Links und rechts des sechsspurigen Highways 101 südlich von San Francisco schreien einem die Plakate entgegen: «Office space to rent!», «For Lease – call now!» oder «Low rates». Büroflächen waren hier noch nie so billig zu mieten wie jetzt. Im «Spago», dem Szenerestaurant in Palo Alto, bleiben abends einzelne Tische leer – früher musste man Wochen im Voraus reservieren. Auch die Taxifahrer leiden: «Ich habe 40 Prozent weniger Umsatz als früher», sagt Jack, der seither Zwölf-Stunden-Schichten fährt. «Aber wenigstens gibt es keine Staus mehr im Silicon Valley.»
Vor zwei Jahren, als die Technologieblase platzte, wurde das Tal der Träume zum Tal der Tränen. Die Grossunternehmen, denen es hier noch richtig gut geht, kann man seither an zwei Händen abzählen. Die wohl bemerkenswerteste Erfolgsgeschichte im Silicon Valley schreibt nun ausgerechnet eine Schweizer Firma: Logitech.
Seit 16 Quartalen weist der weltgrösste Hersteller von Mäusen und Tastaturen ein kontinuierliches Umsatzwachstum auf, obwohl der Computermarkt als Ganzes rückläufig ist. Im gleichen Zeitraum haben sich Logitechs Verkaufszahlen insgesamt verdoppelt (auf heuer voraussichtlich 1,07 Milliarden Dollar), und der Jahresgewinn hat sich versechzehnfacht (auf 120 Millionen). Im Silicon Valley, der mit Abstand kompetitivsten Hightech-Region der Welt, gibt es kein börsenkotiertes Unternehmen ähnlicher Grössenordnung, das über die letzten vier Jahre eine derartige ununterbrochene Erfolgsstory vorweisen kann. Auch die Zukunftsaussichten sind glänzend. Kein Wunder, wurde Logitech vom Szenemagazin «Business 2.0» kürzlich als das am schnellsten wachsende Technologieunternehmen ausgezeichnet. Das BILANZ-Ranking der 100 besten Schweizer Unternehmen hatte Logitech schon letzten Juni gewonnen.
Frage an Logitech-CEO Guerrino De Luca: Wie schafft eine Schweizer Firma im Silicon Valley das, was Cisco und Intel, Sun und Apple offensichtlich nicht mehr können? Erster Einwand: «Wir sind eigentlich keine Schweizer Firma.» Einverstanden. Zweiter Einwand: «Wir sind auch kein typisches Silicon-Valley-Unternehmen.» Auch einverstanden. Logitech ist – nun, nennen wir es mal: multikulti. Der Hauptsitz und die Joystick-Entwicklung in Freemont, am östlichen Rand der Silikonsenke, ein bisschen abseits von den grossen Nachbarn; die Europazentrale und das grösste Forschungslabor (Funk- und optische Technologie) im waadtländischen Romanel-sur-Morges, unweit von Apples, wo das Unternehmen 1981 gegründet wurde; eine weitere grosse Entwicklungsabteilung für die Massenprodukte in Hsinchu (Taiwan); die Fabriken im chinesischen Suzhou, 100 Kilometer südlich von Schanghai. Der CEO ein Italiener, genauer gesagt: aus den Abruzzen, ebenso wie Pierluigi Zappacosta, einer der beiden Gründer. Der zweite Gründer und heutige VR-Präsident, Daniel Borel, ein Westschweizer, der hauptsächlich in London lebt. Die Produkte von Anfang an rund um die Welt verkauft.
«Silicon-Valley-Unternehmen schauen auf die Welt durch die Augen Kaliforniens. Das ist nicht Logitech», sagt De Luca. Stattdessen herrscht bei dem 4500-Mann-Unternehmen ein eigentümlicher Kulturmix. Aus dem Silicon Valley: Technologiefokussierung, Anpassungsfähigkeit, Optimismus. Aus Asien: die strikte Kostenkontrolle. Aus der Schweiz: das Qualitätsbewusstsein. Gepaart mit einem Schuss Provinzialität.
Wer sich auf den Weg zum Europasitz in Romanel-sur-Morges macht, den erwartet eine kleine Entdeckungsreise durch das waadtländische Hinterland: zwischen Weinbergen und Kartoffelfeldern hindurch, über kleine Dorf- und Landstrassen («Im Winter nicht gesalzt!», warnt ein Schild), an einem Bauerhof und einer Kuhherde vorbei, durch einen kleinen Wald, in dem sich eine Müllkippe versteckt.
