BILANZ: Werden Sie Ihren Kindern dereinst raten, in den Journalismus einzusteigen?
Pietro Supino: Wenn ein Kind Journalist werden wollte, würde ich sicher nicht abraten, ganz im Gegenteil. Gute Journalisten werden an Bedeutung gewinnen.
Digitaljournalist oder Printjournalist?
Das eine, das andere oder zunehmend beides. Für den Nachrichtenteppich, Interaktion und neue Formen der Unterhaltung werden digitale Formen im Vordergrund stehen. Dabei und im Zusammenhang mit der Konvergenz der verschiedenen Kanäle sind neben journalistischem Handwerk Managementfähigkeiten und unternehmerisches Denken gefragt. Gleichzeitig werden Hintergrundberichterstattung, Recherche und Einordnung noch wichtiger und bieten losgelöst von hierarchischen Karrieremöglichkeiten spannende Perspektiven. Auch wenn die Frage der Verbreitung letztlich zweitrangig ist, gehe ich davon aus, dass diese klassischen Mehrwerte noch lange auf Papier und parallel zunehmend auf Lesegeräten genutzt werden.
Die Medienbranche steht im Ruf, eine Krisenbranche zu sein. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein. Für die gesamte Branche und aus Sicht von Tamedia stelle ich fest: Über einen etwas längeren Zeithorizont betrachtet, ging es uns noch nie so gut wie heute. Dabei denke ich nicht in erster Linie an unseren wirtschaftlichen Erfolg, sondern vor allem an unser Angebot. Sowohl unsere journalistische als auch unsere kommerzielle Leistungsfähigkeit hat sich positiv entwickelt. Wir bieten heute ein Mehrfaches an Vielfalt und Qualität im Vergleich zu vor 5, 10 oder 20 Jahren.
Also kein Problem?
Das Problem ist die Ungewissheit über die Zukunft. Wir wissen nicht, was morgen sein wird. Und die damit verbundene Unsicherheit drückt auf die Stimmung.
Es bestehen Risiken bei Investitionen ins Digitalgeschäft.
Zweifellos. Es gibt fast überall und zunehmend das Risiko von Disruptionen.
Sind diese Risiken grösser als früher?
Ja, aufgrund der phänomenalen technologischen Entwicklung. Wir sollten uns dadurch nicht verunsichern lassen. Ungewissheit ist per Definition ergebnisoffen. Es ist nicht einfach, damit umzugehen, aber Veränderungen können Chancen wie Risiken sein. Gleichzeitig nimmt der wirtschaftliche Druck auf die Effizienz und Produktivität enorm zu. Das schlägt ebenfalls auf die Stimmung. Von diesem Druck profitieren wir aber auch im Einkauf und als Konsumenten. Und dieser Druck ist nicht eine Besonderheit der Medienbranche. Denken Sie an die Telekombranche, wo ein enormer Margendruck herrscht, oder an den Detailhandel mit den Umwälzungen des Onlineshoppings.
«NZZ»-Präsident Etienne Jornod meint, eine Marge von fünfzehn Prozent sei passé, heute müsse man sich wie in der Pharmabranche mit sechs Prozent Umsatzrendite begnügen. Auch Ihre Meinung?
Für die Medienbranche nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Medienhaus mit fünf oder sechs Prozent Betriebsmarge langfristig überleben wird.
Warum brauchen Sie höhere Margen?
Wir sprechen ja nicht von Rentabilitätszielen, sondern von Bruttomargen. Diese brauchen wir zunächst für Abschreibungen auf unserem industriellen Apparat. Das alleine macht jährlich etwa fünf Prozent des Umsatzes aus, weitere ungefähr zwei Prozent betragen die Steuern auf Unternehmensebene. Somit bleiben dann noch rund sieben bis acht Prozent verfügbares Ergebnis.
Das geht an die Aktionäre?
Zum kleineren Teil. In der Vergangenheit haben wir davon ein Drittel den Aktionären als Dividende ausgeschüttet. Dass die Aktionäre mit ihrem Kapital das unternehmerische Risiko tragen, sollte man dabei auch nicht vergessen. Zwei Drittel der Ergebnisse haben wir ins Unternehmen investiert – in den Ausbau unserer traditionellen und in neue Aktivitäten. In den letzten sechs Jahren, seit ich im Amt bin, haben wir über eine Milliarde Franken investiert. Kurzum: Wie man ein breit aufgestelltes Medienunternehmen mit entsprechender Infrastruktur mit einer Bruttomarge von fünf Prozent in die Zukunft führen kann, weiss ich nicht.
