Was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte?
Renato Flückiger*: Die Inflationsängste aus den USA sorgen derzeit für Unruhe. Dazu kommen Sorgen um eine wieder anziehende Staatsverschuldung in den USA. Dieser Cocktail hat die Renditen der Staatsanleihen hochschnellen lassen und somit zu einer Neubewertung der Aktien geführt. Die wichtigsten Börsenplätze haben innert kurzer Zeit 10 Prozent von ihren Höchstständen verloren. Die Marktteilnehmer konzentrieren sich aktuell stark auf die Lohn- und Inflationsdaten und weniger auf die weiterhin robusten Fundamentaldaten.

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Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Die Stimmung wird noch einige Tage von Vorsicht und Nervosität geprägt sein, wobei die Schweizer Börse von der Entwicklung der US-Börsen beeinflusst wird. Somit wird der Trend in den nächsten Tagen von der Wall Street vorgegeben werden und nicht von den Zukunftsaussichten der Schweizer Unternehmungen. Ich erwarte kurzfristig eine Stabilisierung der Aktienmärkte. Wer jetzt Mut hat für Zukäufe, hat eine reelle Chance, sich Ende Jahr darüber zu freuen.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Bei gleichzeitig steigenden Gewinnerwartungen und der weiterhin robusten konjunkturellen Situation dürften sich die Mittelzuflüsse wieder verstärken. Deshalb traue ich dem SMI auf in zwölf Monaten einen Anstieg von bis zu 10 Prozent zu. Das würde einem Stand von etwa 9700 Punkten entsprechen.

Die US-Steuerreform hat Einfluss auf viele Konzernabschlüsse. Welche Schweizer Unternehmen profitieren besonders stark davon?
Damit ein Schweizer Unternehmen von der Senkung der Unternehmenssteuer profitieren kann, muss es drei Voraussetzungen erfüllen: Es muss in den USA produzieren, die Produkte in den USA verkaufen und daraus einen Gewinn erzielen. Autoneum ist so ein Beispiel: Der Automobilzulieferer nimmt fast jeden zweiten Franken in den USA ein und produziert vor Ort. Erfreulich dürfte die Reform auch für Zurich Insurance ausfallen – der Konzern setzt jeden dritten Franken in den USA um. Auch Lindt & Sprüngli und Nestlé dürften zu den Gewinnern gehören.

Renato_Flueckiger_Valiant_Boerseninterview

*Renato Flückiger ist seit August 2012 CIO der Bank Valiant in Bern. Zuvor war der Betriebsökonom bei der Grossbank UBS in verschiedenen Funktionen tätig. Renato Flückiger hat an der Fachhochschule in Bern studiert und besitzt zudem das Diplom des Chartered Financial Analyst.

Quelle: ZVG

Die US-Steuerreform wird die amerikanische Staatsschulden weiter erhöhen. Birgt dieser wachsende Schuldenberg Risiken für die Weltwirtschaft?
Die Kombination aus Steuerreform und milliardenschwerem Investitionsprogramm kommt aus unserer Sicht zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die ansteigende Staatsverschuldung wird mittelfristig Fragen zur Bonität der USA aufkommen lassen. Investoren könnten also für US-Staatsanleihen höhere Zinsen verlangen, was die Zinskurve weiter nach oben drücken würde. Das heisst, der US-Haushalt müsste mehr Mittel für seinen Schuldendienst aufbringen. Das könnte die Konjunktur zwar bremsen, wäre jedoch nicht mit signifikanten Risiken für die Weltwirtschaft verbunden.

Innert zwei Wochen sind die Kurse insbesondere an den US-Börsen stark gesunken. Müssen Anleger mit weiteren starken Kursverlusten an den Börsen rechnen?
Es handelt sich um eine längst überfällige Korrektur: Bis jetzt sieht es nicht nach einem nachhaltigen Börsenbeben aus. Dazu bräuchte es einen deutlicheren Inflationsschub, eine Konjunkturabschwächung oder negative Gewinnrevisionen – alles eher unwahrscheinlich. Treibend sind unseres Erachtens weiterhin die Fundamentaldaten. Das robuste Wirtschaftswachstum schlägt sich in den Auftragsbüchern der US-Unternehmen nieder, was wiederum die Gewinnaussichten erhöhen und die Aktienkurse unterstützen wird.

Der Euro hat sich gegenüber dem Schweizer Franken deutlich aufgewertet. Rechnen Sie mit einer anhaltenden Frankenschwäche?
Die letzten Wochen haben gezeigt, dass der Franken bei zunehmender Risikoaversion wieder gesucht ist. Nach den Wahlen in Italien und der Regierungsbildung in Deutschland dürften verstärkte Mittelabflüsse den Franken wieder schwächen. Zudem sprechen seine nach wie vor hohe Bewertung, der robuste Konjunkturverlauf in den Euroländern und die Aussicht auf eine Beendigung des Wertpapierkaufprogramms der EZB für eine weitere Abschwächung des Frankens. Allerdings dürfte sich die ehemalige Mindestkursgrenze von CHF 1.20 zum Euro als zu hohe Hürde erweisen und die Abwertung eindämmen.