Die Schweiz ist für Rohstoffkonzerne ein Paradies. Sie profitieren von Steuerprivilegien, einem starken Finanzplatz – und einer schwachen Regulierung des Rohstoffhandels. Kein Wunder, dass sich hierzulande internationale Konzerne wie Glencore, Vitol oder Trafigura in Zug, Genf und Luzern niedergelassen haben. Sechs der zehn umsatzstärksten Schweizer Unternehmen handeln oder fördern Rohstoffe.
Die Schweiz ist damit die weltweit wichtigste Drehscheibe für Rohstoffe. Rund ein Fünftel des globalen Handels läuft über das Land. Laut der Nichtregierungs-Organisation «Erklärung von Bern» (EVB) ist Handel mit Öl, Gas, Kohle, Metallen und Landwirtschaftsprodukten zwischen 2001 und 2011 um 1420 Prozent gewachsen. Der gesamte Umsatz liegt bei rund 800 Milliarden Franken, was das Bruttoinlandprodukt der Schweiz um gut 35 Prozent übersteigt.
Zahlungsflüsse bleiben im Dunkeln
Gemäss der Organisation stammen dabei rund zwei Drittel der Energie- und Metallrohstoffe aus Entwicklungsländern, vor allem aus Afrika. Trotz ihres natürlichen Reichtums verarmen Länder wie Nigeria, Kamerun, Gabun oder Tschad immer mehr. Denn an den Ausfuhren verdienen sich vor allem die Schweizer Rohstoffhändler eine goldene Nase – dies jedoch in der Regel zu Lasten der Förderländer.
Um dieses Ungleichgewicht zu verkleinern, fordert die EVB seit langem strengere Regulierungen. Sie hat die Etablierung einer Rohstoffmarktaufsicht (Rohma) vorgeschlagen. Wie in der Finanzbranche sollen Regularien den Handel mit Rohstoffen kontrollieren. Dabei soll die Rohma einen «verantwortlichen und wettbewerbsfähigen Rohstoffplatz Schweiz» garantieren, so dass «die Förderländer ihren Reichtum zum Wohl ihrer Bevölkerungen nutzen können», teilt die EVB mit.
Staatliche Regulierung fehlt
Denn das Problem ist: Der internationale Rohstoffhandel ist intransparent. Staatliche Regulierungen gibt es kaum. Die Konzerne können mehr oder weniger tun und lassen, was sie wollen. Sowohl die Zahlungs- als auch Güterflüsse zwischen den Förderstaaten und den Konzernen bleiben im Dunkeln. Das führe zum sogenannten «Rohstoff-Fluch», so die EVB.
Die Intransparenz sorge für «ökologische Missstände, soziale Konflikte bei Umsiedlungen, Vergiftungen von Minenarbeitern, fragwürdige Gewinnverschiebungen und Steueroptimierungen der Milliardenumsätze, Förderung von Korruption und Konflikten, Umgehung internationaler Embargos», sagte EVB-Mediensprecher Oliver Classen kürzlich in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Forderung nach einer Rohstoffmarktaufsicht
Die von der EVB geforderten Massnahmen kämen für die internationalen Konzernen einem Schock gleich. Die künftigen Umsätze in der Branche würden sich stark verkleinern. Es wäre das gleiche Schicksal, das auch den Schweizer Finanzplatz ereilte. Von den früheren Milliarden-Umsätzen können die Banken heute nur noch träumen. Es dürfte daher ein etwa gleich grosser Kraftaufwand bedürfen, damit solche Regeln auch in der milliardenschweren Rohstoffbranche eingeführt werden. Das braucht Zeit. Die Etablierung der Rohma wäre ein Anfang.
Der im Aufsichtsgremium der Rohma sitzende Korruptionsexperte und Strafrechtsprofessor Mark Pieth sagt, dass «der automatische Informationsaustausch und das Ende vom Schweizer Bankgeheimnis vor zehn Jahren noch als völlig unrealistisch abgekanzelt wurde.» Heute sei jedoch beides Realität. «Wie lange wird es bis zur Rohstoffmarktaufsicht Schweiz dauern?» fragt Pieth.
