BILANZ: Bis heute ist nicht sicher, ob die AS Roma als zweiter grosser europäischer Fussballclub bei der Eröffnungsfeier des Stade de Suisse in Bern dabei sein wird. Haben Sie für Rom eine Alternative?
Peter Jauch: Wir werden ein Blitzturnier veranstalten mit drei Teams, vom VfB Stuttgart haben wir eine schriftliche Zusage, bei der AS Roma fehlt uns diese noch. Wir stehen noch in Verhandlungen mit Benfica Lissabon, Everton und Galatasaray Istanbul.
Bei solchen Aussichten müsste die Eröffnungsfeier bereits ausverkauft sein.
Dafür ist es noch zu früh, für den ersten Tag haben wir 50 Prozent der Sitze verkauft, für den zweiten Tag 70 Prozent.
Also zieht der Fussball, der am zweiten Tag gespielt wird, mehr als das Rahmenprogramm?
Ja, aber dennoch gehe ich davon aus, dass das Stadion auch am ersten Tag voll sein wird. Wir haben dafür ein einmaliges Programm zusammengestellt.
In einer Berner Zeitung stand, die Stadioneinweihung werde zum Berner Lokalfest. In der Tat sind uns, die wir nicht in der Schweizer Musikszene verankert sind, die angeblich grossen Namen der Lokalstars wie Ray Wilko oder Signorino TJ nicht gerade geläufig.
Wir wollten, dass der Eröffnungsanlass eine starke bernerische Note hat, schliesslich ist es das Stadion der Bernerinnen und Berner. Diese haben aber auch eine gewaltige Kultur- und Mundartrock-Szene. Gewiss ist Harry Heusser, der für die Programmgestaltung zuständig ist, kein Zürcher. Er sorgt dafür, dass eine Vielfalt entsteht, die weit über Berns Grenzen hinausgeht. So wollen wir einen Querschnitt all jener Aktivitäten präsentieren, die in diesem Stadion möglich sind.
Bis heute ist uns nicht klar, ob dieser Anlass nun auf Kunst- oder auf Naturrasen stattfinden wird. Sie haben angekündigt, künftig als erstes Schweizer Stadion auf Kunstrasen zu setzen.
Wir haben beschlossen, den Naturrasen nach der Vorrunde der Fussballmeisterschaft 2005/06 durch Kunstrasen zu ersetzen. Das hat bei einer multifunktionalen Stadionnutzung grosse Vorteile. Aber auch der Fussball wird davon profitieren.
Mit dieser Option ist es möglich, auch Grossevents wie Konzerte nach Bern zu holen, gibt es schon konkrete Verträge?
Nein, bisher haben wir noch keine grossen Namen. Aber es gibt reservierte Termine von grossen Veranstaltern, die uns nur die Daten, aber noch nicht die Namen bekannt geben.
Wer will hier Grossevents veranstalten?
Vor allem die Konzertagentur Good News, aber auch die Berner Eventagentur Appalooza hat schon Termine gebucht.
Fliesst mit den Reservationen schon Geld?
Nein, Geld erhalten wir dafür noch nicht. Eine Möglichkeit wäre gewesen, mit einem Veranstalter einen Exklusivvertrag abzuschliessen, doch das wollten wir nicht, das Stadion soll für alle offen sein.
Good-News-Chef André Béchir hat sich vom Stadion begeistert gezeigt. Wird Bern den grossen Konzertstädten Zürich und Basel den Rang streitig machen können?
Das glaube ich schon, nur müssen alle mitspielen. So müssen wir unter anderem noch klären, welchen Quellensteuersatz ausländische Künstler in Bern bezahlen müssen und ob dieser Satz höher oder tiefer ist als jener in Zürich.
Wobei es auch eine geografische Frage ist. Hat Bern das Potenzial der Stadt Basel mit ihrer Lage im Dreiländereck oder der Wirtschaftsmetropole Zürich?
Bern ist der Mittelpunkt der Schweiz und schon deshalb sehr gut erreichbar. Vergessen Sie nicht, dass die Mehrzahl der Leute, die etwa nach Zürich an ein Konzert fahren, aus dem Mittelland stammt.
