BILANZ: Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) gehört zu jener Gruppe Schweizer Banken, gegen die Untersuchungen der US-Behörden laufen. Reisen Sie noch nach Amerika?
Martin Scholl: Seit Jahren nicht mehr. Wir haben Reiserestriktionen erlassen, schon vor längerer Zeit.
Bis zu welcher Managementstufe geht das hinunter?
Es hängt von der Funktion und den Aufgaben ab. Sicher Management und Verwaltungsrat. Dann stellt sich die Frage: Ist ein Mitarbeiter im US-Geschäft tätig gewesen? In diesem Fall sind Restriktionen gerechtfertigt. Nur weil sie Mitarbeiter der ZKB sind, gibt es keine Restriktionen.
Warum diese Angst vor den USA?
Wir befinden uns in einem konstruktiven Dialog mit den US-Behörden. Reisen in die USA wären einfach zusätzliche Risiken, die wir in dieser Phase nicht eingehen wollen.
Wie gross ist die Chance, dass es gegen die Bank zu einer Klage kommt?
Dieses Risiko wäre vor allem dann vorhanden, wenn es Irritationen im Dialog mit den Untersuchungsbehörden gäbe. Das wollen wir vermeiden, indem wir einen permanenten Austausch pflegen. Es ist ein Austausch «on friendly terms». Ein Restrisiko, dass es zu Weiterungen in dieser Angelegenheit kommt, bleibt allerdings bestehen.
Wenn es doch zu einer Klage kommt? Wegelin war erledigt.
Spekulationen führen hier nicht weiter. Im Sinn einer sorgfältigen Geschäftsbesorgung hat die Bank für alle Eventualitäten entsprechende Notfallpläne vorbereitet.
Sie scheinen das Risiko als geringer einzuschätzen als Ihre Kollegen von der Bank Wegelin.
Nein, keinesfalls. Wir sind sehr wachsam. Es gibt jedoch zahlreiche Gründe, die gegen eine Klage sprechen, juristische wie faktische, wenn man sich den Umfang des US-Geschäfts der ZKB vor Augen führt.
Was heisst das?
2008 war die Finanzkrise, es gab gigantische Vermögensverschiebungen. Da sind auch US-Kunden zu uns gekommen. Aber es war nie der Wille der ZKB, von einer Spezialsituation UBS zu profitieren. Dies ist klar dokumentiert. Wir haben bereits im Juni 2008 – also Wochen bevor öffentlich bekannt wurde, dass die UBS aus dem US-Geschäft aussteigt – erste Moratorien erlassen und diese in den darauffolgenden Monaten sukzessive verschärft.
Die Abgeltungssteuer mit Deutschland ist gescheitert. Wie weit belastet das Ihr Geschäft?
Die ZKB ist von diesen Fragen nur am Rand tangiert. Vergessen wir nicht: Die Bank erzielt über 70 Prozent ihres Ergebnisses im Wirtschaftsraum Zürich. Im Vergleich zu den gesamten Kundenvermögen von über 190 Milliarden Franken hat das internationale Private Banking mit rund 10 Milliarden eine untergeordnete Bedeutung. Das Scheitern der Abgeltungssteuer mit Deutschland betrifft uns jedoch insofern, als weiterhin im Raum steht, auf welchem Weg unversteuerte deutsche Vermögenswerte – sieht man von der Selbstanzeige einmal ab – steuerkonform gemacht werden können.
Was bedeutet das für Sie?
Wir haben schon 2009 entschieden, dass wir nur noch steuerkonforme Gelder entgegennehmen. Mittelfristig werden alle bei der ZKB verwalteten Vermögen steuerkonform sein. Auf diesem Weg gehen wir kontinuierlich vorwärts.
Welche Lösung drängt sich für den Schweizer Finanzplatz auf? Ihr Kollege Pierin Vincenz von der Raiffeisenbank will auch den automatischen Informationsaustausch nicht ausschliessen.
Ein öffentliches Brainstorming über die verschiedenen Modelle, die zu einem steuerlich sauberen Finanzplatz führen könnten, ist nicht zielführend. Die ZKB beteiligt sich nicht an dieser Diskussion.
Im Gegensatz zu Vincenz.
Vincenz ist Vincenz, und Scholl ist Scholl (lacht). Eine öffentliche Kontroverse zu dieser Frage ist nicht gut für die Finanzbranche. Zu Recht sagt dann die Politik: Die Banken sind sich ja selber nicht einig. Um zu zukunftsweisenden Lösungen zu kommen, brauchen wir einen Schulterschluss zwischen Parlament, Bundesrat und der Finanzbranche.
