BILANZ: Rupert Murdoch gilt als mächtigster Medienmanager der Welt, doch in den Untersuchungen zum Abhörskandal in Grossbritannien wirkte der 80-Jährige alt und wenig vertraut mit den Abläufen in seinem Unternehmen News Corporation.
Sarah Ellison: Er hat seine geistigen Fähigkeiten sicher nicht so stark verloren, wie es bei den parlamentarischen Anhörungen in London den Anschein erweckte. Aber selbst befragt zu werden und dabei einen guten Eindruck zu hinterlassen, ist für Murdoch unbekanntes Terrain. Rechtlich gesehen war sein Auftritt erfolgreich, denn er hat nichts zugegeben, was inkriminierend war. Aber man merkte ihm sein Alter an, und dass er die Details entweder nicht preisgeben wollte oder nicht kannte, hinterliess keinen guten Eindruck.
Wann haben Sie ihn kennen gelernt?
Nachdem Murdoch 2007 das «Wall Street Journal» übernommen hatte, sah ich die Chance für mein Buch. Ich kannte die Zeitung gut, hatte dort zehn Jahre gearbeitet. Ich kündigte also. Murdoch gewährte mir sehr grosszügig Zugang: Ich konnte viel Zeit mit ihm und seinen engsten Mitarbeitern verbringen und ihn zu vielen Sitzungen begleiten.
Wie ist sein Führungsstil?
Er ist sehr entscheidungsfreudig, interessiert sich aber nicht für lange Präsentationen seiner Untergebenen. Ich habe viele Meetings erlebt, in denen er schnell ermüdete und keine Lust mehr hatte, den Einzelheiten zu folgen. Murdoch kann sein Alter nicht verbergen.
Wie stark mischt er sich ins Tagesgeschäft ein?
In den Monaten nach der Übernahme sehr stark. Er telefonierte jeden Tag mit dem Chefredaktor. Zwar lässt er sich leicht ablenken und ist schnell gelangweilt, und er weiss sicher nicht über jedes Detail Bescheid. Aber seine engen Mitarbeiter geben ihm, was er will, ohne dass er sie danach fragt. Wer länger mit ihm zusammenarbeitet, findet heraus, was er mag und was nicht. Bei den Abhöraktionen wissen wir nicht, was er wann wusste, weil er abgestritten hat, überhaupt etwas zu wissen. Deswegen ist die Kultur so wichtig: Seine Schlüsselmitarbeiter verhalten sich so, wie sie glauben, es würde ihm gefallen.
Welches war Ihre einprägsamste Erfahrung während der Recherche?
Ich verbrachte den gesamten Tag mit ihm, als er die Trennung vom damaligen Chefredaktor Marcus Brauchli organisierte. Das war ein Kulminationspunkt: Murdoch hatte sich zuvor gegenüber der bisherigen Besitzerfamilie Bancroft verpflichtet, nicht in redaktionelle Belange einzugreifen, und dazu zählte natürlich auch die Bestellung der Chefredaktion. Dafür wurde sogar ein eigenes Komitee eingerichtet, das die Unabhängigkeit garantieren sollte. Doch für Murdoch war schnell klar, dass Brauchli den Kurs des Blatts nicht in seine Richtung ändern wollte. Ich war dabei, als er die Komiteemitglieder anrief und ihnen mitteilte, dass Brauchli die Zeitung verlassen werde.
Das Komitee war eine Farce?
Eine absolute Farce, denn es war ja eigentlich dazu eingesetzt worden, einen derartigen Schritt zu verhindern.
Warum hat er eine Journalistin bei diesem Bruch seines Versprechens zusehen lassen?
Vielleicht wollte Rupert Murdoch, dass dieser Moment dokumentiert wurde. Für ihn war die Übernahme des «Wall Street Journal» ein Moment, der ihn in den Vereinigten Staaten neu definieren sollte: Endlich konnte er diese prestigeträchtige Publikation lenken, die alle seine bisherigen Akquisitionen in den Schatten stellte.
Und dafür bricht man seine Versprechungen in der Öffentlichkeit?
Ihm ist eben wichtig, seine Ziele umzusetzen. Regeln, die dabei im Weg stehen, werden gebrochen.
Der Gencode des Murdoch-Clans lautet, so schreiben Sie: «Wir gegen die Welt.»