Förderländern entgehen Milliarden an Steuergeldern
Vorangegangen waren dem Vorstoss der EVB diverse Studien, welche die Ungerechtigkeiten des internationalen Rohstoffhandels aufzeigen sollen. So etwa die Londoner Analyse des «Center for Global Development» über die «illegitimen Kapitalflüsse». Sie kommt zum Schluss, dass den rohstoffreichen Entwicklungsländern jährlich mindestens 8 Milliarden Dollar entgehen, weil die Schweiz den internationalen Rohstoff-Konzernen als Steuerfluchthafen diene. Der Autor der Studie, Alex Cobham, bezeichnete dabei die Zahl als «konservative Schätzung».
Bei der Steuervermeidung über das Steuerparadies Schweiz gehen die Rohstoffhändler einen relativ einfachen Weg. Über eine Tochterfima im Förderland werden die Rohstoffe abgebaut und zu einem extrem niedrigen Preis an die eigene Muttergesellschaft in der Schweiz verkauft. Diese verkauft das Produkt zu einem massiv überhöhten Preis weiter – ohne dass der Rohstoff in physischer Form je eine Schweizer Grenze überquert.
Dank solch einem «Trade Mispricing» erzielen die Rohstoffkonzerne Milliardengewinne, die nicht im Förderland, sondern in der Schweiz besteuert werden. Während die Eidgenossenschaft von den Einnahmen profitiert, fehlen in den rohstoffreichen Entwicklungsländern die so dringend benötigten Steuereinnahmen.
Druck auf Bern
In einem weiteren Bericht der Swissaid, der US-Organisation Natural Resource Governance Institute und der EVB wird die Macht der Schweizer Rohstoffhändler in Afrika sichtbar. Von den Ölmengen, welche die zehn wichtigsten afrikanischen Exportländern zwischen 2011 und 2013 verkauften, gingen rund 25 Prozent an Schweizer Händler. In Äquatorial-Guinea, Gabun, Kamerun, Nigeria und Tschad waren in der gleichen Zeit Schweizer Handelsfirmen die grössten Abnehmer von staatlichem Öl.
Wegen der diffusen Geschäftsgebaren der hiesigen Rohstoffmultis macht nicht nur die EVB Druck auf Bundesbern. Auch die EU-Länder drängen auf mehr Klarheit, da ihnen ebenfalls Gelder durch die Holdinggesellschaften in der Schweiz entgehen. Im März 2013 präsentierte der Bundesrat den «Grundlagenbericht Rohstoffe», in dem er die die Steuerpraktiken der hiesigen Konzerne diskutiert. Auch die Probleme mit missachteten Menschenrechten in den Förderländern, illegitimen Geldflüssen und der fehlenden Transparenz kommt zur Sprache.
Erster Schritt in Transparenz
Bern ist sich des Problems offensichtlich bewusst, doch bis heute gibt es keine staatliche Aufsicht und gesetzliche Regulierung. Die Gelder fliessen im Verborgenen weiter in die Schweiz. Die EVB hofft mit dem Vorstoss einer Rohstoffmarkaufsicht einen ersten Schritt in Richtung Transparenz. «Mit Transparenz erhalten wir einen Hebel, um Rohstoffhändler und korrupte Regierungen bei fragwürdigen Geschäften unter Duck setzen zu können», sagt Oliver Classen.
Auf der Internetseite der Rohma will die EVB über die «neu geschaffenen Gesetzesgrundlagen» sowie «konkrete Listen mit beaufsichtigen oder zur Beaufsichtigung empfohlenen Rohstofffirmen» informieren. Von verbindlichen Regularien kann aber nicht die Rede sein. So hofft die EVB vorerst, dass die Rohma «wichtige Pionierarbeit» leisten und «zu einem Teil der Lösung des Rohstofffluchs» werden könne, wie sie in der Medienmitteilung schreibt.