2000 Tassen, 2500 Suppenschüsseln, 1100 Saucenschalen, feinstes China-Porzellan der Nobelmarke Hutschenreuther; 35 000 Erfrischungstüchlein; 3600 Lego-Spiele, um die Kleinen bei Laune zu halten; 2600 Fünf-Zentiliter-Fläschchen Gordon’s Gin; 16 000 Minidöschen Kräuterbonbons. Eine Kiste Fischbesteck in schwerem Silber. Nicht weit davon entfernt 500 Silberplateaus. Gleich daneben 11 520 Fläschchen «Extra Virgin Olive Oil with Truffle» vom Castello Monte Vibiano, Verfalldatum: 30. August 2002.
In der Luft hängt schwer der Geruch nach scharfem Reinigungsmittel, feuchtem Beton und Industrieplastik, aufgewirbelter Staub kitzelt in der Nase. Im Hintergrund rauschen riesige Belüftungsmaschinen. Über die Warenrampe wird laufend neues Material hereingekarrt, auf Paletten gestapelt, mit langen Plastikbahnen verschweisst. Emsig summende Gabelstabler holen Palette um Palette und verstauen sie im riesigen Bauch der Halle. Ein Hochregallager, irgendwo im Zürcher Hinterland gelegen, geografische Angaben sind aus Sicherheitsgründen untersagt.
Was da auf wenigen Tausend Quadratmetern Platz findet, sind die Restposten aus siebzig Jahren Swissair-Geschichte. Besteck, Salzmühlen, Alu-Kasserollen warten auf den Schlussverkauf. Wann dieser angesetzt werden kann, wagt nicht einmal Swissair-Sachwalter Karl Wüthrich zu prognostizieren.
Ein Berg aus Ordnern
Ein anderes Ereignis steht dagegen kurz bevor: In einigen Wochen wird der Untersuchungsbericht des Buchprüfungs- und Beratungsunternehmens Ernst & Young erscheinen. Im Auftrag des Sachwalters klären zwei Dutzend Sonderprüfer seit bald einem Jahr die Verantwortlichkeit der SAirGroup-Organe ab. Die Masse des zu sichtenden Materials lässt sich daran ermessen, dass der Schlussbericht etwa 2000 Seiten umfassen dürfte, begleitet von einem Berg aus Ordnern. «Der Bericht wird nur die Sachverhalte darstellen», sagt Karl Wüthrich. Und meint damit: Dieses am Ende über sieben Millionen Franken teure Werk wird objektiv sein.
Das Werk birgt viel Sprengkraft, wie ein vom Sachwalter im Juni an der Gläubigerversammlung der SAirGroup vorgelegter Zwischenbericht erahnen lässt. Anhand von drei Problemkreisen zeichnet sich ab, wo die Organe der SAirGroup versagt haben könnten. So unterliess man erstens die Vollkonsolidierung der ausländischen Töchter, was höchstwahrscheinlich die finanzielle Situation des Konzerns verzerrt hat. Auch wurden zweitens Teile der Beteiligungen an ebendiesen Firmen bei Treuhändern parkiert, um das Verbot zu umgehen, Mehrheiten an EU-Luftfahrtsunternehmen zu besitzen. Drittens wurden so genannte Equity-Swap-Geschäfte unter die Lupe genommen, die bei der SAirGroup zu Mittelabflüssen von mehreren Hundert Millionen Franken führten.
«Der Bericht dürfte noch mehr an Brisanz enthalten, als was Karl Wüthrich bisher hat durchblicken lassen», meint Johann-Christoph Rudin, Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft der Investoren Schweiz. Auch Peter Paul, Sekretär des Schutzverbandes der SAirGroup-Obligationäre, zeigt sich ungeduldig: «Wir warten gespannt auf den Bericht.» Kein Wunder, bildet doch diese Untersuchung die Basis für weitere Verfahren. Anhand der Resultate kann der SAirGroup-Gläubigerausschuss in einem nächsten Schritt Verantwortlichkeitsklagen gegen die Organe der SAirGroup einreichen.