Hinter den Bäumen verbergen sich zwei unscheinbare, dreistöckige Gebäude, typische Industriezonenbauten. Die Mitarbeiter sprechen französisch – fast alle kommen von den Lausanner Hochschulen. Die meisten sind zwischen 25 und 35, Ingenieure, Freaks, die hauptsächlich an der Weiterentwicklung der Mäuse arbeiten und ihre Arbeit alle acht Stunden via Internet von Kontinent zu Kontinent weiterreichen. Sie spüren den Kulturmix von Logitech am stärksten: «Wir Schweizer tendieren dazu, alles übergenau zu entwickeln», sagt Rolf Ambühl, der in Romanel Funktechnologie entwickelt. «Die Kollegen in Taiwan rühren ein Design nicht mehr an, sobald es nur läuft.» Mit Freemont, wo viele Franzosen und Schweizer arbeiten, fällt den Romands die Kooperation leichter.
Der Rundgang durch den Sitz in Romanel zeigt ein weiteres Charakteristikum von Logitech: Die Büros im Innern sind eng und voll gestopft, die Möblierung simpel und nicht mehr ganz neu, auf Inneneinrichtung oder gar Dekoration scheint man keinen Wert zu legen. «Wir geben nicht viel Geld für repräsentative Büros aus», nennt es der Pressesprecher. Einiges ist improvisiert. Das Labor etwa, in dem die Stärke von Funksignalen gemessen wird, haben die Techniker mit jenem Maschendrahtzaun isoliert, in dem die Bauern im Nachbardorf sonst ihre Hühner halten. «Warum sollen wir viel Geld ausgeben für einen Isolationsraum, wenn es eine Drahtrolle aus dem Heimwerk auch tut», sagt Ambühl.
Ein Stockwerk weiter unten stehen hochempfindliche optische Messgeräte. Statt wie vorgesehen auf einem teuren Spezialtisch mit eigenem Fundament sind sie auf einer umgedrehten Blumenbank montiert. Kostenkontrolle wird bei Logitech gross geschrieben. Dass der CEO nur Economy fliegt, ist Ehrensache. Die Spitzengehälter sind ebenfalls Economy: Die zehn Topmanager haben letztes Jahr inklusive Bonus keine dreieinhalb Millionen Dollar verdient – zusammen, wohlgemerkt.
Der eigentümliche Kulturmix mag ein Grund für den Erfolg sein, die strikte Kostenkontrolle ein weiterer – entscheidend aber ist die richtige Strategie. Vor De Lucas Amtsantritt im Frühjahr 1998 war Logitech ein weitgehend namenloser Hardwarehersteller von Mäusen und Tastaturen, die fast ausnahmslos zu niedrigen Margen an Computerhersteller verkauft wurden. Der Italiener pushte den Verkauf durch den weniger zyklischen Einzelhandel und etablierte dazu Logitech als Marke: 14 Prozent des Umsatzes gibt er inzwischen für das Marketing aus (zum Vergleich: In Forschung und Entwicklung gehen fünf Prozent). Heute generiert man im Retail zwar nur schätzungsweise 10 Prozent des Verkaufsvolumens, aber dank den deutlich höheren Margen stolze 90 Prozent des Gewinnes.
Die Preise sind dabei geschickt festgelegt: sehr gewinnträchtig, aber mit maximal 100 Dollar gerade noch so günstig, dass sie zu Spontankäufen verleiten (De Luca nennt es die «Check with your spouse»-Preisgrenze). Die Massenfertigung für PC-Hersteller hat man trotzdem beibehalten, um Skaleneffekte zu erzielen. Jeder zweite Computer weltweit wird heute mit einem Eingabe- oder Zeigegerät made by Logitech ausgeliefert. Zehn Produkte pro Sekunde schmeissen die Fliessbänder in China durchschnittlich aus, pro Jahr sind es insgesamt 100 Millionen Stück. Die zweite strategische Weichenstellung De Lucas war der Ausbruch aus der Mausefalle. Durch zwei Akquisitionen, die allerdings eher aus kurzfristigen Gelegenheiten als aus weitsichtiger Planung entstanden, stiess Logitech in das Geschäft mit Audiozubehör und Digitalkameras vor. Gerade der Verkauf von Webcams, bei denen Logitech einen Weltmarktanteil von schätzungsweise 45 Prozent hält, boomt: Gab es vor eineinhalb Jahren nur eine halbe Millionen User, sind es inzwischen sechs Millionen. Und De Luca will weiter diversifizieren: «In fünf Jahren wird der Anteil der PC-Produkte von 85 auf 50 Prozent zurückgegangen sein», hofft er.
Ein erster Schritt dazu ist die eben zu Kampfpreisen lancierte Palette an Handyzubehör. Ein gewagter Schritt, denn Logitech hat keine Erfahrung in der Telefonie und keine Vertriebswege für diese Produkte. Fraglich, ob man diese aus eigener Kraft aufbauen kann: «Die Händler führen heute in der Regel das Originalzubehör und auf einem günstigen Preisniveau Eigenmarken. Es wird für Logitech sehr schwierig werden, sich dazwischen zu positionieren», sagt Rudolf Baer, Besitzer von Mobilezone, der grössten Schweizer Handyshopkette. Zumal die aggressiven Preise den Händlern kaum attraktive Margen erlauben dürften.
