Wer sich gerne gute Adressen aus angesagten Städten notiert, dem sei die Via Burlamacchi 5 in Milano empfohlen. Lange Zeit eine Kleiderfabrik, dann zu einer Parkgarage umfunktioniert, steht dem Gebäude eine spektakuläre Zukunft ins Haus. Von Grund auf umgebaut wird es im Spätherbst zum neuen Herzen der Firma Strato.
Strato, das sind Gianna Farina und Marco Gorini, ein eingespieltes Team, ein jung gebliebenes Paar, das von morgens bis abends nichts anderes als Küche und Küchen im Sinn hat. Mit dem neuen Showroom, der auch ein Restaurant ist, schaffen sie einen Ort, der alle Menschen glücklich macht, die gerne essen und kochen.
Als «Chef de Cuisine» fungiert Marco Gorini, 49; er hat die Küche entworfen, das Restaurant konzipiert, den Weinkeller zusammengestellt und sich die meisten Gerichte ausgedacht. Gorini ist der kreative Geist, in dessen Laboratorium all die vielen Ideen Gestalt annehmen, welche den Strato-Stil ausmachen. Ob grosse Küchen mit einem Waschblock aus portugiesischem Stein und einer Arbeitsfläche aus Titan, ob kleine Tabletts aus Palisander oder Bratpfannen und Risottotöpfe aus Silber.
Sehr gut kann sich Gianna Farina an den Tag erinnern, als Marco ihr mit einer locker dahingeworfenen Bemerkung schlaflose Nächte bereitet, die sie um die gemeinsame berufliche Zukunft bangen lässt. Gorini hat die Nase voll vom Entwerfen und Produzieren einzelner Möbel und ganzer Inneneinrichtungen. Künftig werde er sich dem Thema Küche widmen und dafür ein eigenes Label schaffen.
Den anderen um ein paar Nasenlängen voraus
Das war vor über zehn Jahren, in einer Zeit, als Designer um Küchen einen grossen Bogen machten, «den meisten war das zu langweilig, zu technisch und zu aufwändig». Niemand dachte damals, dass die Küche wieder zum Mittelpunkt des Wohnens, zum Aufenthaltsraum von Familie und Gästen werden könnte, als Gianna Farina und Marco Gorini daheim im Veltlin, «ohne nichts», ihre eigene Firma gründen.
Heute gilt Strato im Küchenbau als wegweisend und nimmt im kleinen Marktsegment der exklusiven Küchen die Spitzenposition ein. Weltweit von den grössten Herstellern beobachtet – «alle schauen, was wir machen, viele kopieren uns» –, gehen sie ihren eigenen Weg, ohne gross nach links und rechts zu schauen, und sind anderen meistens um ein paar Nasenlängen voraus. Sinnigerweise heisst das neue Strato-Küchen-Programm «Collezione 2030», was im Frühling am «Salone del Mobile 2003» in Milano bei einigen Besuchern für leichte Irritation sorgt, und Gorini mit spitzbübischer Freude registriert: «Das ist kein Schreibfehler, wir haben uns nur einen kleinen Scherz erlaubt.»
Augenfällig sind an der neuen Kollektion die schlankeren, nahtlos verarbeiteten Arbeitsflächen, mit Fronten aus schwarzem Glas und Profilen und integrierten Griffen aus Titan. Ein schönes Ideenstück ist bei einer Kochinsel der ausziehbare Tisch aus Wenge-Holz, der zurückgeschoben exakt die gesamte Herdfläche abdeckt. Premiere feiern die Strato-Sitzmöbel.
Marco Gorini, weisser Kittel, rotes Puma-Schuhwerk, kurvt mit seinem zusammenklappbaren Meter, den er locker in der rechten Hand hält, durch seine Fabrik in Talamona, einer kleinen Ortschaft nördlich des Comersees. Hier in der Werkstatt fühlt er sich am wohlsten. Hier gehe es um absolute Präzision, um das Verarbeiten hochwertiger Materialien, also um Handarbeit. Mit schnellem Schritt wechselt Gorini zur nächsten Halle, erwähnt nebenbei, dass nächsten Monat in 150 Meter Entfernung eine neue Strato-Fabrik nach seinen Plänen entstehen werde, ein Kubus auf Stelzen. Dann bückt er sich kurz, reisst ein längliches Paket auf und streichelt das zum Vorschein kommende Material: «Titan aus England, hohe Festigkeit, geringes Gewicht und angenehmer anzufassen als Stahl.»
Gekocht wird nach Skizzen von Marco Gorini
Am Abend, ohne Fabrikstaub im Haar, wirkt Marco Gorini wie ein anderer Mensch. Ganz in Schwarz – schwarze Brille, schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Flip-Flop-Latschen – sitzt er an der Bar des «Altro» mitten im historischen Zentrum des lauschigen Dörfchens Ardenno und bespricht sich mit Fabrizio Ferrari, dem Koch. Mittags hat er ihm einige mit Kommentaren versehene Skizzen mit den Wünschen für den Abend gefaxt, welche Produkte er verwenden und miteinander kombinieren soll und welches Gesicht die Gerichte in diesem oder jenem Teller haben sollen. Gorini, ein leidenschaftlicher Ausprobierer, der selber nur nach Gefühl und nie nach einem Rezept kocht, will seine Ideen auch beim Essen verwirklicht sehen.