Die Akteure jedenfalls stehen bereit. Motivierte Kläger genauso wie mögliche Beklagte. Einige Akteure werden sich in den über mehrere Jahre hinziehenden Auseinandersetzungen wechselwirkend einmal auf dieser, dann auf der anderen Seite wiederfinden. Gegenseitige Geschenke gibt es keine. Während auf der von Karl Wüthrich abgedeckten zivilrechtlichen Seite die Klagen erst noch einzugeben sind, erfolgten seit März 2001 bereits gut ein Dutzend Strafanzeigen. Die in der Schweiz gemachten Anzeigen landen bei der Bezirksanwaltschaft III des Kantons Zürich, genauer bei Hanspeter Hirt. Er leitet im Fall der SAirGroup die Strafuntersuchung und pflegt einen regen Informationstausch mit Wüthrich. Wer weshalb wen am Wickel packen möchte, darüber schweigt sich Hirt aus. Leichter auszumachen sind dafür die Fronten.
Die Kläger
Auf der Seite der Kläger stehen naturgemäss die Gläubiger. Die klar schwächste Stellung unter allen Swissair-Geschädigten halten die Aktionäre; für sie gibt es nichts mehr zu holen. Klagen können sie zwar, doch «haben sie ein ziemlich gewichtiges Prozessrisiko zu tragen», gibt Sandro Ruggli, Mitglied der Verwaltung des Schutzverbandes der SAirGroup-Obligationäre, zu bedenken. Bei einer Verantwortlichkeitsklage fallen Prozess- und Anwaltskosten von rasch einmal gut einer Million Franken an.
Über bessere Karten verfügen dagegen die Obligationäre. Ihre Interessen werden von Schutzvereinigungen wahrgenommen, die dank ihrer starken Stellung einige Vertreter in den Gläubigerausschuss der SAirGroup delegieren konnten. Aus dem Kreis der Obligationäre sind zudem mehrere Strafanzeigen eingegangen. In einer guten Ausgangslage be- finden sich die ehemaligen Mitarbeiter der SAirGroup und ihrer Tochtergesellschaften. Das Bodenpersonal, die Piloten, die Techniker und andere Involvierte geben sich innerhalb des zu scheitern drohenden Nachlassverfahrens zwar reichlich unsolidarisch und machen unterschiedliche Basiszahlen geltend, doch werden sie auch im Falle eines Konkursverfahrens zu Geldern kommen.
Unklarer ist dies dagegen bei den ausländischen Tochtergesellschaften. Die in Nachfolgefirmen aufgegangenen Air Littoral und Sabena, die weiterhin kriselnde, staatlich gestützte polnische LOT sowie die portugiesische TAP möchten Bares. Sie haben zum Teil bereits den Weg von Strafklagen eingeschlagen und versuchen, den Gerichtsstand in ihre Heimländer zu verlegen. Kämen ausländische Gerichte zum Schluss, dass die Swiss in direkter Nachfolgelinie zur Swissair betrachtet werden dürfe, müsste die neue Schweizer Fluggesellschaft büssen.
Rechtsspezialisten gehen davon aus, dass ausländische Kläger am meisten Druck machen werden. Damit sind rund vierzig Gläubigerbanken angesprochen, die zu einem guten Teil ihren Hauptsitz ausserhalb der Schweiz haben, aber auch die Leasingunternehmen GE Capital Aviation Services (Gecas) und International Lease Finance. Bislang haben sich die beiden US-Firmen fast schon verdächtig ruhig verhalten. Ein Gecas-Sprecher lässt sich lediglich mit einem unverbindlichen «Wir arbeiten uns durch den Swissair-Fall, um unsere Ansprüche wahren zu können» vernehmen. Die Schweizer Firmengläubiger, vor allem die einstigen Zulieferer, scheinen dagegen resigniert zu haben. Beispielsweise Brigitta Gentsch, Mitinhaberin der Jacob Weil Uniformierung: «Wir haben das Kapitel Swissair geschlossen und unser Guthaben von gegen einer halben Million Franken abgeschrieben.» Max Grunauer, Besitzer der Plumor, die über 250 Werbeartikel herstellte und 2,8 Millionen Franken Forderungen eingegeben hat, lässt der Ernst-&-Young-Bericht kalt. «Auch wenn man weiss, wer für den Schlamassel verantwortlich ist, gibt es nicht mehr viel zu holen.»
