Wenn es in einem Spital kracht, weil sich die Herren in den weissen Kitteln mobben, wenn sich Politiker in den Medien öffentlich beschimpfen oder in einem Unternehmen die Mitarbeitenden aus Frust über die Bosse davonlaufen, dann wird der Ruf nach mehr Sozialkompetenz unüberhörbar. Bloss: Was ist Sozialkompetenz? Und wer hat oder hatte sie? Mutter Teresa oder Albert Schweitzer? Oder eher Lady Di? Winston Churchill oder am Ende doch Bill Clinton?

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So genau kann keiner sagen, was Sozialkompetenz eigentlich ist, dafür weiss aber jeder umso genauer, wem die Sozialkompetenz abgeht: den wahrhaft mächtigen Alphatieren. Wirtschaftsbossen, Diktatoren und Potentaten. Jenen, die nicht auf das Wohlwollen anderer angewiesen sind.

Doch Sozialkompetenz wird nicht nur unterschiedlich interpretiert, ihre Definition ist auch dem Zeitgeist unterworfen. Unter dem nachhaltigen Eindruck der Abzockergeschichten und der Ernüchterung rund um die New Economy wird heute vor allem das Solide und Bodenständige hervorgehoben. «Die beiden Lieblingswörter im Zusammenhang mit Sozialkompetenz sind derzeit ‹authentisch› und ‹integer›», stellt Doris Aebi, Direktorin bei der Personalberatungsfirma Bjørn Johansson Associates in Zürich, fest. Diese Rückbesinnung auf das Reelle hat inzwischen alle Berufsgruppen erreicht. Selbst bei den Beratern sind die Lieben und Netten gefragt: «Nicht mehr der scharfsinnige Analyst mit konzeptionellen Erfahrungen ist begehrt, sondern der pragmatische Coach und problemlösungsorientierte Befähiger. Empathie, Integrität und Authentizität sind erwünscht», meint Leonhard Fopp, Präsident der Asco Association of Management Consultants Switzerland, in einem Beitrag für die «Handelszeitung». «Die Kunden erwarten intensives Coaching ihrer Spitzenkräfte – und somit eine hohe Sozialkompetenz des Beraters.»

Es gibt keine einheitlichen Parameter

Was als Sozialkompetenz gilt, ist jedoch nicht nur vom Zeitgeist, sondern auch von der jeweiligen Unternehmenskultur abhängig. «Es kann sehr wohl vorkommen», sagt Doris Aebi, «dass ein Kandidat in einer Firma wegen mangelnder Sozialkompetenz abgewiesen wird, während er in einer anderen als sozial kompetent beurteilt wird. Massgebend ist die jeweilige unternehmensspezifische Definition von Sozialkompetenz.» Es ist ohne weiteres möglich, dass auch bei einer typischen Fachfunktion wie beispielsweise einem Chief Financial Officer die Sozialkompetenz den Erfolg entscheidend bestimmt und dementsprechend stark gewichtet werden muss.

Das gehört zur Sozialkompetenz
  • Kommunikative Fähigkeiten
  • Kooperations- und Koordinationsfähigkeit
  • Konflikt- und Kritikfähigkeit
  • Teamfähigkeit
  • Empathie und Sensibilität
  • Durchsetzungsvermögen
  • Flexibilität

Braucht es in unterschiedlichen Positionen verschiedene Arten von Sozialkompetenz? «Es gibt keine Norm für Sozialkompetenz, eine Krankenschwester zum Beispiel braucht eine andere Art von Sozialkompetenz als ein Polizist», sagt Bruno Staffelbach, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich. Er verweist darauf, «dass jede Organisation und Branche ihre eigenen Gesetzmässigkeiten hat». «Mit den flachen Hierarchien und der zunehmenden Projektarbeit», betont Doris Aebi, «nimmt die Bedeutung der Sozialkompetenz tendenziell für alle Mitarbeitenden zu.» Der isolierte Schaffer, der allein vor sich hin werkelt, gehört immer mehr der Vergangenheit an.

