Für einen, der den SMI im letzten Jahr um den Faktor 2,5 geschlagen hat, sitzt Roland Vogt eigentlich in der falschen Reihe. Sorgfältig abgeschirmt vom hektischen Treiben, trifft man den Credit-Suisse-Banker am hinteren Ende des grossflächigen Trading-Floors, nur wenige Meter vom Japan-Pult entfernt, wo die Staatsanleihen mit den mickrigen Coupons den Besitzer wechseln. Doch das täuscht. Der Chef-Chartist der zweitgrössten Schweizer Bank ist der Dirigent auf dem Floor.
«Die Charttechnik erzieht die Händler zur Disziplin», weiss Vogt. Denn besitzen Händler Aktien, deren Kurs fällt, dann denken sie: Keine Bange, nur ein kurzer Ausrutscher, der CEO ist ja ein Netter, und die Märkte sind ja auch gut. «Ein Chartist liefert ihnen dagegen klare Richtlinien, was ein Aufwärtstrend ist und was nicht. Ein Händler kann sich mit der Charttechnik nicht lange gegen den Markt stemmen. Sieht er einen Trend, muss er mitgehen. Damit verhindert er grössere Verluste oder entgangene Gewinne», lehrt der CS-Chartist.
Der Mann arbeitet weit gehend autonom. Wenn er seine täglichen Börsenkursprognosen verfasst, kann ihm kein Verwaltungsrat, Manager oder Sales-Manager dreinreden. So frei ist bei der Credit Suisse sonst keiner, nicht einmal der oberste Boss. Vogt kann seine Analysen sogar unter eigenem Namen veröffentlichen. Doch was der CS-Chartist zu sagen hat, verstehen ohnehin nur Profis. Sämtliche Versuche, die Chartanalyse dem breiten Anlegerpublikum näher zu bringen, sind bisher kläglich gescheitert. Der deutsche Börsensender N-TV beispielsweise hat seine freitägliche Technikstunde «wegen mangelnden Interesses» nach kurzer Zeit abgesetzt. «Vielen Kleinanlegern war das zu kompliziert. Sie bevorzugen Fundamentalanalysten», begründet das eine Sprecherin.
Während traditionelle Analysten mit allgemein bekannten Begriffen wie etwa dem Kurs-Gewinn-Verhältnis operieren, arbeiten Chartanalysten mit Trigger-Limiten, Reflex-Rallies und Pot-Trigger-Limits. Überhaupt hat die Chartanalyse mit der klassischen Analyse wenig am Hut. Im Gegensatz zu den Fundis bewertet sie nicht Ereignisse und Managerleistungen, sondern Zyklen, sei es im kurzfristigen Tagesgeschäft oder über einen längeren Zeithorizont. Und da jede Aktie oder jeder Index solche Zyklen durchläuft, ist die Chartanalyse frei von Wertungen. «Wir sagen nicht, die und die Aktie sei unterbewertet. Damit würde man dem Markt ja unterstellen, dass er unfähig sei», erzählt Vogt. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, herauszufinden, in welchem Zyklus sich der Markt gerade befindet. Wichtige Indikatoren hierfür sind unter anderem:
Die Advance-Decline-Linie das Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern.
Der 200-Tage-Durchschnitt (Moving Average): Fällt ein Aktienkurs unter den Durchschnittskurs der letzten 200 Tage, gilt das als Verkaufssignal. Durchbricht er die Linie nach oben, ist das ein Kaufsignal.
Das Volumen: Mitten in einer Hausse sind die Volumina immer sehr gross, in der Endphase dünnen sie aus. «Dann werden wir misstrauisch», sagt Vogt.
Das Momentum: Es zeigt das Verhältnis zwischen guten und schlechten Tagen an. Steigt der Prozentsatz der guten Tage, gilt dies als positiv.
