BILANZ: Herr Büchner, Sulzer ist besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen Industriekonzerne. Was haben Sie getan, das andere versäumt haben?
Ton Büchner: Wir haben uns 2007 in der Konzernleitung, neben allen anderen Dingen, die damals gelaufen sind, gesagt: Es ist fast zu schön, was derzeit auf den Märkten passiert. Das kann nicht nochmals mehrere Jahre so weitergehen.
Was haben Sie entschieden?
Das weitere Wachstum nicht mehr mit einer Erweiterung der Kapazitäten hier in Europa oder Amerika zu bewältigen, sondern mit temporären Mitarbeitern und mit Untervergaben gewisser Arbeiten. Damit haben wir etwas Marge abgegeben, aber wir haben damit die Flexibilität gehalten.
Und zweitens...
… haben wir uns gesagt: Wenn die Krise kommt, wollen wir nicht Mitarbeiter via Giesskannenprinzip abbauen müssen, sondern uns jetzt vorbereiten. Also haben wir identifiziert, welche Fabriken man am ehesten schliessen sollte. Und von dort noch in den guten Zeiten sehr konsequent Technologie transferiert – in Fabriken, die langfristig Teil unseres Fabrikportfolios bleiben sollten. Als 2009 die Krise dann massiv kam, konnten wir die Schublade öffnen und sofort die richtigen Massnahmen ergreifen. Wir konnten dank der schnellen Reaktionszeit unser Versprechen einlösen, auch in den dunkelsten Krisenzeiten zehn Prozent Umsatzrendite zu halten. Das haben uns die wenigsten zugetraut.
Wie sehr leidet Sulzer aktuell unter dem starken Franken?
Wir sind stark global aufgestellt und somit natürlich stark gehedgt. Bei den Pumpen stellen wir nichts mehr in der Schweiz her. Auch Sulzer Chemtech ist geografisch stark diversifiziert. Etwas weniger trifft das für Sulzer Turbo Services zu und auch für die Beschichtungssparte Metco.
Wie viel vom Umsatz produziert Sulzer noch in Franken?
Nicht mehr so viel. Es ist unter zehn Prozent.
Von Ihnen gibt es so gut wie keine Interviews. Warum nicht?
Es hat ja eine Zeit gegeben mit viel Unruhe um Sulzer. Die Mitarbeiter haben in diesen Zeiten wirklich nach Ruhe und nach Fixpunkten gesucht, und deswegen habe ich vor allem nach innen gearbeitet. Das ganze Management konzentriert sich stark aufs Geschäft und weniger auf öffentliche Profilierung. Es ist aber so, dass Sulzer unternehmerisch sehr viele interessante, innovative Dinge macht – und wir das vielleicht auch noch deutlicher öffentlich sagen könnten.
Mangels Material haben wir uns persönlich über Sie erkundigt – und Folgendes erzählt bekommen: Der Mann ist unprätentiös, drängt nicht in den Mittelpunkt, hört zu, kann Dinge annehmen, stiller Schaffer. Zusammengefasst heisst so etwas «low profile».
Ich bin sicher nicht derjenige, der sich stets profilieren muss. Vermutlich bin ich wenig Ego-getrieben. Ich habe Spass an der Aufgabe und mich darauf fokussiert. Zusätzlich war es für die Situation wahrscheinlich das Richtige.
Die Chinesin Jill Lee soll in den Sulzer-Verwaltungsrat einziehen. Frau und Asiatin, das ist der neue Megatrend.
Wir waren aber einer der Ersten, die das angekündigt haben! Wir sind die Trendsetter (lacht), andere ziehen jetzt nach. Aber das geschieht wohl nicht auf der Basis eines Trends. Man spricht ja viel über Diversity. Darin sind wir geografisch gut, aber beim Thema Gender können wir noch zulegen. Das ist auch ein Ziel unseres Präsidenten Jürgen Dormann. Und Frau Lee wurde auf der Basis von Kompetenz ausgewählt.
