«Alles, was ich brauche, finde ich in Zürich», sagt Tina Turner. In Zukunft soll es auch Bill Gates wie sie halten: Aus Seattle, wo es das ganze Jahr regnet, zieht er an den Zürichberg, über dem nur das halbe Jahr der Hochnebel liegt. Das Szenario, dass sich die Gegenwart, etwas glorifiziert, in die Zukunft weiterentwickeln lässt, beurteilen die Experten als das wahrscheinlichste: Reiche Leute aus aller Welt bringen ihr Geld nach Zürich, und sie folgen ihm auch persönlich, weil die Stadt schon heute, wie internationale Studien anerkennen, die höchste Lebensqualität bietet. Im Gegensatz zu Beverly Hills soll Zürich aber dank einer aufmerksamen Sozialpolitik eine offene Gesellschaft bleiben, in der sich die Reichen nicht verschanzen müssen.
Nobelpreis in Finanzen
Die Credit Suisse sponsert heute die Formel 1 – wäre das Geld in einer Professur für Finanzen nicht gescheiter angelegt? Erst seit wenigen Jahren bemüht sich die Universität Zürich, mit ihrem Swiss Banking Institute und dem daran angeschlossenen RiskLab, zusammen mit der ETH, wirklich die hellsten Köpfe für den Finanzplatz auszubilden. Auf zukunftsträchtigen Gebieten wie Privatebanking, Hedgefunds, Risiko-Management oder Rohstoffhandel arbeiten aber schon heute führende Leute am Zürichsee. Und diese Stärke liesse sich mit dem nötigen politischen Willen weiter ausbauen. Das bedingt allerdings das Ende des Filzes, das Auflösen des Old Boys Network und das Kappen der Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik. Und es bedeutet, dass sich wirklich die Besten durchsetzen: Die Schweizer Unternehmen stellen auch fähige Leute ein, wenn sie dafür unfähige entlassen müssen – drei Viertel der Beschäftigten auf dem Finanzplatz, meinen die Experten, kommen dann aus dem Ausland, vor allem aus Osteuropa und Nordamerika. So bringen aber alle bedeutenden Banken die Zentralen ihres Privatebanking nach Zürich, und die ETH entwickelt sich auch zur wichtigsten Business School der Welt – sie übernimmt die London School of Economics. Am Zürichsee findet das World Economic Forum in Finanzen statt, schliesslich leben die gescheitesten Köpfe schon alle da. Die Swiss Re spielt eine führende Rolle im Risk-Management, die Credit Suisse allerdings fällt auseinander.
Langweilige Stadt
«Eifersüchteleien gegenüber Erfolgreichen und Schamgefühle von Versagern gehören schon heute zur Schweizer Kultur», weiss einer der «Thought Leaders». «Wenn sie überhand nehmen, dann entwickeln wir uns hin zu langweiliger Mediokrität.» Die Schweiz verschliesst sich gegenüber ausländischen Arbeitskräften und verschreckt Unternehmen aus aller Welt mit «patriotischen», nämlich höheren Steuern. Das Land gehört der EU in ihrer heutigen, problemgeplagten Form an, und wie Deutschland ändert es seine Gesetzgebung von Jahr zu Jahr. Leben und Arbeiten verlangsamen sich; die BILANZ-Leser verbringen ihre Freizeit auf den schönsten Wanderwegen, und der letzte Schweizer, der bei der Credit Suisse in New York als Direktor diente, zieht sich mit 70 Jahren zum fröhlichen Heckenschneiden in die Heimat zurück. Für seine wiedergewonnene Geruhsamkeit zahlt das Land allerdings einen hohen Preis. Die Bevölkerung altert weiter, die Qualität der Schulen nimmt ab, das Geld für die Sozialpolitik fehlt. Zürich sinkt ab zu einem regionalen Zentrum mit einer korrupten Kungelei zwischen Wirtschaft und Regierung, die die fähigsten Köpfe verscheucht. Die grossen Finanzhäuser behalten in Zürich nur noch Ableger. UBS und CS müssen sich zusammenschliessen oder von Konkurrenten übernehmen lassen. Und vor allem wäre dieses gar nicht so unwahrscheinliche Szenario, wie die Experten meinen, nur die Vorstufe zum unerfreulichsten: der Geisterstadt.
