BILANZ: Vor zwei Jahren haben Sie Ihr Privatier-Dasein gegen den schwierigsten Job der Schweizer Wirtschaft eingetauscht. Haben Sie das jemals bereut?
Oswald Grübel: Nein, noch nie. Nur eines gefällt mir nicht: Der Job ist nicht der gesündeste. Ich habe ein paar Kilo zugenommen. In meinem Alter sollte man eher abnehmen.

Zum Golfspielen oder Mountainbiken kommen Sie nicht mehr …
Ich komme zu wenig zu allem. Die Tage werden länger und die Nächte kürzer. Aber es macht Spass, sonst hätte ich schon längst aufgehört.

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Was war das Überraschendste in diesen zwei Jahren?
Wie schnell sie vergangen sind. Ich habe anfangs gedacht, nach zwei Jahren könnte ich gehen. Daran denke ich jetzt nicht mehr.

Was hat Sie nach Ihrem Antritt in der Bank am meisten überrascht?
Die Handelspositionen im Zinsgeschäft haben mich unangenehm überrascht, auch das Verhalten einiger Verantwortlicher im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft mit den USA. Positive Überraschungen waren die Stärke des Brands und die Loyalität der Angestellten.

Was würden Sie anders machen?
Es gab sicher einige kontroverse Entscheidungen, die man auch anders hätte treffen können. Im Frühjahr 2009 haben wir etwa das Brasilien-Geschäft von Pactual an die Gründer zurückverkaufen müssen.

Das wollten Sie eigentlich nicht.
Im Prinzip wollten wir es nicht, aber wir standen damals unter enormem Druck. Die Kurse hatten ihre Tiefstände erreicht, die Regulatoren waren extrem nervös. Obwohl wir damals relativ gut kapitalisiert waren – die Tier 1 Ratio lag bei elf Prozent –, wurden wir verpflichtet, mehr Kapital aufzubauen.

War es nicht ein Fehler, einen Vorsteuergewinn von 15 Milliarden ab 2012 als Ziel auszurufen?
Nach den Turbulenzen waren unsere institutionellen Anleger sehr verunsichert. Wir wurden deshalb 2009 gefragt: Wie viel kann die Bank nach der Sanierung bei guten Marktbedingungen erreichen? Unsere Aktionäre verlangten eine Antwort. Jeder Geschäftsbereich berechnete sein Potenzial. So sind wir auf die Zahl von 15 Milliarden gekommen. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch weder das neue Basel-III-Regelwerk noch die geplanten noch schärferen Schweizer «Too big to fail»-Regeln bekannt.

Jetzt ist Basel III bekannt, und das «Too big to fail»-Regelwerk kommt demnächst ins Parlament. Die Credit Suisse hat angesichts der neuen Regeln ihre Ziele revidiert und will statt 18 nur noch 15 Prozent Eigenkapitalrendite erzielen. Auch die britischen Grossbanken HSBC und Barclays haben ihre Gewinnziele nach unten korrigiert. Wann passen Sie Ihre Ziele an?
Solange der Regulierungsprozess läuft, ist es zu früh. Wir wissen noch nicht, wie sich das internationale Regelwerk entwickeln wird. Die Amerikaner haben bis heute nicht einmal Basel II akzeptiert. Wie weit sie Basel III akzeptieren werden, ist vollkommen offen.

Auch wenn die neuen Regeln noch nicht in Kraft sind, so arbeiten Sie doch schon damit: Sie zahlen keine Dividende aus und reduzieren kapitalintensive Geschäfte.
Arbeiten ist zu viel gesagt, im Moment läuft der Markt noch wie bisher. Wir müssen abwarten, wie sich der internationale Markt ausrichtet. Es gibt Geschäftsbereiche, vor allem im Zinsbereich, die mit so viel Kapital unterlegt werden müssen, dass es unter Umständen keinen Sinn mehr macht, dort aktiv zu sein, weil die Profitmargen zu klein sind. Der Nebel sollte sich in den nächsten 12 bis 18 Monaten lichten. Wenn die neuen Regeln unsere Ziele beeinträchtigen, werden wir Anpassungen vornehmen.

