«Alle Shoppingcenter werden zu Museen und alle Museen zu Shoppingcentern», sagte Andy Warhol einst voraus. Sylvie Fleury hat dies gleich zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn in die Tat umgesetzt. In der kleinen Lausanner Galerie Rivolta stellte sie zwischen die Werke von John Armleder und Olivier Mosset gefüllte Designer-Einkaufstaschen und nannte die Installation «C’est la vie», ein Name von einem damals bekannten Damenparfum. Sie war für einen kurzfristig unabkömmlichen Künstler in letzter Sekunde eingesprungen. Sozusagen unmittelbar nach einer ausgedehnten Einkaufstour. Was zu Beginn eine Verlegenheitslösung für den Galeristen war, stellte sich als ein wahrhaft fulminanter Einstieg in die Kunstwelt für die junge Genferin dar. Und mit diesem Debütantenerfolg hat sie sich auch gleich den Stempel «Shopping Queen» eingehandelt. Sie muss damals wohl zu sich selbst «be amazing» gesagt haben. Heute gehört die 42-Jährige zu den weltweit erfolgreichsten Kunstschaffenden.
Buddhas sitzen in der Loggia
Sylvie Fleury konnte sich bis zur ihrer ersten Ausstellung nie vorstellen, in Galerien auszustellen. Den unersättlichen Trieb, etwas zu kreieren, hatte sie aber immer schon. Als 20-Jährige lebte sie in New York, nachdem sie ihren Au-pair-Job geschmissen hatte, in einer Künstler-WG, in der sie die Kunst des Fotografierens von der Pike auf erlernte. Zurück in der Schweiz war sie Party-Veranstalterin, Galeristin und wurde John Armleders Assistentin, Muse und schliesslich Lebenspartnerin.
Heute sind sie sich gegenseitig Musen und leben zusammen in ihrer «Villa Magica» im Zentrum Genfs. Das Jugendstilhaus aus der Jahrhundertwende mit seinem verträumten – oder eher verwilderten – englischen Garten gehörte einem Magier, der während einer Zauber-Show in den Zwanzigerjahren unerwartet das Zeitliche segnete. Das hat man davon, wenn man Jungfrauen zersägt.
Das gedämpfte Licht in den Räumen, die gesammelten Kuriositäten und Antiquitäten geben den Wohnräumen einen fast mystischen Rahmen. Das Haus ist mit alten Stilmöbeln, Skulpturen und Schnitzereien – wohl Mitbringsel ihrer Reisen in den asiatischen Raum – eingerichtet. In der Loggia steht ein Altar mit vielen Buddhas, auf dem Salontisch stapeln sich Hochglanzmagazine über Mode, Autos und Gartenarbeit. Die Letzteren sind John Armleders Lektüre. Schnell wird noch Farbe und Pinsel beiseite geräumt und Grüntee serviert. Ihr namenloser Kater – «Wie heisst denn die Katze?» Fleury: «Katze» – mit einem Zahn holt sich die gewünschten Streicheleinheiten, bevor er sich zurückzieht. Sylvie Fleury macht es sich auf dem betagten Sofa bequem und warnt die Zuhörer von Anbeginn, dass ihre Ausführungen zum Teil ausschweifend, ja gar wirr werden können. Wurden sie nicht.
Die Modewelt ist ihre Bühne
Ein «Glamour Girl» sei sie also, ein «Fashion Victim» gar. Dies sei ein Vorurteil, meint sie fast schon gelangweilt. Offensichtlich ist sie es leid, sich immer wieder zu erklären. Wird sie auf diesen einen Aspekt reduziert, dann trübt sich ihr Blick schlagartig. Sie brauche Markenwelten oder starke Symbole – wie Raketen – als Instrumente wie der Komponist eine Geige. Dargestellt wird in Fleurys Werken oft die Oberfläche. Aber es geht ihr um die Tiefe, welche gerade auf der Oberfläche liegt, um mit Oscar Wilde zu sprechen.
Ihre Arbeiten setzen sich mit der Mechanik und der Konstruktion der Gesellschaft auseinander. Zwischen der Interaktion von Mann und Frau, zwischen Konsument und Markenwelt, zwischen Yin und Yang. Die Fashion-Welt oder die Auto-Welt sind also nur Bühnen, welche sie bespielt. Auf ihnen werden Mechaniken und Abhängigkeiten exemplarisch aufgezeigt.
Die Konsumgesellschaft biete uns Elemente an, mit welchen wir unsere Identität zu konstruieren versuchen. Die Konstruktion der Persönlichkeit durch Konsum ist ein interessantes Thema. «Die zentrale Frage ist: Wie funktionieren Menschen?» Und wie werden sie beeinflusst. «Sich den Mechanismen der Gesellschaft bewusst zu sein, ist von grosser Bedeutung.»
