Das Fass Rohöl kostet 150 Dollar, für Mais, Weizen und Soja müssen Preise wie nie zuvor bezahlt werden, und Metalle wie Kupfer oder Gold haussieren. Auf beinahe 900 Punkte ist der S&P GSCI – der wichtigste Gradmesser des Rohstoffmarktes – gestiegen. Das war vor fünf Jahren. Damals überboten sich Analysten und Journalisten mit Schlagzeilen wie «Boom im Kornfeld» oder «Der nächste Megatrend». Der prominenteste Fürsprecher der Anlageklasse war Jim Rogers, der nichts weniger als einen Superzyklus beschwor.
Im Zentrum seiner Argumentation stand der rasante Aufschwung der Schwellenländer. Vor allem China sagte er einen riesigen Bedarf an Energie, Metallen und Getreide voraus. Das rief Banken und Fondshäuser auf den Plan, die, inspiriert vom Erfolg passiver Aktien-Indexfonds, auch auf einzelne Rohwaren, Metalle und Energieträger passive Produkte anboten – sogenannte Exchange Traded Commodities, kurz ETCs.
Strukturierte Produkte machten es überdies möglich, unterschiedlichste Wetten auf Rohstoffe abzuschliessen. Bankberater rieten ihren Kunden zu dieser Anlageklasse wegen der historisch gegenläufigen Preisentwicklung zu Aktien und Obligationen. Weitere Verkaufsargumente waren erstens die Diversifikation des Portfolios und zweitens der Inflationsschutz, Rohstoffe sind klassische Sachwerte.
Jähes Ende des Rohstoff-Hypes.Der Zusammenbruch von Lehman Brothers stillte vielen Investoren jedoch den Risikohunger und nahm ihnen den Glauben an den Megatrend von Rohstoffen, zumal sich die Anlageklasse nicht wie erhofft gegenläufig zu Aktien und Obligationen entwickelte, sondern gleichläufig. Der S&P GSCI verlor 2008 innerhalb eines halben Jahres mehr als zwei Drittel an Wert und notierte zeitweise bei 320 Punkten.
Der Index hat sich mittlerweile von den Tiefstständen erholt, von einer Hausse ist der Markt allerdings weit entfernt. Während die Kurse an den Aktien- und Rentenmärkten seit Jahren nach oben zeigen, kommen die «Commodities» nicht vom Fleck. Auf kurze Sicht ziehen sich quer durch das gesamte Warenspektrum rote Vorzeichen.
In der Finanzindustrie und der Politik ist eine Diskussion über den Nutzen der Anlageklasse entbrannt. «Die Argumente, Rohstoffe als Schutz vor einer Geldentwertung oder zur Risikostreuung zu kaufen, haben sich abgeschwächt», sagt beispielsweise Ian Taylor, Chef des Energiehändlers Vitol. Dominic Schnider, der für die UBS das Geschehen an den internationalen Warenmärkten von Singapur aus beobachtet, hält Rohstoffe zur strategischen Vermögensallokation ebenfalls nicht mehr für zwingend notwendig. «Dafür fallen die langfristigen Renditen im Verhältnis zu den Preisschwankungen zu mager aus», begründet der Analyst. Vom Ende des viel zitierten Superzyklus möchte er aber nicht sprechen. «Das hängt vom Betrachtungszeitraum ab», fährt Schnider fort und verweist auf das Wachstum der Weltbevölkerung.
Nach Einschätzung der Vereinten Nationen dürften 2050 ungefähr 9,3 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das wären rund zwei Milliarden mehr als heute. Vor diesem Hintergrund und wegen der wachsenden Mittelschicht in Schwellenländern scheint eine weitere Verknappung unausweichlich zu sein. «In 20 bis 30 Jahren brauchen wir wohl strukturell höhere reale Rohstoffpreise», sagt UBS-Mann Schnider. Nur so sei Kapital für die immer aufwendigere Erschliessung neuer Quellen respektive für einen effizienteren Umgang mit den bestehenden Vorkommen vorhanden.
Kurzfristig sieht die Welt anders aus. «Der wichtigste Treiber für die Renditen im Rohstoffbereich ist und bleibt die Wirtschaftsdynamik», betont der Experte. Doch bereits im nächsten Atemzug nennt Schnider die zentrale Rolle Chinas. Das hat sich seit dem Rohstoff-Hype nicht geändert: Das Reich der Mitte ist nach wie vor der bedeutendste Abnehmer für viele Waren. So entfallen etwa mehr als 40 Prozent der weltweiten Kupfernachfrage auf die Volksrepublik. China transformiert sein Wachstumsmodell derzeit weg vom Export hin zum Binnenkonsum. Daher ist nach einer zyklischen Erholung im zweiten Halbjahr 2013 ein konstanter Rückgang der jährlichen industriellen Wachstumsrate zu erwarten. Diese betrug im ersten Quartal noch 9,8 Prozent, doch gemäss Prognosen kommt es in den nächsten Jahren zu einer Abflachung auf 7 Prozent. «Diese Transformation wird sich erheblich auf die zusätzliche Rohstoffnachfrage auswirken und die Preisentwicklung bremsen», schliesst Schnider daraus.
Zumal von den anderen grossen Wirtschaftsräumen nur wenige erfreuliche Impulse kommen. Der Euroraum leidet unverändert an der Schuldenkrise. Die zähe Rezession in vielen Ländern zwang die Europäische Zentralbank (EZB) jüngst dazu, den Leitzins auf 0,5 Prozent zu senken – auf den tiefsten Stand seit der Einführung des Euro. Immerhin sieht die Lage in den USA besser aus: Im ersten Quartal wuchs die Wirtschaftsleistung um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor allem die Verbraucher waren für diesen Aufschwung verantwortlich. Von Januar bis Ende März 2013 ging es mit den Konsumausgaben so stark nach oben, wie dies seit Ende 2010 nicht mehr der Fall war.
