Der Mann kann erstens Milliarden scheffeln, als ob es ein Kinderspiel wäre, zweitens erklärt er die Mechanik der Wirtschaft so, dass jedes Kind drauskommt. Damit beweist Warren Buffett: Das Erste hat viel mit dem Zweiten zu tun. Wer die Wirtschaft im tiefsten Innern durchschaut, wird reich mit ihr.
«Sei ängstlich, wenn die anderen gierig sind, und gierig, wenn die anderen sich fürchten»: So lautet einer von Buffetts legendären Sprüchen. Er hätte schon viele vor Bankrott bewahren können, wenn sie nur darauf gehört hätten.
Die wohl schlauste Erklärung für seinen eigenen Anlageerfolg bietet der Satz: «Price is what you pay, value is what you get.» Warren Buffett äusserte ihn im Brief, den er im Februar 2008 an die Aktionäre seiner Holdingfirma Berkshire Hathaway schrieb: «Der Preis ist, was du bezahlst. Der Wert ist, was du kriegst. Ob bei Socken oder bei Aktien – ich ziehe es vor, Qualitätsprodukte zu kaufen, wenn sie runtergeschrieben sind.»
Etwas hat einen Preis, es hat einen Wert: Wer den Unterschied durchschaut, entscheidet besser.
Intuitiv versteht das jeder Laie, aber eigentlich widerspricht die Einsicht diversen Wirtschaftstheorien. Denn ökonomisch gesehen ist der Preis jener Punkt, an dem sich die Wertvorstellung des Käufers und des Verkäufers treffen. Und es gibt die Hypothese, dass die Märkte, sofern alle entscheidenden Informationen vorliegen, immer den «richtigen» Preis eines Gutes finden – ob bei einer Aktie oder einer Tonne Weizen. Preis und Wert liegen nicht auseinander. Oder höchstens kurzfristig und minim.
Warum notieren Bierbrauer-Aktien im Sommer höher?
Die Erfahrung zeigt: Der Graben ist tiefer. Wer ihn sucht, muss in die Zukunft blicken. Entscheidend wird die Frage, was man von der Aktie, den Socken oder dem Weizen zu einem späteren Zeitpunkt haben wird. Das Was ist finanzmathematisch ausgedrückt der auf heute diskontierte Wert von künftigen Einnahmen daraus. Beziehungsweise des Langfristnutzens einer warmen Socke.
Je länger man etwas nach dem Kauf verwenden kann, desto wertvoller wird es für den Besitzer.
«Unsere liebste Haltedauer ist ewig», so lautet ein anderes Buffett-Bonmot. Der Preis ist in dieser Paarung also eher die kurzfristige Komponente, er kann heftig schwanken. Das kennt man von den Börsen, wo ein Kurs innert Sekunden einbrechen kann; oder man kennt es von den Algorithmen, welche die Flugpreise festlegen. Beim Value Investing, das Warren Buffett so erfolgreich betreibt, fahnden die Anleger dann nach Aktien, deren kurzfristiger Preis unter den inneren Wert gerutscht ist.
Der Preis ist heiss, der Wert ist kühl
Die Sache verhält sich also anders, als wir zuerst meinen: Der Preis ist oft eine emotionale Zahl – trotz aller Analystenmathematik und Algorithmenintelligenz. Den Wert aber legen wir eher mit kühlem Kopf fest. Zum Beispiel konnte eine Gruppe US-Ökonomen unlängst nachzeichnen, dass die Aktien von Firmen, die saisonale Produkte her stellen, besonders steil anziehen, wenn die entsprechende Saison läuft: Im Sommer steigen die Kurse von Bierbrauern leichter als im Winter. Was vielleicht nachfühlbar ist, aber völlig unlogisch.