London II
Vor zwanzig Jahren noch der viertgrösste Finanzplatz der Welt – nach New York, London und Tokio –, ist Zürich auf Rang sechs abgerutscht, von Frankfurt und Hongkong überholt, von Singapur und Luxemburg bedrängt. Der Niedergang liesse sich aufhalten, meinen die Experten: Zürich könnte gar, wie heute London, mit New York als bedeutendstem Finanzplatz der Welt wetteifern, mit einer führenden Stellung nicht nur wie bisher im Privatebanking, sondern auch in Asset-Management, Investmentbanking und (Rück-) Versicherung. Ganz unwahrscheinlich ist eine solche günstige Entwicklung nicht: Boston mit seiner Konzentration des Fondsgeschäfts hat vorgemacht, wie sich eine Stadt als ergänzendes Zentrum zu New York positionieren kann. Aber was würde es dafür brauchen? Die Schweiz müsste auf den Beitritt zur EU verzichten, aber mit ihr noch ausgeweitete bilaterale Abkommen schliessen. Auch das Bankgeheimnis wäre als Wettbewerbsvorteil beizubehalten, allerdings auf die Anforderungen der EU im Informationsaustausch abgestimmt. Damit die ausländischen Banken in Zürich ausbauen, brauchen sie vorteilhafte Steuergesetze und Arbeitsbewilligungen für Ausländer. Allerdings ist für Arbeiten, die wenig zur Wertschöpfung beitragen, kein Platz mehr: Das Backoffice lagern die Banken nach Indien oder China aus. Dafür gilt Zürich als so begehrter Platz zum Leben, dass – ähnlich wie heute in London – die Bodenpreise auf Geisterstadt das Fünf- bis Zehnfache explodieren.
Geisterstadt
«Die KUC Bank gewinnt ein Zwei-Millionen-Dollar-Mandat», jubelt BILANZ auf ihrem Cover. Aber sonst gibt es 2013 nichts zu lachen. Denn die KUC Bank ist der Zusammenschluss der Kantonalbanken, der UBS und CS übernommen hat. Die Kantonalbanken und die Raiffeisenbank halten zusammen 90 Prozent des einheimischen Marktes. Er ist, nach der Vertreibung der fähigsten Fremden und der Abschreckung der ausländischen Konkurrenten, strikt abgeschottet; Raiffeisen schafft immerhin den Sprung nach Wien. Am Paradeplatz, wo heute der Hauptsitz der Credit Suisse samt Luxus-Einkaufspassage prunkt, eröffnet Denner einen Supermarkt. Die Börse handelt noch mit Aktien von lokalen KMU, die Privatbankiers verwalten das Spargeld der Schweizer. Und an der Goldküste gibt es Villen zu einem Preis zu kaufen, für den jetzt noch niemand eine Garage bekommt. Denn alle klugen Köpfe sind aus dem Land geflüchtet, in Zürich gibt es nur noch schlecht qualifizierte Jobs, die Arbeitslosigkeit greift um sich. Kann ein solches Szenario eintreten? «Dafür würde es ein externes Ereignis brauchen, also etwa Steueramnestien rund um den Globus, auf Grund deren alles Geld aus der Schweiz abgezogen würde», meinen die «Thought Leaders». Sie beurteilen dieses unerfreulichste Szenario als unwahrscheinlichstes. Das sieht allerdings Stephan Kux anders. «Mich überrascht dieser Optimismus», meint der kantonale Wirtschaftsförderer. «Wir stellen uns auch auf Worst Case Scenarios ein.»