Schön waren die Zeiten, als das Leben geregelt war: Morgens ging man aus dem Haus zur Arbeit, nahm seinen Platz am Schreibtisch in der Abteilung ein und bearbeitete Akten. Der Job war sicher, die nächste Beförderung gewiss. In seinem Buch «The Organization Man» beschreibt der amerikanische Autor William H. Whyte 1956 die Lebenswelt des Angestellten: ein Dasein, das in ruhigen Bahnen verläuft. Wer einmal bei einem guten Unternehmen angekommen war, galt als versorgt. «In der Regel gefällt den jungen Leuten die Vorstellung, dass ihre Beziehung zu ihrem Unternehmen andauert», meinte Whyte. Bei den SBB kündigen? Bei der ABB aufhören? Beim Bund nicht einsteigen? Undenkbar und eine Wahnsinnstat. Vorbei. Auf eine lebenslange Karriere am gleichen Ort kann keiner mehr bauen. Sicher ist weder der eigene Arbeitsplatz in zwölf Monaten noch die Aussicht, im nächsten Jahr die gleiche Tätigkeit auszuüben. Willkommen im Zeitalter der Unsicherheiten, der fast unbegrenzten Freiheiten und der Optionen, die einen auf Trab halten und bisweilen den Atem rauben.
Der deutsche Trendforscher Matthias Horx (siehe Interview, Seite 18) prognostiziert gewaltige Umbrüche. In der Studie «Future Work» kommt sein Zukunftsinstitut zum Schluss, dass wir es in einigen Jahren mit einer ganzen Palette von neuen Arbeitnehmertypen zu tun haben werden, die die bisherigen Vorstellungen von Karriere obsolet machen. Plus-Worker zum Beispiel werden mehrere Tätigkeiten nebeneinander ausüben, Ground-Worker werden Servicearbeiten verrichten, Symbolanalysten werden hoch qualifizierte Nischen besetzten.
Jetzt geht es ans Eingemachte
Was wirklich kommen wird, wird sich zeigen. Denn nach wie vor gilt das Bonmot, dass Prognosen schwierig sind, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. «Die Ungewissheit wird weiter zunehmen», sagt der Luzerner Zukunftsforscher Georges T. Roos. Die ersten Anzeichen dessen, was da auf uns zukommt, haben sich in der Rezession der letzten Jahre gezeigt: Es geht ans Eingemachte. Der vermeintlich krisenfeste Job geht flöten. Konnten zu guten Zeiten etwa 80 Prozent der hoch qualifizierten MBA-Absolventen innert eines Jahres einen Job finden, sind es heute nur knapp 60 Prozent. Vor allem die mittlere Managementschicht, der Bereich, in den es die Berufseinsteiger zunächst zieht, wird kräftig abgespeckt. Nach einer Umfrage der «Financial Times» fallen dort fast die Hälfte aller Stellen weg.
Da hilft keine Beschönigung: Wer keinen Job findet oder wem der Stuhl vor die Tür gestellt wird, kann mit dem Hinweis auf die Krise als Chance wenig anfangen. Doch auf lange Sicht könnte sich die Platitude tatsächlich bewahrheiten. Selbst nach Jahren im gleichen Job werden neue berufliche Ausrichtungen wieder möglich. «Das bedeutet einen Zugewinn an Freiheit, mit dem aber viele noch umzugehen lernen müssen», sagt Roos. War es in der Vergangenheit nach zehn bis fünfzehn Berufsjahren kaum noch möglich, sich beruflich neu zu orientieren, liegt dies heute ohne weiteres drin: Wo früher die Midlife-Crisis erbarmungslos zuschlug und der Zug beruflich längst abgefahren schien, ist heute eine neue Weichenstellung möglich.
Das Outsourcing vieler Bereiche in den Unternehmen hat eine ganze Schicht von neuen Selbstständigen entstehen lassen. Die hoch qualifizierten Spezialisten, die dank Vernetzung irgendwo arbeiten, nur nicht in den Büros ihrer Kunden, betreiben in Nischen meist äusserst erfolgreiche Kleinunternehmen oder One-Man-Shows.