Die Murdochs begannen mit einer kleinen Provinzzeitung in Adelaide, Australien. Als ich für mein Buch Ruperts Tochter Elisabeth interviewte, sagte sie mir, sie seien sehr viel umgezogen. Ausserdem wurde der Vater in England und den Vereinigten Staaten als raubeiniger Eroberer wahrgenommen und traf deshalb auf grosse Ablehnung, was die Familie zusammenschweisste. Jetzt gibt es drei erwachsene Kinder aus Ruperts zweiter Ehe, die noch immer im Geschäft der News Corporation aktiv sind und um die Zuneigung und Aufmerksamkeit des Vaters buhlen. Sie haben sicher oft unterschiedliche Auffassungen. Doch bei Angriffen von aussen stehen sie zusammen. Auch wenn die Spannungen in der Familie derzeit sicher sehr gross sind und besonders die Rolle von James sehr kontrovers ist.
Der jüngste Murdoch-Sohn, James, soll vor dem Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments die Unwahrheit gesagt haben. Kann er noch Chef der News Corporation werden?
Er lag bis zu dem Skandal sicher vorn. Sein älterer Bruder Lachlan hatte vorher den gleichen Titel, Deputy COO. Dann überwarf sich Lachlan mit dem damaligen Chef von Fox News und mit dem COO. Rupert stützte Lachlan nicht. Der fühlte sich verraten und ging nach Australien zurück. James übernahm die gleiche Rolle, und viele Aktionäre stützten ihn. Doch jetzt fragen sich viele Analysten und Investoren, ob das wirklich die beste Lösung sei.
Ist es denn überhaupt noch richtig, dass die Familie eine so starke Bedeutung hat? Murdoch sei der «letzte Mogul», titelt der «Economist» und beschreibt ihn als Vertreter einer aussterbenden Spezies von Mediendynastien.
In der angelsächsischen Welt sterben diese Dynastien aus. Früher haben die Aktionäre immer zu Murdoch gehalten, weil sie in ihm einen genialen Geschäftsmann sahen. In den letzten Jahren hat er jedoch Entscheidungen getroffen, die schlecht sind für die Aktionäre. Deswegen spricht man heute vom Murdoch Discount. Die Aktie liegt hinter den Wettbewerbern, weil die Aktionäre über den zu grossen Familieneinfluss besorgt sind. Die Übernahme von Dow Jones, der Muttergesellschaft des «Wall Street Journal», war ein finanzielles Desaster.
Nach einem Jahr musste Murdoch die Hälfte des Kaufpreises von 5,6 Milliarden Dollar abschreiben.
Die Frage ist, ob für ein Konglomerat wie News Corporation Dow Jones überhaupt die richtige Akquisition war, wenn man nicht nur gegen Time Warner und Viacom, sondern auch gegen Technologiefirmen wie Google oder Apple antreten will. Rupert Murdoch wollte das «Wall Street Journal» unbedingt, obwohl selbst sein damaliger Stellvertreter skeptisch war. Für die Website Myspace hat er sehr viel Geld ausgegeben und musste sie dann für einen Bruchteil wieder verkaufen. Als Murdoch seiner Tochter Elisabeth kürzlich Shine Productions kaufte, wurde das als Nepotismus gesehen. Deswegen kommt die Frage auf: Führt er die Firma für seine Familie oder für seine Aktionäre? Der Verlust der BSkyB-Akquisition in England, die fertig ausgehandelt war, ist ein grosser Verlust für die Aktionäre.
Wie erklären Sie diese abrupte Anti-Murdoch-Stimmung in England? Vom Königsmacher zur Unperson in zwei Wochen?
Die Rolle des Königsmachers basierte immer auf Furcht. Die Politiker umgarnten ihn aus einer gewissen Angst heraus, dass sich Murdochs Boulevardpresse – «Sun» und «News of the World» – gegen sie richten würde. Jetzt hat fast das ganze Land das Gefühl, es sei von dieser Boulevardpresse erpresst worden. Das ist die britische Version des arabischen Frühlings. Die Bürger haben das Gefühl, dass alle sie verraten hätten: die Politiker, die Polizisten, die Medien.
Die eingestellte «News of the World» trägt nur ein Prozent zum Umsatz der News Corporation bei.