Die CS hat auch an anderer Stelle die neuen Regeln bereits vorweggenommen: Sie hat bereits 70 Prozent der benötigten Contingent Convertibles (CoCos) ausgegeben – Anleihen, die bei einer bestimmten Eigenkapitalschwelle in Aktien gewandelt werden – und sich damit als globaler Pionier positioniert. Wann geben Sie die ersten CoCos aus?
Wir haben keine Absicht und sehen keine Notwendigkeit, dies zu tun.

Warum nicht?
Unser wichtigstes Credo ist: Wir wollen unsere Aktienbasis nicht verwässern. Ein Aktionär muss gegen CoCos sein, weil seine Anteile im Ernstfall verwässert werden, ohne dass darüber abgestimmt wird. Zudem sind die CoCos sogar gefährlich.

Warum?
Wenn das Eigenkapital einer Bank in die Nähe von sieben Prozent gerät und damit die Umwandlung der CoCos in Aktien bevorsteht, dann werden Hedge Funds die Aktie leer verkaufen und viele Anleger schnellstmöglich aus dem Titel aussteigen. Der Kurs bricht zusammen, weil alle Angst haben, die CoCos könnten in Aktien umgewandelt werden und damit eine grosse Verwässerung bewirken. Das löst im Markt eine Panik aus, statt ihn zu beruhigen, und kann zu Assetabflüssen führen und damit die Krise verschärfen.

Ist die UBS nicht verpflichtet, CoCos auszugeben, wenn das neue Gesetz kommt?
Man wird kaum den Namen CoCos ins Gesetz schreiben. Wir haben uns in der Expertenkommission darauf geeinigt, dass die Grossbanken verlustabsorbierendes Kapital bilden müssen. Das können Anleihen sein, bei denen die Investoren im Ernstfall nur die Hälfte zurückbekommen. Aber dann findet keine Verwässerung für die Aktionäre statt, und sie können zusätzlich selbst entscheiden, ob sie das Kapital erhöhen wollen.

Bundesrat und Nationalbank wollen das «Too big to fail» Gesetz noch in diesem Jahr verabschieden. Ist das in einem Wahljahr realistisch?
Wir werden sehen. Die beiden Bankenvertreter haben dem Bericht der Expertenkommission zustimmen müssen. Wir werden allerdings darauf achten, dass im Gesetz nicht mehr steht als im Expertenbericht.

Die neuen Regeln verlangen von UBS und CS 19 Prozent Eigenkapital, bei Basel III werden es voraussichtlich nur 10 Prozent sein. Ist das sinnvoll?
Ich möchte klarstellen: Ich bin hundertprozentig dafür, dass die Grossbanken bei Missmanagement nicht mehr durch den Staat gerettet werden müssen. Auch muss die Schweiz für ihre Grossbanken eine höhere Eigenkapitaldeckung verlangen.

Aber sind die Massnahmen im internationalen Vergleich sinnvoll? Die grossen Finanzplätze London, New York und auch die EU folgten der Schweiz bisher nicht.
Die Frage ist, ob die Eile in der Schweiz sinnvoll ist. Man weiss ja noch gar nicht, ob auch die anderen Finanzplätze ihre Vorschriften verschärfen werden. Werden die heutigen Pläne umgesetzt, können wir in vielen Geschäftssparten nicht konkurrieren mit den Amerikanern und den Engländern, die zehn Prozent Eigenkapital halten müssen.

Was würde das Gesetz für die Schweizer Wirtschaft bedeuten?
Bisher hat man sich leider nicht die Zeit genommen, dies genau zu untersuchen. Wenn wir gewisse Teil des Investment Banking nicht mehr aus der Schweiz heraus anbieten könnten, hätte das auch negative Konsequenzen für unser Wealth Management. Und auch der Werkplatz wäre betroffen. Die Gefahr bestünde etwa, dass wir keine Exportfinanzierung mehr bieten könnten. Der Aufschrei war ja schon gross, als sich beide Grossbanken aus Iran zurückzogen.