«In der Zukunft werden Frauen eine viel grössere Chance als heute haben», sagt Karin Frick vom Gottlieb-Duttweiler-Institut in Kilchberg. Die neuen Formen der Selbstständigkeit machen es Frauen möglich, nach einer Babypause wieder ihrem Broterwerb nachzugehen. «Weil die Aufzugskabinen der herkömmlichen Karrierelifte meist mit Anfang dreissig besetzt sind, ist es für sie ein neuer Weg, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen», führt sie weiter aus.
Im Wechselbad der Berufssituation
Die neue Freiheit hat ihren Preis. Der besteht in einem grösseren wirtschaftlichen Risiko, einem konstanten Organisationsbedarf des Alltags und der Bereitschaft, mit Optimismus und Aufbruchstimmung auf jede neue Situation zu reagieren. Klar ist, dass in einer Arbeitswelt, in der der eigene Job ständig zur Disposition steht, die wirtschaftlichen Grundlagen der eigenen Existenz kaum allzu sicher sind. Heute hoch bezahlter Consultant oder Investmentbanker mit Bonus, morgen Geschäftsführer eines KMU mit einem kleineren Salär oder sogar arbeitslos. Vor allem die neuen Selbstständigen merken, dass Freiheit mit Risiko verknüpft ist. Die Konjunkturlage schlägt direkt auf die Kasse durch. Gehen die Geschäfte gut, rollt das Geld, darben sie, muss der Gürtel enger geschnallt werden.
«Um die Anforderungen der schönen neuen Zeit zu bewältigen, sind bisweilen stoische Eigenschaften gefragt», sagt Roos. Selbst bei grösster Bedrohung darf sich die Laune nicht eintrüben, vom Verlust seines Arbeitsplatzes darf man sich nicht mehr schockieren lassen. Stattdessen ist ständig Tatkraft und der Aufbruch zu neuen Ufern gefordert. Immer mehr Menschen begreifen schon heute Rückschläge tatsächlich als Möglichkeiten, etwas Neues zu wagen. Ohne ins kalte Wasser geworfen worden zu sein, hätten viele einen Wechsel in ihrem Berufsweg kaum vorgenommen. Der Tenor bei den Gesprächen ein, zwei Jahre nach dem Wendepunkt: «Eigentlich hat mir nichts Besseres passieren können.»
TREND 1
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Frauenpower: Männer müssen sich warm anziehen.
Gut für Sie, wenn Sie eine junge Frau sind. Die Zukunft im Arbeitsleben gehört Ihnen. Die Indizien sind erdrückend: Der Anteil der Mädchen in typischen Männerberufen steigt ständig an. Die Hörsäle in den Unis sind zu mehr als der Hälfte mit Studentinnen besetzt. Die Männer sind plötzlich mit einer Konkurrenz konfrontiert, die sich nicht länger in der Opferrolle sieht, sondern nimmt, was ihr zusteht: Junge Frauen beanspruchen ganz selbstverständlich die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten wie die Männer. Bei der Unterstützung für den eigenen Aufstieg können die Männer nicht mehr auf ihre Partnerinnen zählen. Stattdessen müssen sie zunehmend ihren Teil der familiären Aufgaben übernehmen. Da bleibt weniger Zeit für die Karriere.
Männer und ihre Eigenschaften gelten als wenig zukunftsträchtig. Sie werden als das unterlegene Geschlecht gehandelt. Unkommunikativ und mit dem Tunnelblick ausgestattet, während Frauen mit dem Panoramablick natürlich einen breiten Horizont haben. Frauen sind besser im Umgang mit anderen Menschen. Männer hingegen, denen eine nur mangelhafte Sozialkompetenz unterstellt wird, sind da nur tumbe Deppen. Wer als Mann in Zukunft nach oben will, muss mehr leisten als heute.
TREND 2
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Titelsterben: Gefragt sind jetzt Macher statt Senior Vice Presidents.
