Die Schweizer Wirtschaft ist – anders als in früheren Krisen – glimpflich durch die Rezession der letzten zwei Jahre gekommen. Trotz Rettungspaketen für die Grossbank UBS und zwei Konjunkturprogrammen blieben die Staatsfinanzen weitgehend intakt. Die Unternehmen traten noch rechtzeitig auf die Sparbremse, konnten aber mit wenigen Ausnahmen schmerzhafte Einschnitte und Massenentlassungen vermeiden. Die Schweizer Exporte sind zwar stark geschrumpft, wie Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand in einem Referat in der Schweizer Botschaft in Brüssel kürzlich aufzeigte. Doch zwischen Mitte 2009 und Mitte 2010 seien zwei Drittel dieser Verluste bereits wieder wettgemacht worden. Derweil blieb der private Konsum im Inland erstaunlich robust. Bei verschiedenen Unternehmen erreichten die operativen Gewinnmargen inzwischen wieder das Vor-Krisen-Niveau, wie Thomas Buri, Leiter Aktien Schweiz bei der Bank Vontobel, jüngst erläuterte.

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Entsprechend komfortabel zeigt sich die Finanzlage der meisten Schweizer Unternehmen. Ihr Kreditvolumen ist in den vergangenen zehn Jahren nur unwesentlich gewachsen, wie aus der Nationalbankstatistik hervorgeht. Im selben Zeitraum stiegen dagegen die Sparguthaben um rund 60 Prozent. Darin sind zwar die Guthaben der privaten Kunden enthalten, doch auch die Firmen sind in den letzten Jahren äusserst haushälterisch mit ihren finanziellen Ressourcen umgegangen. Bei der Credit Suisse zum Beispiel haben die Firmenkunden aus der Schweiz zurzeit einen höheren Bestand an Liquidität als an Kreditschulden. Und UBS-Ökonom Reto Hünerwadel rechnete aus, dass das Verhältnis der Liquidität zur Bilanzsumme bei den börsenkotierten Firmen im Swiss Performance Index (SPI), dem Schweizer Gesamtmarktindex, Ende des vergangenen Jahres auf beinahe 20 Prozent gestiegen ist. Ein Rekord, der 2010 nochmals übertroffen werden dürfte. Dabei wurden die Finanzwerte noch gar nicht eingerechnet, weil sie besonderen Vorschriften zur Rechnungslegung und Liquiditätshaltung unterliegen und mit Industriewerten nur schwer vergleichbar sind.

BILANZ hat die derzeit reichsten Industriefirmen an der Schweizer Börse, die für Anleger besonders attraktiv sind, ermittelt und analysiert (siehe «10 substanzstarke Schweizer Aktien im SPI» im Anhang). Wie eine Auswertung von Daten des Finanzportals Bloomberg ergibt, haben von den 180 Industriefirmen im SPI rund 60 mehr Liquidität als finanzielle Verbindlichkeiten. Nur jede zehnte Firma weist ein Fremdkapital aus, das höher ist als das Eigenkapital. 30 Firmen sind gänzlich schuldenfrei. Zehn Industriekonzerne verfügen über ein Nettovermögen von jeweils über 500 Millionen Franken.

Der Technologiekonzern ABB, der in der letzten Krise Anfang des Jahrhunderts noch vor dem finanziellen Kollaps stand, hat sich seither ein Nettovermögen von über fünf Milliarden Franken angespart. Dieser Reichtum basiert laut CEO Joe Hogan auf dem konzerneigenen Reichtum an Vielfalt und Talenten. «Dafür stehen unsere 117 000 Mitarbeitenden in über 100 Ländern.»

Es gibt jedoch Unternehmen in der Schweiz, die im Verhältnis zu ihrem Börsenwert eine noch deutlich üppigere Kapitalausstattung haben. Beim Maschinenhersteller Carlo Gavazzi macht das Vermögen beispielsweise rund ein Drittel der Börsenkapitalisierung aus.