Sie würden Aktivitäten ins Ausland verlagern.
Durch die Krise hat auch das Ausland wahrgenommen, dass Nationalbank und Parlamentarier erklärten, dass die Schweiz keine Grossbank mehr retten werde. Heute liegt unser Kapital in der Schweiz, die Bilanzsumme jedoch zu 80 Prozent im Ausland, vor allem in London und New York. Die Engländer und Amerikaner brauchten nicht mehr als eine halbe Sekunde, um zu verstehen, was das für sie bedeutet. Wenn die Schweiz die Grossbanken nicht mehr schützt, dann sagen die zu Recht: Wir brauchen euer Kapital. Und das heisst für uns: Wir müssen unsere Struktur ändern und die Auslandtöchter mit Kapital unterlegen.

Wenn die Schweiz nicht mehr haften soll, müssten Sie Ihren Hauptsitz ins Ausland verlagern.
Es würde dann eine Holding Company im Ausland geben. Sonst würden die Forderungen wieder in die Schweiz zurückkommen.

Planen Sie das konkret?
Im Moment nicht. Aber diese Anforderungen werden auf uns zukommen. Wir müssen sehen, was hier an Gesetzen verabschiedet wird und wie das Ausland damit umgeht. Das Ausland wird uns diktieren, was wir machen müssen. Das wird in der Schweiz noch immer zu wenig verstanden.

Sie hätten dann eigenständige UBS-Töchter an den grossen Finanzplätzen. Das wäre das Ende der integrierten Bank, die Sie gerade erst geschaffen haben.
Nicht zwangsläufig. Wir könnten eine Operationsfirma schaffen, die alle Gesellschaften bedient und mit ihnen Outsourcing-Verträge abschliesst.

Aber die einzelnen Gesellschaften hätten deutlich mehr Autonomie.
Ja, ihnen würde die Mehrheit des Kapitals gehören, und sie hätten eine eigene Leitung mit einem eigenen Verwaltungsrat.

Wo wäre dann die Aktie kotiert?
Das käme darauf an, wo der Sitz der neuen Holding-Gesellschaft wäre. Die Schweizer Banken würden aber weiterhin an der Schweizer Börse kotiert. Heute finanziert unser Hauptsitz alle Niederlassungen, die wir in der Welt haben, und steht mit Garantien für sie ein. In Zukunft müsste sich jede Gesellschaft selbst finanzieren. Wir hätten dann keine Finanzierungsgesellschaft mehr, sondern nur eine Holding, welche die Mehrheit an den verschiedenen Niederlassungen in der Welt hielte.

Für den Aktionär wäre das interessant.
Natürlich.

Der UBS-Kurs liegt noch immer unter 20 Franken. Dabei sind die Einzelteile deutlich mehr wert als die Gesamtbank. Das Wealth Management allein würde heute fast so hoch bewertet wie die gesamte Bank, wenn Sie es in der Schweiz separat kotierten. Mit einer Abspaltung einzelner Bereiche könnten Sie den Gesamtwert massiv steigern und den Kurs auf über 30 Franken heben.
Das ist richtig. Es ist mein Ziel und meine wichtigste Aufgabe, den Wert des Unternehmens zu steigern. Aber wir müssen erst einmal wissen, was alle Länder, in denen wir vertreten sind, am Schluss vorhaben.

Wird es dann zwei oder sogar mehrere Aktien geben?
Wenn wir eigenständige Niederlassungen haben, können wir sie auch eigenständig kotieren und nur die Mehrheit bei der Holding belassen. Das machen HSBC oder Standard Chartered heute schon. Da lassen sich enorme Kurssteigerungen erzielen, weil wir demonstrieren können, dass das Wealth Management und auch die Investmentbank mehr wert sind, als der Betrag, zu dem sie heute gehandelt werden.

