Nennen wir das Ehepaar Leuthold, denn namentlich möchte es in der Öffentlichkeit nicht auftreten. «Ich hätte mich gut in Uster pensionieren lassen können», gibt Frau Leuthold zu Protokoll. Denn dort bewohnte das Ehepaar noch vor einigen Monaten eine Eigentumswohnung, ein Liebhaberobjekt, wie sie es ausdrückt. Bis die Eheleute einen Vorgeschmack von dem erhielten, was hinsichtlich Fluglärm auf sie zukommen kann.

Dazu ein kurzer Blick zurück: Am 29. Mai 2000 hatte die Westpiste des Zürcher Flughafens Kloten wegen eines Tunnelbaus gesperrt werden müssen. Mit der Folge, dass statt rund 120 täglicher Starts in Richtung Süden während zweier Monate gut 400 bis 450 Abflüge über den Norden der Stadt Zürich, die Regionen Uster, Pfannenstiel, Goldküste und Glatttal erfolgten. Was schon mit einigem zusätzlichem Fluglärm verbunden war. Allerdings schrauben sich die Flugzeuge beim Abflug relativ schnell hoch und drehen dann ab. Als noch unangenehmer erwies sich aber der Geräuschpegel der Anflüge über den Süden Richtung Kloten, und zwar wegen des lang anhaltenden Sinkflugs der Maschinen.

«Während der Umbauzeit hatten wir an einem Tag den Eindruck, dass die Flugzeuge im 90-Sekunden-Takt runterkommen», berichtet Frau Leuthold. Die Maschinen seien nicht nur äusserst laut gewesen, sondern auch tief angeflogen. «Da war recht schnell klar, wir verkaufen die Wohnung.» Denn nach der zweimonatigen Schliessung der Westpiste im vergangenen Jahr sah das Ehepaar Leuthold weiteres Ungemach auf sich zukommen, weil Deutschland den Anflug über sein Hoheitsgebiet auf Kloten markant einschränken will.

Das Abkommen zwischen dem deutschen Verkehrsminister Kurt Bodewig und seinem Schweizer Kollegen Moritz Leuenberger reduziert die Flugbewegungen über dem süddeutschen Raum von derzeit 140 000 auf maximal 100 000 Anflüge über deutsches Gebiet in knapp dreieinhalb Jahren. Ab Herbst dieses Jahres gilt ein verlängertes Nachtflugverbot und ab Herbst 2002 ein ausgedehntes Nachtflugverbot an Wochenenden und Feiertagen.

Auf welche Routen der nicht mehr von Norden her zugelassene Anflugüberhang verlegt wird, steht zwar noch in den Sternen. Weder das Bundesamt für Zivilluftfahrt noch der Kanton Zürich, noch Unique Zurich Airport oder die Luftverkehrskontrolle Skyguide lassen sich in die künftigen Luftkarten blicken. Doch eines kristallisiert sich heraus: «Den Südanflug kann man heute in den Mund nehmen», sagt Lukas Hässig, Sprecher der Flughafenbetreiberin Unique Zurich Airport. Aber es sei noch nichts entschieden, es werde geprüft. Die Entscheidung soll im Herbst fallen, so lange wollten die Leutholds jedoch nicht warten.

Vor vier Monaten haben sie ihr vor sieben Jahren erworbenes Millionen-Bijou verkauft, allerdings mit einem Abschlag von 125 000 Franken auf den Kaufpreis. Auf den drohenden Fluglärm in der Region Uster will Frau Leuthold diese Einbusse nicht zurückführen. «Wir haben sicher zu einem dummen Zeitpunkt gekauft», räumt sie ein. Anfang der Neunzigerjahre lagen die Preise für Stockwerkeigentum nämlich noch auf einem Spitzenniveau. Bevor die Preise für Wohneigentum dann allgemein einbrachen. Und gemessen an den Immobilienpreisindizes der Zürcher Kantonalbank, ist dieses Spitzenniveau bei weitem noch nicht wieder erreicht.

«Wir wollten weg, um das Preisrisiko wegen des drohenden Fluglärms zu limitieren», sagen die Leutholds rückblickend. Dabei stünden sie nicht alleine da. Von den sieben Parteien in der Stockwerkeigentumsliegenschaft wollten noch drei weitere Wohnungsbesitzer verkaufen. Nicht verwunderlich, gab die Bank des Ehepaars in Uster doch zu verstehen, dass sie bei den Wohnimmobilien in der Region mit Preisabschlägen von bis zu 25 Prozent rechne, wenn hier eine Anflugschneise eingerichtet würde. Das habe die Bank allerdings bitte nicht als offizielle Stellungnahme gewertet haben wollen. – Momentan wohnen die Leutholds zur Miete in Stäfa und warten ab, wo künftig die Flugrouten verlaufen, um zu einem späteren Zeitpunkt ein neues Eigenheim zu erwerben.

«Wer in einer künftig eventuell von Fluglärm bedrohten Zone ohnehin verkaufen will, sollte das jetzt tun», meint Thomas Obwegeser, Präsident des Hauseigentümerverbandes (HEV) Dübendorf und Oberes Glatttal, der mit seinen Ansichten gegenüber Kollegen von anderen HEV-Sektionen häufig quer in der Landschaft liegt. Die wegen des Militärflughafens Dübendorf ohnehin schon mit Fluglärm gestrafte Region wird mit Südanflugschneisen für Kloten noch weiter belastet. Bis vor kurzem war das Thema Wertverminderung von Liegenschaften infolge der Zivilluftfahrt im Glatttal ein Tabu, weiss Obwegeser. «Man wurde verpönt und gescholten, eine Krise herbeizureden», konstatierte er erst kürzlich vor der Generalversammlung seiner Sektion in Greifensee. Leider sei das von der Wertverminderung keine Mär.