Geäufnet wird dieser Reichtum aus den kräftig sprudelnden Gewinnen. Konnten die Margen während des Jahres 2009 im Durchschnitt gehalten werden, erwarten die Analysten für dieses wie auch fürs kommende Jahr ein zweistelliges Gewinnwachstum. Zwei Dutzend Industriefirmen im SPI haben eine Gewinnmarge von über 15 Prozent, darunter Blue Chips wie Novartis, Roche, Swatch oder Swisscom. Besonders ertragreich sind Medizinaltechniker wie Synthes. Der Orthopädiekonzern hat ein Nettovermögen von 1,6 Milliarden Franken angehäuft, rund einem halben Jahresumsatz.

Gewinndynamik. Die Gewinndynamik ist umso beachtlicher, als die Wirtschaft in den umliegenden Ländern mit Ausnahme Deutschlands darbt und die Staaten unter ihren Schuldenlasten ächzen. Allerdings präsentiert sich der finanzielle Zustand vieler Unternehmen besser, als aus der allgemeinen Lage zu folgern wäre. So sind die liquiden Mittel der Firmen in den USA in den letzten eineinhalb Jahren von 775 Milliarden auf über 940 Milliarden gestiegen.

Für Thomas Shrager, Partner der Fondsmanager von Tweedy, Browne, ist die Quelle dieses Reichtums klar: «Die Firmen investieren dort, wo sie das stärkste Wachstum verzeichnen.» Das ist inzwischen in den Schwellenmärkten. Die Schweizer Firmen seien darin besonders erfolgreich, so Shrager. Nationalbankchef Hildebrand bestätigt Shragers Beobachtung: Haupttreiber für das Wachstum der Schweizer Firmen seien die Schwellenmärkte. Der Anteil der Schweizer Warenexporte in diese Länder ist in den letzten 20 Jahren von 14 auf 21 Prozent gestiegen. Der Anteil der Exporte nach Asien hat sich dabei verdoppelt. Den Schweizer Unternehmen gelinge es, deutlich höherwertige Güter in Asien zu verkaufen, als das bei ihren Konkurrenten aus der EU der Fall sei, so Hildebrand.

Diese Prosperität der Schweizer Firmen kommt auch den Aktionären zugute. Ein Teil des Füllhorns wird in Form von Dividenden oder Rückkäufen und Rückzahlungen an die Anleger ausgeschüttet. Mit 2,6 Prozent liegt die durchschnittliche Dividendenrendite des SPI deutlich über der Rendite für zehnjährige Bundesobligationen, die noch 1,5 Prozent beträgt. Dieser krasse Renditeunterschied lässt sich nur teilweise mit der höheren Anlagesicherheit von Schweizer Bundesobligationen erklären, lagen doch in der letzten Krise die Dividendenrenditen noch deutlich tiefer als jene der Bundesobligationen. Ausserdem sind die Dividendenrenditen teilweise deutlich höher als die Renditen für Anleihen desselben Unternehmens. Novartis-Aktionäre dürfen sich zurzeit über eine Dividendenrendite von 3,8 Prozent freuen – die Obligationäre der Frankenanleihe mit Laufzeit bis 2015 müssen sich dagegen mit einer Rendite von 1,4 Prozent begnügen.

Anleger, die in den letzten drei Jahren auf Dividendenrenditen geachtet haben, sind – gemessen am Dow-Jones-Dividendenindex für Schweizer Aktien – trotz Kurseinbrüchen während der Finanzkrise wieder rund fünf Prozent im Plus. Derweil liegt der SPI noch immer 15,6 Prozent unter dem Stand von Anfang 2008. Firmen mit hoher Gewinnmarge schütten tendenziell höhere Dividenden aus, wie der Manager des Dividendenfonds von Pictet, Hans Peter Portner, aufzeigt. Versorgungsfirmen wie Stromkonzerne mit einer Dividendenrendite von über drei Prozent haben im Februar eine Betriebsgewinnmarge auf Stufe Ebitda von fast 30 Prozent ausgewiesen. Beim Gesamtmarktindex MSCI World erreichte dieser Wert hingegen bloss 22,3 Prozent.

