BILANZ: Herr Schmid, was macht ein starkes Bild aus?
Hannes Schmid: Ein gutes Bild berührt den Betrachter. Und zwar so, dass jeder, der das Bild anschaut, sein eigenes Erlebnis daraus nehmen kann, sich auf seine ganz eigene Weise damit identifiziert.
Von 1993 bis 2003 stilisierten Sie den Marlboro-Cowboy zur Markenikone. Wie lautete Ihr Kampagnen-Briefing?
Der Marlboro-Man wurde im Jahr 1954 vom US-amerikanischen Werber Leo Burnett erfunden. In der Positionierung war Marlboro in den Jahren davor eine Frauenzigarette. 1993 sagten mir die Chefs von Philip Morris: Wir wollen etwas anderes. Du kannst allerdings nichts verändern.
Tönt schwierig.
Solche Dinge sagen Konzerne meistens. Ich machte mich daran, eine neue Bildsprache zu erarbeiten. Meine Idee war die Reduktion und Stilisierung des Westernlebens, nur schon der Daumen am Gürtel oder die lederbehandschuhte Hand am Stetson sollte aussagen: Marlboro-Country. Die ikonische Figur des Cowboys steht für die Freiheit und für Amerika, das wurde und wird in der ganzen Welt verstanden.
In den wenigen Jahren, die den Konzernen vor dem Tabakwerbeverbot noch blieben, wurden den Konsumenten ihre Markenbilder für Milliarden von Dollars in die Köpfe gehämmert.
Wenn Sie so wollen – ja.
Wie haben Sie die Bildarbeiten vorbereitet?
Über welche Tageszeit sprechen wir?
Nehmen wir die Markeninszenierung zum Sonnenaufgang.
Per GPS berechneten wir die idealen Sekunden fürs Shooting in den US-Bundesstaaten Utah und Nevada. Wir legten 20 Tonnen Staub aus und jagten dort die Pferde durch. Die stilechten Kleider für die Cowboys hatten wir zuvor in ganz Amerika zusammengekauft. Eigentlich war es ein einziger grosser Kostümfilm in Standbildern. Für ein Shooting wurden 60 bis 70 Lastwagen und 80 bis 100 Pferde benötigt. Es gab ein paar Minuten, die punkto Licht ideal waren – und genau die mussten wir nutzen, um ein Zeitfenster für einen Moment der heilen Marlboro-Country-Welt zu schaffen. Eine Monsterübung punkto Scouting, Pre-Production, Production, Post-Production – da gingen Hunderte Rollen Film drauf in fünf Tagen. Aber eigentlich bin ich gar kein Fotograf.
Eine erstaunliche Aussage für jemanden, der wohl Zigtausende Bilder geschossen hat. Wie gross waren Ihre Budgets damals?
Punkto Zahl der geschossenen Bilder muss ich etwas korrigieren. In meinem Atelier liegt zirka eine Million Bilder in Kartonschachteln. Zu den Budgets: Sie waren nicht endlos, aber wohl in der Höhe dessen, was damals für einen kleinen Spielfilm budgetiert wurde.
Welches ist Ihre Marke – Marlboro Rot oder Marlboro Gold?
Behüte! Ich war und bin Nichtraucher.
Und Sie haben mit Ihren gloriosen Bildern zum Rauchen verführt.
Wenn jemand ausschliesslich wegen solcher Bilder zu rauchen beginnt, dann ist das tragisch. Jeder Konsument hat doch auch eine Eigenverantwortung. Kommt dazu, dass Rauchen auch einen sozialen Aspekt hat, man wurde in der Gruppe dazu verführt.
Sie hatten es stark mit dem Tabak. Immerhin verhalfen Sie auch der Marke Camel mittels des PR-Events Camel Trophy zu Ruhm.
Insgesamt war ich sechsmal bei der Camel Trophy dabei, und ich habe den Camel-Man im Dschungel fotografiert. Aber irgendwann war Schluss.
Wann?
Als die Auftraggeber den Camel-Man sauberer haben wollten. Er sollte plötzlich im Dschungel ein gebügeltes Hemd tragen. Das ist doch gaga. Im Übrigen habe ich weder für Camel noch für Marlboro Zigarettenwerbung gemacht. Ich habe einen Mythos fotografiert.
Und damit Marken global begehrenswert gemacht. Heute überwiegt das Gefühl, die achtziger und neunziger Jahre seien für die Werbefotografie goldene Zeiten gewesen.
Das glaube ich auch. Es waren die letzten Jahre vor dem Internet, Werbung konnte sich fast konkurrenzlos auf Plakaten und in Zeitschriften entfalten. Die italienische «Vogue» umfasste damals noch 600 bis 700 Seiten, heute sind es wohl noch ein Drittel davon.
Zuvor waren Sie jahrelang mit insgesamt 258 Rockbands auf Tournee, fotografierten Acts wie Pink Floyd, Genesis oder AC/DC. Was war Ihr Zugang zur Musik?
Ich bin kein Musikfan. Wie mich auch Mode, die ich in den neunziger Jahren fotografiert habe, nie interessiert hat. Ich war ein totaler Antimodetyp.
Wie kann man als Nichtfan mit Rock-Acts auf Tournee gehen?
Mich hat eben, wie auch bei der Mode, etwas ganz anderes interessiert: Teil einer Familie zu werden. Das liess sich vor allem bei den Rockstars sehr schön verfolgen: Wie Leute aus unteren Schichten zu gefeierten Helden wurden. So war es immer bei mir: Um eine Bildsprache zu entwickeln, muss ich zuerst Teil der Familie werden. Eine Zeit, die irgendwann wieder endet. In der Rockstar-Phase lebte ich acht Jahre lang quasi aus dem Koffer, was zum Schluss sehr ermüdend war.
