Die Geschichte handelt von einem Mehrfamilienhaus auf dem völlig leer gekauften Immobilienmarkt in Zürich. Im Verkaufsdossier heisst es «solider Zustand» und «top Stadtlage». Zum See oder zum nächsten S-Bahnhof sind es nur ein paar Tramstationen, rund herum hat es Cafés, Läden, Restaurants, Kinos und vieles mehr.
Für Privatanleger, Privatanlegerinnen und «Feierabendvermieter» ist das Musik in den Ohren. Mietzinsausfälle mitten in der City von Zürich? Kaum vorstellbar.
Die Jahresmieteinnahmen aus den fünf Wohnungen sind mit rund 100 000 Franken angegeben – für Zürich günstig. Auch wenn das Objekt ein paar Makel hat, scheint dies heute der Inbegriff einer mündelsicheren Anlage zu sein. Direkt vor dem Haus liegt eine stark befahrene Strasse. Der Hinterhof mit ein paar Parkplätzen ist ruhig.
Garten hat es keinen, dafür kleine Balkone. Prächtige alte Decken, schönes Parkett und überdurchschnittliche Raumhöhen rechtfertigen allemal das Prädikat «solid».
Regeln fürs «Bietergefecht» beim Kauf eines Mehrfamilienhauses
Dieses Mehrfamilienhaus kann nur via Ausschreibung erworben werden. Spielregel Nummer eins bei solchen Ausschreibungen: Der Verkäufer beziehungsweise dessen Maklerin definiert den Mindestpreis. In diesem Fall erhoffte man sich rund 5 Millionen Franken. Innerhalb einer gegebenen Frist ist ein verbindliches Kaufangebot mitsamt Finanzierungsbestätigung einer Bank einzureichen.
Die Gewinner der ersten Runde erfahren die anderen Höchstgebote und können nachlegen. Manchmal geht dies über zwei oder drei Runden.
50 Prozent und höher liegen Gebote über dem Startpreis.
Spielregel Nummer zwei: Auch wenn die Privaten hier unter sich sind – es geht um viel Geld und nicht um Sympathie. Der oder die Meistbietende bekommt den Zuschlag. Schliesslich muss der Käufer sehr kapitalstark sein. Was hier für die Verkäufer rausgeschaut hat, ist vertraulich. Bekannt ist nur: Die Erwartungen sind «bei Weitem» übertroffen worden, heisst es.
Das ist kein Einzelfall: Im Berner Quartier Kirchenfeld lief neulich ein Bieterverfahren für ein kleines Dreifamilienhaus. Das höchste Gebot lag 50 Prozent über dem Startpreis und sogar mehr als doppelt so hoch wie die Verkehrswertschätzung eines namhaften Berner Experten.
Oder nehmen wir Wetzikon im Zürcher Oberland: Für einen Wohnblock war ein Mindestpreis von 9,4 Millionen Franken gefordert, beurkundet wurde ein Preis von 12,5 Millionen Franken.
Akteure beim Immobilienkauf: «Private suchen Anlage»
«Bei solchen Mehrfamilienhäusern sind meist Privatpersonen die Interessenten, die eine Kapitalanlage suchen», erzählt Claudio Walde, Leiter Anlageimmobilien bei Walde Immobilien in Zollikon ZH. Eine zweite Gruppe macht eine Mischrechnung und beabsichtigt, mindestens eine Wohnung selbst zu nutzen und den Rest an Dritte zu vermieten.
Eine dritte Gruppe kauft solche Stadtliegenschaften und verkauft die einzelnen Wohnungen im Stockwerkeigentum – zu Spitzenpreisen, versteht sich.
Bleiben wir bei der Variante längerfristige Kapitalanlage: Eine Kennzahl für eine grobe Einschätzung eines solchen Investments ist die Bruttorendite, also das Verhältnis von Kaufpreis zu den tatsächlich erzielten Mieteinnahmen. Früher – als Bundesobligationen noch einen Ertrag abwarfen – galten Bruttorenditen von 5 oder 6 Prozent als kostendeckend.