Die bisherige Rendite sei Illusion, sagt der Konkurrent.
Dann sollten Sie besser dort nachfragen. Im Übrigen korrelieren gute Margen typischerweise mit der Qualität des Angebots und den dafür getätigten Investitionen. Auch wenn es manchmal so dargestellt wird, sind tiefe Margen nicht Ausdruck verantwortungsvoller Unternehmensführung, sondern in aller Regel ein Indiz für das Gegenteil.
Tamedia ist stark im Tageszeitungsgeschäft, dieses erodiert.
Tageszeitungen sind für uns immer noch ein grosses und einträgliches Geschäft. Gerade in den USA, wo die Aussichten lange Zeit negativ beurteilt wurden, hat sich die Stimmung in den letzten Monaten erheblich verbessert, was auch in Warren Buffetts Übernahme von rund 30 Tageszeitungen zum Ausdruck kommt. Aber es stimmt, dass Tageszeitungen stark vom Strukturwandel betroffen sind. Insbesondere vom Verlust der historisch sehr einträglichen Rubrikenanzeigen und von Rückgängen bei der Leserschaft in Konkurrenz zu zahlreichen neuen Informations- und Unterhaltungsangeboten.
Es gibt ein Überangebot, speziell in der Schweiz.
Ja, es gibt ein kolossales mediales Überangebot. Das wiederum ist eine Chance für glaubwürdige Medien, die einen verlässlichen Überblick sowie Hintergrund und Einordnung bieten. Aber es stimmt: Wer täglich die Zeit seiner Leser mit einer Tageszeitung gewinnen will, ist diesem Druck noch mehr ausgesetzt als eine Wochenzeitung oder ein Magazin. Hinzu kommt bei den bezahlten Tageszeitungen ein Problem, das wir uns selber geschaffen haben: Indem wir unter denselben Marken online kostenlos erhältlich sind. Das wollen wir jetzt korrigieren.
Wer wird den Verdrängungswettbewerb überleben?
Es wird in Zukunft weniger bezahlte Tageszeitungen geben: Jene, die übrig bleiben, müssen ihr Profil schärfen und ihre Qualitätsversprechen auf allen Kanälen einlösen.
Wie viele werden auf der Strecke bleiben?
Das lässt sich nicht voraussehen. Die Qualität steigern bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung, das ist die Herausforderung.
Die Frage der Zukunft ist die Rentabilisierbarkeit von Online-Angeboten. Die User haben sich an Gratisangebote gewöhnt.
Medienmarken, die traditionell ihr Angebot gegen Bezahlung anbieten, ein «Tages-Anzeiger» oder eine «Berner Zeitung», müssen versuchen, diese Bezahlmodelle zu transformieren. Mit der Konvergenz der bisher getrennten Print- und Online-Redaktionen, die es ermöglichen soll, unter einer Medienmarke auf unterschiedlichen Kanälen ein kohärentes Gesamtangebot zu entwickeln, schaffen wir eine Voraussetzung dafür. Daneben haben wir andere Marken wie «20 Minuten», die für ein kostenloses Angebot stehen und auch online gratis bleiben werden.
Ist das strategisch nicht unglaubwürdig?
Nicht, wenn die Angebote sich hinsichtlich Inhalt und Tonalität unterscheiden.
Wann bringt der «Tages-Anzeiger» sein Online-Bezahlmodell?
Voraussichtlich im vierten Quartal.
Bei der «NZZ» hats nicht funktioniert. Gerade mal ein paar hundert User sind bereit, fürs Angebot auf nzz.ch zu bezahlen.
Genaues ist nicht bekannt. Mich interessieren weniger die digitalen Nutzer per se als die Gesamtheit der Nutzer auf allen Kanälen: Print, Digital und Kombinationsangebote.
In der Romandie wurde kürzlich gegen Tamedia demonstriert, weil die Kosten um 18 Millionen gesenkt werden sollen. Auf einem Plakat stand: «Herr Supino: Geiz isch nööt geil.»
Polemik beeindruckt mich nicht. Mich beschäftigt, ob wir inhaltliche Fehler gemacht haben.
Fühlen Sie sich in der Westschweiz falsch verstanden?
Einige haben Bruttomarge und Kapitalrendite verwechselt, sogar der Finanzdirektor des Kantons Waadt.
Er ist Vertreter der Wirtschaftspartei FDP.
