BILANZ: Herr Stadler, hätte einer Ihrer Verwaltungsräte Millionen an Steuern hinterzogen, wäre er für Audi noch tragbar?
Rupert Stadler: Worauf wollen Sie hinaus?
Im Fall des FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeness müssen Sie entscheiden. Audi hält neun Prozent am Fussballclub, Sie sind Verwaltungsrat und lassen Hoeness trotz Selbstanzeige gewähren?
Er hat eine Selbstanzeige nach deutschem Recht gemacht, die unter bestimmten Bedingungen strafbefreiend ist. Darüber entscheidet ein Gericht. Wir werden keine Vorverurteilung vornehmen, sondern das laufende Verfahren abwarten.
Wieso Vorverurteilung? Er hat doch seine Schuld eingestanden.
Das hat er. Aber mögliche Konsequenzen hat ein Gericht zu prüfen.
Viele Topmanager oder Verwaltungsräte treten schon beim Verdacht zurück, um Schaden von der Firma abzuwenden.
Ich denke, dass ich dazu alles gesagt habe.
Der Fussball wird häufig von Skandalen erschüttert, zuletzt auch die Fifa, wo Präsident Blatter nun Governance-Regeln eingeführt hat. Wird Fussball zu unsauber als Werbeplattform?
Mitnichten. Dass der FC Bayern in der Fussballweltliga unter den Top Fünf rangiert, freut mich und viele Audianer. Fussball ist weltweit die populärste Sportart.
Auch im Autogeschäft geht es unsauber zu. Der Schweizer Händler Amag hat mit einer Selbstanzeige die Rabattabsprache von Audi- und VW-Händlern in der Schweiz aufgezeigt.
Die Amag ist ein unabhängiges Unternehmen, das unsere Produkte importiert. Sie hat die Wettbewerbskommission informiert, weil sie den Eindruck hatte, dass möglicherweise zwischen Händlern Absprachen getroffen wurden. Die Amag hat also die Aufklärung angestossen, und wir als Hersteller haben selber das grösste Interesse daran, dass der Sachverhalt rückhaltlos aufgeklärt wird.
Weniger Rabatte – das müsste Audi doch gelegen kommen.
Die «Rabattitis» ist eine schlimme Krankheit, sie schadet einer Marke, einem Hersteller. Wir achten darauf, dass die Wiederverkaufswerte stabil bleiben, im Interesse unserer Kunden.
In der Schweiz wie in Gesamteuropa ist Audi Premiummarktführer. Ihr Ziel, BMW weltweit von der Spitze zu stossen, haben Sie von 2015 auf 2020 verschoben. Was macht es so schwierig?
Wir sind in Europa und China führend, haben riesige Chancen in den USA. Wenn man sich unser globales Volumen von Januar bis Mai ansieht – 640 200 abgesetzte Autos –, sind wir nur Wimpernschläge von unseren Wettbewerbern entfernt. Im Verkaufsergebnis die Nummer eins zu sein, ist das gewünschte Ergebnis, aber vorher muss etwas wichtiges anderes passieren.
Was denn?
Wenn Sie wie der FC Bayern in der Champions League antreten, wollen Sie ins Endspiel kommen. Wichtig ist mir dabei die richtige Geisteshaltung, es unbedingt zu wollen, dass alle darauf hinarbeiten. Und es genügt nicht, nur bei den Verkaufszahlen zu gewinnen. Wir müssen bei verschiedenen Parametern vorn sein: beim Absatz, bei der Qualität des Verkaufs, der Kundenbetreuung, der Rendite und als attraktiver Arbeitgeber.
Für 2015 liegt Ihr Absatzziel bei 1,5 Millionen Autos. So lange brauchen Sie doch nicht bei zuletzt 1,46 Millionen.
Wir wollen die 1,5 Millionen auf jeden Fall 2014 erreichen, ein Jahr früher als ursprünglich geplant. Aber wir sind umsichtige Kaufleute und bleiben auf dem Teppich. Wer hat denn vor zwei Jahren mit einem erneuten Dip in Westeuropa gerechnet?
Bisher hilft die Schweiz Ihrem Geschäft. Auch weiterhin?
Der Schweizer Markt ist sehr stabil. Die Schweiz hat eher mit der Währung ein Thema, das die Direktimporte anheizt. Südeuropa dagegen zeigt eine enorme Schwäche. Spanien ist auf dem Marktniveau von vor 1989, Italien liegt auf einem Tiefstand wie seit den siebziger Jahren nicht mehr. Zunehmend werden auch andere Märkte verunsichert. In Europa ist es im Moment nicht einfach. Im Markt, der normal 14 Millionen Einheiten stark ist, werden 2013 voraussichtlich nur 11 Millionen Autos abgesetzt – die Absatzlücke von drei Millionen Autos trifft alle.