Ein weiterer Unterschied zwischen der Fundamental- und der Chartanalyse ist, dass Chartisten häufig quer in der Landschaft stehen und öfters eine dicke Lippe riskieren. Aussagen wie «Vorsicht an den Obligationenmärkten!», «Steht Wall Street vor einem Desaster?» oder «Zürich-Bestände reduzieren!» würden einen Fundamentalanalysten wahrscheinlich den Job kosten. Verkaufsempfehlungen sind bei den Chartisten denn auch deutlich häufiger als bei der Fundamentalanalyse. Wie zum Beispiel für die Aktien der SAirGroup: 1998 signalisierte eine Keil-Formation den Verkauf bei 510 Franken. Wenige Tage zuvor hatten Fundamentalanalysten beim Kurs von 480 Franken zum Kauf geraten.
Chartanalysten sind eigenwillige Geschöpfe, die sich oft verkannt fühlen. Auf höhnische Kritik à la «Jedes Kind kann eine Gerade ziehen» reagieren sie gereizt. «Es geht hier nicht einfach darum, schöne Linien zu zeichnen», meint Vogt. Chartformationen fungierten lediglich als Dolmetscher. Dahinter, versichern die Chartisten, stecke eine Wissenschaft. Mehrere Wissenschaften, müsste man eigentlich sagen. Die bekanntesten drei sind:
Doch boomen die Börsen und orten die Charttechniker gleich reihenweise Verkaufssignale, möchte das niemand wissen. Diese Erfahrung hat Vogt schon mehrmals gemacht. Während der Boomphase Ende der Neunzigerjahre war er einige Male im Fernsehen, sprach negativ, als alle positiv waren. Doch das kam schlecht an. «Ich wurde von wildfremden Leuten auf der Strasse zum Buhmann gestempelt.» Schimpf-Mails gab es auch, als der CS-Chartist Anfang August letzten Jahres erste Warnungen über eine bevorstehende Korrektur ausstiess. «Die technische Analyse schwimmt oft gegen den Strom. Darum verkauft sie sich schlechter als die Fundamentalanalyse», seufzt Vogt. Den Miesepeter will er heute nicht mehr spielen.«Ich komme lieber dann, wenn die Märkte am Boden sind und wir Kaufsignale sehen.»
Obschon die Charttechnik aus dem schnelllebigen Handel mit Terminkontrakten (Futures) nicht mehr wegzudenken ist, haben langfristig orientierte Investoren oft nur Hohn und Spott für die Techniker übrig. Der Börsenspekulant André Kostolany bezeichnete sie einst gar als «die grössten Scharlatane der Börse», die dem Irrglauben verfallen seien, dass man allein anhand vergangener Entwicklungen die Zukunft deuten könne, ohne die Fundamentaldaten in Betracht zu ziehen. Markttechniker werden oft sogar für Börsencrashs verantwortlich gemacht. Allein schon die Hysterie um wichtige Unterstützungslinien, die unter keinen Umständen nach unten durchbrochen werden dürften, da die Kurse sonst weiter abstürzten, mache alle verrückt und verstärke den Herdentrieb, mäkeln die Kritiker. «Die Frage, ob da eine sich selbst erfüllende Prophezeiung am Werk sei, ist durchaus berechtigt», meint John Murphy. In seinem Buch «Technical Analysis of the Fu- tures Markets» kommt der Chartguru indes zum Schluss, dass die Chartanalyse zu subjektiv und zu uneinheitlich sei, als dass sie eine Massenpanik auslösen könne.
«Es gibt kaum einen Chart, der in eine eindeutige Richtung weist», meint Murphy. Und CS-Chartist Vogt doppelt nach: «Wenn alle derselben Meinung wären und in die gleiche Richtung gingen, lägen wir ja immer richtig. Dem ist aber nicht so. Ausserdem: Wo wären denn die Käufer, wenn alle glaubten, es gehe nur noch abwärts?»