Die Beklagten
Wer ist nun für diesen «Schlamassel» verantwortlich? Einige Juristen meinen, dass das Management der SAirGroup am stärksten unter Druck geraten wird. Allen voran Georges Schorderet, ehemaliger Finanzchef der SAirGroup. Seine Position ist in der Tat eine delikate. Er hat im Juli 2000 noch einen guten Jahresabschluss prophezeit und sich entsprechend in «Cash» zitieren lassen. Es muss ihm – und womöglich anderen Beteiligten – jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass das Ergebnis per Ende Dezember ein desaströses sein würde. Ihm hat schon die Sonderprüfung, die Mario Corti als letzter CEO der Swissair in Auftrag gegeben hat, ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.
Heiss diskutiert wird zudem die Rolle von Cortis Vorgänger Philippe Bruggisser. Seine so genannte Hunterstrategie schlug fehl, im Januar 2001 musste er gehen, Moritz Suter kam für ein kurzes Interregnum, bevor Mario Corti übernahm. Kann man Bruggisser dafür belangen, dass er aus seiner Sicht mit bestem Wissen und Gewissen eine falsche Strategie eingeschlagen hat? Kaum. Kann man ihn für das Grounding verantwortlich machen? Schwierig. Dem in höchster Not herbeigerufenen Mario Corti hingegen droht, dass er am Ende als Hauptverantwortlicher für das Grounding dastehen könnte.
Beobachter wie auch einige der involvierten Anwälte gehen davon aus, dass nicht das Management, sondern der Verwaltungsrat in die Bredouille geraten wird. Nicht einmal primär wegen der Schuldfrage selbst. Vielmehr werden bei Straf- oder Schadenersatzprozessen oft jene Personen beklagt, die auch am meisten zu bezahlen im Stande sind. Zementbaron Thomas Schmidheiny sowie Privatbankier Bénédict Hentsch gelten als «big pockets».
Ebenfalls attraktiv für Schuld und Sühne zitierende Geldeintreiber ist Lukas Mühlemann. Unter Druck dürfte der Bankier wegen seiner Doppelrolle kommen: einerseits Verwaltungsrat bei der SAirGroup, anderseits CEO der Credit Suisse (CS). Gegen die CS sind denn auch bereits Strafanzeigen eingereicht worden wegen Prospekthaftung, so vom Zürcher Wirtschaftsanwalt Michael Werder. Der Münchner Rechtsanwalt Werner A. Meier hat im Auftrag eines deutschen Kreditinstituts Klage eingereicht gegen die drei ehemaligen Emissionsbanken CS First Boston, Deutsche Bank und HypoVereinsbank – in Frankfurt. «Für die Obligationenanleihe wurde damals in Frankfurt eine Roadshow veranstaltet», begründet Meier den Klageort.
Diese Klagen drehen sich um eine noch im Oktober 2000 von der SAirGroup Finance aufgelegte Anleihe im Volumen von 400 Millionen Euro, also zu einem Zeitpunkt, als es um die SAirGroup nicht mehr allzu gut bestellt war. Im Prospekt dagegen wurde auf heile Welt gemacht. Knapp drei Monate später schloss die Erfolgsrechnung der SAirGroup mit einem Jahresverlust von gegen drei Milliarden Franken ab. Nun haben die Verwaltungsräte von Rechts wegen die Aufsichtspflicht über das Management. Sie müssen sich viele Fragen gefallen lassen: Wie viel hat der Verwaltungsrat wann gewusst? Wie viel hätte er wissen müssen? Hat er seine Aufsichtspflichten wahrgenommen? Bei den Klagen wegen Prospekthaftung lautet die alles entscheidende Frage: Konnte der Verwaltungsrat zu diesem Zeitpunkt wissen, dass der Konzern in einer bedrohlichen Schieflage steckt? Anwalt Werner A. Meier gibt sich zuversichtlich: «Die Verstösse sind derart grob, dass wir keine Probleme haben werden mit der Beweislast.»
