Wie merkt der Hotelgast, ob er Weltklasseservice geniesst? Wenn sein Gepäck spätestens sieben Minuten nach Ankunft aufs Zimmer gebracht wird. Wenn er in der Hotelbar innerhalb von zwei Minuten seine Order aufgeben und nicht länger als drei Minuten auf seinen Drink warten muss. Wenn das aufs Zimmer bestellte Abendessen innert 30 Minuten serviert und das Telefon vor dem vierten Läuten abgenommen wird. Wenn der Wagen innert acht Minuten aus der Garage geholt wird.
Es sind diese strengen Richtlinien, welche die Ankunft in einem Four Seasons grundlegend von der in einem anderen Luxushotel unterscheiden. Und die Four Seasons zur wohl bestgeführten Hotelkette der Welt gemacht haben. «Wir haben feste Prinzipien, was passieren muss, wenn der Gast eines unserer Häuser betritt», sagt Wolf Hengst, COO der kanadischen Hotelgruppe. «Er muss innert 60 Sekunden von einem unserer Mitarbeiter in Empfang genommen werden und sofort das gute Gefühl haben, dass alles für ihn vorbereitet ist. Innerhalb von drei Minuten muss er an der Rezeption einchecken können und darauf so mühelos wie möglich aufs Zimmer geleitet werden. Und dort soll er sich sofort wie zu Hause fühlen.»
So kommt den Details eine beinahe neurotische Aufmerksamkeit zu: Ein Gast, der bereits einmal in einem Four Seasons zwischen Los Angeles und Tokio abgestiegen ist, kann beim nächsten Besuch in irgendeinem anderen Four Seasons davon ausgehen, dass man dort bereits weiss, welches besondere Kopfkissen er bevorzugt. Geht etwas schief, etwa wenn ein dringendes Fax erst Stunden nach Eingang dem Gast überbracht wird (Standard: dreissig Minuten) oder die zu bügelnde Hose erst nach Rückfrage am nächsten Tag ausgeliefert wird (Standard: eine Stunde), gibt es laut Wolf Hengst genaue Richtlinien, wie die Hotelleitung zu reagieren hat. «Wichtig ist nur: Der Gast muss zufrieden gestellt werden.»
Bisher konnte Hengst seine Gäste nur ausserhalb der Schweiz zufrieden stellen. Das wird sich im Sommer ändern: Bis dann wird das Genfer Traditionshaus Hôtel des Bergues in ein Four-Seasons-Hotel umgewandelt. In den nächsten Monaten stehen dem Haus also einige Änderungen bevor. Der neue Besitzer, der saudische Prinz Al-Waleed Bin Talal Bin Abdulaziz Al-Saud, dem rund ein Viertel aller Four-Seasons-Hotels gehören (darunter so edle Häuser wie das George V in Paris), will mit den Servicestandards von Four Seasons die Konkurrenz am Lac Léman abhängen und im knallharten Positionierungskampf der Hotelgruppen auch in der Schweiz an der Spitze liegen.
Für zufriedene Gäste sorgt Four Seasons derzeit in 56 Häusern weltweit. In zwei Jahren werden es 75 sein. «Wir durchleben gerade die grösste Expansion in der 42-jährigen Firmengeschichte, und es ist für uns alle eine aufregende und ereignisreiche Zeit», erklärt Isadore Sharp, Chairman und CEO der florierenden Hotelgruppe (siehe Interview).
Während das Unternehmensziel von Four Seasons unlängst noch war, das jeweils beste Hotel an den vertretenen Orten zu sein, will sich die Company nun als globaler Marktführer in der Luxusklasse behaupten. Das erste Etappenziel ist erreicht: den in Atlanta ansässigen und inzwischen zum Marriott-Konzern gehörenden Erzrivalen Ritz-Carlton vom Sockel zu stossen. Seit ein paar Jahren liegen die Zimmerdurchschnittspreise und die Belegungszahlen bei Four Seasons konstant höher als bei vergleichbaren Häusern von Ritz-Carlton. «Four Seasons ist an der Spitze im Highend-Hotelbusiness», wie das «Wall Street Journal» schreibt.