Das Fallbeispiel oben zeigt, dass wir heute in Zürich bei 2 Prozent brutto angelangt sind. Wenn der Zinsfaktor – in der Bewertung die zentrale Stellschraube – noch weiter sinkt, was dann?
Niedrige Renditen bei Anlageimmobilien
Das neuste Müsterchen aus Zürich: Ein Treuhänder, der nicht namentlich genannt werden will, sucht derzeit für einen Privatkunden Anlageimmobilien: «Mein Klient hat 20 Millionen Cash auf Bankkonti, die möglichst rasch zu investieren sind.» Der Privatanleger wäre bereit, den Gesamtbetrag bei 2 Prozent brutto zu investieren.
«In Zürich sind heute Private bereit, bei einer Nettorendite von einem halben Prozent oder 1 Prozent zu kaufen»
Roger Pascale von Engel & Völkers Invest AG
Ob sich das rechnet? Bei diesen Spitzenpreisen liegt das Verhältnis von Kaufpreis und Jahresmiete bei einem Faktor 50 oder noch mehr. Der Eigentümer muss das Objekt während fünfzig Jahren voll vermietet haben, bis das Investment bezahlt ist.
«In Zürich sind heute Private bereit, bei einer Nettorendite von einem halben Prozent oder 1 Prozent zu kaufen», bestätigt auch Roger Pascale von Engel & Völkers Invest AG. Die Nettorenditen liegen noch etwas tiefer als die Bruttorenditen, weil dabei die laufenden Unterhalts- und Nebenkosten berücksichtigt werden. «Immer noch besser, als die Negativzinsen der Bank in Kauf zu nehmen», sagt Roger Pascale.
Auf dem ohnehin schon leer gekauften Markt sind jetzt viele Maklerinnen und Makler dazu übergegangen, Anlageimmobilien gar nicht mehr öffentlich auszuschreiben – die meisten davon gehen unter der Hand weg. Oft ist der Gang an die Öffentlichkeit auch aus Diskretionsgründen unerwünscht.
«Wir könnten mit bis zu tausend Interessierten rechnen, wenn wir ein Mehrfamilienhaus an guter Stadtlage öffentlich auf den Plattformen inserieren», betont Claudio Walde.
Schätzungsexperten warnen bei Wohnimmobilien
Die immer deutlicheren Warnungen von Schätzungsexperten und der Schweizerischen Nationalbank verhallen ohne jede Wirkung. Erst im August sagte SNB-Vize Fritz Zurbrügg klipp und klar, dass die SNB gerade bei den Wohnimmobilien «die grössten Risiken sieht».
«Am aggressivsten im Einkauf sind aber Privatpersonen»
Der Kauflust tut dies offenbar keinen Abbruch. Nach den Marktdaten des Beratungsunternehmens Wüest Partner steigen die Spitzenpreise für Mehrfamilienhäuser in den Städten weiter; nur in ländlichen Regionen scheint sich eher eine Seitwärtsentwicklung abzuzeichnen. Da Anlagen in den grossen Ballungsräumen kaum noch aufzuspüren sind, schwappt die Nachfragewelle praktisch übers ganze Land.
«In unserer Region ist es gang und gäbe, dass Investorinnen und Investoren aus Zürich oder Basel mitbieten», sagt Lars Egger, CEO der Espace Real Estate AG mit Sitz in Solothurn. Selbst Pensionskassen und Vorsorgeeinrichtungen fallen durch eine Zahlungsbereitschaft auf, die man bis vor Kurzem niemals für möglich gehalten hätte.
«Am aggressivsten im Einkauf sind aber Privatpersonen», warnt Lars Egger.
Die Banken: Dämpfen sie den Markt?
Während institutionelle Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen ihre Immobilen weitgehend oder vollständig mit eigenen Mitteln finanzieren, nehmen Private Hypotheken auf.