Für Lukas Mühlemann wird es zusätzlich eng. Er sass im SAirGroup-Verwaltungsrat in Vertretung seines Arbeitgebers Credit Suisse. Deshalb hätte er, so argumentieren juristische Kenner der Materie, seine Bank mit Blick auf die Emission vor der desolaten Finanzlage der SAirGroup warnen sollen. Ein Kläger ist überzeugt: «Da zieht das Argument der ‹Chinese walls› nicht» – also die strikte Trennung von einzelnen Abteilungen zur Verhinderung von Interessenkonflikten. Damit nicht genug. Kommt das Geldhaus wegen dieser Affäre zu Schaden, drohen gar Klagen aus den eigenen Reihen, nämlich seitens der CS-Aktionäre.
Die Kläger werden nicht nur die für Verwaltungsräte üblichen Versicherungssummen im Auge haben. Bei der SAirGroup sind auf diesem Weg von der «Zürich» nicht mehr als 24 Millionen Franken zu holen. Weil die Klagesummen die Versicherungsgelder bei weitem übersteigen, geraten die Privatvermögen jedes Einzelnen ins Visier der Kläger. Das ist besonders pikant für den bis zum Schluss mit Mario Corti auf dem Balsberg ausharrenden Bénédict Hentsch. Der Genfer Bankier hat sich vielleicht zu spät von seinem Geldinstitut distanziert; zum Zeitpunkt des Groundings war er noch immer unbeschränkt haftender Partner bei Darier Hentsch. Sollte ein Kläger ein Durchgriffsrecht auf das Bankhaus erwirken, könnte dies existenzgefährdende Auswirkungen haben.
Der Bund steckt mittendrin
Besonders delikat ist die Situation für den Bund. Er ist sowohl geprellter Aktionär wie auch eventuell Haftender, weil er über das dem Departement Moritz Leuenbergers unterstellte Bazl möglicherweise seine Aufsichtpflichten verletzt hat, indem er der Swissair nicht längst vor dem Grounding die Bewilligung zum Fliegen entzog. Der Ständerat wird am 3. Oktober einen entsprechenden Untersuchungsbericht der Geschäftsprüfungskommission diskutieren. Weitere politische Eruptionen sind absehbar. So hat der Bund direkt Einsitz in die neue Gesellschaft Swiss genommen. Kaspar Villigers Finanzverwalter Kurt Siegenthaler amtet dort als Verwaltungsrat. Diese Besetzung ist prob- lematisch, wenn es zu Durchgriffen von SAirGroup- oder Swissair-Gläubigern auf die Swiss kommen sollte. Dann müsste sich der Bund angesichts der Tatsache, dass alle Staatsbeiträge durch Steuerzahlungen alimentiert sind, dafür einsetzen, dass er als Swissair-Gläubiger ebenfalls zu seinem Recht bei der Swiss käme. Der Bund würde in diesem Fall seine eigenen Werte in der Swiss (zwei Milliarden Franken Steuergelder) vermindern helfen.
Die Situation im SAirGroup-Debakel präsentiert sich unübersichtlich. Niemand weiss viel und vor allem nicht viel Genaues. Nur in einer Einschätzung sind sich alle einig, stellvertretend und desperat geäussert von einem in die Verfahren involvierten Anwalt: «Das Ganze kann zehn Jahre dauern.»
