Wer die vierteljährliche Flut von Berichten über die Unternehmensgewinne fürchtet, für den ist die Ankunft von Robotern an der Wall Street vielleicht nicht allzu schlecht.
Die Research-Abteilung der amerikanischen Grossbank Morgan Stanley testet künstliche Intelligenz, die die Brot-und-Butter-Arbeiten bei der Abdeckung von Konzern-Bilanzzahlen übernehmen soll. Dabei geht es um jene Routineaufgaben, bei denen Analysten sich oft stundenlang durch Pflichtmitteilungen wühlen oder Firmenmanagern bei ihren Ausführungen zuhören müssen.
50'000 Berichte für Kunden
Die weltgrösste Investmentbank im Aktienhandel produziert in jedem Jahr rund 50'000 Berichte für Kunden. In einigen Fällen handelt es sich dabei lediglich um Zusammenfassungen von Veröffentlichungen. Solche Aufgaben sind vielleicht besser bei Maschinen aufgehoben, meint Simon Bound, der weltweite Research-Chef der Bank.
«Wir können künstliche Intelligenz einsetzen, um die Berichtssaison für Analysten wesentlich effizienter zu gestalten», sagte Bound in einem Interview mit Bloomberg. «Die Idee ist, bei Analysten Freiräume für wertschöpfende Arbeiten freizuschaufeln und die Gewinnung von Erkenntnissen zu beschleunigen. Sie können dann mehr Zeit mit den Kunden verbringen.»
Sorgen um Arbeitsplätze wächst
Dass die Wall Street die neuen kognitiven Technologien mit offenen Armen empfängt, führt bei einigen Finanzprofis durchaus zu Sorgen um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze. Aber zumindest auf kurze Sicht wird die künstliche Intelligenz an Stellen wie der Research-Abteilung von Morgan Stanley wahrscheinlich eine willkommene Hilfe sein - nicht zuletzt wohl mit dem Ziel, sich einen Vorsprung gegenüber Analysten bei konkurrierenden Unternehmen zu verschaffen.
Die Vision von Bound ist letztlich, dass Machine-Learning-Software die Pflichtmitteilungen von Firmen durchforstet, grundlegende Berichte schreibt und so den Menschen jedes Mal ein paar Stunden an Zeit spart. Analysten werden die daraus entstehenden Berichte jedes Mal vor der Veröffentlichung noch einmal überprüfen und ihre eigenen kurzen Kommentare hinzufügen, sagte er. Die Programme sollen auch Transkripte von Management-Telefonkonferenzen lesen, um Einsichten und Stimmungsbilder für ihre menschlichen Kollegen zu generieren.
Morgan Stanley entwickelt ausserdem einen virtuellen Assistenten für das Research-Portal des Unternehmens. Zunächst können mit diesem einfache Anfragen durchgeführt werden, wie etwa die Beantwortung der Frage nach dem Kursziel von Tesla.
Nehmen ein Drittel der Arbeit ab
Neue Technologien dürften bei den Investmentbanken Einzug halten und vielen der traditionellen Angestellten rund ein Drittel ihrer derzeitigen Arbeit abnehmen. Das bestätigte auch eine Studie von McKinsey aus dem Sommer.
Automatisierte Prozesse werden laut McKinsey «Kapazitäten freisetzen» und es Mitarbeitern ermöglichen, sich auf Aufgaben mit höherem Wert zu konzentrieren. Dadurch würden unter anderem neue Ideen entstehen. «Das gewinnt wirklich an Fahrt und wird die Branche in den kommenden zwei bis drei Jahren verwandeln», erklärte Jared Moon, McKinsey-Partner und einer der Autoren der Studie, seinerzeit in einem Interview mit Bloomberg.
Die Studie von McKinsey deutete gleichzeitig eine mögliche Kehrseite dieses Szenarios an. Banken, die sich der Automatisierung annehmen, werden zwar effizienter, innovativer und flinker. Doch Wettbewerber, die den Wandel verpassen, könnten den Anschluss verlieren.
(bloomberg/ccr)
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