Investitionskraft. Anleger sollten aber nicht allein auf die Höhe der Dividendenrendite achten. Wichtig ist auch, wie diese Ausschüttungen finanziert werden. Eine Kenngrösse ist beispielsweise die Dividendendeckung. Sie zeigt, wie gross der Anteil der Dividende am Gewinn ist. Beim Westschweizer Stromkonzern Romande Energie betrug der Gewinn letztes Jahr das 20fache der Dividende. Allerdings hat die Fusion von Atel und EOS zu einem ausserordentlichen Gewinn verholfen. Romande Energie ist mit neun Prozent am neuen Konzern Alpiq beteiligt. Doch auch in den kommenden Jahren dürfte der Gewinn pro Aktie rund dreimal so hoch ausfallen wie die Dividende. Im Vergleich zu den andern Titeln in der Tabelle ist dies noch immer ein Spitzenwert. Für CEO Pierre-Alain Urech ist besonders wichtig, die Kapazitäten für Investitionen ins Versorgungsnetz und zur Erschliessung neuer Kunden zu wahren.

Dazu brauchen die Unternehmen einen hohen Cashflow. Ein weiteres Kriterium zur Selektion der reichsten Firmen war für BILANZ deshalb das Verhältnis von freiem Cashflow zu Umsatz. Gemessen wurde der Durchschnitt der letzten drei Jahre, um einmalige Effekte etwas auszugleichen. Romande Energie erreicht so eine Marge von acht Prozent pro Jahr. Der diversifizierte Industriekonzern Schweiter glänzt mit rund 17 Prozent im Rating der BILANZ. Allerdings ist das keine Seltenheit. Pharmawerte und Medizinaltechniker wiederum erzielen noch deutlich höhere Margen. Und selbst die Berner Jungfraubahnen kommen auf über 18 Prozent.

Das Management muss die Mittel erwirtschaften können, die letztlich an die Aktionäre verteilt werden, erklärt Thomas Shrager von Tweedy, Browne. Firmen müssen Innovationen hervorbringen, investieren und mit neuen Produkten ihre Marktanteile ausweiten können. Schokoladenhersteller Lindt & Sprüngli ist eine solche Firma. Für CEO Ernst Tanner beruht der Erfolg des Unternehmens auf der konsequenten Fokussierung auf Produkte mit hoher Wertschöpfung. Ein weiteres Beispiel ist Uhrenhersteller Swatch, der in der jüngsten Wirtschaftskrise dank Produktneuheiten und laufenden Produktivitätsverbesserungen erstaunliche Robustheit bewies.

Die Finanzkraft kommt den Anlegern deshalb nicht nur in Form von Dividenden zugute. Die Firmen können damit auch Investitionen und Übernahmen finanzieren und so neues Wachstumspotenzial erschliessen. Tatsächlich haben die Schweizer Firmen im vergangenen Jahr ihre Investitionstätigkeit um fast elf Prozent gedrosselt. Für dieses und die beiden nächsten Jahre rechnen die Ökonomen nun aber wieder mit einem konstanten Wachstum von vier bis fünf Prozent. Zunehmen dürften auch die Firmenübernahmen. Gemäss den Analysten von Credit Suisse steht ein neuer Zyklus von Übernahmen bevor.

Allerdings besteht damit das Risiko, dass sich die Bonität der Firmen verschlechtert. So sind beispielsweise Roche durch die Übernahme von Genentech und Novartis durch den Alcon-Kauf deutlich zurückgestuft worden. Solche Rückstufungen führten dann zu Verlusten bei den Aktienkursen, wie Kreditspezialist Gion Reto Capaul von Visual Finance anhand der Bonitätsentwicklung der Blue-Chip-Firmen in der Schweiz in den letzten zehn Jahren analysiert hat. Für ihn ist die Kreditqualität nicht nur beim Kauf von Obligationen ein unerlässliches Kriterium, sondern auch bei Investitionen in Aktien. Finanzstarke Firmen bewältigen diese Wachstumsschritte deutlich besser.