Tolle Titel sind out. Die Flut an prestigeträchtigen Bezeichnungen ist eingedämmt. Man ist schnell Vice President und bleibt das auch ewig. Das Verschwinden der Titel ist kein kosmetisches Problem, sondern das Symptom eines tiefer liegenden Wandels: Die Bosse werden rar. In den USA werden Managementpositionen mit einer überwachenden Funktion fast zweimal schneller abgebaut als neu geschaffen. Auf der anderen Seite werden im Bereich von Spezialisten und technischem Fachpersonal Arbeitsplätze geschaffen. Vorbei die Zeiten, in denen knapp zehn Prozent der Mitarbeiter in den Unternehmen überwachende Managementaufgaben hatten. Viele Aufgaben sind heute so kom-plex geworden, dass es produktiver ist, sie von Projektteams, die aus Spezialisten bestehen, autonom ausführen zu lassen. Was zählt, ist das Ergebnis und nicht ein bürokratischer Aufwand. Die Tatsache, dass die Anzahl der Managementposten kleiner wird, hat für die Karriereplanung drastische Konsequenzen. Die grössten Chancen, auch in Zukunft interessante Aufgaben erledigen zu können, haben die, die als Fachleute und Spezialisten brillieren können.
TREND 3
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Multioptionskarriere: Heute Manager, morgen Wirt, übermorgen Ausbilder.
Das Berufsleben wird in Zukunft mehr Überraschungen bereithalten als heute. Firmen wandeln sich schnell, Aufgaben werden überflüssig und durch neue ersetzt. Man muss sich an die Gegebenheiten anpassen und bereit sein, neue Wege zu gehen. Schon heute schauen sich Manager, deren Position im Zuge einer Reorganisation gekippt wurde, nach Möglichkeiten um, die Branche zu wechseln oder mit ihren Fähigkeiten vollkommen neue Aufgaben anzupacken. Gefeuerte Geschäftsführer machen sich selbstständig, geschasste CEO beginnen woanders neu.
Aber nicht nur durch Zwang werden sich die Menschen in der Karriere neu orientieren: Wer sich am Ende der Entwicklungsmöglichkeiten sieht, ausgebrannt ist oder sich schlicht und einfach fragt: «War das alles?», wird wie selbstverständlich Neues anfangen können.
Das setzt einiges an persönlichem Einsatz voraus: Man muss flexibel bleiben, sich mit neuen Dingen und Entwicklungen auseinander setzen und lebenslang lernen. Entscheidend ist dabei die Fähigkeit, von den alten Sicherheiten und Gewohnheiten lassen zu können.
Die Nutzniesser dieser Entwicklung werden die gut ausgebildeten Allrounder mit Spezialkenntnissen sein. Verlierer sind die Leute in den weniger qualifizierten Tätigkeiten.
TREND 4
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Virtuelle Organisationen: Der Ort spielt immer weniger eine Rolle.
Die Deutsche Bank hat es vorgemacht: Ganze Abteilungen des Backoffice werden in Billiglohn-länder ausquartiert. Branchenkenner vermuten, dass selbst so qualifizierte Tätigkeiten wie die eines Analysten genauso gut von Neu-Delhi wie Zürich, Frankfurt oder London aus gemacht werden können. Der Ort spielt immer weniger eine Rolle. Die Firmenzugehörigkeit ebenso. Entscheidend in der Wirtschaft von morgen sind die konkreten Ergebnisse. Von wem und wo die erarbeitet werden, ist egal. Bereits heute arbeiten in den grossen Konzernen Teams zusammen, die sich regelmässig zu Videokonferenzen statt am Kaffeeautomaten treffen. Längst ist es kein Problem mehr, in Firmennetzwerken von überall her auf Daten zuzugreifen und mit ihnen zu arbeiten. Diese Möglichkeiten konnten bislang hauptsächlich finanzstarke Unternehmen ausschöpfen. Doch die Entwicklung begünstigt die Kleinen. Den nächsten Schub in Richtung virtueller Organisationen wird es geben, wenn die KMU und die neuen Selbstständigen Videokonferenzen verstärkt nutzen können. Ein einfaches Plug-&-Play-System bringt Apple in diesem Herbst auf den Markt. Andere Erleichterungen der Zusammenarbeit über die Grenzen des Raums hinweg bietet das neue Office von Microsoft. Wer in Projektarbeiten beweisen kann, dass er oder sie tatsächlich schnell und gut Resultate bringen kann, wird in Zukunft eine gute Chance haben.
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