Die Expansionsstrategie ist für Logitech generell ein zweischneidiges Schwert. Zum einen ist der Schritt nötig, denn der Weltmarkt für Eingabegeräte ist nur etwa sieben Milliarden Dollar gross. Zum anderen hat es das Leichtgewicht Logitech (Börsenkapitalisierung 2,7 Milliarden Franken) gerade dieser Tatsache zu verdanken, dass sein Geschäft bisher unter dem Radarschirm der Branchengiganten wie etwa Sony hindurchgeschlüpft ist (lediglich Microsoft stellt als Nischengeschäft ebenfalls Mäuse und Keyboards her, primär allerdings aus strategischen Gründen, denn die Qualität der Eingabegeräte ist entscheidend für den Erfolg des Kernproduktes Windows).
Mit jedem Expansionsschritt steigt für Logitech das Risiko, den Big Playern in die Quere zu kommen – mit dem Handyzubehör fordert man bereits Schwergewichte wie Nokia, Siemens und SonyEricsson heraus.
Trotz den seit Jahren guten Ergebnissen – und auch das ist wiederum ein Grund für den Erfolg – ist Logitech auf dem Boden geblieben. «Erfolg ist eine Ausnahme, die nie endgültig ist und um die man immer kämpfen muss», sagt De Luca. «Man darf nie meinen, man sei am Ziel – man ist es nie.»
De Luca hat das selber schmerzhaft lernen müssen in seiner Zeit bei Apple: Damals, in den frühen Neunzigerjahren, war er am Europasitz zuständig für die Vermarktung der Macintosh-Computer. Es waren die goldenen Jahre von Apple, als von der Windows-Konkurrenz noch nichts zu sehen war und die Rechner sich von selbst verkauften. Es waren auch jene Jahre, als Apple so zufrieden und träge wurde, dass sie wenig später fast vom Markt gespült wurde. «Wenn man den Erfolg auf die eigene Tüchtigkeit zurückführt, dann erlebt man früher oder später eine gewaltige Überraschung», nennt De Luca die Lehre, die er daraus gezogen hat, und auf Logitech angewandt: «Wir sind vielleicht etwas weniger arrogant als das typische Silicon-Valley-Unternehmen.»
Untypisch für sein Umfeld ist auch er selbst: Statt mit Sweater und Jeans kleidet er sich stets italienisch korrekt mit Anzug und Krawatte. Obwohl er ein charismatischer und kommunikativer Marketingmensch ist, spielt er nicht den «Anything goes»-Optimisten und aggressiven Verkäufertyp, den man im Silicon Valley so häufig antrifft. Und obwohl er unter Steve Jobs gearbeitet hat, hält er nicht viel von jenen CEOs des Valley, die sich selbst inszenieren, in dem sie Kampfjets fliegen oder sich als Rockstar feiern lassen. «Bei manchen ist die Gefahr gross, dass das Ego überhand nimmt und der CEO schliesslich meint, er könne über Wasser gehen», sagt er.
«Down to earth» bleibt man in Freemont auch, wenn es um die Einschätzung der eigenen technologischen Verdienste geht. Denn auch wenn das letzte Mausmodell 40 000 Ingenieurstunden bis zur Markteinführung gebraucht hat, sind bei den Kernprodukten kaum mehr technische Durchbrüche möglich. «Wir schicken keine Rakete auf den Mond», sagt De Luca. «Unsere Ingenieure machen ein Fest, wenn sie eine Möglichkeit entdecken, bei einem Produkt 50 Cents einzusparen.» Wie also motiviert man einen Berkeley- oder Stanford-Absolventen, zu Logitech zu kommen, wenn er doch nur ein paar Kilometer tiefer im Valley bei einem der Hightech-Pioniere die Welt verändern könnte? Die Antwort gibt Vance Prather, der in seiner mit Spielgerät zugestopften Bürozelle Joysticks für Gamekonsolen designt: «Meine Produkte zu Hunderttausenden da draussen zu sehen, in den Kaufhausregalen und später den Wohnzimmern, ist eine sehr grosse Belohnung.»
Dann zeigt er stolz die Folterkammer, in der seine Joysticks auf Kälte und Hitze, mechanische Belastung und Feuchtigkeit geprüft werden – teils wieder auf improvisierten Eigenkonstruktionen. Nach dem Verlassen des Raumes weist ihn die Marketingassistentin besorgt darauf hin, dass das Licht noch brennt. «Keine Angst, dass geht automatisch aus», beruhigt sie Prather.
Rückfahrt über den Highway 880 zurück zum 101, vorbei an den Bürogebäuden. Die leeren Bauten stehen düster in der Landschaft. Die Fenster der meisten anderen Firmensitze sind hell erleuchtet. Vielleicht, weil dort in der Krisenzeit besonders hart gearbeitet wird. Vielleicht aber auch, weil sie nicht Logitech heissen.
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