Offen ist, ob bewusst oder aus Unkenntnis zugespitzt wurde. Wie gesagt, beschäftigt mich mehr, ob wir gedanklich falsch liegen. Und wenn wir das bejahen, müssen wir das korrigieren.
Müssen Sie korrigieren?
Ja. Wir haben verschiedene Felder identifiziert. Die ganze Kontroverse ist auch entstanden, weil unsere interne Kommunikation nicht kohärent war. Es wurden unterschiedliche Signale ausgesendet. Kommt hinzu, dass Symbole in der Romandie wahrscheinlich einen höheren Stellenwert haben als in der deutschen Schweiz. Tamedia ist in den vergangenen Jahren relativ schnell gewachsen. Dabei wurden unterschiedlichste Unternehmen integriert. Wir müssen uns fragen, ob unsere Prozesse und unsere Kultur zur entstandenen Mediengruppe passen. Diese Fragen sind wichtig. Denn unser Erfolg hängt von der Motivation aller Mitarbeitenden ab. In ihrem vielfältigen Erfahrungsschatz und in den unterschiedlichen Herangehensweisen an Herausforderungen liegt gerade eine grosse Kraft.
Haben Sie am Schluss mit einer halben Milliarde Franken nicht einfach zu viel bezahlt für den Kauf der welschen Mediengruppe Edipresse?
Nein.
«Le Matin» ist seit Jahren ein Sanierungsfall, die «Tribune de Genève» ebenfalls, auch «24 heures» hat Probleme.
Edipresse Schweiz war breit aufgestellt und umfasste neben verschiedenen Zeitungen auch die Beteiligungen an Homegate und Jobup. Es gab und gibt Aktivitäten, die sind hochrentabel, und es gibt andere, die sind es nicht.
Nehmen wir das Boulevardblatt «Le Matin».
Die schwierige wirtschaftliche Situation bei «Le Matin» und auch bei «Le Temps» ist nichts Neues. Ein pikanter Aspekt der Entwicklung bei «Le Matin» ist, dass diese Zeitung besonders vom Rückgang der sogenannten Annonces de Charme getroffen wird.
Sie reden von Erotikanzeigen?
Ja, diese haben historisch wesentlich zum Ertrag beigetragen. Das Internet bietet nun viel weiter gehende Möglichkeiten auf diesem Gebiet, und daran wollen wir als Unternehmen nicht an vorderster Front teilnehmen. Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten verdienen die «Le Matin»-Macher Anerkennung: Als kleines Team in einem engen Markt machen sie eine wirklich ansprechende Zeitung.
Ist Schliessen eine Option?
Natürlich braucht jede Aktivität eine gesunde wirtschaftliche Grundlage. Wir haben die Ambition, ein nachhaltiges Geschäftsmodell für die Zeitung zu finden. Ich hoffe, dass dies gelingt. Denn «Le Matin» hat für die Bevölkerung der Romandie, die ja auch nicht ein einheitliches Gebiet ist, eine wichtige Scharnierfunktion, indem sie den Arc Lémanique mit dem Arc Jurassien und dem Wallis verbindet.
Eine andere Zeitung auf Ihrem Radar ist der «Landbote» aus Winterthur. Den wollen sie kaufen, richtig?
Wir sind mit 20 Prozent am «Landboten» beteiligt, und er bildet einen integrierenden Bestandteil des Verbunds Zürcher Regionalzeitungen. Wenn die Zeitung verkauft wird, sind wir natürlich interessiert.
Haben Sie ein Vorkaufsrecht beim «Landboten»?
Wenn man uns kennt, müsste man fast davon ausgehen. Aber darüber spricht man nicht.
Ihr Sorgenkind ist die Wirtschaftszeitung «Finanz und Wirtschaft» («FuW»).
Zum Glück nicht mehr. Die «FuW» war aufgrund der dramatischen Rückgänge bei den Finanzanzeigen zum Sanierungsfall geworden. Dem Team ist der Turnaround gelungen, womit die «FuW» wieder gut aufgestellt ist.
Profitabel ist die Zeitung noch immer nicht?
Als börsenkotierte Firma können wir nicht in die Details gehen.
Ein Detail kann das nicht sein.
Die «FuW» war früher sehr rentabel. Nun hat sich die Zeitung neu erfunden und ist ein Beispiel dafür, wie ein traditionsreicher Titel die Effizienz markant verbessern kann, ohne dass die Qualität des Angebots darunter leidet. Im Gegenteil ist es der Redaktion gelungen, sich konvergent aufzustellen und ein starkes Onlineangebot notabene als Bezahlmodell zu entwickeln.
