BILANZ: Tim Summers, Sie hatten Ihren ersten Job mit sechzehn Jahren auf einer Bohrinsel. Wie kam es dazu?
Tim Summers: Ich hatte in den Schulferien als Mechaniker-Assistent in Norwegen gearbeitet und wurde auf eine Plattform vor der Küste gerufen, um eine Maschine zu reparieren. Eine Bohrinsel ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Das machte mir grossen Eindruck. Deshalb studierte ich danach Chemieingenieur. Das Öl- und Gasgeschäft hat mich immer fasziniert. Die Komplexität, um Öl aus der Nordsee, der Wüste oder Sibirien zur Tankstelle zu bringen, ist überwältigend.

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Sie kommen aus der Ölindustrie, Interims-CEO Jürg Fedier ist Finanzer – an der Spitze von OC Oerlikon ist niemand, der die Branche kennt.
Wir sind eine strategische Holding mit fünf Divisionen. Die haben jeweils einen eigenen Chef. Sie treiben das Geschäft vorwärts. Unsere Divisionen haben eine relativ grosse Autonomie.

Dann braucht es an der Konzernspitze keine Fachkompetenz?
Das Hauptquartier spielt in unserer Struktur nur eine relativ geringe Rolle. Dort sind nur wenige Funktionen verankert: Die Konzernleitung schlägt dem Board die Strategie vor, sie macht die Businesspläne auf drei Jahre, sie kümmert sich um das Performance Management der Divisionen und teilt ihnen die finanziellen Mittel zu. Insgesamt arbeiten in Pfäffikon SZ nur etwa hundert Leute, die Hälfte davon in der Finanzabteilung.

Wie weit sind Sie mit der Suche nach einem neuen CEO?
Die Suche läuft. Wir haben interne und externe Kandidaten.

Warum dauert das so lange? Sie wissen seit acht Monaten, dass Sie einen neuen CEO brauchen.
Es ist die wichtigste Entscheidung, die der VR zu treffen hat.

Es ist auch für andere Firmen die wichtigste Entscheidung. So lange wie Sie aber braucht kaum eine.
Ich kann nicht für andere Firmen sprechen. Wir werden uns Zeit nehmen, die richtige Entscheidung zu treffen.

Ihre gesamte Konzernleitung besteht aus genau einer Person: Interims-CEO Jürg Fedier. Halten Sie das bei einem Milliardenkonzern für angemessen?
Jürg Fedier trifft sich regelmässig mit den Spartenchefs, um das Tagesgeschäft des Unternehmens zu managen. Eine der Aufgaben des neuen Konzernchefs wird tatsächlich sein, die Struktur zu formen.

Wie grosse Freiheitsgrade hat Jürg Fedier?
Er hat genau die Freiheitsgrade, die in unseren Statuten stehen. Wir haben sechs VR-Sitzungen pro Jahr. Dort legt er die Performance dar. Die Strategien kommen aus den Divisionen, er verficht sie in der VR-Sitzung zusammen mit dem Spartenchef.

Sein Vorgänger Michael Buscher hat den Konzern verlassen, weil er der Meinung war, unter Ihnen zu wenig operative Freiheit zu haben.
War er das? Meines Wissens hat er die Firma verlassen, um eine neue Herausforderung anzunehmen.

Unseres Wissens nicht.
Dann wissen Sie mehr als ich.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Führung ist keine Stilfrage. Man kann nicht allen gefallen, das ist Folge der Verantwortung, die man trägt. Man muss die Leute dazu bringen, das Beste aus sich herauszuholen und Dinge zu realisieren, die sie selber gar nicht für möglich halten. Indem man ihnen zuhört, Position bezieht und mit ihnen arbeitet.

Sie gelten als Kontrollfreak.
Das habe ich nie gehört.

In Ihrem Unternehmen heisst es, Sie würden mikromanagen und sich in Detailfragen einmischen.
Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Um Probleme zu verstehen, muss man einfach manchmal eine ganze Reihe von Fragen stellen. Und vieles muss man auch vor Ort anschauen, das kann man nicht vom Hauptquartier aus entscheiden. Es hat etwas mit Respekt zu tun, die Mitarbeitenden in ihrer eigenen Umgebung vor Ort zu treffen.

