Als Berufe geben die Kursteilnehmer Projektleiter, Leiter Logistik, Unternehmer, Revisor, Productmanager, EDV-Leiter oder Key Account Manager an. Und erwerben wollen sie unter anderem die Fähigkeit, eine Situation systematisch zu beurteilen und auch unter Zeitdruck brauchbare Lösungen zu erarbeiten, sie wollen ihre Stressresistenz erhöhen und ihre Leadership-Qualitäten stärken, sie möchten Controllinginstrumente zielgerichtet anwenden und Sicherheit beim Auftritt gewinnen – das eben, was junge Leute aus dem unteren und mittleren Kader, die in ihrem Beruf weiterkommen wollen, landauf, landab in Kursen lernen.
Das Bild im Kursraum indes unterscheidet sich beträchtlich von dem, was einem landauf, landab in jenen Kursräumen begegnet, in denen leistungsbereite junge Leute sich die Skills für ihre Karriere holen: Die Männer (Frauen sind nicht auszumachen) tragen keine Vestons, sondern in diversen Grüntönen gemusterte Jacken. Und auf den Post-it-Zetteln der an die Wand gepinnten Planspielskizze stehen nicht Begriffe wie «Grösster Marktplayer: Bedrohung durch ‹unfriendly takeover›» oder «Hausbank: zweite Kredittranche eingefroren», sondern «Gegnerische Kräfte: massive Ballung im Raum Winterthur–Andelfingen» und «Gefahr: Lahmlegung der elektronischen Kommunikation durch Sabotageakte». Im Armee-Ausbildungszentrum Luzern (AAL) ist vieles wie in jedem anderen Ausbildungszentrum – und dennoch ist alles ganz anders.
Tatsächlich geht es im AAL nicht darum, angehende Manager für ihre Karriere fit zu machen, sondern junge Milizoffiziere in Führungslehrgängen auf ihre Rolle als Kommandanten bei Heer und Luftwaffe oder in Stabslehrgängen zu Führungsgehilfen vorzubereiten. «Die Ausbildung der höheren Kader der Armee hat sich auf das Ziel ‹Einsatzgenügen im Kampf› auszurichten», räumt Divisionär Jean-Pierre Badet allfällige Missverständnisse aus. Und doch findet der Kommandant des AAL: «Wer das Rüstzeug hat, im Kampf zu bestehen, der meistert in der Regel – mit Zusatzausbildungen – auch Lagen unterhalb der Kriegsschwelle. Kurzum, qui peut le plus, peut le moins.» Und «unterhalb der Kriegsschwelle» kann durchaus übersetzt werden mit «auf dem ganz normalen Schlachtfeld des marktwirtschaftlichen Alltags».
Klarer Profit für den zivilen Beruf
Dass im Luzerner AAL nicht im Pulverdampf geeichte Kriegsgurgeln herangezüchtet werden, sondern das erworbene Wissen auch im zivilen Leben umsetzbar ist, bestätigen unisono Kursteilnehmer, die keineswegs den Eindruck machen, dem Reporter auf Grund ihres Tagesbefehls positive Statements ins Notizbuch diktieren zu müssen. «Hier kann ich schon in jungen Jahren lernen, mittels Motivation und Befehlen eine grössere Gruppe Leute zu einem gemeinsamen Ziel zu führen – davon werde ich auch in meinem Beruf profitieren», sagt etwa Oberleutnant Christoph Häusermann (29), ein Betriebswirtschaftler, der als Projektleiter bei einem Aargauer Designmöbelhersteller arbeitet. «Ich kann meine Leistungsfähigkeit testen – sprich: meine Grenzen erleben», nennt Oberleutnant Christian Bohli (28) seinen Gewinn vom AAL. Und überdies, so der als Projektleiter in einem Zürcher Unternehmen tätige Elektroingenieur pragmatisch, erwerbe er «kostenlos Know-how im professionellen Einsatz von Präsentationstechniken». Oberleutnant Andreas Schärer (30) schliesslich ist IT-Unternehmer in der Zentralschweiz. Auch für den Betriebswirt ist klar, dass er am AAL erworbenes Wissen in seinem Beruf nutzen können wird: «Die Armee bietet einem schon nach relativ kurzer Zeit ein Spielfeld, auf dem man seine Führungsqualitäten einbringen und markant verbessern kann.» Überdies schätzt Schärer «den im Vergleich zu meinen privaten Weiterbildungen ausgeprägten Praxisbezug» in der militärischen Kaderausbildung – zu einem unschlagbar günstigen Preis.
«Praxisbezug» oder «im Zivilleben nützlich» bringt man gerade zwingend mit militärischer Ausbildung in Verbindung. Lange führten Militärkader nach dem Grundsatz «An die Gewehre, marsch!», während in Unternehmen längst partizipative Managementstile Raum griffen und der Einbezug der Mitarbeitenden oberste Chefpflicht war.