Auch wenn Sozialkomptenz en vogue ist, sie ist längst noch nicht an allen Orten zu finden. In der letzten Zeit sind häufig die Spitäler in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Deren medizinisches Führungspersonal bringt sich mit Gutsherrenmanieren immer wieder ins Gerede. «Das heisst jedoch nicht, dass bei uns besonders unumgängliche Menschen arbeiten», wehrt sich Christiane Roth, Direktorin des Universitätsspitals Zürich, «das hängt vielmehr mit den speziellen Strukturen eines Universitätsspitals zusammen.» Anders als in gewöhnlichen Unternehmen müsse hier zwei divergierenden Interessen Rechnung getragen werden. «Die Spitalleitung will, dass die Patienten optimal versorgt sind, während die Universität als Lehrstätte möglichst attraktiv bleiben möchte und sich deshalb vor allem fachlich hervorragende Leute mit zahlreichen Publikationen holt.» Die Auserkorenen müssen sich auf drei Ebenen – in Lehre, Forschung und im Umgang mit den Patienten – bewähren und erst noch durch Führungseigenschaften auszeichnen. «Da sind doch einige überfordert», sagt die Spitaldirektorin.

Um Sozialkompetenz stärker zu gewichten, braucht es Änderungen in der Organisation. Christiane Roth würde es deshalb begrüssen, wenn Top-Forscher, die oft Einzelkämpfer seien, auch ausserhalb der Hierarchie auf gut bezahlte Stellen gesetzt werden könnten. «Es stimmt, dass den weichen Faktoren lange Zeit zu wenig Bedeutung beigemessen wurde, aber hier ist jetzt einiges in Bewegung geraten. Die Berufungsverfahren werden jedenfalls überdacht.» Doch das sei ein langwieriger Prozess und trage nicht sofort Früchte, nicht zuletzt, weil die bereits gewählten Professoren mit ihrem eigenen Charakter nun mal da seien. Darunter viele, die sich in ihrer bisherigen Karriere eher Hornhaut an den Ellbogen zugelegt statt sich durch Sozialkompetenz hervorzutun.

Bei Topjobs zählt fachliches Know-how

Eine ähnliche Beobachtung hat René Grimm, Senior Consultant beim Personalberater Urs Ledermann & Partner in Bern, in der Industrie gemacht: «Je anspruchsvoller eine Stelle fachlich ist, desto weniger zählt die Sozialkompetenz.» Bei einer durchschnittlichen Stellenbesetzung bewertet er die Sozialkompetenz etwa mit einem Drittel, ein Drittel fällt auf Erfahrung und Affinität zur Branche, ein weiteres Drittel auf Ausbildung und Titel.

Doch weshalb mangelt es in so vielen Unternehmen und Institutionen an Sozialkompetenz? Klar ist zumindest, dass Krisen für weiche Werte harte Zeiten sind. Deshalb hört man in jüngster Zeit wieder vermehrt viel von Haudegen und anderen eisernen Besen, die in die Chefetagen einziehen – und die jegliche Sozialkompetenz vermissen lassen. Möglicherweise muss das sogar so sein. Für Bruno Staffelbach ist die Entwicklung jedenfalls nicht weiter erstaunlich: «In wirtschaftlich schwierigen Zeiten verkürzt sich der Wahrnehmungshorizont, und die Planungen werden noch kurzfristiger, als sie sonst schon sind.» Ausserdem gilt: «Wer in Boomjahren ein guter Chef ist, kann in schlechten Zeiten völlig versagen – und umgekehrt.» Es braucht unterschiedliche Qualifikationen, um in guten und in schlechten zu brillieren. Selektiv werden nur mehr die harten Fakten betrachtet – und da fällt die Sozialkompetenz schnell durch die Maschen des Bewertungsnetzes. Denn als etwas eher Diffuses und etwas, was eine langfristige Wirkung hat, wird die Sozialkompetenz in der Prioritätenliste weit nach hinten verschoben.

