Das globale Wirtschaftswachstum ist langsam. Daran dürfte sich so schnell nichts ändern. Machen Regierungen und Zentralbanken zu wenig, damit es wieder aufwärts geht?
Didier Borowski*: Bezüglich der Zentralbanken würde ich das nicht behaupten. Sie tun, was sie können, um ein wachstumsfreundliches Umfeld zu schaffen. Die niedrigen Zinsen sind eine wichtige Voraussetzung für die Erholung. Doch mit Geldpolitik alleine ist es nicht getan.
Die Politik ist also gefordert.
Genau. Die Notenbanken sind mit ihren Massnahmen fast am Limit. Deshalb brauchen wir zusätzlich eine wachstumsfreundliche Haushaltspolitik. Die Staaten müssen in Infrastruktur, Bildung und so weiter investieren. Es geht darum, der Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen – auch wenn dies zunächst einmal Mehrausgaben bedeutet. Für einen grossen Anteil ihrer Schulden müssen Staaten heute keine Zinsen mehr zahlen. Dies reduziert den Druck auf die Budgets und schafft Raum für Massnahmen. Das sollte genutzt werden.
Was heisst das konkret?
Beispielsweise müssten wir den Umstieg auf erneuerbare Energien viel aggressiver vorantreiben. In vielen Industrieländern sollte das Problem der alternden Infrastruktur angegangen werden. Und in der Eurozone muss man verstehen, dass sich starre Defizitziele als kontraproduktiv erweisen können. Entscheidend ist nicht unbedingt die Höhe des Defizits, sondern die Struktur der Steuern und Ausgaben. Tiefere Steuern und kluge Ausgaben können das Budget belasten – doch langfristig wirken sie sich positiv auf das Wachstum und die Budgetsituation aus.
Immerhin pumpen Notenbanken weltweit Milliarden in die Wirtschaft. Warum werden mit diesem Geld nicht mehr Jobs geschaffen?
Firmen zögern weiterhin mit ihren Investitionen, weil sie von einem geringen globalen Wachstum ausgehen und auch der Welthandel unter Druck steht. Deshalb braucht es zusätzliche Strukturreformen und staatliche Ausgaben. Die Produktivität ist weltweit zurückgegangen und im Moment wird das Wachstum hauptsächlich vom privaten Konsum getragen. Dies führt aber zu einem fragilen Konjunkturzyklus.
Im kommenden Jahr könnte das globale Wachstum leicht zulegen. Wo sehen sie Risiken für diese Entwicklung?
Das wichtigste Risiko kommt von politischer Seite. Es gibt viel Unsicherheit. Wir wissen nicht, wer US-Präsident wird und in Europa stehen der Brexit und Wahlen in Italien, Frankreich und Deutschland an. Das kann zu höherer Volatilität an den Märkten führen.
Wäre Donald Trump als Präsident eine Gefahr für die Weltwirtschaft?
Wenn er alle seine Ankündigungen umsetzen würde, wäre er sehr gefährlich. Aber ich bezweifle stark, dass er einen grossen Handlungsspielraum hätte, sollte er die Wahl tatsächlich gewinnen. Trump hat viele Gegner, auch im eigenen Lager. Seine extremsten Pläne haben kaum Chancen. Die meisten Republikaner wollen beispielsweise Steuersenkungen und geringere Staatsausgaben. Die Steuersenkungen sollen sich also nicht auf das Defizit auswirken. Die Vorschläge von Donald Trump laufen dem entgegen. Ausserdem würden seine angekündigten protektionistischen Massnahmen den globalen Handel und das Wachstum beeinträchtigen, was wohl die grösste Gefahr für den Welthandel darstellt.
Auch Hillary Clinton hätte es als Präsidentin schwer.
Niemand spricht davon, aber die Gefahr einer handlungsunfähigen Regierung in den USA ist sehr gross. Es ist gut möglich, dass der Kongress in den nächsten Jahren wichtige Reformen blockieren wird – egal ob der Präsident Donald Trump oder Hillary Clinton heisst.
Ein weiteres Risiko ist der Brexit. Wie sieht der Fahrplan aus?
