Gedämpftes Licht, dunkel gebeizte Regale und eine Auswahl von 200 bis 250 verschiedenen Schokoladen: In der Wiener Innenstadt, in den Gewölben des Palais Ferstel, betreibt die Geschäftsfrau Ramona Mahr «Xocolat», ein «Lustrevier für Entdecker und Eroberer», Österreichs erste Adresse für Schokolade. Schweizer Produkte werden nicht geführt, selbst nach hohem, wenn auch halboffiziellem eidgenössischem Besuch liess sich Frau Mahr nicht umstimmen. «Es gibt keine Schweizer Schokolade», sagt sie. Alles, was erhältlich sei, habe sie probiert, «nichts hat meinen Qualitätsansprüchen genügt.»
Die feinsten und teuersten Schokoladen werden heute in Frankreich (Bonnat, Michel Cluizel, Valrhona, Weiss), Italien (Amedei, Domori, Slitti), in Spanien (Enric Rovira), Belgien (Pierre Marcolini), den USA (Hawaiian Vintage Chocolate, Scharffen Berger) und in Österreich (Zotter) komponiert. Die Avantgarde der Schokolade verführt weniger mit Fülle als mit Intensität und vielschichtigen Aromakompositionen, selbstverständlich sind beste Rohstoffe und Ingredienzen, auch die feinfühlige Verarbeitung.
Auf Verpackungen werden häufig die Kakaosorte und ihr prozentualer Anteil in der Schokolade sowie die Herkunftsregion deklariert. Manche Erzeuger produzieren Jahrgangsschokoladen von einzelnen Plantagen, Valrhona beispielsweise eine Chuao aus Venezuela, eine Gran Couva aus Trinidad und eine Ampamakia aus Madagaskar – die neue Ernte, der Jahrgang 2003, wird noch im Herbst erwartet.
Schokolade kann wie Wein genossen werden
Andere Schokoladeproduzenten suchen ebenfalls ganz bewusst die Nähe zum Wein, etwa Domori mit einer Château- und einer Crus-Linie, eine Schokolade des 1996 in Genua gegründeten Unternehmens wird sogar «Barrique» genannt, nach den 225 Liter fassenden Eichenfässchen, in denen Wein ausgebaut wird; ein gewisser Holzgeschmack ist tatsächlich auszumachen, neben Ingwer, Muskat, Chili und anderen Gewürzen. Gemeinsamkeiten beim Genuss von Wein und Schokolade gibt es auch sonst: So sollte man sich für ein sehr gutes Stück Schokolade ähnlich viel Zeit lassen wie für ein Glas eines sehr guten Weins.
Was zeichnet Spitzenschokolade aus? «Der Kakaoanteil von mindestens 60 Prozent, die klare Nennung der Kakaosorte mit Herkunft», erklärt Hanspeter Reichmuth, der seit 15 Jahren mit seiner Firma Reichmuth von Reding von Seewen aus Lebens- und Genussmittel von bester Beschaffenheit verkauft, «dann die Conchierdauer der Kakaomasse für die Geschmacksentfaltung.» Seine neuen «Schokoladen von Herkunft» heissen «Chocolat de cru», als männlich bezeichnet er die Criollo de Venezuela (65 Prozent Kakaoanteil, 10 Stunden Conchierdauer), als ihr weibliches Pendant die Trinitario de Madagascar (64 Prozent/72 Stunden) und als «wildes, saftiges Stück Schokolade» die Arriba de Ecuador (72 Prozent/72 Stunden), die in diesem Herbst mit den ersten 1000 Tafeln Premiere feiert.
Reichmuth lässt seine «Chocolat de cru» bei Felchlin conchieren, einer Firma, die vor allem auf hochwertige Couverture, den Rohstoff für Chocolatiers, spezialisiert ist, das auf zwei alten Conchiermaschinen aus dem Jahre 1908. «Conchieren nennt man den Veredelungsprozess, der die Schokolademasse durch das langsame Kneten und die daraus entstehende Reibungswärme flüssig macht. Dabei verflüchtigen sich Bitterstoffe und Fruchtsäuren.» Über die Dauer des Conchierens entscheidet Herkunft und Sorte der Bohne sowie ein hoch entwickeltes Geschmacksempfinden. Die Schweiz ist das Land der Milchschokolade, hier hat Henri Nestlé einst die Technik zum Mischen von Milchpulver und Schokoladenmasse erfunden und Rodolphe Lindt das Conchieren. Der Anteil der Milchschoggi am gesamten Schokoladekonsum (11,9 Kilogramm pro Kopf) liegt bei satten 80 Prozent. Wahrscheinlich deshalb gelten in der Schweiz dunkle Schokoladen mit einem hohen Kakaogehalt als bitter. Andrea Slitti aus Monsummano Terme bei Florenz, der vor gut 15 Jahren der Schokolade verfallen ist, hält in seinem Tafelangebot Milchschokoladen mit einem hohen Kakaoanteil bereit, je nach Gusto von 45, 51, 62 oder 70 Prozent. Auch Michel Cluizel, dessen Familienbetrieb in der Normandie seit 1948 Qualitätsschokoladen herstellt, führt Milchschokoladen mit 50 Prozent Kakaoanteil.
Solche Erzeugnisse im Schokoladeland Schweiz zu finden, ist oft schwierig. Cluizels knackige Tafeln finden sich im Globus Zürich, auch einige belgische Produkte oder die originellen, handgeschöpften Schokoladen des Österreichers Sepp Zotter, einem gelernten Koch, der einst im Hotel Pierre in New York am Herd stand. In der Gourmet Factory von Jelmoli Zürich aber sehen die Schweizer Schokoladen in ihren Regalen fast wie Billigprodukte aus, im Vergleich zu den luxuriös wirkenden Stellern von Valrhona und Amedei gleich daneben.
|
Europäer assoziieren mit der Schweiz auch Schokolade
«Porcelana» nennt sich das Amedei-Spitzenprodukt der 1990 von Cecilia und Alessio Tessieri gegründeten Firma – zwölf Napolitains kosten Franken 15.90, jede Schachtel ist handschriftlich nummeriert, die Menge auf 20 000 Stück beschränkt – und «Porcelana» heisst eine der rarsten Kakaosorten. Sie gehört wie die Chuao zu den Criollos, und die Criollo wiederum gilt als «Originalsorte», die schon im vorkolumbianischen Mittelamerika angebaut wurde. Weltweit am meisten verwendet wird mit über 90 Prozent die Sorte Forastero (Ausländer), weiter von Bedeutung ist die Trinitario, eine Kreuzung der Sorten Criollo und Forastero, die bereits seit dem 18. Jahrhundert existiert.
Für den Wirtschaftshistoriker Roman Rossfeld, der an der Universität Zürich an seiner Dissertation zur Geschichte der Schokolade-Industrie schreibt, lebt die Schweizer Schokolade vor allem «von ihrem Ruf». Noch immer denken denn auch 80 Prozent der Europäer beim Stichwort Schweiz als Erstes an Berge und Uhren sowie Schokolade. Nicht aber die Teilnehmer einer Slow-Food-Blindverkostung von 15 Markenschokoladen (Kakaoanteil: mindestens 50 Prozent) in Deutschland: Sie setzten die Guandaja von Valrhona und die Madagascar von Bonnat auf die beiden vordersten Plätze, ohne Punkte blieben Ritter Sport (50 Prozent Kakaoanteil) und Lindt (70 Prozent).
|