Bevor ich die «Silver Shadow» sah, dachte ich, ich wüsste, wie Kreuzfahrtschiffe aussehen: Entweder nostalgisch schnittig wie die alten Passagierdampfer, etwa die QE 2 oder die Norway, oder wie eine schwimmende Schachtel mit abgerundeten Ecken und Legostein-artigen Aufbauten. Da ist die «Silver Shadow» eine Begegnung der dritten Art. Sie strahlt schneeweiss in der Bucht von Cannes. Zumindest von vorn sieht sie noch aus wie ein richtiges Schiff, mit spitzem Bug und individueller Silhouette. Die schlanke, 25 Meter breite und 182 Meter lange «Silver Shadow» nimmt sich neben den klobigen Ozeanriesen aus wie ein auf Hochglanz polierter Rolls-Royce neben Sattelschleppern.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die 160 Passagiere, die heute das Schiff an Südfrankreichs Sonnenküste besteigen, lieben den Luxus und eine gewisse Privacy auch auf hoher See. Sie gehören zu einer Gesellschaftsschicht, die der Mindesttarif von 1250 Franken pro Tag und Person nicht schreckt. Das ist der Preis für die kleinste Kabine (27 Quadratmeter) bei Doppelbelegung. Fast dreimal mehr kosten die «Royal» und «Grand Suites» (120 bis 133 Quadratmeter). So oder so ist alles inbegriffen: Trinkgelder, Hafengebühren und Transfers, sämtliche Mahlzeiten und Getränke einschliesslich Champagner à discrétion und eine breite Auswahl von Weinen und Spirituosen.

Vom Casino bis zum Golfabschlagsplatz

Zwei Drittel der insgesamt 194 Kabinen sind auf dieser Seereise belegt, die meisten Passagiere bereits an Bord, in drei Stunden wird die «Silver Shadow» auslaufen zu einem einwöchigen Mittelmeer-Törn, über Korsika, Portofino, Valencia, Ibiza, Mallorca nach Barcelona. Ich schlendere wie viele andere staunend über die sieben Decks.

Es gibt ein von Liegestühlen umrahmtes Schwimmbad und zwei Whirlpools, ein Spa mit Schönheitssalon und Fitnesscenter, ein kleines Casino, Boutiquen, diverse Bars und Panorama-Lounges, zwei Restaurants, eine Bibliothek und einen Computerraum, einen Self-Service-Wäscheraum, einen Golfabschlagsplatz und ein Theater. Das Schiff hat kein neureich-prahlerisches Gehabe. Es glitzert zwar hier und da auch nicht weniger als ein kleines, exklusives Resort-Hotel, doch es dominiert elegantes Understatement, unaufdringlicher Luxus und das gute Gefühl, mehr als genug Platz zu haben. Auf dem Pooldeck wird Champagner ausgeschenkt. Stewardessen balancieren Tabletts und ihr Lächeln.

«How are you?»

«Fine», sage ich.

Zweimal pro Woche wird der Smoking getragen

Meine «Veranda Suite» gehört zur zweituntersten Kategorie, liegt mittschiffs auf Deck 8 und bietet mit 32 Quadratmetern reichlich persönlichen Freiraum. Eine durchgehende Glasfront führt auf den privaten Balkon. Das Interieur stimmt heiter, alles wurde höchst geschmackvoll und gediegen gestaltet, das Marmorbad verfügt über Wanne und separate Dusche, auf dem grossen Schreibtisch stehen frische Blumen und Obst. Im Fernseher ist ein Videorekorder integriert, ausserdem findet sich ein grosser Safe, in dem man mühelos die Kronjuwelen von Elizabeth II. unterbringen könnte, und ein begehbarer Kleiderschrank. Es klingelt.

«How are you?»

«Fine», sage ich.

Das Zimmermädchen mit Namensschild Anita erkundigt sich über meine Vorlieben bezüglich des Inhalts der Minibar und der Beschaffenheit der Bettwäsche.