Keine Frage, ob sich das mit Trüffelparfum versetzte Olivenöl im Warenlager der Swissair noch so lange geniessen lässt. Derweil schieben Hubstapler neue Waren in die Halle, bringen sechs Kisten voller silberner Kaffeelöffel oder 60 000 Sandwichbeutel an ihren Platz. Exakt passen 1500 Salzmühlen in den kleinen Zwischenraum. Zielgenau. So wie die Klagen, die kommen werden.
In der Luft hängt schwer der Geruch nach scharfem Reinigungsmittel, feuchtem Beton und Industrieplastik, aufgewirbelter Staub kitzelt in der Nase. Im Hintergrund rauschen riesige Belüftungsmaschinen. Über die Warenrampe wird laufend neues Material hereingekarrt, auf Paletten gestapelt, mit langen Plastikbahnen verschweisst. Emsig summende Gabelstabler holen Palette um Palette und verstauen sie im riesigen Bauch der Halle. Ein Hochregallager, irgendwo im Zürcher Hinterland gelegen, geografische Angaben sind aus Sicherheitsgründen untersagt.
Was da auf wenigen Tausend Quadratmetern Platz findet, sind die Restposten aus siebzig Jahren Swissair-Geschichte. Besteck, Salzmühlen, Alu-Kasserollen warten auf den Schlussverkauf. Wann dieser angesetzt werden kann, wagt nicht einmal Swissair-Sachwalter Karl Wüthrich zu prognostizieren.
Ein Berg aus Ordnern
Ein anderes Ereignis steht dagegen kurz bevor: In einigen Wochen wird der Untersuchungsbericht des Buchprüfungs- und Beratungsunternehmens Ernst & Young erscheinen. Im Auftrag des Sachwalters klären zwei Dutzend Sonderprüfer seit bald einem Jahr die Verantwortlichkeit der SAirGroup-Organe ab. Die Masse des zu sichtenden Materials lässt sich daran ermessen, dass der Schlussbericht etwa 2000 Seiten umfassen dürfte, begleitet von einem Berg aus Ordnern. «Der Bericht wird nur die Sachverhalte darstellen», sagt Karl Wüthrich. Und meint damit: Dieses am Ende über sieben Millionen Franken teure Werk wird objektiv sein.
Das Werk birgt viel Sprengkraft, wie ein vom Sachwalter im Juni an der Gläubigerversammlung der SAirGroup vorgelegter Zwischenbericht erahnen lässt. Anhand von drei Problemkreisen zeichnet sich ab, wo die Organe der SAirGroup versagt haben könnten. So unterliess man erstens die Vollkonsolidierung der ausländischen Töchter, was höchstwahrscheinlich die finanzielle Situation des Konzerns verzerrt hat. Auch wurden zweitens Teile der Beteiligungen an ebendiesen Firmen bei Treuhändern parkiert, um das Verbot zu umgehen, Mehrheiten an EU-Luftfahrtsunternehmen zu besitzen. Drittens wurden so genannte Equity-Swap-Geschäfte unter die Lupe genommen, die bei der SAirGroup zu Mittelabflüssen von mehreren Hundert Millionen Franken führten.
«Der Bericht dürfte noch mehr an Brisanz enthalten, als was Karl Wüthrich bisher hat durchblicken lassen», meint Johann-Christoph Rudin, Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft der Investoren Schweiz. Auch Peter Paul, Sekretär des Schutzverbandes der SAirGroup-Obligationäre, zeigt sich ungeduldig: «Wir warten gespannt auf den Bericht.» Kein Wunder, bildet doch diese Untersuchung die Basis für weitere Verfahren. Anhand der Resultate kann der SAirGroup-Gläubigerausschuss in einem nächsten Schritt Verantwortlichkeitsklagen gegen die Organe der SAirGroup einreichen.
