BILANZ: Im alpinen Männerskisport war niemand erfolgreicher als Sie: fünfmal Gesamtweltcup, über 100-mal auf dem Siegerpodest. Wer von den jetzigen Stars kann den Rekord brechen?
Marc Girardelli: Ich konnte in verschiedenen Disziplinen Weltcuppunkte sammeln. Heute ist die Situation auch im Skisport für Allrounder schwieriger geworden. Der Sport ist technisch und körperlich anspruchsvoller geworden, das spricht eher für den Spezialisten. Aber wenn jemand meinen Rekord herausfordern würde – dann müsste ich halt nochmals antreten (lacht).

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Würde der junge Marc Girardelli, der früher allen davonfuhr, heute noch in einem Rennen mithalten können?
In jeder Sportart wird einmal eine Linie gezogen zu den früheren Generationen. Im Fussball gelten die Stars von einst wie Günter Netzer heute als Standfussballer. Der Skisport ist vor allem durch die Carving-Technologie viel körperintensiver geworden. Viele Jugendläufer haben schon mit 12 oder 13 Jahren Knorpelprobleme oder Rückenbeschwerden.

Am 7. Februar starten die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi. Gehen Sie hin?
Nein.

Warum nicht? Da könnten Sie doch alte Kollegen treffen.
Um sich mit Kollegen zu treffen, ist eine Olympiade eher weniger geeignet. Fast alle Rennläufer sind rein beruflich dort, weil sie eine Gruppe betreuen oder für die Medien arbeiten.

Sie sind Berater des Bulgarischen Skiverbands. Da wäre Ihr Rat vor Ort gefragt.
Bulgarien hat sogar einen Medaillenanwärter – aber im Snowboard, nicht im alpinen Skisport. Das dauert noch eine Weile.

Was machen Sie für die Bulgaren?
Meine Aufgabe liegt vor allem im touristischen Bereich. Ich promote die aufstrebenden Skigebiete Bansko und Vitoscha nahe der Hauptstadt Sofia.

Was halten Sie vom Gigantismus, mit dem die Winterspiele in Sotschi angerichtet werden?
Natürlich geht es in Sotschi um viel Geld, doch wenn man das mit Tennis oder Motorsport vergleicht, sind Skisportanlässe immer noch vergleichsweise klein. Ich halte das für nichts Aussergewöhnliches.

Kritiker monieren, die russische Führung wolle mit Sotschi von der mangelnden Demokratie ablenken.
Ich glaube, dass der Sport ein wichtiger verbindender Faktor ist. Deshalb befürworte ich auch Spiele in einem Land wie Russland, wo es viele Kontroversen um die politische Führung gibt. Wo kann man verfeindete Nationen am besten zusammenführen? Doch ganz klar auf dem Sportplatz. Es ist oft ein guter Anfang, um eine normale Basis zu schaffen.

Man bietet der Führung eine Plattform, sich zu inszenieren.
Es ist aber auch ein Zeichen, dass sich ein Land wie Russland öffnet, sich international einfügen möchte in eine Gemeinschaft. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Darum befürworte ich das sehr.

Was ist das Fazit einer langen Skifahrerkarriere aus finanzieller Sicht? Ist es ein lukrativer Job, Rennläufer zu sein?
Spitzenrennläufer wie der Amerikaner Bode Miller oder der Österreicher Hermann Maier können in guten Jahren mehrere Millionen heimbringen.

Und Sie?
Früher war das anders: Was ein Miller oder Maier in einem Jahr verdienen, habe ich in meiner Karriere insgesamt verdient.

Also rund vier bis sechs Millionen in rund 15 Jahren?
Auf alle Fälle wesentlich weniger als heute.

Sie hatten lukrative Werbeaufträge. Auch für Marlboro. Nicht gerade das, was man mit Sport und frischer Luft verbindet.
Man witzelte damals, das sei eher ein Werbevertrag für meinen Vater, der auch mein Trainer war – er war Kettenraucher (lacht). Marlboro wollte damals ihre Bekleidungssparte pushen, die Marke abseits von den Zigaretten bewerben. Der Konzern ist inzwischen breit diversifiziert, macht Nahrungsmittel und vieles mehr. Zigaretten sind nur noch ein Teil des Umsatzes.

Dennoch: Ein solcher Werbevertrag wäre in der heutigen Zeit der Political Correctness für einen Sportler wohl unmöglich.
Da bin ich mir nicht so sicher. Schauen Sie die Werbeaktionen des russischen Gaskonzerns Gazprom an. Der steht unter anderem wegen Ölbohrungen in der Arktis in der Kritik – und ist dennoch als Sponsor im Sport breit präsent.

Sie sind gebürtiger Österreicher, fuhren aber für den Luxemburger Skiverband. Weshalb?
Wir hatten Probleme mit dem Österreichischen Skiverband. Mein Vater kam zur Ansicht, der Verband fördere mich zu wenig, ja behindere gar meine Karriere. Da wechselten wir zu den Luxemburgern.

Ohne Sie dürfte der Luxemburger Verband kaum noch eine Rolle spielen. Gibt es ihn überhaupt noch?
Oh ja, sie sind an verschiedenen Wettkämpfen dabei, allerdings vor allem im Langlauf.

Nach Ihrer Skikarriere starteten Sie 2001 als Unternehmer – zunächst wenig erfolgreich. Ihre Skihalle im deutschen Bottrop schlitterte 2004 fast in den Konkurs.
Sie haben recht: Ich ging damals völlig blauäugig in die Zukunft.

