Daniel Borel posiert mit seinem roten Mustang Cabrio, Baujahr 1965, den er vor 25 Jahren in Kalifornien gekauft und später in die Schweiz übergeführt hat. «Bill Gates und ich haben nicht viel gemeinsam, aber wir teilen die Liebe für alte Ford Mustang», kokettiert er.
Es ist nur ein Kurzaufenthalt, den Borel in seiner Heimatgemeinde Apples VD einlegt: Zur 35-Jahr-Feier von Logitech hat er 230 Mitarbeiter in sein Privathaus eingeladen. Dann geht es für einen Monat zurück nach San Francisco, wo die Kinder wohnen – schliesslich ist Borel soeben zum dritten Mal Grossvater geworden. Anschliessend will der Logitech-Gründer wieder mit seiner Hightech-Yacht «Mouse Trap» (Mausefalle) in See stechen und zu den Galapagosinseln schippern – trotz Hurrikan-Saison.
BILANZ: Daniel Borel, wer wird nächster US-Präsident?
Daniel Borel*: Momentan würde ich auf Hillary Clinton setzen. Auch wenn sie viele Feinde hat und als Person unbeliebt ist. Vielleicht liegt dies auch daran, dass es eine Clinton-Historie gibt, nach der Bush-Historie. Die Leute hätten etwas Neues, Frisches gewollt. Aber bei Clinton weiss man wenigstens, was man bekommt. Donald Trump hingegen wäre sehr gefährlich.
Mehr als 140 Persönlichkeiten aus dem Silicon Valley haben sich in einem offenen Brief entschieden gegen Donald Trump ausgesprochen.
Silicon Valley wird in grossen Teilen gegen Trump stimmen, weil es stark zur demokratischen Seite tendiert. Trump will die Grenzen schliessen. Das würde den Kulturmix zerstören, der die Stärke des Valleys ist. Das Valley wurde zu dem, was es ist, wegen der vielen Ausländer! Unter Trump wären Visa schwieriger erhältlich. Es würden weniger Leute kommen, und die guten, die schon da sind, würden gehen. Wir hatten das schon mal.
Konkret?
Als Präsident Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 mit Arbeitsgenehmigungen extrem restriktiv wurde, sind viele indische Softwareentwickler aus dem Valley in ihre Heimat zurückgekehrt und haben dort selber Firmen aufgebaut. Wir wollen alle geliebt werden, und wenn man sich nicht willkommen fühlt, geht man halt. Die guten Leute, die es braucht, um die Wirtschaft oder ein Land zu entwickeln, können heute überall arbeiten, wo es Internet gibt. Wenn Trump Präsident wird und nicht doch noch begreift, wie wichtig das Silicon Valley für das Land ist, wäre das ein riesiger Schaden für die US-Wirtschaft und die Welt.
Jetzt malen Sie aber arg schwarz.
Nein, ich habe wirklich Angst! Die Einwanderung einzudämmen, Mauern zu bauen, mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer, US-Firmen zu zwingen, wieder in Amerika zu produzieren – das macht so wenig Sinn, das ist so rückwärtsgewandt. Das Problem ist, dass Trump von vielem kaum etwas versteht.
Glauben Sie nicht, dass die anderen Machtzentren in den USA, die Wirtschaftsführer, der Senat, das Repräsentantenhaus, die Gerichte Trump eindämmen würden?
Theoretisch – das haben wir ja auch bei Obama gesehen, der in seiner ersten Amtszeit auch kaum etwas hat bewegen können. Das bedeutet dann Stillstand, verlorene Jahre. Was auch stimmt: In der amerikanischen Geschichte hatte der US-Präsident nie einen so grossen Einfluss auf die wirtschaftliche Freiheit wie in Europa, in Frankreich, England oder wo auch immer. Aber jetzt könnte sich das ändern, weil Trump so extrem ist. Er würde die USA isolieren.
Weil er das Ende des Freihandels propagiert?
Wenn er das durchzieht, ja. Aber dieser Kerl ändert seine Meinung so häufig, man kann ihm nicht trauen. Heute sagt er das, zehn Tage später das Gegenteil. Und behauptet, man habe ihn falsch verstanden.
Wieso sagen Sie, ein geschwächtes Silicon Valley wäre ein Schaden für die ganze Welt?
Wir brauchen die USA noch immer als Gegengewicht zu China. Ihre Macht beziehen die USA aus ihrem Innovationsmotor Silicon Valley. Wenn der Motor nicht mehr zieht, kommt auch der US-Markt ins Stottern. Aber es braucht einen grossen einheitlichen Markt neben China. Denn allein wegen der Skalierbarkeit hat China schon sonst alle Vorteile.
Europa billigen Sie in der Weltwirtschaft
also gar keine Rolle mehr zu?
