hoher Geschwindigkeit grosse Datenmengen an Handys oder mobile Terminals übertragen werden – die Voraussetzung für neue Anwendungen wie drahtlose Videokonferenzen oder M-Commerce (siehe «Mobile Commerce – der Megahype von morgen?» auf Seite 51). Doch UMTS-Lizenzen sind teuer: Walter Heutschi, bis vor kurzem Mobilfunkchef der Swisscom, rechnet mit Kosten von zwei bis drei Milliarden Franken, hinzu kommen anderthalb Milliarden für den Netzaufbau. Ein Abseitsstehen kann sich die Swisscom auf ihrem Heimmarkt nicht leisten: Überliesse sie ihr zukünftiges Kerngeschäft der Konkurrenz, bräche der Aktienkurs zusammen.
Weniger Druck verspürt die Swisscom in den Ländern, wo sie über Debitel aktiv ist. Der Serviceprovider lebt gut davon, Mobilfunkdienste ohne ein eigenes Netz zu verkaufen. Das könnte er auch im UMTS-Zeitalter. Dennoch will sich Debitel auch in Deutschland und den Niederlanden an den UMTS-Ausschreibungen beteiligen. Dort sind die finanziellen Anforderungen um Dimensionen grösser. Der deutsche Mobilfunkanbieter MobilCom hat angekündigt, umgerechnet 34 Milliarden Franken für eine der sechs zu vergebenden Lizenzen lockermachen zu wollen, das entspricht drei Viertel der Börsenkapitalisierung der Swisscom. Dabei ist MobilCom nach Umsatz nur ein Sechstel so gross. Das Geld kommt von France Télécom, die sich zu 28,5 Prozent an MobilCom beteiligt.
Tafelsilber verkaufen reicht nicht
Will die Swisscom ohne einen starken Partner im Rücken mitbieten, muss sie einen Teil ihrer Aktiva verkaufen, denn der betriebliche Ertrag (letztes Jahr 2,7 Milliarden Franken) reicht zur Finanzierung solch hoher Investitionen bei weitem nicht aus. Daher fasst man in Bern den Börsengang der Mobilfunksparte ins Auge. Er könnte nach (recht optimistischen) Bankenschätzungen bis zu 24 Milliarden Franken in die Kassen spülen, wenn die Swisscom 49,9 Prozent an die Börse bringt.
Aber auch hier hat sich die Unternehmensführung nicht durch besonderen strategischen Weitblick hervorgetan. Jahrelang führte der Mobilfunk innerhalb des Unternehmens ein Eigenleben. Jens Alder begann nach seinem Amtsantritt, diesen Wachstumsbereich stärker an das traditionelle Geschäft anzubinden und sorgte für den Abgang von Mobilfunkchef Heutschi. Noch im März schloss VR-Präsident Rauh einen Börsengang kategorisch aus. Jetzt, wo der Finanzbedarf vom UMTS offensichtlich geworden ist, soll der Mobilfunkbereich gleichzeitig integriert und verselbstständigt werden. «Das wäre die Quadratur des Kreises», urteilt Arthur-D.-Little-Berater Fischer.
Dabei dauert es bis zum IPO noch mindestens ein Jahr. Bis dahin ist der Hammer bei den UMTS-Versteigerungen längst gefallen. Zur Überbrückung wird sich die Swisscom, sollte sie gegen starke internationale Konkurrenz tatsächlich den Zuschlag bekommen, andere Finanzierungskünste einfallen lassen müssen. «Wir haben eine breite Klaviatur an Möglichkeiten», sagt Strategiechef Koechlin. Am wahrscheinlichsten ist eine Kapitalerhöhung an der Tochter Debitel, bei der die Swisscom selber nicht mitzieht und dadurch ihren Anteil von 74 Prozent zu Gunsten neuer Investoren reduziert.
Weitere geschätzte 2,5 Milliarden Franken in die Kassen bringt der Börsengang der Internettochter Blue Window. Er ist für Herbst vorgesehen, aber noch immer nicht definitiv beschlossen. Andere waren wieder einmal schneller: Deutsche Telekom, MobilCom und die schon mehrmals als Beispiel zitierte Telefónica haben ihre Internetprovider bereits Anfang Jahr an die Börse gebracht und dank der Interneteuphorie Milliardenbeträge kassiert. Ob das der Swisscom im Herbst in vergleichbarem Ausmass gelingt, ist zumindest fraglich, denn das Börsenklima hat sich besonders für Technologietitel inzwischen spürbar verschlechtert. Und auch beim Mobilfunk hinkt man in Bern hinterher: AT&T hat sein Handygeschäft bereits an der Börse versilbert, Deutsche Telekom und KPN werden demnächst nachziehen. Strategiechef Koechlin sieht in beiden Fällen keinen Grund zur Eile: «Nur einfach, weil es Mode ist, machen wir das nicht.»
Die sprichwörtliche Schweizer Behäbigkeit hat die Rahmenbedingungen der Telekomliberalisierung geprägt. Sie lebt in der Swisscom-Spitze weiter. «Vielleicht haben Sie Recht. Gewisse nationale Eigenschaften übertragen wir auch auf die Führung des Unternehmens», sagt Koechlin. Im ehemals geschlossenen Schweizer Markt kam man damit gut über die Runden. Auf dem Weltmarkt, wo der Schnellere den Langsameren schlägt, verpasst die Swisscom nun den Anschluss.