Für die Mitarbeitenden bedeutet eine solche Durststrecke, dass auch sie ihre Sozialkompetenz nicht mehr einsetzen können und sich, im schlimmsten Fall, einem Kadavergehorsam verschreiben müssen. «In solchen Situationen geht es nur noch um die Frage: ‹Wie überlebe ich?›», sagt Doris Aebi, die beobachtet hat, dass die Frauen dieses grausame Spiel weniger lange zu dulden bereit sind. «Frauen haben nicht mehr Sozialkompetenz als die Männer», sagt sie, «aber sie haben eine geringere Bereitschaft, diese zu verleugnen.»

Doch nicht nur Krisenzeiten sind Killer für alles, was nach weichen Werten tönt. Die Sozialkompetenz in einem Unternehmen nimmt häufig auch durch ungeschickte Beförderungen ab. Die falschen Leute kommen nach oben. Ganz nach der alten Einsicht, dass jeder so weit aufsteigt, bis er die Stufe der eigenen Unfähigkeit erreicht hat. «Eine gute Sachbearbeiterin ist nicht unbedingt eine gute Abteilungsleiterin», sagt Bruno Staffelbach, «und ein guter Verkäufer ist noch lange kein guter Chef.»

Doch wie steht es mit dem Erlernen von Sozialkompetenz? Kann man sie sich antrainieren? Jein! Denn die Komponenten der Sozialkompetenz haben viel mit Persönlichkeitsmerkmalen zu tun, die weitgehend gegeben und damit nur bedingt veränderbar sind. Trotzdem hat das wachsende Heer von Psychologen, Therapeuten und Persönlichkeitstrainern mit seinem reichhaltigen Kursangebot nicht Unrecht, wenn es behauptet, man könne an seiner Sozialkompetenz feilen. Zum Beispiel mit einem gezielten, von einem Coach begleiteten Selbstmanagement. Denn wer sich nicht selbst managen kann, der kann auch andere nicht führen. Selbstmanagement ist ein Sammelbegriff für verschiedene Aktivitäten zur Förderung von Selbststeuerung, aktiver Problembewältigung und Übernahme von Selbstverantwortung – und ist vergleichbar mit dem Konzept der emotionalen Intelligenz des amerikanischen Psychologen Daniel Goleman.

Literatur zum Thema:
Jost, Ulrich: Unternehmenskultur. Wie weiche Faktoren zu harten Fakten werden, Orell Füssli Verlag, Zürich 2003.


Kastner, Michael: Syn-Egoismus – nachhaltiger Erfolg durch soziale Kompetenz, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1999.

Vieles, was man in solchen Coachings lernt, weiss man eigentlich schon und ruft bei kritischen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen einen Abwehrreflex im Stil von «Was soll ich mit diesem Psycho-Quatsch?» hervor. «Doch wenn sich die Menschen auf das Coaching einlassen, wenn sie bereit sind, ihre eigenen Stimmungen, ihre Motivationen und Abneigungen, kurz, ihre Gefühle bewusst wahrzunehmen und zu verstehen», sagt die Zürcher Trainerin Teresa Eisenring, die auf Coaching für Selbstmanagement spezialisiert ist, «dann staunen sie, wie stark sich ihre Verhaltensweisen positiv verändern und ihre Sensibilität für die Gefühlswelt anderer wächst und sich ihre eigene Empathie entwickelt.»

Auf die Signale seines Körpers hören

Den meisten ist zum Beispiel mehr oder weniger deutlich bewusst, dass es zwischen Gesundheit und Sozialkompetenz einen engen Zusammenhang gibt, dass man mit sozial kompetenten Handlungen das Immunsystem stärken kann und damit optimale Bedingungen für eine gute Gesundheit schafft. Dazu gehört, körpereigene Signale zu erkennen und Bedürfnisse des Körpers nach Regeneration zu befriedigen. Wichtig dabei ist das Lachen. Wir tun uns selbst und anderen etwas Gutes, wenn wir sie zum Lachen bringen und umgekehrt eine heitere Atmosphäre nicht sofort als mangelnde Ernsthaftigkeit diffamieren. Sicher, alles Selbstverständlichkeiten, die die wenigsten aber beherzigen. Selbstmanagement sorgt dafür, dass wir dies ändern.

