Die Wirtschaft in Europa steht kopf, doch die Schweiz zeigt sich unbeeindruckt: 0,7 Prozent Wachstum im ersten Quartal, eine beneidenswert tiefe Arbeitslosenquote von drei Prozent. Fast alle Konjunkturforscher erhöhen derzeit ihre Prognosen – einzig die Credit Suisse (CS) hält sich zurück. Der allgemeine Tenor lautet: Starker Arbeitsmarkt, rege Zuwanderung, stabile Baukonjunktur und tiefe Zinsen beflügeln den Binnenkonsum, der die Dellen im Export kompensiert – noch.
Vorboten der Krise. In Deutschland, dem wichtigsten Schweizer Abnehmerland, ziehen dunkle Wolken auf. Der Aussenhandel ist im April eingebrochen, die Manager in Europa und der Schweiz sind so pessimistisch wie letztmals vor drei Jahren, die rückläufige Geldmenge in der Eurozone impliziert zwei Quartale mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um zwei Prozent.
Ein genauerer Blick lohnt sich auch auf die Schweizer Zahlen. Nur drei von zehn Branchen haben in den ersten drei Monaten des Jahres mehr exportiert, real sind die Ausfuhren gesunken. Der grösste Wachstumstreiber im ersten Quartal war der Staatskonsum. Der Privatkonsum hält nur deshalb, weil bei Nullteuerung selbst mit Minilohnerhöhungen mehr im Portemonnaie bleibt, und schliesslich verzerrt der massive Lageraufbau das Ergebnis. Um diesen Faktor bereinigt, wäre die hiesige Wirtschaft bereits im ersten Quartal um ein Prozent geschrumpft, anstatt um 0,7 Prozent gewachsen.
Dabei sind die möglichen Turbulenzen eines Austritts von Griechenland aus dem Euro nicht einmal eingerechnet. Wie also wirkt sich ein Grexit oder ein Flächenbrand in Europa aus? Niemand weiss es. Die Szenarien müssten viele zusätzliche, nicht ökonomische Annahmen enthalten. Die Rechnungsmodelle lassen sich mit diesen Parametern aber nicht füttern. Bei einem chaotischen Austritt – geordnet ist ein erzwungener Austritt nicht möglich – und einem Übergreifen auf andere Staaten «sind die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Schweiz wohl dramatisch, aber kaum prognostizierbar», sagt CS-Ökonom Thomas Herrmann.
Personalabbau. Auf deutlich über vier Prozent würde die Arbeitslosenquote steigen, schätzt Sarasin-Ökonom Alessandro Bee. Eine Quote von 4,5 Prozent wie etwa Ende der neunziger Jahre hätte rund 60 000 zusätzliche Arbeitslose zur Folge – was immer noch weit weg von den 330 000 Arbeitsplätzen in der Maschinenindustrie ist, die grösstenteils verschwinden würden, wie SVP-Unternehmer Hansruedi Wandfluh jüngst orakelte. Im eigentlichen Maschinenbau sind nur rund 86 000 Personen angestellt. Davon arbeiten laut einer Untersuchung des Seco etwa die Hälfte in Firmen, die zwei Drittel ihrer Produktion exportieren. Noch enger von den Ausfuhren und der Eurountergrenze abhängig sind Elektroindustrie und Chemie. Ein Wachstumseinbruch in Europa hätte auch für die Tabakindustrie und die Medtech-Branche verheerende Konsequenzen. Die Vorboten einer Abschwächung sind längst da.