Einkommensseitig wird aber das Fussballgeschehen im Mittelpunkt stehen.
Auch bei den Ausgaben wird dies so sein, schliesslich kostet ein Fussballclub Geld, ebenso all die Sicherheitsvorkehrungen für die Spiele. Doch wir werden neben den Young Boys künftig auch ab und zu den FC Thun bei uns haben. Er wird die Champions-League-Qualifikation bei uns spielen. So hoffen wir, dass wir mit Fussball etwa die Hälfte der Erträge erarbeiten können.
Wie immer im Schweizer Fussball reagiert hier aber auch das Prinzip Hoffnung. Sie erwarten nach der Stadioneröffnung 20 000 Zuschauer pro YB-Spiel. Ist das nicht etwas hochgegriffen?
Das glaube ich nicht. In die alten Stadien gehen die Zuschauer nicht mehr, weil dort zu 80 Prozent Stehplätze vorhanden sind und weil die Infrastruktur ungenügend ist. Ich habe in den vergangenen Jahren in Europa ungefähr 25 neue Stadien besucht. Diese haben nach der Eröffnung ihre Zuschauerzahlen gegenüber früher bis zu verachtfacht. Diese Entwicklung lässt sich an zahlreichen Beispielen belegen.
Es gibt aber Zweifel daran, dass neue Stadien automatisch mehr Zuschauer generieren. Mit dem Stade de Genève in La Praille haben wir ein konkretes Gegenbeispiel. Sind Sie nicht etwas gar euphorisch?
Wenn Sie hundert europäische Stadien nehmen, ist Genf die Ausnahme, über die geredet wird. Dass alle anderen eine positive Entwicklung durchgemacht haben, wird verschwiegen. In Bern werden wir Erfolg haben.
Es gibt andere Beispiele als Genf. In Portugal etwa steht nach der EM 2004 die Hälfte der Stadien praktisch leer, dort hat sich die Vision «Neues Stadion – mehr Zuschauer» nicht bewahrheitet.
Die Stadien in Portugal wurden auch nicht für die Clubs, sondern ein grosser Teil von ihnen nur für die EM gebaut. Auch sind sie mit wenigen Ausnahmen nicht auf dem hohen Standard, den wir heute in Bern anbieten können. Bei uns werden es mehr Zuschauer sein, da wir eine ganz andere Schicht ansprechen können. Sicher werden mehr Frauen und Familien zu uns kommen. Das hat sich in Basel gezeigt, dort konnte der Frauenanteil seit der Eröffnung um 40 Prozent gesteigert werden.
Das hängt aber auch mit dem Höhenflug des FC Basel zusammen.
Nein, in der Saison der Stadioneröffnung lag Basel nicht an der Spitze und hat dennoch mehr Zuschauer angelockt.
Sie rechnen damit, die Zuschauerzahlen fast zu verdreifachen. GC und FCZ gehen davon aus, dereinst im Hardturm durchschnittlich vor 13 000 Zuschauern zu spielen. Schon das entspräche einer Verdoppelung der Zuschauerzahl, doch selbst eingefleischte GC-Gönner zweifeln daran. Weshalb sind die Zürcher zurückhaltender in ihren Prognosen als die Berner?
Zürich hat ein anderes Bild vom Zuschauer. Auch verfügt die Stadt über ein weit grösseres Konkurrenzangebot als Bern oder Basel. Hier gibt es den FC Zürich, es gibt die Grasshoppers. Hinzu kommen Eishockeyclubs wie die ZSC Lions und Kloten, es gibt einen CSI, ein Tennisturnier, und auch die Handballclubs spielen auf hohem Niveau. Fussballerisch kann Zürich bloss dann nachhaltig mehr Zuschauer generieren, wenn der FC Zürich gut ist. Zu GC geht man nur, wenn der Club sehr erfolgreich und international tätig ist, dann sind die GC-Anhänger auch bereit, für ein Champions-League-Ticket 1000 Franken hinzublättern.
In Bern hängt alles vom Erfolg der Young Boys ab. Was, wenn der Höhenflug nur ein Strohfeuerchen ist?