Die Akteure jedenfalls stehen bereit. Motivierte Kläger genauso wie mögliche Beklagte. Einige Akteure werden sich in den über mehrere Jahre hinziehenden Auseinandersetzungen wechselwirkend einmal auf dieser, dann auf der anderen Seite wiederfinden. Gegenseitige Geschenke gibt es keine. Während auf der von Karl Wüthrich abgedeckten zivilrechtlichen Seite die Klagen erst noch einzugeben sind, erfolgten seit März 2001 bereits gut ein Dutzend Strafanzeigen. Die in der Schweiz gemachten Anzeigen landen bei der Bezirksanwaltschaft III des Kantons Zürich, genauer bei Hanspeter Hirt. Er leitet im Fall der SAirGroup die Strafuntersuchung und pflegt einen regen Informationstausch mit Wüthrich. Wer weshalb wen am Wickel packen möchte, darüber schweigt sich Hirt aus. Leichter auszumachen sind dafür die Fronten.
Die Kläger
Auf der Seite der Kläger stehen naturgemäss die Gläubiger. Die klar schwächste Stellung unter allen Swissair-Geschädigten halten die Aktionäre; für sie gibt es nichts mehr zu holen. Klagen können sie zwar, doch «haben sie ein ziemlich gewichtiges Prozessrisiko zu tragen», gibt Sandro Ruggli, Mitglied der Verwaltung des Schutzverbandes der SAirGroup-Obligationäre, zu bedenken. Bei einer Verantwortlichkeitsklage fallen Prozess- und Anwaltskosten von rasch einmal gut einer Million Franken an.
Über bessere Karten verfügen dagegen die Obligationäre. Ihre Interessen werden von Schutzvereinigungen wahrgenommen, die dank ihrer starken Stellung einige Vertreter in den Gläubigerausschuss der SAirGroup delegieren konnten. Aus dem Kreis der Obligationäre sind zudem mehrere Strafanzeigen eingegangen. In einer guten Ausgangslage be- finden sich die ehemaligen Mitarbeiter der SAirGroup und ihrer Tochtergesellschaften. Das Bodenpersonal, die Piloten, die Techniker und andere Involvierte geben sich innerhalb des zu scheitern drohenden Nachlassverfahrens zwar reichlich unsolidarisch und machen unterschiedliche Basiszahlen geltend, doch werden sie auch im Falle eines Konkursverfahrens zu Geldern kommen.
Unklarer ist dies dagegen bei den ausländischen Tochtergesellschaften. Die in Nachfolgefirmen aufgegangenen Air Littoral und Sabena, die weiterhin kriselnde, staatlich gestützte polnische LOT sowie die portugiesische TAP möchten Bares. Sie haben zum Teil bereits den Weg von Strafklagen eingeschlagen und versuchen, den Gerichtsstand in ihre Heimländer zu verlegen. Kämen ausländische Gerichte zum Schluss, dass die Swiss in direkter Nachfolgelinie zur Swissair betrachtet werden dürfe, müsste die neue Schweizer Fluggesellschaft büssen.
Rechtsspezialisten gehen davon aus, dass ausländische Kläger am meisten Druck machen werden. Damit sind rund vierzig Gläubigerbanken angesprochen, die zu einem guten Teil ihren Hauptsitz ausserhalb der Schweiz haben, aber auch die Leasingunternehmen GE Capital Aviation Services (Gecas) und International Lease Finance. Bislang haben sich die beiden US-Firmen fast schon verdächtig ruhig verhalten. Ein Gecas-Sprecher lässt sich lediglich mit einem unverbindlichen «Wir arbeiten uns durch den Swissair-Fall, um unsere Ansprüche wahren zu können» vernehmen. Die Schweizer Firmengläubiger, vor allem die einstigen Zulieferer, scheinen dagegen resigniert zu haben. Beispielsweise Brigitta Gentsch, Mitinhaberin der Jacob Weil Uniformierung: «Wir haben das Kapitel Swissair geschlossen und unser Guthaben von gegen einer halben Million Franken abgeschrieben.» Max Grunauer, Besitzer der Plumor, die über 250 Werbeartikel herstellte und 2,8 Millionen Franken Forderungen eingegeben hat, lässt der Ernst-&-Young-Bericht kalt. «Auch wenn man weiss, wer für den Schlamassel verantwortlich ist, gibt es nicht mehr viel zu holen.»
