Hans Muster* erhielt kürzlich von seinem Versicherungsberater der Axa Winterthur eine Offerte für das Produkt TwinStar Income. Der 65-Jährige hat sich das Pensionskassenkapital auszahlen lassen. Die 400 000 Franken sollen für die nächsten 25 Jahre möglichst sicher angelegt werden und eine regelmässige Rente einbringen. Der Agent sicherte ihm nicht nur das zu. Darüber hinaus kann Hans Muster auch noch von der Börsenerholung profitieren. Jahr für Jahr würden ihm so 18 400 Franken als garantierte Rente ausbezahlt. Und nach 25 Jahren blieben immer noch über 150 000 Franken übrig. Vorausgesetzt allerdings, dass die Fonds, in die das Kapital investiert wird, eine Rendite von 4,7 Prozent pro Jahr erzielen.
Solche Auszahlungspläne sind derzeit der Renner bei den Lebensversicherungen. Möglich gemacht wurden sie durch die Teilrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes, das die Versicherer von der Pflicht entbunden hat, Produkte immer auch mit einem biometrischen Risiko zu verbinden, sprich mit einer Todesfall- oder einer anderen Risikoversicherung. Nicht nur bei diesen Produkten, sondern auch bei den eigentlichen Lebensversicherungen hängt dabei die Rendite zunehmend direkt von der Entwicklung der Aktienmärkte ab. «Die Versicherungen bieten immer mehr bankähnliche Produkte an und geben dabei eines ihrer wichtigsten Merkmale preis, die Garantie», gibt Philipp Gmür, Leiter des Schweizer Geschäfts bei Helvetia, zu bedenken. Diesem Trend will sich aber auch Helvetia nicht entziehen und fördert das fondsgebundene Geschäft mit Rabattaktionen, nachdem dort die Prämieneinnahmen letztes Jahr in der Schweiz um fast 70 Prozent eingebrochen sind.
Auf eigenes Risiko. Bei Swiss Life sollen bis 2012 gar 70 Prozent des Neugeschäfts auf die sogenannten «modernen» Vorsorge- und Risikoprodukte entfallen. Auch in der beruflichen Vorsorge wird der Marktleader nun, wie von Konzernchef Bruno Pfister angekündigt, vom «Vollversicherer zum Vollsortimenter». Im Gegensatz zur bestehenden Vollversicherung tragen die Kunden beim neuen Pensionskassenprodukt «Business Invest» das Anlagerisiko künftig selber.
Indem die Versicherer das Anlagerisiko auf die Kunden abwälzen, können sie einerseits ihre Zinsgarantien und andererseits das notwendige Eigenkapital verringern. Ihre Leistungsverpflichtungen beschränken sich auf Vorsorgerisiken und allenfalls den Kapitalerhalt. Für Thomas Bahc, Leiter Privatkunden Schweiz von Swiss Life, ist der geringere Eigenkapitalbedarf aber nicht das Hauptargument für diesen Trend. Sicher würde er eine neue Versicherung nur mit anteilgebundenen Produkten aufbauen, um möglichst wenig Eigenkapital zu benötigen. Bahc sieht aber die Vorteile für die Kunden nicht nur bei den attraktiveren Renditeaussichten. «Im Gegensatz zu konventionellen Versicherungen bieten wir so mehr Transparenz und Flexibilität», preist er die Vorzüge.
Doch die Transparenz ist auch bei den anteilgebundenen Produkten oft mangelhaft. So sind Daten zu den jeweiligen Finanzprodukten nur schwer eruierbar. Auch ist nicht immer auf Anhieb ersichtlich, worauf sich die Garantie genau bezieht. Wird beispielsweise nur das investierte Kapital nach Abzug der Versicherungskosten garantiert, kann trotzdem ein Verlust drohen. Und meist gilt die Garantie nur am Ende der Laufzeit nach zehn oder mehr Jahren.
Grosse Versprechen. Zudem sind die Renditen der Fonds deutlich bescheidener, als sie den Kunden in Aussicht gestellt werden. Selbst bei Garantieprodukten werden noch immer bis zu neun Prozent Performance pro Jahr prognostiziert. Wer aber vor sechs Jahren zum Beispiel 100 000 Franken in eine Lebensversicherung mit Garantiefonds investierte, hat bis dato noch keinen Franken Gewinn erzielt, wie die Grafik auf Seite 72 zeigt. Dabei schneidet der eingesetzte Fonds mit einer Performance von 2,44 Prozent pro Jahr noch vergleichsweise gut ab (siehe «Anlagerenditen» im Anhang). Selbst bei den besten Fonds fiel in den letzten drei Jahren die Rendite nur gerade so gut aus wie jene, welche die Versicherungen auf ihren eigenen Kapitalanlagen erzielten.