Man hört auch Klagen über Ihren Umgang mit Mitarbeitern: Sie gälten als arrogant, schrien Ihre Untergebenen an.
Ob ich arrogant bin, müssen andere beurteilen. Aber ich habe meine Stimme nie erhoben.

Sie haben von sich selbst gesagt, Sie liessen sich inspirieren vom General Sunzi und von Machiavelli. Ist Management für Sie Krieg?
Das stimmt nicht. Ich habe viele Bücher gelesen. Aber ich habe keine Vorbilder. Die Erfahrung bekommt man durch Praxis.

OC Oerlikon stand vor drei Jahren vor der Pleite. Danach hat der Konzern ein starkes Kostenbewusstsein entwickelt. Für Sie persönlich gilt das wohl nicht.
Warum?

Sie fliegen auf Firmenkosten in der First Class durch die Welt. Ex-Chef Buscher flog Holzklasse.
Wir fokussieren uns auf profitables Wachstum. Das geht durch die ganze Firma, auch durch das Board. Mit Kostenkontrolle alleine kann man nicht wachsen, wie wir es getan haben – aber natürlich schauen wir auf die Kosten. Manchmal ist es eben notwendig zu reisen.

In der ersten Klasse.
Das kommt darauf an. Ich fliege alle Klassen, meistens Business. Unabhängig davon: Es gibt eine interessante Studie, wie hoch die Kosten sind, wenn eine Führungskraft unvorbereitet in Meetings geht, weil sie müde ist. Diese Kosten sind sehr viel höher als der Preis eines First-Class-Tickets.

Können Sie nachvollziehen, dass es in der Belegschaft für Irritationen sorgt, wenn Sie im Rolls-Royce-Cabrio ins Büro fahren?
Ich liebe nun mal Automobilkunst. Besonders Oldtimer – ich finde es faszinierend zu sehen, wie weit die Technologie im jeweiligen historischen Kontext war. Ich habe unter anderem einen französischen Darracq aus dem Jahr 1900. Ich sammle Autos, das ist meine Leidenschaft.

Wie erklären Sie, dass in diesem ersten Halbjahr Umsatz, Auftragseingang und Gewinn bei OC Oerlikon zurückgegangen sind?
Ist das nicht eigentlich eine Frage für den CEO?

Sie interessieren sich nicht für den Geschäftsgang Ihres Konzerns?
Doch. Die Performance war über die letzten Jahre sehr stabil. Was wir ankündigten, haben wir geliefert – was die strategischen Ziele und was die Bilanz angeht. Unsere Performance ist dieses Jahr auf Kurs. Wir haben die Ergebniserwartung bekräftigt. Die Marktsituation ist schwierig, aber wir sind kompetitiv.

Trotzdem ist die Entwicklung erstmals wieder negativ, nachdem es vorher drei Jahre lang bergauf gegangen ist.
Sie können das gar nicht miteinander vergleichen. Vergessen Sie nicht, wir haben das Portfolio dramatisch verändert.

OC Oerlikon hat in den letzten zweieinhalb Jahren neun grössere Zu- und Verkäufe getätigt. Wann kommt der Konzern zur Ruhe?
Das wird in Zukunft weniger werden. In den letzten Jahren mussten wir das Portfolio bereinigen. Deshalb haben wir Minderheitsanteile verkauft und die Volatilität der Umsätze reduziert. Angesichts der Firmengeschichte war es wichtig, strategische Disziplin zu üben und sich bewusst zu sein, in welchen Geschäften man sein wollte und in welchen nicht. Zusammen mit operativen Verbesserungen sieht unsere Bilanz heute anders aus als vor ein paar Jahren. Viel konservativer. Jetzt wollen wir das Kapital einsetzen, das in der Bilanz steht.