Sylvie Fleury betreibt nicht Konsumkritik, sie zeigt Zusammenhänge auf. Sie stellt Fragen, für die Antworten ist schliesslich jeder selbst verantwortlich. Ihr Potenzial zur Provokation kränkt jedoch alle die, welche der politischen Korrektheit verfallen sind und Kunst noch altmodisch politisierend betrachten oder betreiben. Für die ist es wohl unausstehlich, dass da eine kommt, die mit Statussymbolen und den Insignien von Luxus und Reichtum ohne Berührungsängste spielt. Die Parameter unserer Gesellschaft haben sich geändert. Im Mittelpunkt stehe heute die eigene Persönlichkeit. Kunst, Design, Mode und Werbung wurden die fragilen Stützen eines neuen Lifestyles, in dessen Zentrum die fieberhafte Arbeit am eigenen Image steht. Wer kauft, wählt auch Identitäten. Weltweit identische. Die Gucci-Sonnenbrille ist in Genf dieselbe wie in Dakar. Und schliesslich macht es uns alle wieder gleich, da alle wieder identisch aussehen. «Am Anfang waren wir alle nackt. Das Dilemma des Versuchs der Differenzierung mittels Accessoirs und Mode macht uns wieder gleich. Ein Paradoxon.» Am liebsten sei sie sowieso nackt. An Orten, wo Menschen nackt sind, seien sie mehr sich selbst. Sie spielen dann keine Rolle in einem inszenierten Stück. «Mode ist wie ein Schutzschild oder eine Prothese, um sich zu verstecken oder eben aufzufallen», meint Sylvie Fleury. «Dahinter versteckt sich auch der Wunsch, seinen eigenen Körper zu ändern.» In der fernöstlichen Philosophie sei der Körper nicht vom Geist getrennt wie in der westlichen Welt. Aber genau bei der Trennung von zwei Dingen, die zusammengehören, beginnen die Probleme. So wird eine Oberflächlichkeit aufgebaut, die uns von uns selbst und der Natur entfremdet. Nur so sei unser sorgloser Umgang mit der Natur mit all seinen existenziellen Folgen erklärbar. Seit der Aufklärung hat in der westlichen Denke der Mensch sich von der Natur gedanklich abgetrennt. Wenn Sylvie Fleury über solche Mechaniken philosophiert, tut sie das nie moralisierend. Ihr geht es um das bewusste Wahrnehmen von Zusammenhängen. Denn das Bewusstsein bestimmt das Sein. Und alles, was unser Bewusstsein beeinflusse, müsse erkannt werden, damit sich am Sein etwas ändere. Das ist der Kern ihrer Arbeit. So sollen Mechanismen von unserer Gesellschaft und von uns selbst bewusst gemacht werden, wenn sie in einem Werk «moisturizing is the answer» propagiert.
In irgendeiner Form werden wir immer manipuliert: von der Werbung, von den Designern, von der Filmindustrie, den Medien und der Politik. Wenn uns jedoch klar werde, welcher Mechanismus dahinter stehe, wenn wir wüssten, wie wir manipuliert würden, sei dies auch kein Problem mehr, sagt Fleury. «Denn dann hat man jederzeit die Möglichkeit, sich dieser Manipulation hinzugeben oder sich dieser zu entziehen. Dann ist es eine freie Entscheidung.» Deshalb sei es eben nicht einfach schlecht, sich mit der Welt der Fashion-Industrie und des Luxus zu umgeben. Dies könne auch ein positiver Akt des Vergnügens und des Spiels sein.
Sicher probieren wir, über Konsum unsere Persönlichkeit, unsere Identität zusammenzukaufen, statt diese in uns selbst zu suchen. Doch selbst Marketingspezialisten seien sich bewusst, dass oft auch «nur» ein Schuh oder eine Sonnenbrille gekauft werde und nicht die Welt dahinter.
Einfache Wahrheiten sind nicht Sylvie Fleurys Sache. Sie sucht das Kontradiktorische. «Ich mag keine Regeln», meint sie dezidiert. Und sie stellt auch keine auf. «Ich zeige die Dinge, wie sie sind. Kunst ist eine Form der Vermassung der Gesellschaft.»
