Der Trend ist deutlich erkennbar: In Deutschland boomen nachhaltige Finanzprodukte. Laut einer Studie des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI) flossen 2019 insgesamt 17,5 Milliarden Euro mehr in Fonds und ETFs als im Jahr 2018. Davon entfallen mit 40 Prozent fast die Hälfte auf nachhaltige Produkte.
Auch Finanzexperten sehen in nachhaltiger Geldanlage mittlerweile mehr als nur eine Nische. Der Fondsanbieter Fidelity hat seine hauseigenen Analysten zu dem Thema befragt, die 2020 dabei als «Zeitenwende für Nachhaltigkeit» betrachten. Laut der Erhebung entdecken Unternehmen weltweit zunehmend, dass sie nicht nur das Richtige tun, wenn sie Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren — kurz ESG von englisch Environment, Social und Governance — berücksichtigten. Sie verstehen auch, dass sich ein solches Verhalten wirtschaftlich lohne.
Rund 90 Prozent der Analysten von Fidelity berichten, dass nahezu alle von ihnen beobachteten Unternehmen ESG-Themen mehr Beachtung schenkten. 2019 gaben dies nur 70 Prozent an. Somit scheint das Thema Nachhaltigkeit auch in der Geldanlage immer stärker den Mainstream zu erreichen. Die Diskussionen um Klimaschutz und Proteste von Fridays for Futures bringen das Thema immer stärker in die Öffentlichkeit und bewegt auch Investoren zum Umdenken.
Das Interesse spüren auch Banken und Fondsgesellschaften, was an der steigenden Anzahl an nachhaltigen Finanzprodukten erkennbar ist. Doch es gibt für Anleger ein gewaltiges Problem. «Es ist nicht einfach für Anleger, ein wirklich nachhaltiges Finanzprodukt zu finden. Es reicht nicht aus, sich auf den Namen des Fonds oder des ETFs zu verlassen», warnt Jörg Weber von Ecoreporter gegenüber Business Insider. Er beschäftigt sich mehr als 20 Jahre als Chefredakteur des Branchendienstes mit nachhaltiger Geldanlage.
Begriff «Nachhaltigkeit» ist nicht geschützt
Das Problem: Viele Banken wollen von dem Trend offenbar profitieren. «Derzeit werden von zahlreichen Banken viele neue, vermeintlich nachhaltige Finanzprodukte aufgelegt, allerdings handelt es sich dabei häufig um unseriöses Greenwashing», stellt Weber klar und ergänzt: «Es gibt keine klaren Nachhaltigkeitskriterien und es finden sich häufig Aktien in den Depots, die Anleger nicht darin vermuten würden.»
Tatsächlich ist die Diskussion um Anlagekriterien derzeit in vollem Gange. Der Begriff «Nachhaltigkeit» ist nicht geschützt, weshalb es auch keine Standards für nachhaltige Finanzprodukte gibt. Nicht selten finden sich daher Aktien von Auto- oder Ölkonzernen in nachhaltigen Fonds. Der Grund dafür liegt im Ansatz der Gesellschaften.
«Einige Anbieter verfolgen einen ‹Best-in-Class-Ansatz›, wonach die nachhaltigsten Firmen einer Branche ins Depot aufgenommen dürfen — also auch die nachhaltigsten Flug- oder Ölgesellschaften, die zum großen Teil alles andere als klimafreundlich wirtschaften», erklärt Weber.
►Dieser Text wurde zuerst unter dem Titel «Nachhaltige ETFs und Fonds: Anleger können leicht auf Mogelpackungen hereinfallen» im «Business Insider Deutschland» publiziert.
Fonds mit Nachhaltigkeitsbezug
Aus dem Ölsektor sei häufig der französische Konzern Total vertreten. Tatsächlich bewegt sich das Unternehmen in Richtung E-Mobilität und hat jüngst in Berlin eine Direktion «Mobilität & Neue Energien» eingerichtet. Dennoch erzielt Total den Grossteil seiner Gewinne mit dem klassischen Ölgeschäft.
Mitunter sei der Best-in-Class-Ansatz sogar so definiert, dass lediglich die 20 Prozent der Firmen nicht im Produkt landen dürften, die am wenigsten nachhaltig wirtschaften — alle anderen dagegen schon.
Bedeutet: Wer Ölfirmen oder Konzerne aus anderen nicht-nachhaltigen Geschäftsfeldern ausschliessen möchte, muss sich sehr genau informieren. «Es gibt derzeit etwa 500 für Privatanleger zugelassene Fonds und ETFs, die einen Nachhaltigkeitsbezug haben. Es schafft kein Anleger, all diese Produkte im Detail zu untersuchen, wie nachhaltig sie wirklich sind», sagt Weber.
Unbewusst eine Mogelpackung kaufen
Eine Definition des Begriffs Nachhaltigkeit steht daher immer wieder im Raum — auch auf EU-Ebene. So wird zwar diskutiert, über eine gemeinsame Richtlinie, doch noch sind die Staaten zögerlich. «Eine EU-Vorgabe könnte die Situation noch verschlimmern», meint Jörg Weber. «Frankreich definiert beispielsweise Atomstrom als nachhaltig — sieht das auch die EU so, könnten sich Stromanbieter, die auf Atomkraft setzen bald auch mit EU-Erlaubnis in nachhaltigen Finanzprodukten befinden.»
Somit würde der Aufwand für Privatanleger nicht weniger werden. Stattdessen hat der Chefredakteur von Ecoreporter einen anderen Vorschlag: Zum einen sollten Kapitalgesellschaften immer transparent ihre jeweiligen Nachhaltigkeitskriterien offenlegen und diese nicht nur auf Nachfrage mitteilen.
«Zum anderen sollte für jedes nachhaltige Finanzprodukt eine Klimabilanz veröffentlicht werden, dann können Anleger selbst entscheiden, welchen Massstab sie für ein nachhaltiges Finanzprodukt anlegen wollen», sagt Weber.
Auf diesem Weg könnten die Produkte in einem Ranking dargestellt werden. Somit könnte ein Anleger selbst vergleichen, wie die Klimabilanz des Produkts ausfällt und welche Rendite es erzielt. Nimmt der Anleger eine schwächere Klimabilanz für eine bessere Rendite in Kauf, ist es seine Wahl. So könnten Anleger, die bewusst ein rein nachhaltiges Produkt suchen auf einen Blick erkennen, wo sie es finden — und wären nicht mehr in der Gefahr, unbewusst eine Mogelpackung zu kaufen.
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