Das wird nie ein Strohfeuer. Vor einem Jahr schlossen wir die Saison als Zweiter ab, dieses Jahr landeten wir auf dem vierten Rang. So schlecht hat YB nun auch wieder nicht gespielt, und dies, obwohl viele Verletzte beklagt wurden.
Reicht das, um ein Stadion zu füllen? Müsste YB künftig nicht wieder ernsthaft um den Titel mitspielen?
Man muss sicher einiges unternehmen, damit sich YB dereinst gegen den übermächtigen FC Basel durchsetzen kann. Jetzt haben wir mit den Neuverpflichtungen eine neue Mentalität in die Mannschaft hereingebracht. Es wird sicher eine aggressivere Mannschaft sein als ihre Vorgängerin. Die Anforderungen der Berner an ihre Mannschaft sind sehr hoch. Nur: Wer fordert, der sollte auch bezahlen. Doch diesbezüglich war man in Bern bisher sehr zurückhaltend.
Reichen neue Stadien dazu aus? Müsste nicht vielmehr der Schweizer Fussball sein Niveau deutlich steigern?
Reden Sie den Schweizer Fussball nicht schlechter, als er ist. Er ist nämlich hervorragend. Schauen sie doch bei der U-20-Mannschaft. Lediglich drei Spieler der Mannschaft spielen noch in der Schweiz, alle anderen sind bereits im Ausland engagiert.
Das spricht aber gegen unsere Clubs, die können auf dem Niveau gar nicht mitbieten, die guten Spieler wandern aus.
Das ist eine andere Geschichte. Diesbezüglich ist der FC Basel die einzige Ausnahme. Dank dem neuen Stadion läuft er den anderen weit voraus.
Und das liegt nur am neuen Stadion?
Ja, nur. Der ganze Schweizer Fussball hing in den letzten vier Jahren am St.-
Jakob-Park in Basel. Der FC Basel stand vor der Eröffnung des neuen Stadions praktisch vor dem Konkurs. Wäre uns nicht eine englische Investmentfirma zu Hilfe gekommen, wäre der Club kollabiert, wie dies Lausanne oder Lugano passiert ist. Darum brauchen wir neue Stadien, die machen uns wieder konkurrenzfähig. Dann wird der Schweizer Fussball automatisch besser.
Ein potenzieller Investor dürfte wissen wollen, ob bei einem Scheitern der Young Boys die Einnahmen gesichert sind.
Die Young Boys werden nicht scheitern, Erfolg lässt sich bis zu einem gewissen Punkt sicherstellen. Vergessen Sie nicht, dass sich in der Schweiz im Eishockey wie im Fussball Titel «kaufen» lassen. Das hat Walter Frey mit dem ZSC bewiesen; kaum ist er eingestiegen, wurde der Club zweimal Meister. Bei uns ist es von Vorteil, dass wir als Stadionbetreiber auch den Club besitzen. So müssen wir nicht jede Dummheit mitmachen, können aber andererseits unsere Aktivitäten besser aufeinander abstimmen.
Basel wird demzufolge das Flaggschiff im Schweizer Fussball bleiben?
Fussballerisch wird es sicher schwierig sein, schon nächstes Jahr an Basel heranzukommen. Mittelfristig haben wir allerdings gute Chancen. Unser Ziel ist es, dem FC Basel hier ernsthaft Konkurrenz zu machen.
Bis heute fehlen Ihnen die grossen Berner Investoren. Alle, die heute hinter dem Stadion stehen, stammen aus dem Grossraum Zürich. Sind Berner Investoren überhaupt erwünscht?
Aber sicher. Nur wollen die Berner zuerst einmal schauen, wie sich das Ganze entwickelt, vorher investieren sie nicht. Vielleicht ist es dann allerdings schon zu spät. Wenn Berner bei uns einsteigen wollen, werden wir uns sicherlich nicht dagegen sträuben, erste Gespräche laufen hier auch bereits. Und einer unserer Hauptaktionäre, Andy Rihs, ist übrigens gebürtiger Berner.
Die bisherigen Investoren haben nicht aus Liebe zu Bern in das Stadion und in YB investiert, sondern weil sie sich eine anständige Rendite versprechen. Ihnen fehlt ein Rainer E. Gut oder ein Fritz Gerber, die Dutzende von Millionen in einen Club stecken.