Es gibt viele Ursachen, weshalb Preise oft irrational werden – also weit abdriften vom «inneren», «durchschnittlichen», «wahren» Wert des Gutes. Zum Beispiel orientieren wir uns stets an einer Referenzgrösse: Das kann der Kurs sein, den die Aktie zu Jahresbeginn hatte (warum dann?). Oder der Betrag, den wir letztmals für ein paar Wollsocken bezahlt haben. Je nachdem empfindet jemand den exakt gleichen Preis als frech – oder als fantastisch.
Ein so genanntes Schnäppchen lässt uns Dinge kaufen, die wertlos sind. Beispiele finden Sie in Ihrem Kleiderschrank.
Wobei die Wahrnehmung eines Angebots als Schnäppchen uns wiederum dazu verführt, Dinge zu kaufen, die für uns eigentlich wertlos sind. Beispiele dafür finden Sie wahrscheinlich in Ihrem Kleiderschrank oder in Ihrem Keller – unbenutzt.
Die Verhaltensökonomen haben inzwischen verschiedenste Untersuchungen vorgelegt, welche die enorme Bedeutung der Erwartungen für die Preisbildung bestätigen. Ein Beispiel stammt vom Nobelpreisträger Richard Thaler. In einem Forschungsprojekt stellte er zwei Gruppen von MBA-Studenten vor die Wahl: Was würden sie an einem heissen Tag am Strand für eine kühle Flasche ihres Lieblingsbiers bezahlen? Im ersten Szenario bot ihnen ein Kumpel an, das Bier in einem vornehmen Hotel aufzutreiben. Im zweiten Testfall holte er die Flasche in einem schäbigen Shop.
Zwischen dem Preis eines Gutes und seinem Wert steckt eine rätselhafte Kraft: die Fairness – respektive die Vorstellungen, die wir davon haben.
Das Resultat widersprach manch klassischer Idee von Preiselastizität, trotzdem überrascht es kaum: Für das Bier aus dem Hotel hätten die Test-Studenten im Schnitt 7,25 Dollar hingelegt; beim Laden waren sie nur zu 4,10 Dollar bereit (Medianwerte). Das heisst umgekehrt: Die meisten Tester hätten es als unverschämt empfunden, wenn das Bier im Shop 7,25 Dollar gekostet hätte. Lieber wären sie auf dem Trockenen geblieben.
Zwischen dem Preis eines Gutes und seinem Wert steckt also eine rätselhafte Kraft: die Fairness – respektive die Vorstellungen, die wir davon haben. Je nachdem schlucken die Kunden eine Preisforderung oder sie verwerfen sie.
Der Fall Coca-Cola
Als Lehrbuchbeispiel gilt der Sturz von Coca-Cola-Konzernchef Douglas Ivester: Der liess bereits 1999 Getränkemaschinen testen, die den Preis der Nachfrage anpassten. Er begründete die Idee offen mit dem schwankenden Wert einer Coke-Flasche: «Bei einem Sportfinal im Sommer, wenn sich die Menschen im Stadion treffen und dort Spass haben, ist der Nutzen einer kalten Coca-Cola sehr hoch. Also ist es fair, dass es teurer ist. Die Maschine wird den Prozess einfach automatisieren.» Prompt erntete Ivester etwas, was man heute «Shitstorm» nennen würde, die Empörung kostete ihn am Ende sogar den Job; Board-Mitglied Warren Buffett soll beim Rausschmiss eine starke Rolle gespielt haben.
Der Fall bietet notabene eine Erklärung, warum sich der stationäre Detailhandel bis heute kaum aufs Dynamic Pricing einzulassen wagt.
Wert und Preis: Im Grunde setzt uns Warren Buffett eine klares Erfolgsmotto vor – nämlich, dass wir uns nie am aktuellen Preisschild orientieren sollten, doch stets an der Qualität der Ware. «Es ist viel besser», hat er denn auch gesagt, «eine wunderbare Firma zu einem anständigen Preis zu kaufen als eine anständige Firma zu einem wunderbaren Preis.»
Oder anders: Der Preis kann noch so gut sein – niemals macht er etwas wertvoll.