Inwiefern?
Weil ich planlos vorging. Jeder Sportler sollte sich nach seiner Karriere folgende vier Fragen stellen: Was kannst du gut? Was machst du gerne? Was hast du für Möglichkeiten? Was für Risiken bestehen? Diese Fragen habe ich mir nicht gestellt, ich bin ganz einfach losgeeilt.

Sie haben in der Not zuletzt einen Käufer gefunden, einen holländischen Hotelkonzern.
Aber ich musste finanziell ordentlich bluten. Ein bisschen stolz kann ich dennoch sein: ich habe ein Unternehmen geschaffen, das es heute noch gibt, 120 Leute beschäftigt und das 300 000 bis 400 000 Besucher jedes Jahr zum Skifahren lockt – und das mitten im Ruhrgebiet. Und es hatte noch einen positiven Effekt.

Welchen?
Ich habe dort meine Frau kennen gelernt, mit der ich heute zwei Töchter habe. Wir leben in der Ostschweiz, in Rebstein.

Sie haben einen eigenen Helikopter samt Piloten, den Sie an Businessleute vermieten. Fliegen Sie selber auch?
Ja, ich habe seit 25 Jahren den Pilotenschein. Ein Helikopter ist eine grossartige Sache. Im Gegensatz zu einem Flugzeug können und dürfen Sie überall landen, zumindest in der Schweiz. Ich habe den Helikopter bei Nebel schon mal auf der Bergwiese bei einem Bauern gelandet und ihn drei Tage später wieder geholt. Man ist schnell: In eineinhalb Stunden bin ich in Genf.

Was kostet so ein Helikopter, wie Sie ihn haben?
Rund eine halbe Million Franken.

Was kann man als Unternehmer von einem Sportler lernen?
Das Kämpfen – nicht aufzugeben. Das war auch so mit dem Alpincenter in Bottrop. Wie oft dachte ich: Jetzt gehst du zum Richter und meldest Konkurs an. Und jedes Mal sagte ich mir: Nein, das kann nicht sein. Und habe weitergekämpft. Am Schluss fand ich eine Lösung, wenn auch auf den letzten Zacken – ich hatte nur noch für drei oder vier Wochen Cash. Da ist es ein Vorteil, dass man als Sportler gelernt hat, sich von Stressfaktoren weniger beeinflussen zu lassen.

Wie das?
Man muss oft in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen, von Emotionen befreit. Das führt dazu, dass man lernt, in Stresssituationen schnell einen klaren Überblick zu gewinnen.

Haben Ihre Kinder Ihr Skitalent geerbt und sind bereit, in Ihre Fussstapfen zu treten?
Gott sei Dank nicht.

Das tönt nach einem zwiespältigen Fazit Ihrer eigenen Karriere.
Meine Kinder haben wirklich kein Skitalent – wenn sie es hätten, würde ich es fördern. Doch Sie müssen bedenken: Bis man im Skisport Weltklasse ist, dauert es ewig, das Verletzungsrisiko ist enorm. Und wenn man die Weltspitze erreicht, ist es im Gegensatz zum Fussball oder Tennis nicht gesagt, dass man sich finanziell eine Existenz aufbauen kann. Dann ist man 30, hat die ganze Ausbildung flöten gehen lassen, das Privatleben an den Nagel gehängt und steht am Schluss ohne Basis da.

Skisport ist heute weniger emotional als früher, als alle in der Mittagspause nach Hause eilten, um am Fernseher live ein Rennen zu sehen. Weshalb?
Am spannendsten ist der Skisport immer dann, wenn er von einem klaren Zweikampf geprägt wird. Wie etwa zwischen Bernhard Russi und Franz Klammer in der Abfahrt Mitte der siebziger Jahre oder später zwischen Pirmin Zurbriggen und mir. Wenn einer allein dominiert, wie etwa früher der Schwede Ingemar Stenmark, wird es schnell langweilig; ausser für die Schweden natürlich. Diese Gefahr besteht auch, wenn es zu viele wechselnde Anwärter auf den Sieg gibt.

Die Schweiz hat als Skination seit den Tagen von Bernhard Russi stark an Bedeutung eingebüsst, ist in der Nationenwertung nach hinten gerutscht. Was läuft falsch?
Das kann ich als Aussenstehender nur schwer beurteilen. Bei den Damen ist es mit Lara Gut ja schon um Klassen besser als vor einigen Jahren. Und den Herren gelingt auch immer mal ein Sieg, wie jetzt Patrick Küng am Lauberhorn.

Früher gab es Schweizer Siege im Akkord.
Man müsste die verschiedenen Mannschaften vergleichen und schauen, was anderswo besser läuft. Wie im Fussball machen elf gute Einzelspieler noch keine gute Mannschaft. Der Skisport ist kein Einzelsport mehr, wichtig ist der emotionale Austausch in einer Mannschaft, wo man sich gegenseitig aufbaut.

Wer macht das gut?
Ich glaube, dass die Amerikaner allen anderen einen Schritt voraus sind. Die haben das beste Mannschaftsgefüge. Das ist wichtig, denn bei gleich guten Skifahrern gewinnt am Schluss der, der mental gestärkt bis an die Grenzen gehen kann.

Die Skilegende: Marc Girardelli (50) gehört zu den erfolgreichsten Rennläufern in der Geschichte des Skisports. Fünfmal gewann er den Gesamtweltcup. Heute ist er als Markenbotschafter für Bemer tätig, die Geräte für die physikalische Gefässtherapie herstellt. Er berät den Bulgarischen Skiverband und ist in der Organisation von Skievents tätig. Er wohnt mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Töchtern in Rebstein SG. Aus früheren Beziehungen hat er einen Sohn und eine Tochter.