Seitdem Hotels das Lieblingsthema für Vielreisende sind, hat sich Four Seasons zum Zauberwort entwickelt. Die Marke steht für kultivierten Lifestyle und unübertroffenen Service, konzentriert auf das Segment mittelgrosser Luxushotels in führenden Metropolen und exklusiven Ferienorten auf allen Kontinenten. Insbesondere die Einführung weiterer Resorts, die mit ihrem umfassenden Angebot von Spa über Golf bis zu Konferenzen sowohl den anspruchsvollen Geschäftsreisenden als auch den betuchten Erholungssuchenden ansprechen, hilft Four Seasons beim weiteren Wachstum. «Hotels werden zunehmend Destinationen für sich allein», prophezeit Sharp. «In Zukunft werden Hotels so speziell, so spezifisch sein, dass sich die Gäste ihr Reiseziel nach dem Hotel aussuchen. Die Atmosphäre, die ein Hotel kreiert, wird zum Schlüssel des Reiseerlebnisses.»
Kaum eine international agierende Hotelgruppe wird noch von ihrem Gründer beherrscht. An dessen Stelle treten in rascher Folge junge Manager. Die Folge: Imagebildung statt gewachsener Identität. Der 71-jährige Isadore Sharp, der eine Mischung aus Konzentration, Energie und Gelassenheit ausstrahlt, ist nicht nur legendärer Chef und Inhaber von Four Seasons, er ist bis heute Mittelpunkt des 1961 gegründeten, komplett unabhängigen Hotelunternehmens.
Zusammen mit einem clanartigen Team langjähriger Vertrauter bringt Sharp stilsicher Image und Identität seiner Häuser in Einklang. Im dezent gestylten Four-Seasons-Hauptsitz in Toronto ist nichts vom Gauklertum zu spüren, das so häufig durch die Branche wabert. Zu Sharp, Hengst & Co. findet jeder Vertrauen. Überzeugend referieren sie darüber, dass ein schönes Ambiente nur ein angenehmer Rahmen, die liebevolle Pflege des Gastes aber das Wichtigste sei.
Service als oberstes Gebot
Zu den kontinuierlich erneuerten Four-Seasons-Standards – es sind insgesamt 2000, 260 davon gelten als «absolute Musts» – gesellt sich die «Goldene Regel», die besagt, dass jeder Mitarbeiter die Gäste und seine Arbeitskollegen so behandeln soll, wie man selber gerne behandelt werden will.
Die Individualität der Mitarbeiter und der Respekt vor ihnen wird bei allem Teamgeist nie in Frage gestellt, im Gegenteil: Isadore Sharp ermuntert jeden Mitarbeiter: «Be yourself!» Das hohe Serviceniveau wird, mehr als durch alle Schulungen und Motivationsveranstaltungen, mit einer extrem sorgfältigen Auswahl bei der Einstellung erreicht. «Vor der Einstellung führen wir mit dem Kandidaten bis zu fünf Interviews, ob er tatsächlich diese besondere Gästepflege umsetzen kann, ganz gleich, ob er als Kellner oder Direktor eingesetzt werden soll», sagt Sharp. «Wer Service nur als Job sieht und nicht als Passion, wird auch durch Schulung kein guter Mitarbeiter.»
Das Spiel der Ketten um Betten
Wie Four Seasons besitzen auch die anderen internationalen Hotelgruppen die Häuser in der Regel nicht selbst, sondern managen sie im Auftrag von Investoren und bezahlen diesen dafür einen Pauschalbetrag oder Umsatzprovisionen. Diese finanzielle Struktur macht es für Hotelgruppen interessant, so viele Häuser wie möglich zu eröffnen. Entsprechend sieht sich Four Seasons einer immer aktiveren Konkurrenz gegenüber: Im Wettlauf um viel versprechende neue Standorte zwischen Berlin, Kairo und Goa werden überall neue Spitzenhotels in den Fünfsternehimmel hochgezogen, neue Allianzen geschmiedet, immer wieder neue Standards im Übertrumpfen des Bisherigen gesetzt. Wer sich das rasante Wachstum und die Fusionitis auf dem Hotelmarkt anschaut, möchte meinen, dass es der Branche niemals besser ging. Quer durch die Weltmetropolen und Feriendestinationen findet – ganz entgegen der allgemeinen Krisenstimmung und der Gästeflaute in der Hotellerie – ein Wirtschaftswunder ohnegleichen statt. Man hofft auf den Aufschwung danach.
