BILANZ: «Business Week» schreibt, Sie seien weltweit der erfolgreichste Manager der Werbeindustrie.

Kevin Roberts: Ach, glauben Sie nichts, was Journalisten schreiben. Sie wissen das doch am besten.

Sie sind erst vor elf Jahren in die Werbebranche eingestiegen und schon an der Spitze. Ist die Konkurrenz derart schwach?

Ich kenne die Konkurrenz nicht, jedenfalls verbringe ich keine Zeit mit ihr. Ich durfte mich als Manager beim Kosmetikunternehmen Mary Quant, bei Procter & Gamble, Pepsi und Gillette auf den Chefposten bei Saatchi vorbereiten. Da hab ich einiges gelernt.

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Sie führen bei Saatchi & Saatchi 7000 Mitarbeiter. Wie?

Die alte Befehlsordnung ist passé. Meine Hauptaufgabe ist es, andere zu inspirieren, damit sie ihr Bestes geben. Mein Ansatz lautet: Wir müssen eine Firmenkultur hinkriegen, in der Teamgeist hochgehalten wird und alle auf ein Ziel hinarbeiten.

Schön, sagt jeder.

Ich weiss, wovon ich rede. Ich habe auf allen Kontinenten Firmen geführt. Ausserdem bin ich Mitbesitzer der International Rugby Academy of New Zealand, sie bildet Trainer aus. Es heisst, die Academy sei die beste Rugby-Schule in ganz Neuseeland. Und ich sage Ihnen: Mit Rugby ist in Neuseeland nicht zu spassen.

Wie inspirieren Sie Ihre Leute?

Indem ich ihnen Verantwortung gebe, Freude, ein Umfeld, in dem sie sich weiterentwickeln können. Indem ich ihnen meine Empathie zeige. Und: Versuch nie, einem Adler das Fliegen in einer Formation beizubringen. Stattdessen sorge dafür, dass er seine Stärken und Talente ausleben kann.

Wie bringen Sie Leute zur Höchstleistung?

Ich bin ein radikaler Optimist: Ich gehe davon aus, dass die Mitarbeiter gern zur Arbeit kommen und eine Topleistung erbringen wollen. Und dass jeder morgen eine bessere Idee haben will. Gerade die jungen Leute waren noch nie so gut ausgebildet wie heute, sie sind kosmopolitisch, ambitioniert. Ihnen muss man Freiraum und Verantwortung übergeben.

Wir leben in gesättigten Märkten.

Es gibt nur gesättigte Manager. Wer vital bleibt, findet Wachstumschancen.

Wie bleiben Sie vital?

Indem ich morgen eine noch bessere Idee haben will als heute. Wenn wir in einem Wettbewerb den Auftrag nicht erhalten, stimme ich nie ein Klagelied an oder lästere nicht über unsere Leute. Ich bin gegen das Prinzip der konstruktiven Kritik. Ich sage nach einer Niederlage bloss: Leute, morgen machen wir es besser.

Sie sind nicht das, was man sich unter einem Topmanager vorstellt, tragen nie Krawatte, gehen im T-Shirt oder im offenen Hemd zu Sitzungen mit den Chefs von Weltkonzernen.

Wegen meiner Kleider hatte ich noch nie Diskussionen. Ich trage, was mir Spass macht, hasse Gleichförmigkeit und liebe Diversität. Diese Offenheit haben mir meine ersten drei Chefinnen beim ersten Job bei Mary Quant beigebracht.

Was haben Sie sonst noch von ihnen gelernt?

Intuition ist wichtiger als Intelligenz, Kooperation wichtiger als Befehl und Kontrolle, man muss mit der Aussenwelt in ständigem Kontakt sein. Und: Einfallsreichtum muss belohnt werden.

Sie führen eine Firma mit Sitz in New York, leben aber
in Neuseeland. Wie geht das?

Ich arbeite seit 35 Jahren global, lebte in der Schweiz, in Marokko, auf Zypern, in England, in den USA und seit bald 20 Jahren in Neuseeland. Ich liebe das Land über alles, dort gibt es nur Schafe, die taugen zu nichts als zu einem feinen Braten. Also muss man mit den wenigen Ressourcen etwas Gescheites anfangen. Das ist eine Herausforderung, die mir liegt. Ich stamme aus der Arbeiterklasse Grossbritanniens, da wurde auch nicht mit der grossen Kelle angerichtet, sondern man musste sich zur Decke strecken. Mir gefällt das: traditionelle, pragmatische Werte, Probleme mit knappen Ressourcen lösen.

Sie pendeln zwischen den USA und Neuseeland?