Auch die Mechanik zwischen Männer- und Frauenwelt ist für sie ein wichtiges Thema. So hat Sylvie Fleury Raketen in Farben der Kosmetikwelt gebaut. Das männliche Symbol wird in eine weibliche Hülle gepackt – Lippenstift und Kunstpelz –, die kriegerische Männerwelt vereint sich mit jener der Mode. So liess sie sich ein Kleid mit Formel-1-Sujets anfertigen und liess sich darin mit dem Piloten Mika Häkkinen ablichten. Die Welt der Formel 1 ist wiederum eine klare Männerdomäne; die Fashion-Welt klar in Frauenhand. Sylvie Fleury versteht es, verschiedene Welten in einen Kontext zu bringen. Wie etwas ist und wie etwas funktioniert, will sie wissen. Ihre Faszination für alles Mechanische geht so weit, dass sie das Ursymbol der Mechanik, einen Automotor eines Oldtimers, in Bronze gegossen und verchromt ausstellt.
Sylvie Fleury wurde selbst zur Marke
Schliesslich ist auch Sylvie Fleury ein Teil des Mechanismus der Kunstwelt und wurde so selbst zur Marke. Wenn der Begriff «Glamour Girl» passt, dann in diesem Kontext. Und das rechnet sich. «Entweder man ist ein Teil des Marktes oder nicht. Und wenn ein Künstler seine Arbeit machen will, dann muss er gewissen Regeln des Marktes folgen. Das gilt für Banker wie für Künstler.» Denn das sei die Welt, in der wir leben. Und in dieser lebt sie gut. Ihre Werke sind selbst Luxusgüter geworden. Und diese werden clever vermarktet. So hat sie nicht nur einen Galeristen, dem sie ökonomisch und zuletzt wohl auch inhaltlich ausgeliefert wäre. Indem sie teilt, herrscht sie auch über ihre Arbeit. Trotzdem muss sie gegen die Positionierung als «Shopping Queen», die der Markt für sie geschaffen hat, ankämpfen. Dies ist ein Dilemma, hat sie sich doch schon seit längerer Zeit auch ganz anderen Themen zugewandt, profitiert aber trotzdem noch erheblich vom Stempel «Fashion Victim», der ihr gleich zu Beginn ihrer Karriere aufgedrückt wurde.
«Die Galeristen sind ‹Fashion Victims›», sagt sie schmunzelnd. Das meint sie auch gar nicht als Kritik, denn sie habe davon stark profitieren können. Zwischen 1990 und 1994 fand in den USA eine regelrechte Frauenbewegung in der Kunstszene statt. Jede Galerie wollte weibliche Künstler im Programm. Die Galeristen wollen und müssen eben auch den Trends auf den Fersen sein. In dieser Weise unterliegen sie denselben Sachzwängen wie die Modeindustrie. Nur mit dem einen Unterschied, dass sie ihre Marke mit dem Programm konstruieren.
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In der Glamour-Welt ist Sylvie Fleury stets eine Grösse. Sie wird fast ausschliesslich unter diesem Aspekt in der Öffentlichkeit dargestellt. Dies legt die Frage nahe, was für sie denn Glamour nun wirklich sei. «Glamour hat für mich einen bitteren Nachgeschmack. Glamour ist falsch, Glamour ist aufgesetzt», distanziert sie sich. Das Wort Glamour habe seine Wurzeln in den Vierziger- und Fünfzigerjahren und sei ein Produkt der Filmindustrie Hollywoods. Für sie,sagt Fleury, strahle jeder Mensch auf seine Art und Weise Glamour aus. Glamour ist jedoch keineswegs kein Thema in ihrer Arbeit. So hat sie ironisierend ein Cover der Zeitschrift «Glamour» in einem Überformat produzieren lassen.
Die Mechanik des Begehrens ist ein wichtiger Motor unseres Tuns und Denkens. So giesst sie ein Parfumfläschchen «Chanel No 5» in Bronze und verchromt dieses Objekt. Das Objekt der Begierde wird lokalisiert, stilisiert, als Fetisch zelebriert und so auch gebändigt. Und indem sie die Bild- und Produktwelten von Designern und Werbeleuten für ihre Kunst einsetzt, sabotiert Sylvie Fleury die Hierarchie zwischen diesen Disziplinen. Sie gibt zu, dass die Bilder der Werbung mehr Tragweite haben als ein Werk der schönen Kunst.
Doch was ist es, das die glamourösen Markenwelten und die schönen Dinge der Luxuswelt so magisch anziehend macht? Es sei die Angst vor der inneren Leere in uns, die Angst vor der irdischen Vergänglichkeit. Mit Konsum wollen wir uns zerstreuen, die innere Leere überdecken. Und so liess sie auch an die Wand eines Museums «Life can get heavy. Mascara shouldn’t» schreiben. Be amazing? Be aware, sei dir bewusst und geniesse.
Michael Kreisler und Yvonne Rochat sind freie Autoren in Zürich.