Die Schweizerische Bankiervereinigung wirkt wie gelähmt.
Die Bankiervereinigung arbeitet weiter mit Hochdruck an diesen Dossiers. Wichtig ist jedoch, dass diese Diskussionen intern geführt werden.
Die Kritik an Präsident Patrick Odier ist gestiegen, auch in den eigenen Reihen.
Patrick Odier macht den Job super.
Die Inlandbanken haben jüngst eine eigene Interessengemeinschaft gegründet. Ein Widerspruch?
Nein. Da geht es darum, dass die inlandorientierten Banken ihre Themen gemeinsam einbringen. Was notabene von Präsident Odier wie von den anderen Vorstandsmitgliedern der Bankiervereinigung begrüsst und nicht bekämpft wird.
Hauptgeschäft der ZKB ist die Hypothekenvergabe. Der Markt ist überhitzt, die Risiken steigen.
Seit 24 Monaten sagt auch die ZKB: Der Cocktail aus tiefen Zinsen, steigender Nachfrage als Folge starker Zuwanderung aus dem Ausland und Anlagenotstand ist gefährlich. In diesem Sinn sind die Weckrufe der Nationalbank berechtigt. Entsprechend steht die Zürcher Kantonalbank im Hypothekargeschäft seit zwei Jahren auf der Bremse. Unser Hypothekarwachstum liegt mit 3,6 Prozent für das vergangene Jahr deutlich unter dem Gesamtmarkt.
Wie entwickelt sich der Immobilienmarkt?
Der Markt wird korrigieren und ist schon am Korrigieren. Teure Objekte finden keine Käufer mehr. Für Wohnungen über 1,5 Millionen Franken wird es schwierig. Da gibt es lange Leerstandsperioden.
Welche Massnahmen hat die ZKB ergriffen?
Wir haben die Vergabekriterien sukzessive verschärft. Die Anforderungen an die Kunden wurden erhöht, indem man beispielsweise mehr effektive Eigenmittel bringen muss. Wichtigster Punkt bei der Hypothekarvergabe ist jedoch die Frage des Belehnungswertes. Wer legt den Belehnungswert eines Objektes fest? Ist das der Preis, welchen der Verkäufer verlangt, oder ist es der Preis, bei dem die Bank sagt: Dieser Preis ist unter normalen Marktbedingungen realisierbar, auch wenn er deutlich unter dem Verkaufspreis liegt. Die Schätzungswerte der Zürcher Kantonalbank sind seit je konservativ. Der Kunde muss wissen, ob er einen bestimmten Verkaufspreis zu zahlen bereit ist. Den Belehnungswert aber bestimmt die Bank.
Wie schätzen Sie die Zinsentwicklung ein?
Viele Auguren glauben, dass die Zinsen nicht ansteigen werden und schon gar nicht schnell. Aber aufgepasst: Der Zinstrend kann ganz überraschend kehren. Dass so etwas auch diesmal passiert, schliessen wir nicht aus.
Wie soll man als Hausbesitzer oder Käufer reagieren?
Wir sehen bei den Kunden einen klaren Trend: Früher machte der typische Schweizer drei- und fünfjährige Festhypotheken, heute fünf- und zehnjährige. Damit hat der Kunde seine finanzielle Belastung mittel- bis langfristig abgesichert.
Wenn Sie, Martin Scholl, ein Haus kauften, was würden Sie für eine Hypothek abschliessen?
Vorsicht: Was für mich richtig ist, kann für einen anderen Kunden komplett falsch sein. Man muss einen solchen Entscheid immer vor dem Hintergrund der Risikofähigkeit des Kunden sehen. Ich denke, einen gewissen Teil des Hypothekardarlehens als Liborhypothek aufzunehmen, ist nach wie vor attraktiv. Libor heisst ja, kurzfristig von günstigen Zinsen zu profitieren. Familie Scholl aber hat sich schon vor einem Jahr gesagt: Angesichts des ohnehin sehr tiefen Zinsniveaus kommt es nicht darauf an, beim Zins 10 oder 20 Basispunkte mehr oder weniger zu bezahlen. Viel wichtiger ist es, die Hypotheken langfristig anzubinden.
Also zehnjährige Festhypotheken?
Eine zehnjährige Festhypothek ist gut, jedoch nicht für den Gesamtbetrag des Hypothekardarlehens. Meine Empfehlung ist eine Staffelung der Hypothek mit Tranchen verschiedener Laufzeiten. Das habe ich auch für mich selber umgesetzt. Wer weiss schon, was in zehn Jahren ist?