Kränkelnder Dr. Copper. Positivere Signale kommen auch vom Arbeitsmarkt: Die Landwirtschaft ausgeklammert, schufen die Vereinigten Staaten in den ersten vier Monaten des Jahres 783 000 neue Jobs. Gleichzeitig erreichte die Arbeitslosenquote mit 7,5 Prozent den tiefsten Stand seit Dezember 2008. Die Entwicklung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass den USA im Vergleich zum Boomjahr 2007 weiterhin 2,6 Millionen Arbeitsplätze fehlen. Zudem lassen Frühindikatoren eine erneute Eintrübung der Wirtschaftsleistung befürchten. Beispielsweise bewegte sich der Einkaufsmanagerindex für die US-Industrie im April nur noch knapp über der Wachstumsschwelle. Alles in allem bleibt die grösste Volkswirtschaft der Welt von der tatkräftigen Unterstützung durch die Notenbank Federal Reserve abhängig.
Der Blick auf die Rohstoffmärkte bestätigt das und verrät, dass Wolken am Konjunkturhimmel aufziehen. Nach einem schwungvollen Jahresauftakt gerieten vor allem die Preise von Industriemetallen unter Druck. Wichtigster Vertreter dieser Warengruppe ist das Kupfer. Das rote Metall gilt als besonders sensibel in Bezug auf den Konjunkturverlauf und trägt daher den Beinamen «Dr. Copper». Das rührt daher, dass Kupfer sehr vielfältig eingesetzt wird. Das Metall zeichnet sich durch besonders gute elektrische und thermische Leitfähigkeiten aus sowie durch eine hohe Korrosionsbeständigkeit, was in der Automobilindustrie, auf dem Bau sowie in der Elektroindustrie unabdingbar ist.
Unrentable Produktion. Gemäss Aurubis, der grössten Kupferhütte Europas, betrug die weltweite Kupferförderung 1980 rund neun Millionen Tonnen. Im vergangenen Jahr kletterte der Wert über die Marke von 20 Millionen Tonnen. Doch auch diese immense Menge reichte im letzten Jahr nicht aus, um den weltweiten Bedarf zu decken. Das dürfte sich ändern. Die International Copper Study Group (ICSG) geht nämlich davon aus, dass die Nachfrage 2013 lediglich um 0,3 Prozent zunehmen wird. Erstmals seit 2009 würde es damit zu einem Angebotsüberschuss kommen.
Die Commerzbank geht trotzdem von steigenden Kupferpreisen aus. «Die meisten Metallpreise handeln mittlerweile bereits unter ihren Produktionskosten», argumentiert die Bank. Im zweiten Halbjahr rechnet sie mit einer Belebung der Weltwirtschaft und einem entsprechenden Anziehen der Nachfrage. Konkret soll der Kupferpreis bis Ende Jahr auf 7950 Dollar steigen. Gegenüber Anfang Mai würde sich Dr. Copper also um knapp zehn Prozent verteuern. Für Anleger, die auf steigende Kurse setzen möchten, gilt zu beachten, dass Kupfer im sogenannten Contango notiert. Das bedeutet, dass länger laufende Terminkontrakte höher notieren als nächstfällige. Diese Konstellation ist nicht ungewöhnlich. In den mit dem Zeitverlauf steigenden Preisen spiegeln sich unter anderem die Kosten für die Lagerung.
Für Rohstoffindizes, die Futures kontinuierlich ablösen müssen – im Jargon ist von «rollen» die Rede –, bedeutet das Contango also Verluste. Denn der Ertrag aus dem Verkauf fälliger Kontrakte reicht nicht aus, um eine identische Stückzahl neuer Kontrakte zu erwerben. Mit innovativen Konzepten versuchen Anbieter, diesen negativen Einfluss zu umgehen. Überzeugen kann hier die 2007 lancierte Indexfamilie UBS Bloomberg CMCI. Auch traditionelle Gradmesser wie der S&P GSCI oder der Rogers International Commodity Index (RICI) weichen der «Contango-Falle» mittlerweile mit modernisierten Varianten aus.
Rollgewinne am Ölmarkt. Doch Futures-Märkte verkehren sich mitunter auch ins Gegenteil. Die Terminkurve für die Nordseesorte Brent zeigt eine lupenreine «Backwardation». Während der aktuelle Kontrakt bei 104 Dollar notiert, ist der Kontrakt per Verfall Juni 2014 vier Prozent günstiger zu haben. Die Händler befürchten offenbar eine Angebotsverknappung. Das rührt nicht zuletzt vom nach wie vor ungelösten Atomstreit des Westens mit dem Iran her. Schliesslich hält die Islamische Republik die drittgrössten Reserven aller Opec-Länder. Hinzu kommt, dass die Produktion in der Nordsee deutlich unter das Niveau der vergangenen Jahre gefallen ist. Eine Aufhellung der Stimmung im krisengeplagten Euroraum oder eine Verschärfung der Irankrise würden ausreichen, um den Rohölpreis nach oben zu treiben.
Ungeachtet kurzfristiger Avancen erfordert es Geduld, in den Rohstoff-Superzyklus zu investieren. Denn dass wirklich alle Landwirte in zwanzig Jahren Lamborghini fahren, wie es Jim Rogers prophezeit, ist zu bezweifeln. Ausser Lamborghini besinnt sich auf ihre Wurzeln und produziert erneut Traktoren.