Für wann sehen Sie wieder einen Aufschwung?
Europa bewegt sich auf jeden Fall noch drei Jahre seitwärts. Dann sehen wir wahrscheinlich wieder ein zartes Wachstum. Aber bei diesen Tiefständen ist selbst ein Zuwachs von drei oder fünf Prozent fast nichts.
Die Schuldenstaaten machen die Situation noch gefährlicher.
Die öffentlichen Haushalte müssen sparen. Das werden die Menschen zunehmend im Portemonnaie spüren, sie werden beim Konsum zurückhaltender sein. Jedes Land muss seine Hausaufgaben machen, auch Deutschland. Ein Ausweg auf Pump wird nie funktionieren. Wir dürfen unsere Zukunft nicht auf einem Schuldenberg aufbauen.
Die Schweiz freut sich über ihren Franken angesichts der Diskussion über den Euro. Hält die Gemeinschaftswährung?
Der Euro wird halten. Wieso hat es beim Dollar funktioniert? Man muss sich nur die USA ansehen, die vielen Bundesstaaten mit ihrer unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur. Das ist mit Europa vergleichbar. Wichtig ist, dass alle in dieselbe Richtung marschieren. Das erfordert Reformen. Aber die Vorteile sind gigantisch
Und wo sehen Sie die?
Wir können über eine Grenze fahren, ohne Geld zu wechseln – der Euro ist ein Freiheitssymbol, das dürfen wir doch jetzt nicht in Frage stellen. Wir würden uns mit der Rückkehr zu Einzelwährungen in der Welt an den Rand begeben, uns marginalisieren. Als Europäer sind wir in dieser globalisierten Welt gefordert, unsere Interessen wahrzunehmen – industriepolitisch, marktpolitisch. Wir müssen zeigen, dass man Europa ernst nehmen muss. Das geht nur geeint.
Der Fokus aller Konzerne liegt auf Amerika und Asien. Audi baut ein Werk in Mexiko. Ist das stagnierende Europa abgeschrieben?
Keinesfalls. Europa bleibt unser stärkstes Standbein. Aber das Wachstum ist in Amerika und Asien stärker. Wenn man dort nicht zu Hause ist und produziert, kann man die Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen. Deshalb gehen wir mit unserem neuen Werk auch nach Nordamerika. Schauen Sie, in China haben wir 2012 über 400 000 Autos verkauft und feiern in ein paar Wochen unser 25-Jahr-Jubiläum. Wären wir dort nicht schon so lange vertreten, könnten wir im Premiummarkt nicht führen
Da bleibt doch nur ein Abbau in Europa.
Im Gegenteil. Wenn wir im Ausland produzieren, hilft das europäischen Standorten – Fabrikplanung, Austausch von Ingenieuren, Know-how-Transfer laufen von Deutschland aus. Die Erfahrung zeigt, dass auf drei Jobs in einem neuen Werk ein neuer Arbeitsplatz in einem bestehenden Werk entsteht. Wie ziehen wir Mexiko hoch? Wir holen Mexikaner zu uns und führen viele unserer Leute dorthin. Für 100 Stellen, die wir in Mexiko besetzen wollen, erhielten wir über 700 Bewerbungen von unseren deutschen Mitarbeitern. Wir hatten noch nie so viele Mitarbeiter wie heute, die mal im Ausland arbeiten, mal in der Heimat – da kommt eine riesige Drehscheibe in Gang.
China wächst weniger, der Staatspräsident verbietet Luxus. Die Schweizer Uhrenindustrie bringt das ins Schwitzen. Sie auch?
Ich habe noch keinen wohlhabenden Chinesen mit einer nachgemachten Uhr gesehen. Und auch das Auto ist in China ein äusserst geschätztes Produkt, weil es Freiheit vermittelt und Status signalisiert. Das Potenzial ist gewaltig. Im Moment kommen auf 1000 Einwohner nur 70 Autos. Vor 15 Jahren wurden in China im Jahr drei Millionen Autos pro Jahr neu zugelassen, so viel wie im Durchschnitt in Deutschland. Heute ist der chinesische Markt grösser als der europäische. In absehbarer Zeit sehen wir in China 20 Millionen neue Autos jährlich.
Wie stark hilft Ihnen da das Geschäft mit Geländewagen?