Europa kann vielleicht noch im Bereich Biotech eine Rolle spielen, aber sonst spielt sich die Weltwirtschaft in Zukunft zwischen den USA und China ab. Europa ist ein zersplitterter Kontinent, er wird es mit dem Brexit noch mehr, da hat man einfach nicht die gleichen Skaleneffekte. Wenn wir mit Logitech ein neues Produkt in Europa auf den Markt bringen, verwenden wir viel Geld für unterschiedliche Netzteile, Anleitungen in verschiedenen Sprachen und Ähnliches. Das Geld würde ich lieber für anderes ausgeben!
Viele europäische Technologiecluster, von Zürich über Stockholm und Berlin bis Tel Aviv, wollen seit Jahren zum Silicon Valley aufschliessen. Wieso gelingt es nicht?
Das Valley ist einzigartig, weil es nicht künstlich auf der Basis von Plänen errichtet wurde, sondern es sich natürlich aus grossartigen Universitäten durch leidenschaftliche Leute verschiedenster Herkunft entwickelt hat. Denen geht es nicht primär um Geld, sie wollen die Welt verändern. Und Europas DNA ist eine andere als die des Valley.
Das heisst?
Es geht um Speed. IT ist als Branche sehr schnell, aber mit wenig Tiefgang. Biotech etwa ist viel tiefgründiger, aber auch langsamer. Deshalb kommt viel mehr der weltweit erfolgreichen Biotech-Industrie aus der Schweiz oder Europa, weil das näher an unserer DNA ist. Die europäischen Computerhersteller der achtziger Jahre hingegen, Olivetti, Siemens, Victor, Bull, Apricot, sind alle verschwunden. Die Branche hat sich zu schnell verändert für unsere DNA.
Logitech hat überlebt.
Wir hatten sehr viel Glück, dass wir uns aus der schnelllebigen Computerwelt entwickelt haben in die vergleichsweise langsame Welt der Interfaces, der Mäuse und Tastaturen. Da konnten wir in unserer eigenen kleinen Welt Innovationen herausbringen.
Wäre eine Schweizer Erfolgsgeschichte wie Logitech heute noch möglich im Silicon Valley?
In der IT wäre es heute noch schwieriger als damals. Aber ich sehe eine neue Logitech: das Start-up MindMaze. Die Firma kommt aus einer anderen Ecke, sie mischt IT in Form von Augmented Reality mit Biotech in Form von Neuroengineering. MindMaze hat den Sprung von der EPFL in Lausanne nach San Francisco geschafft, so wie wir damals.
Man muss als Schweizer Start-up also noch immer in die USA gehen, um Erfolg zu haben?
Ohne Frage! Wenn man es dort schafft, schafft man es überall – das ist der ultimative Überlebenstest. Aber es reicht nicht, eine Niederlassung dort zu gründen. Man muss mit dem ganzen Unternehmen dahin zügeln. Man muss dort sein, wo die Welt erfunden wird. Das gilt auch für etablierte Start-ups. Schauen Sie sich Spotify an, inzwischen zwölf Milliarden Dollar wert. Die kommen aus Schweden, aber in den USA haben sie den Markt, bekommen das Kapital, finden die richtigen Leute, werden glaubwürdig. Und schnell genug. Das Schlimmste sind die englischen Firmen. Sie meinen, sie müssten nicht in die USA gehen, weil sie ja englisch sprechen. Aber nennen sie mir eine englische Firma, die je in den USA Erfolg hatte.
Was muss hierzulande passieren, damit Start-ups auch in der Schweiz Erfolg haben können?
Ein Schlüsselelement sind die Ingenieure. In den USA werden sie am meisten geschätzt und am besten bezahlt – in der Schweiz hingegen sind es die Juristen und Banker. Als ich studiert habe, hätten mich meine Eltern lieber als Arzt oder Anwalt gesehen statt als Ingenieur. Aber nur wenn man Ingenieure pflegt und verehrt, schafft man eine Umgebung, in der sie die Zukunft erfinden können. Das ist in der Schweiz nicht der Fall. Das Parlament diskutiert sogar, das Budget der ETH und der EPFL zu kürzen.
Dann ist es ein mentales Problem und nicht eines der Rahmenbedingungen?
An denen hapert es auch. Das fängt beim Arbeitszeitgesetz an, nach dem jeder seine Stunden abstempeln muss. Das ist seit 1962 so, und das Seco hat diese Vorschrift diesen Januar noch einmal bestätigt und zudem verfügt, dass die Leute am Wochenende keine E-Mails schreiben sollen. Let’s face it: So ein Gesetz ist völlig konträr zu der Welt, in der wir leben! Leute wie Mark Zuckerberg, Larry Page oder Sergey Brin sind passioniert, sie wollen die Welt verändern. Sie wollen doch nicht ausrechnen, wie viele Stunden sie diese Woche noch arbeiten dürfen. Und wenn 9/11 der Worst Case war für das Silicon Valley, dann war es der 14. Februar 2014 für die Schweiz.
Sie meinen die Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative.