Die britische Regierung hat gerade beschlossen, den Artikel 50 vor Ende März 2017 auszulösen. Danach bleiben zwei Jahre für die schwierigen Austrittsverhandlungen. Das ist sehr kurz. Solange aber beide Seiten an einer Lösung interessiert sind, in der Grossbritannien möglichst nahe an der EU gehalten wird, erwarten wir keine grossen Verwerfungen an den Märkten. Allerdings sieht es so aus, also ob die Befürworter eines harten Brexits Oberwasser hätten. Doch vor den Wahlen in Deutschland im Herbst 2017 werden die Verhandlungen wenig vorankommen, was das Britische Pfund unter Druck setzt.
Könnte Europa zerbrechen?
In verschiedenen Ländern sehen wir einen Aufstieg populistischer und protektionistischer Parteien. Solange es nicht gelingt, mehr Wachstum und Jobs zu generieren, werden diese Parteien weiter zulegen. Das sorgt für Unsicherheit – und Unsicherheit ist Gift für das Wachstum.
Eine grosse Sorge für die Weltwirtschaft war zuletzt die wirtschaftliche Verlangsamung in China. Ist dieses Problem nun überwunden?
Auf kurze Sicht hat sich die Lage beruhigt. Doch die Erholung ist mit einer sehr expansiven Ausgaben- und Geldpolitik erkauft worden. Die private Verschuldung ist extrem hoch und somit schwebt das Damoklesschwert über der volkswirtschaftlichen Stabilität.
Hat die kommunistische Führung einen guten Job gemacht im letzten Jahr?
Die Massnahmen waren notwendig, aber nicht ausreichend. Zwar ist es gelungen, eine harte Landung abzuwenden und die Wirtschaft zu stabilisieren. Für eine Entwarnung ist es aber zu früh. Langfristig muss der private Sektor entschuldet werden, denn nur mit staatlichen Investitionen lässt sich keine nachhaltige Entwicklung bestreiten. Ein neues Gleichgewicht in der Wirtschaft mit der Hinwendung zu mehr Konsum im Inland zu erreichen, ist eine gewaltige Aufgabe.
Nicht nur die Entwicklung in China, sondern auch andere Prozesse deuten darauf, dass der Höhepunkt der Globalisierung überschritten ist. Einverstanden?
Es gibt keine Entglobalisierung, aber eine gebremste Globalisierung. Der Welthandel war während der letzten fünf Jahre extrem schwach und wir erwarten, dass das Wachstum im Vergleich zur Phase vor der Finanzkrise gedämpft bleiben wird. Die Verlangsamung des globalen Handels spiegelt auch die Investitionsschwäche vieler Industrienationen wider. Das heisst, der Welthandel übernimmt nicht mehr die Rolle der Wachstumsmaschine. Das ist wirklich eine neue Entwicklung, wenn man bedenkt, dass der globale Handel vor der Finanzkrise 2007/08 über viele Jahre doppelt so stark wie die Weltwirtschaft gewachsen ist.
Ist das ein Problem?
Es ist nicht gut, weil gleichzeitig auch das potenzielle Wachstum aufgrund des demografischen Wandels und geringerer Produktivitätsgewinne langsamer ist, als in der Vergangenheit. Doch es gibt auch eine positive Seite: Die Konjunkturzyklen in Ländern und Regionen entkoppeln sich voneinander. Denn hinter dem globalen Wachstum steckte bisher der globale Handel als gemeinsamer Faktor. Sind die Zyklen nun unabhängiger, sinkt die Gefahr, dass eine isolierte Rezession eine Kettenreaktion auslöst.
Was bedeutet eine konsumbasierte Wirtschaft für die Zukunft?
Der Konsum erklärt die Widerstandsfähigkeit des Dienstleistungssektors und dieser wird für die Weltwirtschaft immer wichtiger. Aber das System ist fragil. Wir leben in einer Welt, in der exzessiv gespart wird und in der es zu wenig Investitionen gibt. Das ist langfristig nicht tragbar. Ohne weitere Investitionen finden wir nicht aus der Falle der niedrigen Inflation und eines schleppenden Wachstums. Mit Blick auf die steigende private und öffentliche Verschuldung ist das eine gefährliche Situation.
*Didier Borowski ist Chefökonom von Amundi Asset Management. Der grösste Vermögensverwalter Europas mit Hauptsitz in Paris hat über 100 Millionen Kunden in 30 Ländern.