So ist etwa der Hotelanbieter Starwood, der in den letzten vier Jahren von einem kleinen Mitspieler zu einem Industriegiganten der Hotellerie wurde und sich mit Marken wie The Luxury Collection, Sheraton, W Hotels und St. Regis zu einer der weltweit umsatzstärksten Hotelgruppen machte, weiterhin auf lawinenartigem Expansionskurs. Auch der französische Tourismus- und Hotelgigant Accor (Sofitel, Novotel, Mercure, Ibis, Etap usw.) wächst explosionsartig und ist weltweit die Nummer eins, was die Zimmeranzahl anbelangt (siehe «Wo Gutbetuchte weltmeisterlich verwöhnt werden»).
Die in London ansässige Gruppe Le Méridien, derzeit mit 140 Hotels in 55 Ländern vertreten, drängt kräftig auf den europäischen Markt. Ritz-Carlton konnte innert zwölf Jahren von zehn Hotels (1990) auf heute 48 Hotels wachsen und verfolgt diesen Kurs mit acht im Bau befindlichen Häusern auch weiterhin. Der von Washington aus operierende Marriott-Konzern setzt mit insgesamt 2500 Hotels in 63 Ländern jährlich 20 Milliarden Dollar um. Allein im letzten Jahr hat Marriott ein halbes Hundert Hotels eröffnet, weitere hundert sind in der Pipeline. Die Hotelgruppe Hyatt, die ihre kühle Funktionalität ablegen konnte und im Deluxe-Segment mit einer hochklassigen, modernen Innengestaltung («wie daheim, aber besser als daheim») auftrumpft, hat in den letzten vier Jahren 16 Häuser eröffnet und will bis 2005 um weitere 15 Hotels mit insgesamt 5350 neuen Zimmern wachsen – im Bau ist beispielsweise das Park Hyatt Zürich.
Selten gab es so viele neue Hotels wie heute. Ob sich diese Investitionen je rechnen können und es überhaupt je so viele Gäste gibt, wie neue Zimmer angeboten werden, ist zweifelhaft. Die Spitzenmanager internationaler Ketten üben sich in einer ökonomischen Quadratur des Kreises, indem sie hoffen, bei steigendem Bettenangebot höhere Preise durchsetzen zu können.
Hotelmarken im Zentrum des Wettbewerbs
Für die Hotelgruppen geht es allerdings nicht nur darum, an den wichtigsten Standorten Flagge zu zeigen. «Der Hauptkampfplatz der Hotelgesellschaften ist gegenwärtig um die Marken herum gelagert», besagt die Grundthese einer 650 Seiten starken Trendstudie des Londoner Forschungsteams Travel & Tourism Intelligence (TTI). «Fast alle weltweit agierenden Hotelbetreiber haben erkannt, dass gute Marken einen Wettbewerbsvorteil bedeuten.» Premiumpreise, Gewinn von Marktanteilen sowie erhöhte Kundenloyalität sind die wichtigsten.
Isadore Sharp war einer der Ersten in der Hotelindustrie, die dies erkannt und ein konsequentes Markenbewusstsein entwickelt haben. Mit seiner klaren Zielgruppenausrichtung und seinem hartnäckig verfolgten Serviceverständnis hat er das oberste Segment der Luxushotellerie stärker umgekrempelt als alle Investoren und Marketingmanager zusammen. «Natürlich gab es eine Lernkurve mit jeder Hoteleröffnung», kommentiert Sharp die Entwicklung von Four Seasons. «Mit jedem Hotel konnten wir unser Management smarter gestalten sowie noch effizienter darin werden, einen ansehnlichen Gewinn für die Besitzer und für uns zu erwirtschaften. Ich habe immer gesagt, wenn das neuste Four Seasons nicht das Beste ist, dann hören wir auf.»
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