In luftiger Höhe balancieren die Akrobaten im Zirkus über dünne Seile und vollführen atemberaubende Sprünge am Trapez. Ein falscher Schritt, eine verfehlte Landung, und die Folgen wären fatal, würde nicht ein stabiles Netz die Artisten auffangen.

Ähnlich verhielt es sich bis vor kurzem mit der Verteilung der Rollen zwischen Obligationen und Aktien. Während festverzinsliche Wertpapiere für Sicherheit und Stabilität, sprich: Werterhaltung im Depot, zuständig waren, fiel der spektakuläre Part den Dividendenpapieren zu. Für Bonds galt hingegen über Jahrzehnte das Credo, dass sie sicher, aber langweilig sind und vergleichsweise bescheiden rentieren. Die Mehrheit der Investoren behandelte Obligationen entsprechend stiefmütterlich, im Vordergrund stand bei der Definition der Portfolio-Struktur vor allem die Aktienquote. Obligationen teilten sich mit Immobilien oder alternativen Anlagen die restlichen Anteile eines diversifizierten Wertschriftendepots.

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Seit Herbst 2008, als die Lehman-Pleite beinahe das globale Finanzsystem kollabieren liess, haben sich das Umfeld für Obligationen und die Wahrnehmung durch Anleger und Medien jedoch deutlich verändert. Die anhaltenden Unsicherheiten über die Entwicklung der Finanzmärkte und die globale Konjunktur rückten festverzinsliche Papiere als vergleichsweise sichere Anlage in den Fokus. Der massive Zustrom an Geldern drückte die Renditen von zehnjährigen Staatspapieren in den USA, Deutschland oder der Schweiz auf Tiefstände (siehe «Absturz» im Anhang).

Sicherungsanker. Diese Popularität kommt aber nicht von ungefähr, denn Obligationen sind weltweit das mit Abstand wichtigste Anlagevehikel. Die Kapitalisierung von Bonds übersteigt die globale Aktienkapitalisierung deutlich.

Für Stephan Kuhnke, Leiter Portfoliomanagement bei der auf Anleihenmanagement spezialisierten Bantleon Bank, erfüllen Obligationen höchster Güte – also Investment Grade – im jetzigen Marktumfeld die Funktion eines Sicherungsankers. «Als einzige Anlageklasse weisen Bonds eine negative Korrelation zur Konjunkturentwicklung auf. Sie vermögen dadurch Verluste in Aktien oder Rohstoffen abzufedern und stabilisieren das Gesamtportfolio», führt Kuhnke aus. Dass sich zudem Obligationen punkto Rendite nicht per se hinter Aktien verstecken müssen, zeigt der langjährige Vergleich zwischen dem Deutschen Aktienindex (DAX) und dem Deutschen Rentenindex (REX; siehe «Gleichauf» im Anhang).

Dass Staatsanleihen im veränderten Wirtschafts- und Finanzumfeld jedoch keine risikofreien Selbstläufer mehr sind, musste mancher Anleger in den letzten zwölf Monaten auf die «harte Tour» lernen. Je nach Bonität der Anleihe schwankten die Kurse heftig und strapazierten die Nerven der Investoren. Im Fokus stand diesen Frühling vor allem Griechenland. Die Kurse zehnjähriger Griechenanleihen rasselten in die Tiefe, die Rendite kletterte zwischenzeitlich auf zwölf Prozent. Zwar konnte die Katastrophe eines Staatsbankrottes in Europa bisher abgewendet werden, für eine definitive Entwarnung ist es allerdings zu früh.

Für Anleger bleibt die Erkenntnis, dass vor dem Hintergrund rekordtiefer Zinsen und der teilweise massiven Verschuldung vieler Länder der Kauf von Staatspapieren sorgfältig geprüft werden muss. Während Staatsanleihen einiger Länder wie Griechenland oder Spanien an Bonität eingebüsst haben, bieten anderseits ausgesuchte Firmenanleihen mittlerweile eine höhere Verzinsung bei gleicher oder besserer Schuldnerqualität. Interessant: In den USA etwa wurde das Kredit-Rating von Unternehmensanleihen im zweiten Quartal 2010 erstmals seit 2007 wieder öfter herauf- als herabgesetzt.

Strategisch Vorspuren. Und wie sollen sich Anleger im derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld positionieren? Die Erwartungen an eine sich weiter erholende Weltkonjunktur haben jüngst Rückschläge erlitten. Allerdings bietet der Blick auf die verschiedenen globalen Wirtschaftsräume ein heterogenes Bild. Während die wirtschaftlichen Daten aus Europa und vor allem den USA ein zwiespältiges Bild ergeben, sind die wichtigen Schwellenländer wirtschaftlich weiterhin gut unterwegs. Kurzfristig dürften Deflationsüberlegungen – insbesondere in den USA – bei Marktbeobachtern im Vordergrund stehen. Die Diskussion über die sogenannte neue Normalität, die sich unter anderem durch eine lange Phase mit sehr tiefen Zinsen und vergleichsweise bescheidenem Wirtschaftswachstum manifestierte, wird seit über einem Jahr intensiv geführt. Trotz kurzfristig gestiegenen Deflationsrisiken dürfte aber von anziehenden Inflationsraten mittel- und langfristig eine deutlich grössere Gefahr ausgehen. Investoren sollten ihre Strategie bereits jetzt darauf ausrichten, auch wenn der Zeitpunkt steigender Inflationsraten schwer abschätzbar ist. Denn: «Wer jetzt in Anleihen von mittleren und langen Laufzeiten investiert, dürfte über den Zeitraum des Investments von steigenden Inflationsraten betroffen sein», sagt
Rolf Biland, Anlagechef beim VZ VermögensZentrum.

Tatsächlich dürfte die Weltwirtschaft über kurz oder lang wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad einschwenken. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird eine Inflation durch steigende Kapazitätsauslastungen und Arbeitskosten zum Thema – ebenso wie Leitzinserhöhungen durch die Notenbanken.

«Das Stadium der Konjunkturzyklen ist für die Entwicklung der Leitzinsen der entscheidende Treiber», betont Stephan Kuhnke. Die Inflation korreliere mit etwas Nachlauf mit der wirtschaftlichen Entwicklung, und die Notenbanken richteten ihre Zinspolitik danach aus. Gehen die Marktteilnehmer nun am Geldmarkt von steigenden Kurzfristzinsen aus, werden die langfristigen Zinsen tendenziell steigen.