Also werden Sie Akquisitionen tätigen.
Anorganische Aktivitäten sind normal für eine Branche wie die unsere. Und wir können unser ganzes Geld gar nicht für organisches Wachstum alleine verwenden. Aber wir werden es nicht unüberlegt ausgeben. Wir haben eine Dividendenpolitik etabliert, um nach innen und aussen zu signalisieren, dass wir unser Geld diszipliniert einsetzen wollen. Und wir haben Quartalsberichte eingeführt, damit man unsere Fortschritte besser verfolgen kann. Die Aktionäre schätzen das.

Wo wollen Sie bei den Akquisitionen Schwerpunkte setzen?
Es muss ein Bereich sein, den wir kennen, der strategisch zu uns passt und zu dem wir etwas beitragen können. Der Preis muss so attraktiv sein, dass der Deal bei uns Wert generiert. Es geht nicht darum, einfach Umsatz einzukaufen. Wir könnten eine weitere Division hinzufügen, aber das halte ich für eher unwahrscheinlich. Es ist wahrscheinlicher, dass wir eines unserer Segmente verstärken. Und logischerweise ein Segment, in dem wir besonders stark sind, also Beschichtungen oder Vakuum. Aus diesem Grund haben wir unsere Teilnahme am Auktionsprozess für die Metco-Division von Sulzer bestätigt.

Sie waren bis 2011 im Board von Sulzer und kennen die Metco-Division gut. Ausserdem hat OC Oerlikon mit Renova, der Beteiligungsfirma von Viktor Vekselberg, den gleichen Hauptaktionär wie Sulzer. Wie kommt da ein fairer Bieterwettkampf zustande?
Weil ich als Boardmitglied einen Interessenkonflikt habe, bin ich nicht Teil des Bieterprozesses, ebenso wenig wie die beiden andern Renova-Vertreter im VR. Ich nehme an, das wird auf der anderen Seite des Verhandlungstisches genauso gehandhabt.

Wo sehen Sie die Synergien des Deals?
Synergien sind nicht erste Priorität. Wichtig ist, dass die Firmen strategisch zusammenpassen. Wie gesagt bin ich nicht selbst in den Prozess involviert. Aber eines ist sicher: OC Oerlikon hat auch ohne diese Akquisition eine starke Zukunft.

Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Viktor Vekselberg beschreiben?
Konstruktiv. Sehr erfolgreich. Gut. Wir kennen uns seit langem.

Wie oft sehen Sie ihn?
Das variiert. Er ist seit sechs Jahren Aktionär bei OC Oerlikon, der Konzern würde in der heutigen Form ohne seine Unterstützung nicht mehr existieren. Er ist interessiert am Shareholder Return und als Person an der technologischen Entwicklung.

Das Sauber-Team geht durch finanzielle Turbulenzen. Wie sehen Sie als Sponsor die Zukunft des Formel-1-Teams?
Für uns ist dieses Sponsoring sehr nützlich, weil wir unsere Produkte unter Extrembedingungen testen können! Wir liefern direkt und indirekt verschiedenste Produkte in dieses Umfeld, wie Getriebekomponenten und Beschichtungen für die Gangschaltung. Auch sind wir involviert bei der Produktion feuerfester Materialien für die Anzüge und Fasern der Reifen.

Aber wie sehen Sie die Zukunft?
Sauber existiert seit 30 Jahren. Es wäre gut, diese tolle Schweizer Firma weiter erfolgreich zu sehen.

Waren Sie involviert bei der Suche nach den neuen russischen Sponsoren?
Nein. Ich habe nur selten mit Sauber direkt zu tun. Ich bin derzeit auch nur gelegentlich an den Formel-1-Rennen.

Im Dienst des Oligarchen
Tim Summers (47) ist seit 2011 Präsident des Industriekonzerns OC Oerlikon. Der Chemie-Ingenieur gilt als enger Vertrauter von Viktor Vekselberg: Ab 2009 arbeitete er für den Oligarchen beim Joint Venture TNK-BP, später auch im Board von Sulzer. Der Brite wohnt in Oberägeri ZG. OC Oerlikon hat nach turbulenten Jahren wieder Tritt gefasst und setzte 2012 mit 12 700 Mitarbeitern 2,9 Milliarden Franken um.