Nicht zuletzt auf Druck der SNB agieren die Banken jetzt konservativer: «Bei Mehrfamilienhäusern mit mehreren Wohnungen prüfen die Banken, ob ausreichend Cashflows nachgewiesen sind», erläutert Lorenz Heim vom VZ Vermögenszentrum. Kurz zusammengefasst: Die Mieterträge müssen ausreichen, um alle Kosten zu decken.
«1000 Interessierte bei einer öffentlichen Ausschreibung für ein Stadthaus an guter Lage.»
Claudio Walde, Walde Immobilien
Bei den Fremdkapitalkosten setzen die Darlehensgeber bekanntlich einen kalkulatorischen Zins von 5 Prozent ein. «Daraus ergibt sich quasi eine natürliche Bremse», so Lorenz Heim. Die hohe Tragbarkeitsanforderung setzt ganz einfach den maximal möglichen Belehnungswert herunter. De facto finanzieren die Banken also längst nicht mehr 75 oder 80 Prozent, sondern meist nur noch 60 Prozent.
Die Privatanlegenden müssen daher mehr Eigenkapital einschiessen. Aus Risikosicht macht es auch Sinn, dass bei Renditeimmobilien seit 2020 strengere Amortisationsregeln gelten (Amortisationsfrist von zehn Jahren, um auf eine Belehnung von zwei Dritteln zu kommen).
Trotzdem besteht kein Zweifel: Höhere Zinsen stellen für den Immobilien- und indirekt für den Kreditmarkt ein sehr hohes Risiko dar. Die vermeintlich sichere Kapitalanlage würde bei steigenden Zinsen für Privatanlegende, die Hypotheken aufgenommen haben, zur Schuldenfalle.
Jetzt noch einsteigen beim Immobilienkauf?
Ist es für einen Einstieg nicht schon zu spät? Nehmen wir an, eine Privatperson will 2 Millionen Franken aus einer Erbschaft platzieren. Eines ist bei dieser Ausgangslage schon klar: In Zürich gibt es bei diesem Betrag gar nichts zu kaufen. Der Anleger müsste auf den Kauf von Eigentumswohnungen ausweichen (Buy-to-let). Oder als Variante zwei: Der Anleger oder die Anlegerin kauft in Brugg, Solothurn oder Burgdorf.
Dort sind die Kaufpreise deutlich tiefer und umgekehrt die ausgewiesenen Renditen höher. Da finden sich schon mal Objekte mit 3 bis 4 Prozent brutto. «Immobilien sind aber immer mit Aufwand verbunden und auch nicht leicht wiederverkäuflich wie eine Aktie», wendet Lorenz Heim vom VZ ein.
Diversifikation
Die goldene Regel der Kapitalanlage, «Nicht alle Eier in einen Korb», gilt natürlich auch für Immobilieninvestments. Wer die gesamte Erbschaft oder den grössten Teil seines Vermögens in Mehrfamilienhäuser investiert, ist ungenügend diversifiziert. Bei Wertschwankungen auf dem Immobilienmarkt und länger dauernden Leerständen sind erhebliche Verluste nicht ausgeschlossen.
Illiquidität
Während Kleinanlegerinnen und Kleinanleger ihre Anteile von Immobilienaktiengesellschaften oder Immobilienfonds an der Börse jederzeit kaufen und verkaufen können, sieht die Realität bei Immobilien im Direktbesitz ganz anders aus. Handänderungen sind immer mit Kosten, Aufwand und Zeit verbunden.
Nicht zu vergessen: Je nach Wirtschaftslage und je nach Marktregion finden sich manchmal überhaupt keine Kaufinteressenten für ein Objekt.
Kostenwahrheit
Neubauten in tadellosem Zustand kommen selten als Anlageobjekte auf den Markt. De facto sind es meist Altliegenschaften mit einem erheblichen Renovationsbedarf. Vor einem Kauf sollten Sie sich deshalb beraten lassen und einen Businessplan für die Ertrags- und die Kostenseite aufstellen.