Wir haben je ein Haus in Neuseeland, New York, St-Tropez und in Grasmere im Nordwesten Englands. Geniessen kann ich diese Häuser aber nicht allzu oft, weil ich 250 Tage pro Jahr unterwegs bin.

Wie führen Sie einen globalen Konzern, wenn Sie ständig
auf Achse sind?

Wenn ich keine wichtigen Sitzungen habe, bin ich nach dem Zufallsprinzip unterwegs – mal in Mexiko, mal in Genf, Shanghai, zwischendurch bei meiner Frau in Neuseeland oder in Australien. Wöchentliche oder monatliche Sitzungen kommen mir kaum in die Agenda. Das ist die Freiheit, die ich mir nehme. Die Welt der Konsumenten hört nicht auf monatliche Meetings.

Kaum Sitzungen, selten im Büro – und trotzdem immer
auf dem Laufenden?

Ich bin immer erreichbar und entscheide schnell, jede Mail wird bei mir innert 24 Stunden beantwortet, jede. Ich hab seit Jahren ein spezielles Backoffice mit vier Assistentinnen in drei verschiedenen Zeitzonen. Die eine sitzt in London, zwei arbeiten für mich in New York, eine in Neuseeland. Diese vier Frauen, die seit vielen Jahren exklusiv für mich arbeiten, beschäftigen mich 24 Stunden, 7 Tage die Woche.

Und wenn wir Ihnen eine Mail schicken?

Spätestens in 24 Stunden haben Sie eine Antwort. Jede Mail an mich geht an meine Assistentinnen; sie teilen die Mails gemäss dem Inhalt auf, leiten sie direkt an den Spezialisten weiter, der dafür verantwortlich ist. Jene Mails mit wichtigen Informationen für mich kürzen und fassen sie zusammen. Ich bin ein One-Page Guy.

Man muss sich also kurz halten?

Eine Seite genügt. Dann priorisieren meine Assistentinnen die Meldungen in drei Kategorien: A, B, C. Schliesslich faxen sie mir die Unterlagen ins Hotel, täglich 50 bis 100 Faxe. Diese gehe ich durch, im Taxi, im Hotel, im Flieger.

Und wie antworten Sie? Per Computer?

Von Hand, ich mach Notizen auf die Faxe, unterschreibe und schicke sie zurück nach New York, London oder Neuseeland – dorthin, wo grad gearbeitet wird. Die Assistentin scannt die Faxe und schickt sie den Absendern mit meinen handgeschriebenen Antworten oder Kommentaren zurück. Ich selber beantworte keine geschäftlichen Mails. Ich will keine Zeit mit Krimskrams verbringen, sondern kümmere mich um die wichtigen Dinge. So bin ich effizient, was wiederum die Aktionäre freut.

Sie verlangen, dass Marken zu Lovemarks werden, zu heiss geliebten, unverzichtbaren Dingen, und dass eine Firma eine Liebesbeziehung zur Kundschaft aufbaut.

Funktionstüchtigkeit und Zuverlässigkeit gehören heute zu jedem Auto oder Mixer. Also muss es das Ziel sein, dass man eine Loyalität hinkriegt, die über das Rationale hinausgeht. Wir müssen die Konsumenten emotional ansprechen und binden. Ich sage immer: Wir müssen eine emotionale Liebesbeziehung aufbauen, eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung genügt nicht.

Machen Sie ein Beispiel.

Sie sind Wirtschaftsjournalist. Nehmen wir das US-Magazin «Business Week»: ein sehr hilfreiches Instrument für den Manager, es transportiert Wissen, geniesst Respekt. Nun nehmen Sie «Fast Company»: Das ist zwar auch eine nützliche Zeitschrift, aber sie symbolisiert zusätzlich eine Lebenshaltung – Dynamik, Innovation. Oder nehmen Sie Harley-Davidson.

Kostet das Doppelte, leistet aber nur halb so viel.

Und ist laut. Man möchte sie trotzdem nicht mehr loswerden. Weil eine Liebesbeziehung besteht. Oder der iPod. Es gibt MP3-Player, die mehr können, trotzdem wartet die Kundschaft, bis sie endlich das neuste Modell hat. Weil der iPod eine Lovemark ist.

Sie hätten fünf iPods, heisst es.

Gekauft habe ich für die Kinder und mich bereits zehn, auf meinem Gerät hat es 10  300 Songs. Wir betreiben in der Familie einen regen Tauschhandel. Einer meiner Söhne ist DJ in London, der schickt mir die Entdeckungen, die anderen zwei Kinder, die in Neuseeland und in den USA leben, beliefern mich ebenfalls mit ihren Favoriten. So kommen wöchentlich 300 neue Songs zusammen, davon behalte ich 20.