Nicht nur in den USA sind die SUVs beliebt, auch in Ländern wie der Schweiz mit ihren Bergen. In Europa und China spüren wir, wie das Interesse steigt. Langfristig wird jeder dritte verkaufte Audi eines unserer Q-Modelle sein. Dafür belegen wir mehr Nischen, etwa mit kleineren und sportlicheren SUVs.
Die CO2-Vorschriften dürften Sie bei solchen Spritschluckern in Atem halten. Die Schweiz begrenzt die Emissionen stärker. Jetzt verlangt auch noch die EU 78 Gramm CO2 pro Kilometer bis ins Jahr 2025, nach 95 Gramm bis 2020. Bisher bewegten Sie sich nur auf Kommando. Sind Sie selbst schuld?
Nein. Wir investieren seit Jahren Milliardenbeträge, um den Verbrauch zu senken, und haben die Emissionsvorgaben stets übererfüllt. Wenn die EU bei den neu geplanten Werten sicherstellt, dass wir 300 000 E-Autos pro Jahr verkaufen, ist unsere Welt heil. Nur, das finanzielle Risiko nimmt uns keiner ab, das tragen wir alleine. Ich halte es für fahrlässig, jetzt weitere CO2-Ziele zu diskutieren, bevor wir das langfristige Verbraucherverhalten und die damit verbundenen Kosten kennen. Wir sind dabei, gemeinsam die Zwischenetappe bis 2020 zu schaffen. Erst wenn wir wissen, wohin das führt, sollten wir den weiteren Weg diskutieren.
Die Politik stampft die Ziele für den E-Auto-Absatz ja schon ein.
Der übereifrige Hype ist vorbei, Gott sei Dank. Die Elektromobilität ist technologisch sehr anspruchsvoll. Nicht jedes Unternehmen wird das schaffen. Wir setzen auf Plug-in-Hybride, die per Steckdose aufladbaren E-Motor und Verbrenner kombinieren. Den Start macht 2014 der A3 e-tron. Das Auto kann 50 Kilometer in der Stadt emissionsfrei elektrisch fahren und kommt mit dem klassischen Verbrennungsmotor bis Italien. Wir geben den Kunden das Beste aus zwei Welten.
Das reine E-Auto ist tot?
Auf keinen Fall, doch wie gross das Segment wird, weiss heute niemand. Die geringen Reichweiten bremsen diese Modelle und ihre Zukunftsperspektiven noch. Daher sind wir überzeugt, mit unserem Plug-in-Hybrid für die nahe Zukunft die richtige Antwort zu haben. Und unser Auto schafft 25 Gramm CO2 pro Kilometer. Da muss man sich auch nicht verstecken.
Ihre Labors bieten noch andere Visionen. Ein Audi lässt sich per Handy steuern, wie bei James Bond. Fiktion oder Realität?
Heute kann sich ein Audi schon in den Verkehr einklinken. Sie brauchen kein Gas zu geben oder zu bremsen, das Auto fährt mit den anderen mit. Die Elektronik überwacht, ob das Auto in der Spur bleibt. Wir träumen davon, dass die Autofahrer irgendwann nicht einmal mehr die Hände am Lenkrad haben müssen, was die Zulassungsbehörden heute noch verlangen. Bis zum Ende des Jahrzehnts werden wir über die Prototypen dieser selbständig fahrenden Autos hinaus sein.
Also dürfen wir bald Softwareabstürze unserer Autos erwarten?
Das Auto ist weit komplexer als ein Computer. Kennen Sie einen Computer, der bei minus 25 Grad genauso wie bei plus 40 zuverlässig funktioniert, bei Erschütterung, hoher Luftfeuchtigkeit und Beschleunigung? Unsere Rechner im Auto können das, weil wir sie sehr sorgfältig erproben. Das Auto ist lange nicht am Ende der Entwicklung. Die Gesellschaft will vernetzter leben, und wir müssen die Mobilität in den Metropolen effizient organisieren. Verkehrssysteme vernetzen sich schon mit dem Auto – das nimmt weiter zu. Automobile, die allein einparken oder Strecken selbständig fahren, werden die Zukunft sein.
Der Gasgeber
Auf Audi-Chef Rupert Stadler (50) wartet der ganz grosse Triumph: Er wird als Nachfolger von Martin Winterkorn an der Volkswagen-Spitze gehandelt, wenn er weiterhin Erfolg hat. Seit der Betriebsökonom von 1997 bis 2002 das Generalsekretariat von VW-Patriarch Ferdinand Piëch leitete, ist er im Aufstieg: zum Audi-Finanzchef, 2007 zum CEO, 2010 zog er auch in die VW-Führung ein. An der HSG gibt er seit 2012 sein Wissen als Honorarprofessor weiter.