Die Beklagten
Wer ist nun für diesen «Schlamassel» verantwortlich? Einige Juristen meinen, dass das Management der SAirGroup am stärksten unter Druck geraten wird. Allen voran Georges Schorderet, ehemaliger Finanzchef der SAirGroup. Seine Position ist in der Tat eine delikate. Er hat im Juli 2000 noch einen guten Jahresabschluss prophezeit und sich entsprechend in «Cash» zitieren lassen. Es muss ihm – und womöglich anderen Beteiligten – jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass das Ergebnis per Ende Dezember ein desaströses sein würde. Ihm hat schon die Sonderprüfung, die Mario Corti als letzter CEO der Swissair in Auftrag gegeben hat, ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.
Heiss diskutiert wird zudem die Rolle von Cortis Vorgänger Philippe Bruggisser. Seine so genannte Hunterstrategie schlug fehl, im Januar 2001 musste er gehen, Moritz Suter kam für ein kurzes Interregnum, bevor Mario Corti übernahm. Kann man Bruggisser dafür belangen, dass er aus seiner Sicht mit bestem Wissen und Gewissen eine falsche Strategie eingeschlagen hat? Kaum. Kann man ihn für das Grounding verantwortlich machen? Schwierig. Dem in höchster Not herbeigerufenen Mario Corti hingegen droht, dass er am Ende als Hauptverantwortlicher für das Grounding dastehen könnte.
Beobachter wie auch einige der involvierten Anwälte gehen davon aus, dass nicht das Management, sondern der Verwaltungsrat in die Bredouille geraten wird. Nicht einmal primär wegen der Schuldfrage selbst. Vielmehr werden bei Straf- oder Schadenersatzprozessen oft jene Personen beklagt, die auch am meisten zu bezahlen im Stande sind. Zementbaron Thomas Schmidheiny sowie Privatbankier Bénédict Hentsch gelten als «big pockets».
Ebenfalls attraktiv für Schuld und Sühne zitierende Geldeintreiber ist Lukas Mühlemann. Unter Druck dürfte der Bankier wegen seiner Doppelrolle kommen: einerseits Verwaltungsrat bei der SAirGroup, anderseits CEO der Credit Suisse (CS). Gegen die CS sind denn auch bereits Strafanzeigen eingereicht worden wegen Prospekthaftung, so vom Zürcher Wirtschaftsanwalt Michael Werder. Der Münchner Rechtsanwalt Werner A. Meier hat im Auftrag eines deutschen Kreditinstituts Klage eingereicht gegen die drei ehemaligen Emissionsbanken CS First Boston, Deutsche Bank und HypoVereinsbank – in Frankfurt. «Für die Obligationenanleihe wurde damals in Frankfurt eine Roadshow veranstaltet», begründet Meier den Klageort.
Diese Klagen drehen sich um eine noch im Oktober 2000 von der SAirGroup Finance aufgelegte Anleihe im Volumen von 400 Millionen Euro, also zu einem Zeitpunkt, als es um die SAirGroup nicht mehr allzu gut bestellt war. Im Prospekt dagegen wurde auf heile Welt gemacht. Knapp drei Monate später schloss die Erfolgsrechnung der SAirGroup mit einem Jahresverlust von gegen drei Milliarden Franken ab. Nun haben die Verwaltungsräte von Rechts wegen die Aufsichtspflicht über das Management. Sie müssen sich viele Fragen gefallen lassen: Wie viel hat der Verwaltungsrat wann gewusst? Wie viel hätte er wissen müssen? Hat er seine Aufsichtspflichten wahrgenommen? Bei den Klagen wegen Prospekthaftung lautet die alles entscheidende Frage: Konnte der Verwaltungsrat zu diesem Zeitpunkt wissen, dass der Konzern in einer bedrohlichen Schieflage steckt? Anwalt Werner A. Meier gibt sich zuversichtlich: «Die Verstösse sind derart grob, dass wir keine Probleme haben werden mit der Beweislast.»