«Silver Shadow» und «Whisper»
Routen und Termine


Im November und Dezember ist die «Silver Shadow» im Fernen Osten unterwegs, im Januar und Februar um Australien und Neuseeland. Das Schwesterschiff Silver Whisper kreuzt bis Ende Januar in der Karibik und in Mexiko, danach in Südamerika. Die Preise für acht Tage liegen in etwa zwischen 8700 und 21 400 Franken (all inclusive), dazu kommt die Anreise. Für Frühbucher und -zahler gibt es Rabatt. Den ganzen Silversea-Kreuzfahrtenkalender gibts auf der Website:


www.silversea.com

Während Stewards in den Korridoren die letzten Koffer mit den «First Class/Priority»-Labeln diverser US-Fluggesellschaften in die Nobelkabinen wuchten, findet eine Seenotübung statt. Alle Passagiere werden aufgefordert, sich mit angelegten Schwimmwesten auf dem Sonnendeck zu versammeln. Wir stehen da wie Schiffbrüchige bei einem Fasnachtsfest. Das Durchschnittsalter liegt bei 50 mit wenigen Ausreissern nach oben und nach unten. Viele Ehepaare. Die amerikanischen Gäste sind natürlich nicht zu übersehen, noch weniger zu überhören.

20.30 Uhr. Ich lerne das weitläufige Hauptrestaurant kennen, wo freie Platzwahl herrscht und man kommen und gehen kann, wann man will. Nur beim Dresscode hört die Flexibilität auf: Für die achttägige Reise stehen zwei «formal nights» (also mindestens Smoking bzw. Cocktailkleid) auf dem Programm. Bei den «informal nights» genügt ein Veston, und bei den «casual nights» gibt man sich sportlich-leger. Die Kellner in schwarzer Livree kreisen dienstfertig um unsere Tische, schenken nach, räumen weg und tragen wieder auf, effizient und auf jeden Sonderwunsch gefasst. «Thank you!» erklingt als Endlosschleife. Die Speisekarte enthält alles, was ein anspruchsvoller Passagier sich wünschen mag und erstaunlicherweise auch zu essen vermag. Mittags steht ein opulentes Buffet zur Wahl, das abendliche Sieben-Gänge-Menü mit seinen diversen Kombinationsmöglichkeiten erreicht manchmal Sterne-Niveau. Als Alternative bietet das «Terrace Café» mediterrane Gerichte in ansprechend relaxter Atmosphäre an manchen Abenden draussen auf der Veranda an. Wer will, kann sich das Dinner auch Gang für Gang in seiner Suite servieren lassen. Das Schiff legt ab. Die Dieselmotoren wummern dumpf. Von der Reling geht es 20 Meter nach unten. Und endlich aufs Meer hinaus.

Am nächsten Morgen, im rot-grauen Licht der aufgehenden Sonne, ankern wir vor dem korsischen Küstenort Saint-Florent. Tenderboote bringen uns an Land, wir nehmen das Städtchen in unsere Sammlung auf.

Für manche Passagiere ist die «Silver Shadow» selbst das Reiseziel – sie verlassen das Schiff kaum einmal. Andere Gäste wollen von Sonnenauf- bis weit nach Sonnenuntergang unterhalten werden und bei den täglich angebotenen Landausflügen neue Orte kennen lernen.

Von Yoga über Scrabble bis zum Kochkurs

Das Aktivitätenprogramm an Bord beginnt um 7.20 Uhr mit Morgen-Jogging, mindestens mit neun Runden auf Deck 9, was einer Meile entspricht. Danach vergeht der Tag schnell: Mit Yoga, Pilates, Stretching, Wasser-Aerobic, Personal Fitness Training. Das Angebot an Körper- und Schönheitsanwendungen im Spa ist enorm, hat allerdings seinen Preis: Rund zwei Dollar pro Minute. Man kann sich in die Geheimnisse des Bridge-Spiels einweihen lassen, Pingpong oder Scrabble spielen, Uhren und Kleider kaufen. Es gibt Kochkurse, Weindegustationen und Vorträge eines Historikers, Botschafters oder Geografen.

Die Captain’s Cocktails und Dinners bieten den Passagieren alle Chancen zum modischen Aufbrezeln. Abends im Theater wechseln sich Kinofilme mit aufwändigen Show-Produktionen ab, in der Dancing-Bar spielt ein Live-Orchester. Das Versprechen, dass die «Silver Shadow» ein Luxuskreuzer sei, auf dem man alles tun kann, aber nichts muss, wird rundum eingelöst. Nie entsteht der Eindruck, das Schiff sei zu voll, weder in den Restaurants noch auf den Decks. Und der Pool ist fast immer leer, als kreuze hier ein Verein von Wasserscheuen.

