Das ist Grund genug für Anleger, um verunsichert zu sein. Vor allem, weil die Parallelen zur japanischen Post-Bubble-Economy der 1990er-Jahre offensichtlich sind. Aktuell kommen aber geopolitische Unsicherheiten und die invertierte Zinskurve bei zwei- und zehnjährigen US-Staatsanleihen hinzu: ein in der Vergangenheit relativ verlässliches Anzeichen für eine Rezession. Die Zinskurven in anderen Laufzeitsegmenten und Regionen haben sich ebenfalls umgekehrt.
Zwei hinterfragte Narrative, die sich derzeit auf Anlageentscheidungen auswirken
Erstens hört man immer wieder, dass in einem Umfeld negativ rentierender Anleihen positive Renditen ausgeschlossen seien. Wenn ein Anleger solche Anleihen kauft und sie bis zum Laufzeitende hält, macht er logischerweise Verluste. Aber so sieht kein aktives Portfoliomanagement aus: Relative-Value-Strategien in bestimmten Ländern oder zinskurvenfokussierte Ansätze können noch immer positive Gesamtrenditen aus negativ rentierenden Anleihen erwirtschaften.
Auch längerfristige Staats- oder Unternehmensanleihen mit weniger negativen Renditen als bei kurzfristigen Papieren können zu positivem Carry beitragen. Das ist in vielen Teilen Europas, einschliesslich in Deutschland, möglich. Zudem könnten die Renditen noch weiter in den Negativbereich rutschen, was wiederum zu Kapitalzuwächsen führen würde. Diese Situation hat sich in diesem Jahr inmitten geldpolitisch expansiver Erwartungen an die Zentralbanken entwickelt. Daher sollten Investoren nicht überstürzt auf negativ rentierende Anleihen reagieren, Qualität reduzieren oder längere Laufzeiten eingehen, um höhere Renditen zu erzielen.
Auch das zweite Narrativ, das auf die Anlegerstimmung drückt, ist eine Fehleinschätzung. Die Rede ist von der bevorstehenden Zykluswende infolge der invertierten Zinskurve. Seit den frühen 1960er-Jahren war die Umkehrung der US-Zinskurve sieben Mal Vorbote für eine Rezession. Aber die Varianz im zeitlichen Ablauf zwischen Inversion und einsetzender Rezession war sehr gross: In drei der letzten zehn Fälle, in denen die Zinskurve invertierte, dauerte es länger als zwei Jahre bis zur Rezession.
Entscheidend ist, dass eine Umkehr allein nicht ausreicht, um eine Rezession zu bewirken. Sie ist vielmehr im allgemeinen wirtschaftlichen Kontext zu sehen. Und hier sind die typischen Treiber für einen Abschwung nicht erkennbar. Gemeint ist eine überhitzte Wirtschaft mit erhöhter Inflation, die wiederum zu einer sehr straffen Geldpolitik führt.
Gegenläufige Kräfte richtig deuten
In der gegenwärtigen Situation sind wir mit einer gegenläufigen Dynamik konfrontiert: Die Inflation ist gedämpft und die Zentralbanken verfolgen eine lockere Politik, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Weitere Faktoren wie signifikante Ungleichgewichte im Privatsektor müssen sich auch erst noch zeigen. Und auch insgesamt war dieser Zyklus insofern ungewöhnlich, als dass die lang anhaltend lockere Geldpolitik die niedrigen Zinsniveaus zementiert und die Form der Zinskurve beeinflusst hat. Deshalb kann sie nicht länger als verlässliches Rezessionssignal gedeutet werden.
Politische Unsicherheit
Der erste ist die erhöhte politische Unsicherheit. Unsichere Handelsbeziehungen wirken sich negativ auf die Anlegerstimmung und die realwirtschaftliche Aktivität aus. Noch wird das Wirtschaftswachstum durch das Arbeitsplatzwachstum gestärkt. Das stützt wiederum das Konsumverhalten der Haushalte. Eine strukturelle Verschiebung hin zum vermehrten Konsum von Dienstleistungen hat den Dienstleistungssektor als Ganzen gestärkt und Arbeitsplätze geschaffen. Schliesslich ist der Dienstleistungsbereich per se sehr personalintensiv. Wenn aber gleichzeitig die globale Produktionsaktivität zurückgeht, besteht das Risiko, dass dies auf den Dienstleistungssektor übergreift. Die Zeit der stabilen Beschäftigungszuwächse wäre vorbei.
Grenzen der Geldpolitik
Der zweite Faktor, der den Ausblick trübt, sind die Grenzen der Geldpolitik. Auch wenn dieser Zyklus gezeigt hat, dass die untere Grenze der Leitzinsen nicht bei null liegt, scheint es schwierig, sich vorzustellen, die Zinsen würden noch weiter in den negativen Bereich abrutschen. Wir werden einen Wendepunkt erreichen, an dem die negativen Folgen der Negativzinsen die möglichen positiven Effekte bei weitem überwiegen. Eine Folge ist die geschwächte Rentabilität der Banken, die die Kreditvergabe belastet. Zudem kommt es zu Ungleichgewichten im Finanzsektor, indem die expansive Geldpolitik Vermögenswerte in die Höhe treibt, aber nicht die Realwirtschaft stärkt. Diese Entwicklung wird zudem durch Anleihekäufe der Zentralbanken verstärkt.
Auch die Bargeldhortung ist riskant, insbesondere dann, wenn Banken die Negativzinsen an Privatkunden weitergeben. Natürlich wäre das in einer bargeldlosen Wirtschaft vermeidbar. Der digitale Zahlungsverkehr hat im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen. Aber die nahe Zukunft wird nicht völlig bargeldlos sein, sodass Zentralbanken noch niedrigere Leitzinsen beschliessen könnten. Der Anteil des im Umlauf befindlichen Bargelds am BIP beläuft sich in den USA auf acht Prozent und in Japan auf fast 20 Prozent. Länder wie Schweden oder Norwegen sind weniger bargeldintensiv – ihre Zentralbanken sind dadurch flexibler, was niedrigere Zinsen anbelangt. In Bezug auf geldpolitische Impulse muss ausgewogen agiert und die Fiskalpolitik eine stärkere Rolle einnehmen. Regierungen müssen aber vor allem dann in puncto fiskaler Expansion umsichtig und diszipliniert vorgehen, wenn ihre Wählerschaft der Sparmassnahmen überdrüssig ist.
Noch nie dagewesene Zeiten erfordern nicht unbedingt noch nie dagewesene Massnahmen von Anlegern. Negative Renditen sind ungewöhnlich, erfordern aber keine radikale Abkehr von festverzinslichen Anlagen. Zweifellos ist ein dynamischer Anlageansatz aber empfehlenswert. Die Inversion der Zinskurve könnte sich als Schaf im Wolfspelz erweisen und sollte daher nicht als Anlass interpretiert werden, Risiken abzubauen.
*von Andrew Wilson, CEO für EMEA und Leiter des Global Fixed Income und Liquidity Management-Teams bei Goldman Sachs Asset Management