Sie ist das Letzte, was die Schweiz braucht. Wir leben nicht mehr in einer arbeitsintensiven Welt, sondern in einer gehirnintensiven Welt. Wir müssen die besten Gehirne der Welt anziehen, und diese müssen sich hier willkommen fühlen. An der EPFL werden zwei Drittel der Doktorhüte an Ausländer vergeben. Die Amerikaner wissen nicht viel von der Welt, aber sie haben eines gut gemacht: Jeder mit einem Master-Abschluss als Ingenieur bekommt eine Arbeitserlaubnis. Wenn man eine kritische Masse generieren kann, entwickelt sich der Rest von selbst. Aber das kann man nicht mit dem Zauberstab einfach so herbeiwinken.
Wie wollen Sie so etwas erreichen?
Das Problem unserer Politiker ist, dass sie ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht haben. Aber die Welt ist mehr als das. Ich hatte das Glück, ein Stipendium von der Schweiz zu bekommen, um in Stanford zu studieren. Das hat mein Leben verändert. Es braucht mehr Stipendien, damit die jungen Schweizer die Welt entdecken. Ich gehe sogar noch weiter: Man sollte den Militärdienst ersetzen durch ein obligatorisches Jahr in den USA oder China. Wenn man zurückkommt, hat man gelernt, international und out of the box zu denken.
Das ist politisch unrealistisch.
Wir werden von Juristen und Politikern geführt, das ist okay. Aber das sind von Natur aus risikoscheue Menschen. Die Welt gehört jenen, welche die Zukunft neu erfinden. Die Verbindung zwischen Bern und dieser neuen Welt funktioniert nicht. Man muss in der Politik den Fokus von Risiken auf Opportunitäten verändern. Und wenn man scheitert, scheitert man halt. Die Politik scheint auch die Bedeutung der Forschung und Entwicklung (R&D) nicht zu verstehen.
Woran machen Sie das fest?
Wir müssen nach der Abstimmung zur Masseneinwanderung unbedingt darauf achten, dass wir noch am Forschungsprogramm Horizon 2020 mitmachen können und Teil der R&D-Welt bleiben. Das ist absolut zentral. Denn eigentlich hätten wir viele Chancen: Wir sind smart, wir arbeiten hart, das Bildungssystem ist gut. Und: Nach 9/11 sind viele europäische Forscher von den US-Universitäten zurückgekommen, auch nach Zürich und Lausanne. Sie haben die US-Kultur inhaliert und bringen sie nun zurück in die Schweiz. Das macht immerhin Hoffnung.
Viele Start-ups hierzulande beklagen das Fehlen von Risikokapital.
Die Start-ups der EPFL haben dieses Jahr bereits 300 Millionen Franken Venture Capital aufgenommen. Das sind zwar noch nicht die Milliardensummen des Silicon Valley, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Was weiterhin fehlt: Im Valley findet man Leute mit der richtigen Kompetenz für jeden Zyklus des Unternehmens – egal ob es noch ein Start-up ist oder schon ein Milliardenunternehmen. Das ist hier viel schwieriger.
Wo sehen Sie «the next big thing», das die Welt verändert?
Das vernetzte Heim und das vernetzte Auto sind die offensichtlichen Themen. Auch Virtual Reality wird gross werden, vor allem aber Augmented Reality. Da gibt es riesige Anwendungsmöglichkeiten im Geschäftsalltag oder im Teleworking, etwa um Dokumente viel einfacher auszutauschen. Oder in der Medizin.
Pokémon Go ist also keine Eintagsfliege?
Das glaube ich nicht. Es ist vielmehr der Start einer Bewegung. Die wird Zeit brauchen, aber sie wird sich etablieren. Und die Verbindung von Computer und Gehirn wird sehr wichtig werden. Nicht nur, um die Leistungsfähigkeit beider zu erhöhen, sondern auch, um alternden oder kranken Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Da sind wir wieder bei MindMaze.
MindMaze hat eine Bewertung von über einer Milliarde Dollar, Airbnb ist 30 Milliarden wert, Uber 68 Milliarden. Sind wir in einer neuen Blase?
WhatsApp wurde mit nur 55 Angestellten sogar für 19 Milliarden übernommen. Aber sie wurden mit Facebook-Aktien bezahlt. Das ist Papiergeld. Ja, wir sind in einer Blase, aber wenn sie platzt, betrifftes dieses Mal, Gott sei Dank, nur diese Firmen. 2001 in der New Economy war es eine öffentliche Blase, auch an der Börse. Da ging es um absolute Werte, nicht um Papiergeld. Das war etwas ganz anderes.
*Daniel Borel (66) war einer der ersten Schweizer, die im Silicon Valley reüssierten. 1981 gründete er zusammen mit zwei Studienkollegen aus Stanford die Firma Logitech und baute sie in der Folge als CEO und VR-Präsident zum Marktführer für PC-Zubehör aus (Umsatz zuletzt 2,1 Milliarden Dollar). Seit letztem Jahr ist Borel Chairman emeritus bei Logitech; auch seine anderen VR-Mandate (etwa bei Nestlé und Sonova) hat er inzwischen abgegeben. Die meiste Zeit des Jahres verbringt er in den USA, wo seine drei Kinder unternehmerisch aktiv sind, oder auf seiner Yacht «Mouse Trap», mit der er die Welt durchkreuzt.