Für Lukas Mühlemann wird es zusätzlich eng. Er sass im SAirGroup-Verwaltungsrat in Vertretung seines Arbeitgebers Credit Suisse. Deshalb hätte er, so argumentieren juristische Kenner der Materie, seine Bank mit Blick auf die Emission vor der desolaten Finanzlage der SAirGroup warnen sollen. Ein Kläger ist überzeugt: «Da zieht das Argument der ‹Chinese walls› nicht» – also die strikte Trennung von einzelnen Abteilungen zur Verhinderung von Interessenkonflikten. Damit nicht genug. Kommt das Geldhaus wegen dieser Affäre zu Schaden, drohen gar Klagen aus den eigenen Reihen, nämlich seitens der CS-Aktionäre.
Die Kläger werden nicht nur die für Verwaltungsräte üblichen Versicherungssummen im Auge haben. Bei der SAirGroup sind auf diesem Weg von der «Zürich» nicht mehr als 24 Millionen Franken zu holen. Weil die Klagesummen die Versicherungsgelder bei weitem übersteigen, geraten die Privatvermögen jedes Einzelnen ins Visier der Kläger. Das ist besonders pikant für den bis zum Schluss mit Mario Corti auf dem Balsberg ausharrenden Bénédict Hentsch. Der Genfer Bankier hat sich vielleicht zu spät von seinem Geldinstitut distanziert; zum Zeitpunkt des Groundings war er noch immer unbeschränkt haftender Partner bei Darier Hentsch. Sollte ein Kläger ein Durchgriffsrecht auf das Bankhaus erwirken, könnte dies existenzgefährdende Auswirkungen haben.
Der Bund steckt mittendrin
Besonders delikat ist die Situation für den Bund. Er ist sowohl geprellter Aktionär wie auch eventuell Haftender, weil er über das dem Departement Moritz Leuenbergers unterstellte Bazl möglicherweise seine Aufsichtpflichten verletzt hat, indem er der Swissair nicht längst vor dem Grounding die Bewilligung zum Fliegen entzog. Der Ständerat wird am 3. Oktober einen entsprechenden Untersuchungsbericht der Geschäftsprüfungskommission diskutieren. Weitere politische Eruptionen sind absehbar. So hat der Bund direkt Einsitz in die neue Gesellschaft Swiss genommen. Kaspar Villigers Finanzverwalter Kurt Siegenthaler amtet dort als Verwaltungsrat. Diese Besetzung ist prob- lematisch, wenn es zu Durchgriffen von SAirGroup- oder Swissair-Gläubigern auf die Swiss kommen sollte. Dann müsste sich der Bund angesichts der Tatsache, dass alle Staatsbeiträge durch Steuerzahlungen alimentiert sind, dafür einsetzen, dass er als Swissair-Gläubiger ebenfalls zu seinem Recht bei der Swiss käme. Der Bund würde in diesem Fall seine eigenen Werte in der Swiss (zwei Milliarden Franken Steuergelder) vermindern helfen.
Die Situation im SAirGroup-Debakel präsentiert sich unübersichtlich. Niemand weiss viel und vor allem nicht viel Genaues. Nur in einer Einschätzung sind sich alle einig, stellvertretend und desperat geäussert von einem in die Verfahren involvierten Anwalt: «Das Ganze kann zehn Jahre dauern.»
Keine Frage, ob sich das mit Trüffelparfum versetzte Olivenöl im Warenlager der Swissair noch so lange geniessen lässt. Derweil schieben Hubstapler neue Waren in die Halle, bringen sechs Kisten voller silberner Kaffeelöffel oder 60 000 Sandwichbeutel an ihren Platz. Exakt passen 1500 Salzmühlen in den kleinen Zwischenraum. Zielgenau. So wie die Klagen, die kommen werden.
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