Experten befürchten, dass die Immobilienblase platzen könnte – mit Preisrückgängen von 30 oder 40 Prozent.
Wir gehen davon aus, dass sich das Preiswachstum im laufenden Jahr auf etwa zwei Prozent halbiert.
Das klingt nicht nach einer Blase.
Die Zürcher Kantonalbank erwartet ein Soft Landing des Immobilienmarktes. Schwieriger wird es im Bereich der Luxusimmobilien. Im mittleren Segment – nehmen wir Eigentumswohnungen für 700 000 oder 800 000 Franken – läuft das Geschäft nach wie vor gut.
Die ZKB will ihre Kapitaldecke stärken und verlangt vom Kanton zwei Milliarden Franken neues Dotationskapital. Warum setzen Sie nicht auf andere Varianten, wie die Schaffung von Partizipationskapital, Anleihen oder tiefere Gewinnausschüttungen?
Unser Bankrat hat entschieden, einen Antrag auf Erhöhung des Dotationskapitals im Umfang von zwei Milliarden Franken zu stellen. Es ist die Variante, die wir erstens bereits kennen und die zweitens rasch und ohne Gesetzesänderung realisierbar wäre.
Die Eigenkapitaldecke stärken könnte die Bank auch, indem sie die risikogewichteten Aktiven zurückfährt.
Risikogewichtete Aktiven herunterzufahren, heisst im Fall der ZKB, entweder Hypotheken oder Firmenkredite zu kündigen. Das macht keinen Sinn und ist vom Eigentümer auch kaum gewünscht. 90 Prozent der risikogewichteten Aktiven der ZKB sind im Kreditgeschäft gebunden. Eine Verkürzung der Bilanz ist eine theoretische Option, aber keine realistische.
Als Staatsbank hat die ZKB einen Leistungsauftrag: die Wirtschaft und die KMUs im Kanton zu fördern. 2010 hat die ZKB die Privatinvest Bank im Salzburg übernommen. Was hat die Expansion in Österreich mit dem Leistungsauftrag zu tun?
Es bestehen viele Missverständnisse rund um den Leistungsauftrag. Die ZKB ist 1870 gegründet worden, weil es eine Bank für den Mann und die Frau von der Strasse brauchte, fürs Gewerbe auch. Heute zielt der Leistungsauftrag primär darauf ab, eine Grundversorgung mit Bankdienstleistungen sicherzustellen und den Kanton Zürich bei seinen Aktivitäten zu unterstützen. Daneben ist die Bank jedoch nach ökonomischen Kriterien zu führen. Als Universalbank betreibt die ZKB auch Geschäfte, die weit über den Leistungsauftrag hinausgehen.
Wenn es vor allem ums Geldverdienen geht, könnten Sie theoretisch auch gross ins Investment Banking einsteigen.
Wenn es darum geht, Dienstleistungen für Zürcher und Schweizer Kunden zu erbringen, spielt die Zürcher Kantonalbank heute in Investment Banking und Asset Management tatsächlich eine wichtige Rolle. Im Kapitalmarktgeschäft ist die ZKB seit Jahren entweder die Nummer eins oder zwei. Von all diesen Aktivitäten profitiert auch der Kanton, nicht zuletzt durch konstant hohe Gewinnausschüttungen.
Längst wirkt die ZKB über die Kantonsgrenzen hinaus – und tritt auch den anderen Kantonalbanken auf die Füsse.
Es gibt aber auch neun Kantonalbanken mit Filialen in Zürich.
Doch die ZKB wirkt am ambitioniertesten.
Wir sind die Bank, die im Wirtschaftsraum Zürich gegründet worden ist. Zürich ist wirtschaftlich gesehen das Zentrum der Schweiz, und damit ist die ZKB logischerweise zur Nummer eins unter den Kantonalbanken geworden. Die Ansprüche der Kunden im Wirtschaftsraum Zürich sind auch anders als in anderen Kantonen. Hier sind viele global ausgerichtete Unternehmen ansässig.
Der Beständige
Martin Scholl (51) ist seit 2007 CEO der Zürcher Kantonalbank. Er verbrachte den Grossteil seiner Karriere bei der ZKB. 1977 startete er als Lehrling in der Filiale Zürich Wipkingen. Nach Tätigkeiten für andere Institute, etwa für den Bankverein in New York, kehrte er 1990 zur ZKB zurück. 2002 wurde er in die Geschäftsleitung aufgenommen und war zuständig für Firmenkunden. Scholl ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er wohnt mit seiner Familie in Wangen bei Dübendorf.