Während der ganzen Seereise scheint die Sonne. Das Meer ist glatt und ruhig. Ich werde nicht seekrank. Die «Silver Shadow» zickzackt durchs Mittelmeer, mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 15 Knoten, still und fast vibrationsfrei. Jeweils spätabends heisst es «Leinen los», und am nächsten Morgen laufen wir im nächsten Hafen ein. Vom Schiff aus betrachtet, wirken die Orte wie Halluzinationen. Wo immer wir andocken, stauen sich die Schaulustigen auf dem Pier.

Die vier Schiffe der US-Reederei Silversea Cruises – zu denen neben der «Silver Shadow» auch die baugleiche Schwester «Silver Whisper» sowie die etwas kleineren Schiffe Silver Cloud und Silver Wind gehören – geniessen bei den Kreuzfahrern Kultstatus und zählen in einschlägigen Reisemagazinen sowie in der Berlitz-Kreuzfahrtbibel seit Jahren zum kleinen Kreis der Allerbesten. Wirkliche Konkurrenz sind nur die Luxusjachten der zur Cunard-Gruppe gehörenden Seabourn-Flotte («Legend», «Spirit», «Pride»).

Die dreihundertköpfige Crew der «Silver Shadow», besser organisiert als in den meisten Fünfsternhotels und ständig gut gelaunt, sorgt dafür, dass rund um die Uhr kein Wunsch unerfüllt bleibt. Schon am zweiten Abend bringt der Kellner auf mein Nicken hin meinen bevorzugten Wein, und beim Frühstück kommen der Cappuccino und die Grapefruit am zweiten Morgen ohne Bestellung. Ausser leichter Konversation wird den Passagieren jegliche Anstrengung erspart. Das ständige Abnehmen auch der kleinsten Handgriffe kann einem jedoch auch irgendwann auf die Nerven gehen.

The Cruise Line
Die Schweizer Kreuzfahrtenbörse The Cruise Line mit Büros in Zürich und Genf offeriert Angebote aller Reedereien in allen Kategorien zu konkurrenzlosen Preisen. Wer auf der Homepage einen Reisetermin und seine Preisvorstellung eingibt, erhält eine Liste mit passenden Kreuzfahrten. Per Mausklick folgen alle Informationen und es kann online gebucht werden. Für Auskünfte und Detailinformationen stehen auch die Verkaufsstellen zur Verfügung:


Zürich: Wolfbachstrasse 39, Telefon 01 254 24 11
Genf: Rue Le Corbusier 22a, Telefon 022 839 43 62


www.cruiseline.ch

Die «Silver Shadow» ist natürlich klassenlos, doch bilden die Passagiere unübersehbar zwei Klassen: Solche, die sämtliche Traumschiffe zu kennen scheinen – und die anderen. Meine neue Bekanntschaft mit zwei vergnügten Ladys aus Nashville Tennessee, die ein offenbar blühendes Immobilienbüro betreiben und gerade den 416. Tag auf See feiern, wird mir in der Folge unentbehrlich, was Wunder: «You speak such a nice english», beschwichtigen sie mich immer mal wieder, wenn ich hilflos nach einer Vokabel ringe: «We love your accent!»

Ich bin nicht der einzige Deutschsprachige unter den Passagieren: Der meist mit seiner Frau etwas verschlossen abseits sitzende Vollbart entpuppt sich als Besitzer eines Schweizer Stadthotels. Was sich nicht schon nach den ersten Smalltalk-Sätzen offenbart, wispert mir der bestens informierte Barmann zu.

Die Woche auf der «Silver Shadow» vergeht wie im Flug. In der achten Nacht steuert das Schiff den Zielort Barcelona an. Der Kapitän hat die Maschine gedrosselt, an Deck herrscht schon früh Hochbetrieb, denn keiner der Passagiere möchte das Einlaufen verpassen. Die spanische Küste in Sichtweite, fahren wir so langsam, dass man nebenher schwimmen könnte. Eine schöne Art, die Reise ausklingen zu lassen. Die meisten gucken, als hätten sie noch nie Festland gesehen, als seien sie nicht acht Tage, sondern Jahre auf See gewesen. Ist es Sentimentalität oder doch nur der Fahrtwind, weswegen viele plötzlich feuchte Augen bekommen? Wie schön, könnte man jetzt in einer weiteren Woche mit der «Silver Shadow» nach Lissabon weiterziehen. Doch bald werden wir fest am Kai vertaut sein, neue Passagiere werden kommen. Nur noch ein paar Minuten träumen, bevor uns die Wirklichkeit wieder hat.

Claus Schweitzer ist Reisespezialist und regelmässiger Mitarbeiter der BILANZ.