«Die Charttechnik erzieht die Händler zur Disziplin», weiss Vogt. Denn besitzen Händler Aktien, deren Kurs fällt, dann denken sie: Keine Bange, nur ein kurzer Ausrutscher, der CEO ist ja ein Netter, und die Märkte sind ja auch gut. «Ein Chartist liefert ihnen dagegen klare Richtlinien, was ein Aufwärtstrend ist und was nicht. Ein Händler kann sich mit der Charttechnik nicht lange gegen den Markt stemmen. Sieht er einen Trend, muss er mitgehen. Damit verhindert er grössere Verluste oder entgangene Gewinne», lehrt der CS-Chartist.
Der Mann arbeitet weit gehend autonom. Wenn er seine täglichen Börsenkursprognosen verfasst, kann ihm kein Verwaltungsrat, Manager oder Sales-Manager dreinreden. So frei ist bei der Credit Suisse sonst keiner, nicht einmal der oberste Boss. Vogt kann seine Analysen sogar unter eigenem Namen veröffentlichen. Doch was der CS-Chartist zu sagen hat, verstehen ohnehin nur Profis. Sämtliche Versuche, die Chartanalyse dem breiten Anlegerpublikum näher zu bringen, sind bisher kläglich gescheitert. Der deutsche Börsensender N-TV beispielsweise hat seine freitägliche Technikstunde «wegen mangelnden Interesses» nach kurzer Zeit abgesetzt. «Vielen Kleinanlegern war das zu kompliziert. Sie bevorzugen Fundamentalanalysten», begründet das eine Sprecherin.
Während traditionelle Analysten mit allgemein bekannten Begriffen wie etwa dem Kurs-Gewinn-Verhältnis operieren, arbeiten Chartanalysten mit Trigger-Limiten, Reflex-Rallies und Pot-Trigger-Limits. Überhaupt hat die Chartanalyse mit der klassischen Analyse wenig am Hut. Im Gegensatz zu den Fundis bewertet sie nicht Ereignisse und Managerleistungen, sondern Zyklen, sei es im kurzfristigen Tagesgeschäft oder über einen längeren Zeithorizont. Und da jede Aktie oder jeder Index solche Zyklen durchläuft, ist die Chartanalyse frei von Wertungen. «Wir sagen nicht, die und die Aktie sei unterbewertet. Damit würde man dem Markt ja unterstellen, dass er unfähig sei», erzählt Vogt. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, herauszufinden, in welchem Zyklus sich der Markt gerade befindet. Wichtige Indikatoren hierfür sind unter anderem:
Die Advance-Decline-Linie das Verhältnis zwischen Gewinnern und Verlierern.
Der 200-Tage-Durchschnitt (Moving Average): Fällt ein Aktienkurs unter den Durchschnittskurs der letzten 200 Tage, gilt das als Verkaufssignal. Durchbricht er die Linie nach oben, ist das ein Kaufsignal.
Das Volumen: Mitten in einer Hausse sind die Volumina immer sehr gross, in der Endphase dünnen sie aus. «Dann werden wir misstrauisch», sagt Vogt.
Das Momentum: Es zeigt das Verhältnis zwischen guten und schlechten Tagen an. Steigt der Prozentsatz der guten Tage, gilt dies als positiv.
Ein weiterer Unterschied zwischen der Fundamental- und der Chartanalyse ist, dass Chartisten häufig quer in der Landschaft stehen und öfters eine dicke Lippe riskieren. Aussagen wie «Vorsicht an den Obligationenmärkten!», «Steht Wall Street vor einem Desaster?» oder «Zürich-Bestände reduzieren!» würden einen Fundamentalanalysten wahrscheinlich den Job kosten. Verkaufsempfehlungen sind bei den Chartisten denn auch deutlich häufiger als bei der Fundamentalanalyse. Wie zum Beispiel für die Aktien der SAirGroup: 1998 signalisierte eine Keil-Formation den Verkauf bei 510 Franken. Wenige Tage zuvor hatten Fundamentalanalysten beim Kurs von 480 Franken zum Kauf geraten.