Selbst für Neubauten oder neuere Wohnhäuser gilt: Sämtliche Bauteile und die technischen Installationen müssen Jahr für Jahr 1 bis 2 Prozent abgeschrieben werden. Wenn eines Tages eine grössere Sanierung ansteht, inklusive Heizung, Fassade und Haustechnik, wird es richtig teuer.
Richtig gerechnet muss man sich die Frage stellen: Decken die Mieten längerfristig alle Kosten? Um von realistischen Grössenordnungen auszugehen, kann sich eine gründliche Zustandsanalyse oder die fachliche Einschätzung eines Immobilientreuhänders lohnen.
Verwaltungsaufwand
Wenn Sie als Eigentümer oder Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses eine Drittfirma mit der Bewirtschaftung beauftragen, kostet dies rund 3,5 bis 5 Prozent der Mieterträge. Die Honorare der Verwaltungen sind sehr unterschiedlich und bis zu einem gewissen Grad natürlich Verhandlungssache. Einzelobjekte oder Einfamilienhäuser kommen die Eigentümerschaft meist unverhältnismässig teuer zu stehen.
Tragbarkeit der Hypothek: Praktisch alle Privatinvestoren und Privatinvestorinnen finanzieren den Kauf mit Hypotheken. Die extrem tiefen Zinsen erwecken den Anschein einer relativ günstigen und attraktiven Investition. Dennoch muss der Schuldner sicherstellen, die Hypothek jederzeit bedienen und zügig amortisieren zu können.
Zeitaufwand
Wer direkt in Immobilien investiert und sie verwaltet, schlüpft in die Rolle einer Unternehmerin oder eines Unternehmers. Das setzt einiges an Know-how voraus und ist mit viel Zeitaufwand verbunden (Vermietung, Reparaturen und Gebäudeunterhalt, Buchhaltung, Nebenkosten, Steuern, Vermarktung und Mieterbetreuung etc.).
Gerade für sogenannte Feierabendvermieter erweist sich das Mietrecht immer wieder als höchst komplex. Schon beim Anfangsmietzins, bei einer Kündigung oder Mietzinsanpassung unterlaufen Privaten rasch einmal Formfehler, die Zeit und Geld kosten. Auch im Zusammenhang mit Nebenkosten, im Umgang mit Handwerkern, Nachbarn oder Behörden lauern etliche Fallstricke.
Leerstände
Insolvente Mieterinnen und Mieter oder ein Neubau, der einem die schöne Sicht verbaut, können die Ertragsrechnung schnell aus der Balance bringen. Wenn eine Eigentümerschaft aber nur ein kleines Objekt mit drei bis vier Wohnungen besitzt, kann schon ein vorübergehender Leerstand in einer einzigen Wohnung die Ertragssituation deutlich verschlechtern.
Da sei es fraglich, ob das Renditeniveau eine angemessene Entschädigung für die Risiken darstelle.
Fazit zum Immobilien Investment
Wer in Immobilien investiert, muss sich diese einfache Frage stellen: «Was bezweckt das Investment»? Wer Freude an schönen Stadtliegenschaften hat und vielleicht später selbst dort wohnen will, wird wohl auch weiter bei absoluten Spitzenpreisen mitbieten.
Wer allerdings einen nüchternen «Businessplan» mit Einnahmen, Kosten und Risiken durchrechnet, sollte sich eine obere Limite setzen. Heikel sind Investments, wenn sich gleich mehrere Risiken kumulieren (siehe Box mit Checkliste). Nehmen wir als Beispiel eine Kleinanlegerin, die an einer B-Lage ein oder zwei Eigentumswohnungen als Kapitalanlage hält.
Gröbere Leerstände kämen hier schon fast einem Totalausfall auf der Ertragsseite gleich. Höhere Leerstandsrisiken gehen meist auch mit einer schlechteren Wiederverkäuflichkeit einher. Falls der Markt eines Tages unter einem anderen Vorzeichen stehen würde, finden sich für Objekte an B-Lagen kaum Käuferinnen und Käufer.
Dieser Artikel wurde das erste Mal publiziert am 30.09.2021.