Die finanzielle Bedeutung ist viel grösser, weil der Kurs so stark eingebrochen ist. Vor allem: Der Skandal trifft ins Herz des Mythos Murdoch. Er hatte so viel Macht, weil die Leute glaubten, dass er sie besitze und ausübe. Jetzt rennen die Politiker weg, und damit ist die Macht unwiederbringlich geschrumpft.
In Amerika hatte er nie diese Rolle des Königsmachers. Der frühere New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani nennt ihn einen «ehrenhaften, ehrlichen Mann». Wie gross ist der Schaden in den USA?
Wir sind hier noch in einem sehr frühen Stadium der Untersuchungen. Wir wissen noch nicht, ob Telefone bei den Opfern der Terrorattacken vom 11. September abgehört wurden. Sollte das bewiesen werden, käme es zu sehr heftigen Reaktionen. Die Medienaufmerksamkeit ist sehr gross. Alle grossen Fernsehstationen berichteten live von den Anhörungen im britischen Parlament, das gab es noch nie. Das Thema wird uns noch lange beschäftigen. Murdochs Ruf hat schon gelitten. Die News Corporation musste vor kurzem schon eine halbe Milliarde Dollar Strafe zahlen, weil sie das Computersystem eines Wettbewerbers gehackt hatte.
Wie beurteilen Sie die Berichterstattung der amerikanischen Murdoch-Medien Fox TV und «Wall Street Journal» über den Fall?
Der Fernsehsender Fox berichtete live nicht ausführlich über die Anhörungen. Und das «Wall Street Journal» ignorierte auf den News-Seiten den Fall länger als andere. Dann wachte es irgendwann auf und lieferte saubere Berichterstattung. Anders auf den Meinungsseiten: Dort verteidigte das «Wall Street Journal» nicht nur Murdoch persönlich, sondern auch die gesamte Firma und attackierte zusätzlich noch andere Nachrichtenlieferanten, die den Fall kritisch begleiteten. Das ist unglücklich, denn es positioniert die Meinungsseiten als parteiisch und als Sprecher einer Firma. Vor der Übernahme durch Murdoch wäre das nicht möglich gewesen.
Wie geht das Drama aus? Wird die Familie an Einfluss verlieren?
Sie hält noch immer 38 Prozent der Stimmen und ist deshalb weiterhin sehr mächtig. Die Macht könnte nur wanken, wenn weitere gravierende illegale Aktivitäten auftauchten. Allerdings sind die Chancen, dass eines der Kinder den CEO-Posten übernimmt, sehr klein.
Wie stark ist der Einfluss von Wendi Deng, Murdochs dritter Frau?
Sie hat mit ihm zwei Töchter und ist vierzig Jahre jünger. Am Anfang gab es grosse Spannungen zwischen den erwachsenen Kindern und auch Ruperts Mutter, die 101 Jahre alt ist und die Beziehung nicht schätzte. Wendi setzte durch, dass auch ihre Kinder am Family Trust beteiligt werden, gegen den Widerstand von Ruperts zweiter Frau Anna, die auf viel Geld verzichtete, damit ihre drei Kinder möglichst grosse Anteile an dem Trust bekommen. Jetzt hat man sich arrangiert, doch es ist unklar, wie Wendis Rolle aussehen könnte, wenn Rupert zurücktritt.
Was glauben Sie?
Sie ist sehr ehrgeizig und sieht sich nach dem Studium an der Yale Business School als Geschäftsfrau. Aber es würde mich wundern, wenn sie eine führende Rolle spielen könnte. Sie hat keine Stimme im Trust, und der Verwaltungsrat dürfte sie kaum in eine gehobene Position berufen.
Rupert Murdoch war immer ein Kämpfer. Wird er sich seine alte Rolle als Königsmacher zurückerkämpfen?
Das ist für immer vorbei.
Sarah Ellison begann ihre journalistische Karriere bei «Newsweek» und arbeitete anschliessend zehn Jahre für das «Wall Street Journal» in Paris, London und New York. Sie verliess das Wirtschaftsblatt Anfang 2008 kurz nach der Übernahme durch Rupert Murdoch, um das Buch «War at the Wall Street Journal» zu schreiben. Heute arbeitet die 37-Jährige als Autorin mit Schwerpunkt Medien. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in New York.