Chartanalysten sind eigenwillige Geschöpfe, die sich oft verkannt fühlen. Auf höhnische Kritik à la «Jedes Kind kann eine Gerade ziehen» reagieren sie gereizt. «Es geht hier nicht einfach darum, schöne Linien zu zeichnen», meint Vogt. Chartformationen fungierten lediglich als Dolmetscher. Dahinter, versichern die Chartisten, stecke eine Wissenschaft. Mehrere Wissenschaften, müsste man eigentlich sagen. Die bekanntesten drei sind:
- Die Dow-Theorie, der Klassiker der Chartanalyse. Sie operiert nach folgenden Grundsätzen: Jeder Markt hat drei Trends. Jeder Trend hat drei Phasen. Und die wichtigsten Indizes, in den USA der Dow Jones und der Dow Transport, müssen in die gleiche Richtung ziehen, damit von einem Trend gesprochen werden kann.
- Die Elliot-Wave-Theorie, die jeden Zyklus in insgesamt acht Wellenbewegungen unterteilt, jeweils fünf nach oben und drei nach unten.
- Die Random-Walk-Theorie, deren Grundtenor lautet: Kaufen und Halten ist besser als jede «Ich will den Markt schlagen»-Strategie.
Doch boomen die Börsen und orten die Charttechniker gleich reihenweise Verkaufssignale, möchte das niemand wissen. Diese Erfahrung hat Vogt schon mehrmals gemacht. Während der Boomphase Ende der Neunzigerjahre war er einige Male im Fernsehen, sprach negativ, als alle positiv waren. Doch das kam schlecht an. «Ich wurde von wildfremden Leuten auf der Strasse zum Buhmann gestempelt.» Schimpf-Mails gab es auch, als der CS-Chartist Anfang August letzten Jahres erste Warnungen über eine bevorstehende Korrektur ausstiess. «Die technische Analyse schwimmt oft gegen den Strom. Darum verkauft sie sich schlechter als die Fundamentalanalyse», seufzt Vogt. Den Miesepeter will er heute nicht mehr spielen.«Ich komme lieber dann, wenn die Märkte am Boden sind und wir Kaufsignale sehen.»
Obschon die Charttechnik aus dem schnelllebigen Handel mit Terminkontrakten (Futures) nicht mehr wegzudenken ist, haben langfristig orientierte Investoren oft nur Hohn und Spott für die Techniker übrig. Der Börsenspekulant André Kostolany bezeichnete sie einst gar als «die grössten Scharlatane der Börse», die dem Irrglauben verfallen seien, dass man allein anhand vergangener Entwicklungen die Zukunft deuten könne, ohne die Fundamentaldaten in Betracht zu ziehen. Markttechniker werden oft sogar für Börsencrashs verantwortlich gemacht. Allein schon die Hysterie um wichtige Unterstützungslinien, die unter keinen Umständen nach unten durchbrochen werden dürften, da die Kurse sonst weiter abstürzten, mache alle verrückt und verstärke den Herdentrieb, mäkeln die Kritiker. «Die Frage, ob da eine sich selbst erfüllende Prophezeiung am Werk sei, ist durchaus berechtigt», meint John Murphy. In seinem Buch «Technical Analysis of the Fu- tures Markets» kommt der Chartguru indes zum Schluss, dass die Chartanalyse zu subjektiv und zu uneinheitlich sei, als dass sie eine Massenpanik auslösen könne.
«Es gibt kaum einen Chart, der in eine eindeutige Richtung weist», meint Murphy. Und CS-Chartist Vogt doppelt nach: «Wenn alle derselben Meinung wären und in die gleiche Richtung gingen, lägen wir ja immer richtig. Dem ist aber nicht so. Ausserdem: Wo wären denn die Käufer, wenn alle glaubten, es gehe nur noch abwärts?»
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