Und wie wird die Sozialkompetenz in den Unternehmen gefördert? Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Förderung der Sozialkompetenz eine zentrale Aufgabe der Personal- und Organisationsentwicklung ist. Sie sollte von den Chefs vorgelebt und regelmässig überprüft werden, zum Beispiel über Mitarbeitergespräche. Von zentraler Bedeutung ist, dass die Organisation so strukturiert ist, dass sich sozial kompetentes Verhalten auch wirklich lohnt, dass es sich auszahlt in Form von Wertschätzung und Bezahlung.

Doch Wunder bewirken all diese Anstrengungen keine. Bei allem Coaching wird aus dem verschwiegenen Einzelgänger kein kommunikativer, teamfähiger Arbeitskollege oder Vorzeigechef, aber umgänglicher wird er schon. Seine Überlebenschancen in einer zunehmend vernetzten Welt mit immer mehr gegenseitigen Abhängigkeiten werden verbessert. Und das ist doch eine Anstrengung wert!

Wenn Kopf und Herz gebildet sind
Der Begriff mag wattig sein. Doch wo Wert auf Sozialkompetenz gelegt wird, wird produktiver gearbeitet.


Unsere Gross- und Urgrossmütter benutzten den heute antiquiert anmutenden Ausdruck Herzensbildung. Die erwarteten sie insbesondere vom Dorfarzt und vom Pfarrer. Ihre Begründung: «Es genügt nicht, wenn einer ein Akademiker ist, er muss auch das Herz auf dem rechten Fleck haben.»


Anfang der Sechzigerjahre wurde der Begriff «social competence» als Sozialkompetenz flugs ins Deutsche übertragen – und schon entstand eine grosse Begriffsverwirrung, was nicht zuletzt mit einem Übersetzungsproblem zu tun hat. Denn sozial (gemeinschaftsfördernd) und «social» (gesellschaftsbezogen, gesellig) sind nicht das Gleiche. «Competence» dagegen bedeutet eher Fähigkeiten und Fertigkeiten, während das deutsche Wort Kompetenz häufiger die Bedeutung von Befugnis hat. Passender wäre es, von sozialen Fertigkeiten oder weichen Werten zu sprechen. Theoretisch ist die Sache klar: «Sozialkompetenz wird Personen zugeschrieben, die in der Lage sind, so mit anderen Personen umzugehen, dass dieses Verhalten ein Maximum an positiven und ein Minimum an negativen Konsequenzen für die Beteiligten mit sich bringt.»


In zahlreichen wissenschaftlichen Studien ist nachgewiesen worden, dass Unternehmen, in denen auf die Sozialkompetenz grossen Wert gelegt wird, produktiver arbeiten und besser mit Problemen und Konflikten umgehen.


Mitte der Neunzigerjahre machte der amerikanische Psychologe Daniel Goleman die emotionale Intelligenz zum Thema. Sie ist eine Art Pendant zur Sozialkompetenz, die mehr auf die individuelle Schiene abzielt. Ein emotional intelligenter Mensch schätzt seine Persönlichkeit realistisch ein und kennt seine Stärken und Schwächen. Er kann die eigenen Stimmungen und Gefühle durch einen inneren Dialog beeinflussen. Er ist in der Lage, Leistungsbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit aus sich selbst heraus zu entwickeln. Er kann sich in die Gefühle und Sichtweisen seiner Mitmenschen hineinversetzen und sie akzeptieren. Er drückt sich klar und deutlich aus und kann gut zuhören. Er kann Kontakte zu anderen Menschen knüpfen und diese Beziehungen dauerhaft aufrechterhalten.


Am besten aber sind die dran, die auch sonst intelligent sind. Oder eben wie früher: Sie haben Kopf- und Herzensbildung.