Und es ist Ihnen musikalisch gar nichts in Erinnerung geblieben?
Also der massive US-amerikanische Sänger Meat Loaf, dieser Fettkoloss – das war schon eine tolle Nummer. Und dann gab es da noch diese Geschichte mit dem Song von Bob Geldofs Boomtown Rats.
Erzählen Sie.
Nach einem Konzert in Texas sassen wir im Hotelzimmer und schauten fern. Im TV wurde von einem Mädchen berichtet, das an einem Montag seine ganze Familie erschossen hatte. Als wir am nächsten Morgen verkatert im Taxi zum Flughafen fuhren, bat mich Bob Geldof um einen Zettel und kritzelte etwas darauf. Kurz wurde die Tournee auf sein Geheiss hin unterbrochen, man fuhr nach London ins Studio, die Boomtown Rats nahmen das Stück auf, das Geldof im Taxi hingeschrieben hatte: «I don’t like Mondays» – der Song, der zu ihrem grössten Hit werden sollte.
Sie fotografierten im Auftrag der Bands?
Zum Teil im Auftrag der Rock-Acts, daneben auch für Magazine wie «Pop Rocky» oder «Bravo». «Bravo» hatte damals quasi die Markenhoheit und funktionierte wie eine Machtfabrik, die konnten eine Band gross machen oder fallen lassen. Pro Bild gabs 50 Franken für mich.
Was halten Sie von der Digitalfotografie?
Sie hat ihre Berechtigung. Ich bin ein Dinosaurier. Diese neue Art der Fotografie – ich nenne sie Digigrafie –, das ist in erster Linie ein Sammeln von Bildern und keine Fotografie im üblichen Sinne mehr. Was jeder macht, das kann auch jeder nachahmen. Was zu einer bedauernswerten Entwicklung des Bildverständnisses führt.
Eine schlechte Entwicklung?
Meiner Meinung nach gab es früher einen bewussteren Umgang mit dem Bild, die Kunst des Sehens war in den analogen Zeiten stärker ausgeprägt. Ich habe jedenfalls immer noch drei Tiefkühler voll mit Filmrollen. Aber eigentlich möchte ich das gar nicht gross werten. Es ist einfach anders als früher. Ich habe den Marlboro-Cowboy von 1993 bis 2003 in Szene gesetzt – und seither bin ich aus dieser Art der Werbefotografie draussen. Und will nicht wieder zurück.
Wenn Sie kein Fotograf sind – was sind Sie dann?
Ich bin ein Bildsprachenentwickler. Und Aneignungskünstler.
Was bitte ist ein Aneignungskünstler?
Der US-amerikanische Künstler Richard Prince hat im Jahr 2003 meine Marlboro-Bilder abfotografiert und das als eigene Arbeit präsentiert. Dadurch wurde meine Arbeit für die Marke überhaupt erst gross bekannt. Darauf eignete ich mir meine eigenen Bilder in einer neuen Form wieder an.
Heute malen Sie Ihre Marlboro-Bilder von damals und wollen zur Marke im Kunstgeschäft werden.
Tatsächlich bin ich erst seit 2008 in der Welt der Kunst dabei.
Wie teuer sind Ihre Bilder?
Ich male in meinem ganz eigenen Rhythmus, meist von elf Uhr nachts bis um fünf Uhr früh. An einem Bild arbeite ich zwischen fünf und sieben Monate lang. Würde man dafür das Stundenhonorar eines Anwalts einsetzen, so müssten meine Bilder um die zehn Millionen Franken kosten.
Und was kosten sie tatsächlich?
Da müssen Sie mit meinem Galeristen sprechen.
Wie investieren Sie Ihr Geld?
Ich habe kein Geld für die Börse, ich investiere in mich selber. Und ich investiere in ein Hilfswerk. Letztes Jahr habe ich mit Freunden den Verein Smiling Gecko gegründet, der in Kambodscha misshandelte und notleidende Kinder und Familien unterstützt.
Wie werden Sie dort Teil der neuen Familie?
Indem ich Zeit mit diesen Leuten zusammen verbringe. Mehrere Male im Jahr lebe ich mit den Familien auf einer Müllhalde in Phnom Penh in Kambodscha.
Ihre nächsten Projekte führen Sie ebenfalls in den Osten. Was ist geplant?
Im Sommer 2014 werde ich im Pekinger Today Art Museum mein erstes grosses Ausstellungsprojekt realisieren. Ferner bin ich mit drei chinesischen Flughäfen in Verhandlung. Wir könnten dort weiterführen, was am Airport Zürich-Kloten begonnen hat. Ich zeige dort Art of Transformation, eine Kunst, die ausserhalb des Museums ihren Weg an die Öffentlichkeit findet.
Markiger Bild-Erzähler
Hannes Schmid, geboren 1946 in Zürich, verliess die Schweiz nach einer Lehre als Elektriker und Beleuchtungstechniker Richtung Südafrika. Nach einem Fotografie-Kurzstudium in Kapstadt und weiteren Reisen in Afrika und Asien begann ein längerer Abschnitt als Rockstar-Fotograf (1977 bis 1984), gefolgt von der Modefotografie (1984 bis 2002) und der Marlboro-Phase (1993 bis 2003). Im Berner Kunstmuseum werden Schmids Fotoserien und Gemälde noch bis zum 21. Juli unter dem Titel «Real Stories» gezeigt.