Liegenschaftenverkäufer beklagten eine sehr grosse Unsicherheit auf dem Immobilienmarkt. «Bei mehr als jedem zweiten Verkaufsgespräch wird das Thema Fluglärm angeschnitten», stellt er fest.

Obwegeser weiss auch von einigen Verkäufen im Zusammenhang mit der aktuellen Flugroutendiskussion. Zudem hat er von verschiedenen Seiten gehört, dass man sich mit entsprechenden Absichten trage.

Konkrete Auswirkungen auf die Preise für Wohnliegenschaften kann der Sektionspräsident bisher zwar nicht ausmachen. Aber er verweist auf Einschätzungen des IAZI Informations- und Ausbildungs-Zentrums für Immobilien in Bülach, das den Wertverlust von Wohnimmobilien allein in den Bezirken Meilen und Uster auf 5 bis 15 Prozent schätzt, wenn die Region künftig wie prognostiziert jährlich mit 80 000 bis 150 000 Flugbewegungen rechnen muss.

Für BILANZ hat das IAZI für jede Gemeinde in den Bezirken Meilen und Uster ausgerechnet, welcher Wertverlust sich allein bei Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum ergibt, wenn diese Region mit neuen An- und Abflugschneisen bedacht wird. «Ein schönes Einfamilienhaus mit 5½ Zimmern, 140 Quadratmetern Nettowohnfläche und einem Grundstück von 700 Quadratmetern kann durchaus zwischen 35 000 und 70 000 Franken an Wert verlieren», rechnet IAZI-Partner Donato Scognamiglio vor. Bei Werteinbussen von gut einer Milliarde Franken für alle Einfamilienhäuser und das gesamte Stockwerkeigentum im Bezirk Meilen mache dies pro Einwohner über 10 000 Franken aus.

«Ist der Entscheid über die neuen Flugrouten einmal gefällt, werden die Bodenpreise in den betroffenen Regionen schnell reagieren», ist Scognamiglio überzeugt. Bei Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum werde allerdings eine langsame Anpassung über die nächsten Jahre hinweg stattfinden. Auch sieht er Auswirkungen auf das Mietzinsniveau: «Das wird sich zwar erst anpassen, wenn der Fluglärm schon da ist, dann aber schnell etwa innerhalb eines Jahres.»

Besonders schnell, wenn auch noch Druck aufgesetzt wird. So hat der Mieterinnen- und Mieterverband Zürich (MV) bei der Schlichtungsbehörde weitere Fluglärmbeschwerden von Mitgliedern aus Zürich Nord eingereicht. Verlangt wird eine Herabsetzung des Mietzinses um 20 Prozent für die Monate Juni und Juli 2000, die beiden Monate, als zahlreiche Flugzeuge wegen der Bauarbeiten in Kloten gegen Süden starten mussten. Anfang März einigten sich in zwei Fällen Mieter und Vermieter vor der Schlichtungsbehörde auf Zinsreduktionen von 10 beziehungsweise 15 Prozent. MV-Geschäftsleiter Niklaus Scherr will aber mehr als nur Vergleiche. Für ihn ist entscheidend, dass ein gerichtlicher Grundsatzentscheid erwirkt wird.

Diese beiden Vergleiche vor der Schlichtungsbehörde zeigen immerhin, dass sich das IAZI mit seinen Einschätzungen durchaus auf dem Boden der Realität bewegt. Denn geht die Miete um 10 oder 15 Prozent runter, dann wohl auch der Preis für die entsprechende Liegenschaft. Sonst würde die Rendite nicht mehr stimmen.

Hauseigentümer in den von einem Lärmteppich überzogenen Gemeinden wiederum versuchen, vor Gericht eine Entschädigung für die Wertminderung ihrer Liegenschaften durchzusetzen. Allein der Zürcher Anwalt Peter Ettler hat derzeit für diese Klientel Schadensummen von rund 200 Millionen Franken pendent. Er vertritt Lärmgeschädigte aus betroffenenen Gemeinden wie Opfikon-Glattbrugg, Höri, Oberglatt oder Rümlang. Die Chancen für die Lärmopfer schätzt Ettler als gut ein und verweist auf zwei Präzedenzfälle: 1995 und 1996 hatte das Bundesgericht Hauseigentümern um den Flughafen Genf Cointrin wegen des unzumutbaren Dauerschallpegels Entschädigungen zugesprochen, die 25 bis 35 Prozent des Verkehrswertes der Liegenschaften ausmachten.

Weniger dramatisch sieht Urs Tschudi von der Immobilienfirma Walde & Partner die Folgen der Verlegung von Flugrouten. «Wir haben in Uster gerade wieder Wohnungen zu Toppreisen verkauft», sagt er. Uster erlebe einen Boom, und der gehe nicht kaputt. Seine Überzeugung: «Kommen die Flieger, gibt es etwa ein halbes Jahr eine Verunsicherung. Und dann lebt man mit den Fliegern.» Auf die Liegenschaftenpreise werde sich das nicht sonderlich auswirken.

Da ist sich Viktor Baumann, Gemeindepräsident von Egg, nicht so sicher. Er hält die IAZI-Schätzungen für recht realistisch, kann aber derzeit noch keine Auswirkungen der aktuellen Fluglärmdiskussion auf die Immobilienpreise ausmachen. Allerdings weiss er von drei potenziellen Käufern, die in Egg Grundstücke beziehungsweise eine Eigentumswohnung erwerben wollten. Und von der Gemeinde eine Garantie verlangten, dass sie künftig von Fluglärm verschont blieben. Eine solche Garantie kann Viktor Baumann natürlich nicht geben. Die Käufer haben ihr Interesse verloren.
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