Vielleicht hätten die beiden Herren ihr Geld auch nicht verloren, wenn Zürich schneller ein neues Stadion gehabt hätte. Als sie bei GC eingestiegen sind, war viel vom neuen Stadion die Rede. Da sich dessen Bau verzögerte, nehme ich an, dass Gut und Gerber einfach sechs Jahre zu früh investiert haben. Wir haben ein neues Stadion, das gute Aussichten auf eine entsprechende Rendite hat.
Sie haben 2001 vom Basler St.-Jakob-Stadion nach Bern gewechselt. Wären Sie für ein lukrativeres Angebot etwa aus Zürich empfänglich?
Wissen Sie, weder bei Bern noch bei Basel war ich von Anfang an dabei. Zürich ist sicher interessant, aber ich habe auf Grund der Betriebskostenrechnung für den neuen Hardturm kein gutes Gefühl. In der Planung wurden riesige Fehler gemacht. Es wird sehr schwierig sein, dieses Stadion betriebswirtschaftlich erfolgreich zu führen. An dem Standort wird die multifunktionelle Nutzung kaum funktionieren, und zudem wurde der Bau viel zu monumental geplant. Um mit dem Hardturm Erfolg zu haben, sind einschneidende Änderungen notwendig. Und ich habe keine Lust, nochmals in erster Linie Fehler zu korrigieren. Lieber wäre mir ein Stadionprojekt, das ich von Anfang an begleiten könnte.
Weniger Risiken als auf dem Rasen gehen Sie mit dem Einkaufszentrum im Stadionmantel ein. Ist dieses eigentlich schon voll belegt, oder fehlen noch Mieter?
Es gibt verschiedene Nutzungen. So besteht der Mantel des Stadions aus zwei Teilen: dem Einkaufszentrum mit 35 Geschäften und den Dienstleistungsbetrieben mit Büros und einer Schule. Das Einkaufszentrum ist ausgebucht, im Dienstleistungsbereich gibt es noch Platz. Das Stadion selber besteht aus dem eigentlichen Stadionteil, aber auch aus all den zusätzlichen Business- und Gastroräumen, die genutzt werden können. Auch verfügen wir über insgesamt 17 Logen, die täglich für unterschiedlichste Anlässe vermietet werden können.
Sie haben im letzten Jahr den Vorschlag lanciert, die Challenge League, die frühere Nationalliga B, abzuschaffen und nur noch in der Super League mit Profis zu arbeiten. Was ist aus dem Vorschlag geworden?
Nichts ist daraus geworden, ausser dass mir alle Experten Recht geben. Es ist schade, dass der Vorschlag nicht vertieft studiert wird. Wir müssten uns doch auf den Nachwuchs konzentrieren, statt das Geld in 28 Proficlubs zu investieren. Wir müssten das Geld auf zehn bis zwölf Mannschaften konzentrieren.
Da spricht vor allem der Stadionbetreiber. Mit diesem Vorschlag erhoffen Sie sich einen grösseren Anteil am gesamten Zuschauerpotenzial, und dies erst noch innerhalb von einigermassen festzementierten Strukturen.
So ist es. Nur müssen Sie bedenken, dass die Stadioninfrastruktur enorm ist, in Basel und Bern stellt das Stadion einen Wert von 100 Millionen Franken dar. Es geht doch nicht, dass ein Club wie Basel oder wie YB mit diesen Investitionen in die Challenge League absteigen muss. Wie stellen Sie sich das vor?
Das ist das Problem der Clubs und ihrer Investoren. Schade wäre es dennoch, wenn hier der Status quo eingeführt würde und der Aufstieg für Regionalclubs nicht mehr möglich wäre. Waren nicht der FC Wil und auch der FC Thun in den letzten Jahren massgebend an der Attraktivität der obersten Schweizer Fussballliga beteiligt?
Diese Clubs laufen doch immer wieder Gefahr, sich zu Tode zu siegen. Nehmen Sie Wil, ähnlich war es einst auch im Eishockey mit Herisau. Mit dem Aufstieg in die oberste Liga haben die beiden Clubs gleich auch ihren zweifellos tollen Erfolg mit dem finanziellen Tod bezahlt.