Es stört den Börsenhändler Grübel, dass ihre Einzelteile heute deutlich mehr wert sind als das Ganze.
Natürlich. Und ich wiederhole: Meine wichtigste Aufgabe ist es, den Wert des Unternehmens für die Aktionäre zu erhöhen.

Was für die UBS-Aktionäre gut wäre, wäre für den Schweizer Finanzplatz und das Steuersubstrat schlecht, sind die Grossbanken in guten Jahren doch die grössten Steuerzahler des Landes.
Als CEO der UBS bin ich primär unseren Aktionären verpflichtet. Aber sicher müssen wir aufpassen, dass nicht so viel internationales Geschäft verloren geht, dass der Finanzplatz nur noch ein Provinzfinanzplatz wäre. Das würde dann auch dem Wealth Management schaden.

Das Investment Banking ist für die Aktie heute ein Malus. «Enttäuschend» sei das Ergebnis, verkündeten Sie unlängst. Stimmt die Leistung nicht?
Meine Erwartungen waren zu hoch. Ich glaubte, dass wir viel schneller zurückkommen könnten. Ich unterschätzte, wie zerstört unser Zinsengeschäft war. Wir mussten Hunderte von Leuten einstellen, da werden dann auch Fehler gemacht, das ist normal. Das führte dazu, dass die Profitabilität in Bezug auf Risiko und Kapitaleinsatz nicht akzeptabel war.

Sie wollten das Risiko doch erhöhen.
Nur wenn sich sinnvolle Gelegenheiten ergeben. Das war in den letzten Monaten nicht der Fall. Jedes Quartal veröffentlichen wir die wichtigen Risikokennzahlen, den Value at Risk und die risikogewichteten Aktiven, und da liegen wir tiefer als unsere Konkurrenten.

Das Zinsgeschäft bindet am meisten Kapital. Analysten fordern, Sie sollten auf weniger kapitalintensive Geschäfte wie etwa den Devisenhandel setzen.
Ja, ich erhalte viele Ratschläge – Sie sehen, wie einfach mein Job ist. Aber ich werde sicher den richtigen Ratschlag auswählen.

Die UBS galt lange als führendes Aktienhaus. Jetzt wurde sie von der CS überholt.
Das freut mich nicht. Wir hatten hier einen Managementwechsel und gingen durch eine schwierige Zeit.

Fühlen Sie sich schon wieder als Nummer eins der Schweizer Banken?
Nach den wichtigsten Kennzahlen sind wir es. Doch entscheidend ist, ob der Kunde es auch so fühlt oder nicht. Da sind wir auf gutem Weg, aber es gibt noch einiges zu tun.

Derzeit läuft es gut?
Im Bankgeschäft fängt das Jahr immer gut an.

Aber es könnte immer besser laufen.
Wir haben noch grosses Potenzial. Unser Wealth Management ist noch immer die Nummer eins weltweit. Wir haben die Abflüsse gestoppt, jetzt fliesst uns wieder Geld zu. Hier haben wir enorme Möglichkeiten, die Profitabilität der Kunden und unsere eigene zu erhöhen. Und auch im Asset Management und in der amerikanischen Vermögensverwaltung werden wir uns noch stark verbessern.

Zwei Jahre an der UBS-Spitze liegen hinter Ihnen – und noch mindestens zwei Jahre vor Ihnen?
Danach sieht es gegenwärtig aus. Es macht mir jeden Tag mehr Spass.

 

Es war eines der überraschendsten Comebacks in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte: Im Februar 2009 trat Oswald Jürgen Grübel bei der krisengeschüttelten UBS als neuer Konzernchef an. Zuvor war er 37 Jahre für den Erzrivalen Credit Suisse tätig gewesen, zuletzt bis zum Mai 2007 als Chef. Seine Bankkarriere begann der Ostdeutsche, der bei seinen Grosseltern aufwuchs, 1961 bei der Deutschen Bank. Mit 7,2 Milliarden Franken Profit führte der 67-Jährige die UBS 2010 wieder in die Gewinnzone.