Hans Muster tut also gut daran, auch beim Auszahlungsplan der Axa Winterthur nicht allzu grosse Erwartungen an die Rendite zu stellen. Der garantierten Jahresrente liegt eine bescheidene Verzinsung von 0,6 Prozent zugrunde. Obwohl kein Lebensrisiko versichert wird, sind die Kosten so hoch, dass eine Fondsrendite von 3,3 Prozent gebraucht wird, damit das Kapital 25 Jahre ausreicht. Würde der Rentner jedoch das Geld direkt anlegen, zum Beispiel in Kassenobligationen, wäre dafür bloss eine Rendite von 1,125 Prozent nötig. Mit guten Obligationen über verschiedene Laufzeiten könnte er sich selbst einen zumindest ebenso rentablen und sicheren Auszahlungsplan zusammenstellen und dabei erst noch die Chance auf steigende Zinsen wahren. Stefan Thurnherr vom VermögensZentrum rät deshalb: «Versicherungen für die Sicherheit und Banklösungen für die Rendite.»
Waghalsige Konstrukte. Die tiefen Zinsen machten herkömmliche Lebensversicherungen in den vergangenen Jahren unpopulär. Wurden darüber hinaus auch noch die Überschussgutschriften zusammengestrichen, blieben die Versicherungsvertreter auf ihren Produkten sitzen. Seit Jahren stagnieren die Prämienvolumen. Neuen Schwung erhoffte sich die Branche um die Jahrtausendwende mit den fondsgebundenen Produkten. Diese erste Generation war in der Regel noch ohne Kapitalgarantien ausgestattet. Beim Ablauf nach zehn Jahren wurde lediglich der Fondswert ausbezahlt, der nach zwei Börsencrashs weit unter dem ursprünglich investierten Kapital zu liegen kam.
Findige Versicherungsvertreter haben obendrein zum Teil auf eigene Faust versucht, mit waghalsigen Konstrukten das Geschäft anzukurbeln. Sie rieten etwa den Kunden, das Guthaben der Pensionskasse zu beziehen und damit die Hypothekarschuld ihrer Liegenschaft zu amortisieren. Wenig später wurde wieder eine Hypothek aufgenommen und mit dem Geld eine fondsgebundene Lebensversicherung gekauft. Oder gleich direkt an der Versicherung vorbei in andere Anlageprodukte investiert. Zu den Verlusten resultierten für viele Kunden so auch noch Schulden und eine Lücke in der beruflichen Vorsorge.
Offiziell stellen die Versicherungen zwar solche Machenschaften in Abrede, haben aber dennoch Vorkehrungen getroffen, diese künftig zu unterbinden. Bei Swiss Life etwa hat Thomas Bahc seit seinem Antritt vor rund einem Jahr die Produktpalette gestrafft, die dem Aussendienst zur Verfügung steht. Zudem wurde der Vertriebszweig der Spezialagenten aufgelöst, die über relativ grosse Freiheiten in der Vermögensplanung und Vorsorgeberatung verfügten. Auch der Gesetzgeber ist daran, die Bestimmungen zu verschärfen (siehe "Versicherungsrecht" unter 'Weitere Artikel'). Unter anderem sieht der Entwurf zum neuen Versicherungsvertragsgesetz vor, dass fest angestellte Agenten von Versicherungen künftig nicht mehr zugleich als Makler tätig sein und in eigener Regie Produkte vertreiben dürfen.
Doch der Imageschaden ist angerichtet. Bei der Ombudsstelle sind die Beschwerden zu Lebensversicherungen in den letzten drei Jahren zum wichtigsten Themenbereich geworden. Nur jeder fünfte Versicherungskunde ist noch bereit, nach Ablauf seines Produktes erneut bei seiner Versicherung Geld anzulegen, wie eine Umfrage der BILANZ bei den führenden Versicherungen in der Schweiz zeigt. Und statt das Anlagerisiko selber zu tragen, vertrauen die Kunden lieber wieder auf die herkömmlichen Lebensversicherungen. Diese bieten zwar bescheidene, aber verlässliche Renditen und umfassenden Schutz. Das Angebot ist vielfältig genug, damit man für die relevanten Vorsorgefälle geeignete Produkte finden kann, wie unsere Fallbeispiele zeigen.