Es wurde Personal abgebaut, die Kosten wurden massiv nach unten gefahren. Ist eine nächste Sparrunde geplant?
Nein.
Ein Verkauf?
Nein.
Schliessen Sie dies kategorisch aus?
Als Unternehmer sollte man bei keiner Aktivität einen Verkauf kategorisch ausschliessen. Aber es gibt keine Absichten, die «FuW» zu verkaufen.
Auch beim «Tages-Anzeiger» würden Sie einen Verkauf nicht ausschliessen?
So gesehen nein, aber das ist definitiv kein Thema.
Die «Weltwoche» hat mehrere Angriffswellen gegen «Tages-Anzeiger»-Chef Andreas Strehle geflogen. Sie haben mit Zurückhaltung reagiert.
Ich habe die Artikel gelesen und den Eindruck gewonnen, dass die Vorwürfe faktisch nicht untermauert waren.
In der Medienwelt haben die Angriffe hohe Wellen geschlagen.
Vielleicht nimmt sich die Branche manchmal etwas zu wichtig. Ich habe klar gesagt, dass ich volles Vertrauen in Chefredaktor Andreas Strehle habe, dass die Vorwürfe insinuiert waren und ich die Vorwürfe nicht nachvollziehen konnte.
Dann war nur die Kommunikationsstrategie sehr defensiv?
Wir sind nicht verpflichtet, zu allem und jedem etwas zu sagen.
Ist Ihre Strategie der Zurückhaltung aufgegangen?
Das liegt vielleicht weniger an einer Kommunikationsstrategie, sondern eher daran, dass an der Geschichte nichts dran war.
Sie kaufen sich für Hunderte Millionen ins Digitalgeschäft ein, doch auf Ihrem Pult stapeln sich Bücher, sogar ein Duden ist darunter. Gibts alles online.
Ich habe eine hohe Affinität zum Gedruckten. Die Bücher warten als Lektüre auf die Sommerferien.
Sind Sie mit Ihrem Leseverhalten nicht ein Auslaufmodell?
Vielleicht. Jedenfalls fühle ich mich wohl dabei. Allerdings liegen auf meinem Pult, vielleicht weniger gut sichtbar, auch ein Laptop, ein Tablet und ein Smartphone. Aber Tatsache ist, dass ich Zeitungen sehr gerne auf Papier lese, wo das möglich ist. Nur ist das meine persönliche Präferenz. Als Unternehmen wollen wir den unterschiedlichen Kundenbedürfnissen gerecht werden und an der Innovation teilnehmen. Speziell in der Zusammenarbeit zwischen Journalismus und Informatik liegen spannende Potenziale, die es zu explorieren gilt.
Ist der Tamedia-Konzern in den grossen Zügen gebaut?
Das wäre ja eine grauenhafte Vorstellung.
Wie gross wird der digitale Anteil in zwei Jahren sein?
In den nächsten achtzehn Monaten soll das digitale Geschäft ein Viertel des Umsatzes machen und ein Drittel unseres Ergebnisses.
Wo stehen Sie heute?
2012 trug das Digitalgeschäft zwölf Prozent zum Gesamtumsatz bei. Im laufenden Jahr werden wir allein durch die Konsolidierung von Olmero, FashionFriends und Jobs.ch grosse Fortschritte machen.
Und bei der Rendite: Wie weit sind Sie vom Drittel noch entfernt?
2012 war das Resultat nur knapp schwarz. Doch die erwähnten Konsolidierungen werden auch das Ergebnis sehr positiv beeinflussen. Wir haben unglaublich viel ins digitale Geschäft investiert, und das muss sich jetzt auch im Gewinn daraus niederschlagen. Diese Fragen sind ausserdem wichtig, weil heutzutage die Zukunftsfähigkeit eines Medienunternehmens damit verbunden wird.
Italo-Schweizer
Pietro Paolo Supino (47), Verleger und Grossaktionär der Zürcher Tamedia AG, wuchs in Mailand auf, dann übersiedelte die Familie nach Zürich. Er studierte in St. Gallen Jus und dissertierte über Trusts. Der Neffe von Ex-Verleger Hans Heinrich Coninx sitzt seit 1991 im Verwaltungsrat des Medienkonzerns. Seit 2007 ist er dessen Präsident. Supino schlug ein forsches Tempo an: 2007 kaufte man die Berner Espace-Gruppe, dann kam die welsche Edipresse.