Coca-Cola ist keine Lovemark von Ihnen. Als CEO von Pepsi Canada sollen Sie einen Coca-Cola-Apparat vor Ihren Mitarbeitern mit einer Maschinenpistole durchsiebt haben.

Ich wollte meine Pepsi-Leute inspirieren, ihnen eine Geschichte geben und der Ikone Coca-Cola signalisieren: Achtung, hier kommen ein paar ganz verrückte Kerle.

Wie würden Sie aus einem Schraubenzieher eine Lovemark machen?

Indem ich ihn zuerst von einem Designer kreieren liesse, ästhetisch, ergonomisch, mit tollen Materialien. Nehmen Sie die Zitronenpresse von Philippe Starck.

Taugt nicht viel.

Richtig, aber das Ding ist eine Lovemark, die man gerne in der Küche stehen hat.

Sie lästern gerne über die Läden, diese ärgerten die Konsumenten nur und animierten nicht zum Kaufen.

Wenn ein Barkeeper dieselbe Mentalität wie ein Warenhausmanager hätte, würde keiner hingehen. In einer Bar werden nicht 100  000 Drinks ins Regal gestellt, sondern man wählt 50 aus, inszeniert sie so, dass sie den Konsumenten ansprechen.

Welche Läden gefallen Ihnen?

Apple-Computer wurden bis vor drei Jahren in Best Buy und bei Wal-Mart verkauft, bis Steve Jobs seine Ladenkette lancierte: Da ist jeder Besuch eine tolle Erfahrung, interaktiv, sinnlich erlebbar, es hat viel fachkundiges Personal. Oder nehmen Sie den Detailhändler Whole Foods Market aus Austin, Texas, da werden die Früchte wie in einem Theater der Träume präsentiert.

Mit der Tochterfirma Saatchi & Saatchi X erfinden Sie den Laden von morgen. Wie sieht der aus?

Bei Saatchi & Saatchi X in Arkansas beschäftigen sich 350 Leute mit dem Inneren von Läden oder mit der Form von Gestellen. Im Trend ist das, was wir In-Store Experience nennen, wo der Konsument sinnlich etwas erfahren kann. Ziel ist es, den Ladenbesucher in einen Käufer zu verwandeln.

Dabei ist er vor allem mit Suchen beschäftigt.

Ein Ladenbesucher verbringt 22 Minuten in einem Supermarkt, davon kauft er 6 Minuten lang ein, der Rest wird nach einem Produkt gesucht, man geht durch die Gestelle, wartet an der Kasse. Das ist Unsinn. Ich möchte lieber, dass jemand 20 Minuten lang zugreift, statt seine Zeit damit verbringt, 20 Olivenöle unter die Lupe zu nehmen – und am Schluss gar keines kauft. Läden sind sehr ineffizient: Da werden 70  000 Produkte präsentiert, der Konsument kauft gerade mal 20. Gehen Sie mal an einem Zehn-Meter-Gestell mit Zahnpasten und Aspirin entlang: Echt, da krieg ich Kopfweh.

Was schlagen Sie gegen das Kopfweh vor?

Whole Foods Market macht es vor: Mehr Intimität, mehr Probierangebote, keine Ladengänge wie mit dem Massstab gezogen, sondern Gänge mit weichen Kurven. Vor allem aber müsste man die Software mit der Hardware verbinden.

Inwiefern?

Indem man die verschiedenen Bildschirme der Konsumenten integriert, jene vom Computer, vom Handy. Mittlerweile sind über zwei Milliarden Handys in Betrieb. Was trinken Sie am Abend?

Vielleicht ein Glas Rotwein.

Okay, wenn ich ein Warenhaus in Zürich betreiben würde, würde ich Ihnen am Freitag um 18 Uhr eine Mail schicken mit dem Hinweis: Wir haben fantastischen Château Latour 1989 neu reingekriegt, den reservieren wir für Sie bis Samstagmittag. Wenn Sie wollen, können Sie sogar Ihren Namen auf die Flasche gedruckt haben. Oder der Sportladen um die Ecke schreibt Ihnen aufs Handy: Wenn Sie in 60 Minuten bei uns einkaufen, kriegen Sie zehn Prozent Rabatt.

Der Engländer Kevin Roberts, Jahrgang 1949, ist seit über zehn Jahren Chef der Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Als er den CEO-Posten übernahm, lag die Agentur in den Seilen. Innert einem Jahr schaffte er den Turnaround. Saatchi & Saatchi ist heute in 86 Ländern präsent und beschäftigt 7000 Mitarbeiter. Saatchi wurde 2000 vom französischen Publicis-Konzern aufgekauft.