Es geschah plötzlich: In nur drei Tagen ist der Nasdaq-Composite-Index Anfang September um zehn Prozent eingebrochen, nachdem er allerdings seit März drei Viertel an Wert zugelegt hatte.

Einige Aktien hatten sogar noch weit grössere Abgaben verzeichnet, wie etwa die Papiere des Elektroautobauers Tesla, die innerhalb weniger Tagen um über einen Drittel abgerutscht sind.

Benjardin Gärtner ist Leiter Portfoliomanagement Aktien bei Union Investment.

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Typisch Aktienmarkt: Es geht mal rauf, und mal runter. Kein Wunder, dass Aktien als Risikopapiere gelten. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Turbulenzen folgen auf eine aussergewöhnliche Rally der Technologiepapiere. Der Sektor  war der Hauptgrund, dass der US-Aktienmarkt überhaupt so stark steigen konnte.

Und das, obwohl die Konjunkturerholung wegen der anhaltenden Corona-Pandemie immer noch sehr fragil war und ist. Im Frühherbst notieren mit Apple, Amazon, Alphabet (Google), Facebook und Microsoft die fünf Aktien mit der grössten Marktkapitalisierung am US-Markt immer noch höher als zu Jahresanfang.

Techwerte in der Coronakrise

Viele Techwerte hatten sich seit dem Tiefpunkt am Aktienmarkt im März bis zum Kursrutsch im September mehr als verdoppelt, wie etwa Apple, Amazon und Facebook oder Chip-Hersteller wie NVidia. Sie profitierten von der Coronakrise also profitiert – und sind aktuell sehr ambitioniert bewertet. Deshalb war die Kurskorrektur unter dem Strich gesund.

Sie hat eher etwas heisse Luft abgelassen, als eine grundsätzliche Trendwende und Neubewertung eingeläutet. Nach dem rasanten Kursanstieg der vergangenen Monate dürfte jetzt keine lineare Fortsetzung des Aufwärtstrends zu erwarten sein, sondern eher eine schwankungsreichere Phase mit gemächlicherem Aufwärtstempo. Denn nach wie vor bleibt die Unsicherheit gross, wie sich die Pandemie weiter entwickelt.

Dies dämpft das Wirtschaftswachstum. Zudem sind staatliche Stützungsmassnahmen in den USA ausgelaufen, ohne dass rasch adäquater Ersatz vom Parlament geschaffen wurde. Auch die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl am 3. November könnte für Schwankungen an den Märkten sorgen, etwa, wenn sich der Handelskonflikt mit China erneut zuspitzt.

Gute Gewinnperspektiven sprechen gegen Blase

Doch trotz vereinzelter Exzesse handelt es sich in der Breite nicht um eine Blase, die analog zur Tech-Blase vor zwanzig Jahren nun zu platzen droht. Drei Faktoren sprechen dafür, dass der Kursrückschlag begrenzt bleiben dürfte und Technologieaktien für langfristig orientierte Investoren attraktiv bleiben.

Erstens sind die meisten grosskapitalisierten Unternehmen, die heute am Aktienmarkt überproportionale Kursgewinne verzeichnet haben, alle sehr profitabel und erzielen Unsummen an Barmitteln. Unternehmen aus dem Software- oder E-Commerce-Bereich haben selbst während der Coronakrise überraschend gute Ergebnisse vorgelegt.

Es handelt sich nicht um Luftschlösser, sondern um über Jahre oder Jahrzehnte erprobte Geschäftsmodelle, die von einer dominanten Marktstellung und der Nutzung von – zum Teil weltweiten – Skaleneffekten profitieren. Zweitens hat die Coronakrise diesen Unternehmen zusätzlichen Rückenwind verliehen.

Die strukturellen Trends

Die Digitalisierung der Wirtschaft hat durch die Pandemie noch einmal an Fahrt gewonnen. E-Commerce-Unternehmen profitieren von einer Verlagerung vom stationären Einzelhandel ins Internet. Dies spielt auch in die Karten von Zahlungsanbietern. Ein steigender Kosten- und Effizienzdruck führt zu einer zunehmenden Automatisierung.

Und die Notwendigkeit, auch aus der Distanz auf Anwendungen zugreifen zu können, etwa im Homeoffice oder im E-Learning, führt erhöht die Nachfrage nach Rechnerleistung, Datenanalyse und -Verarbeitung sowie nach Kapazitäten in Rechenzentren und Datenübertragung. Diese strukturellen Trends dürften über die Coronakrise hinaus anhalten und immer weitere Bereiche der Wirtschaft – etwa die Industrie - erfassen.

Drittens löst das Niedrigzinsumfeld einen Anlagenotstand aus. Durch die Pandemie dürften die Zinsen deutlich länger als ursprünglich erwartet auf niedrigem Niveau bleiben. Die US-Notenbank Fed hat zum Beispiel eine grössere Inflationstoleranz in ihre geldpolitische Strategie aufgenommen. Damit sind Leitzinsanhebungen in den nächsten Jahren sehr unwahrscheinlich.

Die Realrenditen

Auch dürften die Realrenditen, also die Renditen nach Abzug der Inflation, vorerst sehr niedrig oder sogar im negativen Bereich verharren. Renditesuchende Investoren werden so in risikoreiche Anlagen wie Aktien getrieben. Dies lässt jene Unternehmen in den Fokus rücken, die stabile Geschäftsmodelle und solide Bilanzen aufweisen.

Hinzu kommt die Aussicht auf weiteres Wachstum durch expandierend Endmärkte, wie im Fall vieler Software- und Halbleiter- sowie E-Commerce-Anbieter. Investoren sind bereit, dafür eine Bewertungsprämie zu zahlen. Dieses Phänomen zeigte sich übrigens bereits in den Sechziger und frühen Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Damals erzielten in einem Umfeld mit grosser geopolitischer Unsicherheit, schwachem Wirtschaftswachstum und niedrigen Realrenditen fünfzig grosskapitalisierte Aktien, die sogenannten «Nifty Fifty» über mehrere Jahre eine signifikant bessere Wertentwicklung als der Gesamtmarkt. Dies gelang dank robuster und gut prognostizierbarer Gewinnentwicklung. Erst in einem Umfeld steigender Inflation fand diese Höherbewertung dann aus verschiedenen Gründen ein Ende.

Gewinnmitnahmen angezeigt

Somit sind die fundamentalen Treiber im Technologie-Sektor weiter intakt. Durch die starke Kursentwicklung nehmen viele Tech-Aktien aber bereits deutliche Gewinnsteigerungen vorweg. Dies lässt sich rechtfertigen, weil die Konzerne die Erwartungen selbst in der Coronakrise erfüllt haben oder übertreffen konnten.

Doch sind selektive Gewinnmitnahmen vor dem Hintergrund der sich abschwächende Konjunkturdynamik sinnvoll. Mögliche Risiken liegen auch in einer Verschärfung der Untersuchungen, ob einzelne Plattform-Unternehmen den Wettbewerb aushebeln.

Darum ist es ein guter Zeitpunkt, die hohe Gewichtung der Technologie-Aktien, die sie ja auch schon am Aktienmarkt haben, im eigenen Portfolio zu überprüfen. Auch ist eine permanente Analyse nötig, ob die zugrunde liegenden Gewinntreiber intakt bleiben.