Das «Altro» ist eine seit zwei Jahren andauernde «Generalprobe» für das Restaurant und den Showroom in Milano. In der umgebauten ehemaligen bischöflichen Residenz aus dem 17. Jahrhundert wird Gorinis gesamte Strato-Philosophie erprobt und von Gästen in eleganten, unaufdringlich gestalteten Räumlichkeiten erlebt. Dazu gehören neben Bar und Restaurant auch eine Bibliothek, eine Enoteca oder zwei im Strato-Stil eingerichtete Zimmer, nicht zu vergessen die fantasiereiche Küche. «Ein eigenes Restaurant für sich und andere zu haben», meint Marco Gorini augenzwinkernd, «das ist wahrer Luxus.»
Fabrizio Ferrari kommt zwischendurch immer mal wieder aus der Küche, um mit Marco Gorini die einzelnen Gerichte zu besprechen. Beim doppelten Risotto in italienischen Farben (links Fenchel-Grün, rechts Himbeer-Rot) hat er die vorgeschlagenen Basilikumblätter auf dem weissen Porzellanteller weggelassen, «die wären schwarz geworden». Einig sind sich die beiden bei der Spinat-Ziegenkäse-Sauce, die perfekt zu den frittierten Gemüsen passt, ebenso beim Muschelsüppchen, das zu einem geflochtenen Loup de Mer mit Ratatouille gegeben wird. Schlicht genial sind aber, was erst auf den zweiten Blick erkennbar wird, die mit Sorbets oder Eiscreme gefüllten frischen Früchte – Pfirsiche, Aprikosen, Melonen und Zitronen.
Marco Gorini zierte als Model schon das «Vogue»-Cover
Jährlich verlassen 300 Strato-Küchen das Werk im Veltlin. Etwa 80 Prozent werden exportiert: In die Schweiz, nach Deutschland, Russland, Holland, Belgien, Spanien und Griechenland, in die Türkei und nach Österreich. Zu den vielen illustren privaten Kunden gehört Silvia Venturini-Fendi, die ein Strato-Unikat für das Fendi-Familienhaus in Rom bestellt hat. Bei Giorgio Armani, mit dem ihn eine alte Freundschaft verbindet, weiss Marco Gorini noch nicht, wie alles ausgehen wird, momentan seien sie am «fighten», weil Armani etwas viel eigene Ideen habe. Seinerzeit in Mailand, als er das Studium der Architektur sausenliess, war Gorini «Assistant Fashion Designer» beim Armani-Clan. Bei Modeshows habe er Armani-Mode auf dem Laufsteg präsentiert, erwähnt Gianna Farina, als ihr Mann am Handy gerade mit seiner achtjährigen Tochter Camilla spricht, und als Model habe er es sogar einmal auf das «Vogue»-Cover geschafft.
Wird zu viel über das Design von Strato-Küchen gesprochen, schüttelt Marco Gorini den Kopf. Ihm ist das Wort Stil lieber und wichtiger, weil es um Menschen, ihren Lebenstil und ihre Passionen geht. «Eine Küche muss zu einer Person und zu einem Haus passen.» Gorini empfindet deshalb seine Küchen weniger als Designobjekte. «Küchen sind Maschinen», sagt er, «anspruchsvolle Gebrauchsobjekte, bei denen es um Wasser und Elektrizität, um Funktionalität und um Benutzerfreundlichkeit geht.» Natürlich auch darum, das Ganze in ein optisch anspruchsvolles Konzept umzusetzen, und darin liegt eine der Stärken von Strato, die schliesslich den Unterschied zur Küchen-Massenproduktion ausmacht. «Wir verstehen uns besonders gut darauf, Technologie und Handwerkstradition, Funktionalität und Ästhetik in unseren Produkten zu vereinigen.»
Strato-Showroom-Restaurants bald in Paris und New York?
Das Programm der Strato-Küchenwelt umfasst momentan vier Kollektionen: Die neue «collezione 2030»; das Baukastensystem «Basic»; die elegant-strenge Kollektion «Igloo», bei der völlig auf Griffe verzichtet wird; die Küche «Non plus Ultra», die sehr viele Freiheiten lässt, beispielsweise bei den aus einem Stück hergestellten Arbeitsflächen. Zusätzlich gibt es eine Edition von Küchen und Möbeln (maximale Auflage: 20) sowie ein paar Unikate von Marco Gorini. Neu lanciert haben Farina und Gorini neben «stratocucine» die Firmen «stratobagni» und «stratocasa», eine Möbelkollektion mit Tischen und Sitzmöbeln, sowie die «Altro Home Collection» mit Küchengeräten, Geschirr, Besteck und Gläsern sowie weiteren Accessoires.
«Wir müssen wachsen», kommentiert Gianna Farina die recht stürmische Entwicklung von Strato. Ausserhalb von Zürich aufgewachsen, ist sie seinerzeit mit 15 Jahren nach Italien zurückgegangen, um Dolmetscherin zu werden. Heute hält sie mehr oder weniger die Firma Strato zusammen, macht alles, was ihr Mann weniger gerne tut, kümmert sich um die Kataloge oder die Stoffe für die neuen Polster, engagiert einen Exportmanager oder repräsentiert die Firma bei der Eröffnung eines neuen Strato-Geschäftes in Moskau.
Vor allem zerbricht sie sich über die neue Art des Kücheverkaufens den Kopf. Wird nämlich die Via Burlamacchi 5 in Milano zu einer Preziose der besonderen Art, wird das erfolgreiche Rezept exportiert, dann sollen auch in Paris, London und New York Strato-Showroom-Restaurants entstehen.
Wolfram Meister ist Journalist und Mitherausgeber des Newsletters «WeinWisser».