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In der Schweizer Armee hat mittlerweile ein eigentlicher Paradigmenwechsel stattgefunden. «Unser Führungsprinzip lautet: Der Mensch steht im Zentrum», sagt Oberst Fabrizio Cianferoni, der Kommandant des AAL-Stabslehrgangs. «Wer so führen will, braucht eine hoch qualitative Ausbildung und muss analytisch denken können – das vermitteln wir.» Brigadier Marcel Fantoni, Kommandant der Generalstabsschule, der militärisches Geführtwerden und Führen vom Rekruten bis zu seiner heutigen Position am eigenen Leib erlebt hat, sieht einen enormen Wandel: «Die Zeit, als ein Kommandant seine Leute im Halbkreis antreten lassen konnte und alles in Minne war, wenn er zeigte, wo es langgeht, sind längst vorbei. Heute muss der Chef mehr als Coach auftreten, also nicht immer nur Recht haben und alle Probleme selber lösen wollen, sondern Ziele aufzeigen und gemeinsame Wege suchen, um sie zu erreichen.» Und Michael Arnold, Chef Sektion Lehre und Grundlagen am AAL, sieht die «Erosion der Autoritäten» auch in der Armee: «Man glaubt niemandem etwas bloss wegen seines Grades.» Und: «Führen ohne Einbezug der Geführten ist heute unmöglich – auch im Militär.» Arnold muss es wissen, denn er leitet das Transferprogramm, Kaderkurse, an denen Militär- und Zivilpersonen gemeinsam teilnehmen (siehe Kasten auf dieser Seite).
Arbeitgeber wieder militärfreundlicher
Der Wertewandel in der militärischen Kaderausbildung kommt gerade zur rechten Zeit. Denn mit den verkleinerten Beständen der Armee XXI akzentuiert sich das Problem, dass sich immer weniger Schweizer für eine Offizierslaufbahn entschieden, weil sie lieber in ihre berufliche Fortbildung investierten, statt im Militär einen im Zivilleben untauglichen Führungsstil zu lernen. Es kann jedenfalls kein Zufall sein, dass sich wieder vermehrt junge Schweizer für eine Militärlaufbahn interessieren – und dass zugleich ihre Arbeitgeber wieder eher bereit sind, die damit verbundenen Absenzen zu tolerieren. «Lange wurde in den Unternehmen die Abwesenheit von jungen Kaderleuten wegen Militärdienst nur als Problem erkannt», so AAL-Kommandant Jean-Pierre Badet, «doch jetzt gibt es klare Signale für einen Wandel: Die Arbeitgeber erkennen, dass ihre jungen Kader bei uns Fähigkeiten erwerben, die ihre Leistungen am Arbeitsplatz verbessern. Die militärische Führungslehre erlebt eine eigentliche Renaissance.» Und Divisionär Ulrich Zwygart, designierter Kommandant Höhere Kaderausbildung der Armee (siehe Kasten rechts), ist überzeugt: «Das Erlernen von strukturiertem Denken, Stressresistenz und Disziplin gehören zu den zentralen Zielen einer Militärkaderausbildung. Genau diese Anforderungen stellt auch die Wirtschaft an ihre Kaderleute.» Und noch etwas hat sich in den militärischen Kaderschmieden verändert: « Wir wollen Spitzenlehrgänge anbieten», so Zwygart. Vorbei scheinen die Zeiten, als die Schweizer Armee um jeden froh war, wenn er denn nur einrückte, um seinen steifen Hut abzuverdienen. Bereits laufen Vorbereitungen, einzelne Ausbildungsteile zu zertifizieren, und als Fernziel sollen AAL-Kurse ins europäische Bildungssystem eingebettet sein und wie Ausbildungen an Fachhochschulen oder Universitäten mit «Bologna»-Punkten belohnt werden.
Auch wenn Unternehmen von jungen Kaderleuten profitieren, die im Dienst gelernt haben, mit Zielen zu führen, die eine Lagebeurteilung vorzunehmen im Stande sind und die Leadership-Qualitäten haben: Der Faktor Zeit bleibt ein Problem. «Als Unternehmer ist es eine grosse Belastung, drei Wochen lang von Montag bis Freitag jeweils von morgens um 7 bis abends um 23 Uhr im AAL zu lernen. Irgendwann müsste ich mich auch noch um meine private Arbeit kümmern können», sagt Andreas Schärer. Auch Christoph Häusermann fragt sich, was «bei dermassen viel Stoff» letztlich hängen bleibt. Und Christian Bohli findet: «Ich habe noch keine Ausbildung mit einer derart grossen Präsenzzeit erlebt.» Am AAL ist das Problem bekannt, doch lösen lässt es sich nicht: Längere Kurse möchte man Absolventen wegen ihrer Arbeitgeber nicht zumuten, weniger Stoff würde die hohen Ansprüche torpedieren.
Nicht nur nehmen, sondern auch geben
Jean-Pierre Badet kann mit dem scheinbaren Widerspruch gut leben: «Es ist selbstverständlich positiv, wenn Unternehmen feststellen, dass sie von Leuten profitieren, die bei uns eine Kaderausbildung absolviert haben. Aber wer zu uns kommt, muss wissen, dass er nicht nur etwas bekommt, sondern auch etwas geben muss. Mit der Einstellung ‹Was bringts?› ist es nicht getan.» So wird am AAL Stressresistanz weiterhin nicht am Beispiel von Fusionsverhandlungen zwischen zwei Unternehmen geübt, sondern an militärischen Themen – und das soll auch so bleiben. Für Andreas Schärer war gerade die Bereitschaft, nicht nur an seinen Return on Investment zu denken, ein Grund für das Ja zu einer militärischen Kaderausbildung:
«Im Beruf geht es ums Verkaufen; die Wirtschaft ist monetär gesteuert. Hier geht es auch darum, seinen Beitrag für die Allgemeinheit zu leisten. Umso besser, wenn das Gelernte auch im Zivilleben eingesetzt werden kann.»
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