Tim Summers sitzt neu als Vertreter des Grossaktionärs Viktor Vekselberg im Verwaltungsrat. Was kann Summers beitragen?
Er kommt aus dem Öl- und Gasgeschäft. Ich kenne ihn schon aus der Zeit, als wir mit BP in Kolumbien kooperiert haben, das ist schon lange her. Er hat viel Erfahrung, auch in Russland. Damit hilft er uns, zusammen mit unserem Grossaktionär, unsere Geschäftsbeziehungen dort zu verbessern.
Was heisst das in Bezug auf Vekselberg?
Wir wollen ja beide das Gleiche in Russland. Wir selber wollen wachsen. Herr Vekselberg möchte gern, dass wir dort wachsen. Tim Summers kann uns da eine Brücke bauen.
Wie viel Geschäft machen Sie derzeit in Russland?
Letztes Jahr sind wir dort wieder sehr stark gewachsen. Die genauen Länderzahlen publizieren wir nicht. Wir haben aber dort viel investiert und werden auch dieses Jahr weiter investieren.
Etwas genauer geht es bestimmt.
Russland ist in den Top Ten unserer Märkte. Aber es ist derzeit nicht ein China oder Indien, unter den sogenannten BRIC-Staaten ist es sicher noch der kleinste Markt. Aber es gibt dort viel Öl und Gas, Raffinerien, Petrochemie und Kraftwerke, und auch das Erneuerungspotenzial in diesen Bereichen ist wirklich enorm.
Was läuft konkret mit Vekselberg und seiner Renova-Gruppe?
Wir fragen immer nach möglicher Unterstützung bei unseren Projekten, und alle sind bereit, uns zu helfen. Wir verstehen uns immer besser. Dass natürlich jemandem mit einem russischen Pass alles immer ein bisschen zu langsam geht, verstehe ich auch. Ich hätte auch gern, dass Sulzer in Holland zehnmal so gross wäre.
Dann müssen Sie dort nach Öl oder Gas bohren!
In Russland sind wir signifikant gewachsen. Es muss ein grosser Markt werden, und wir arbeiten zusammen dran. Wir wollen beide das Gleiche, das ist das Schöne.
Vekselberg verlangt dennoch öffentlich von Sulzer, sich mehr in Russland zu engagieren: Ist das ein Signal an Medwedew und Putin, dass sich der Oligarch für die Heimat einsetzt?
Die persönliche Motivation von Herrn Vekselberg kann ich nicht en détail beurteilen. Er hat sicher als Russe einen Wunsch, dass die Firmen, an denen er sich signifikant beteiligt hat, in seinem Heimatland deutlich mehr Geschäfte machen, zumal ja die Marktsegmente gut passen – und das steigert ja auch den Wert seines Investments.
Vekselberg fördert das sogenannte russische Silicon Valley in Skolkovo.
Das hat er wohl in seiner Eigenschaft als Ingenieur vorgeschlagen. Ich glaube, dass ihm das richtig Spass macht. Er ist überzeugt, dass das die richtige Richtung für Russland ist.
Sie auch?
Ich bin weder Vekselberg noch Putin, noch Medwedew. Wäre ich aber in der russischen Regierung, würde ich wohl auch versuchen, in diese Richtung zu gehen. Denn während China und Indien von Software oder Hardware oder als verlängerte Werkbank leben, bewirtschaftet Russland noch immer vor allem seine Bodenschätze.
Was bedeutet das für Sulzer?
Für uns muss es ökonomisch Sinn machen. Wenn das gegeben ist, investieren wir Geld. So wie wir das in China, Südafrika und Brasilien gemacht haben.
Was könnten Sie zu einem russischen Silicon Valley beitragen?
Dort soll wohl ein ähnlich unternehmerisch denkendes Umfeld entstehen wie im Silicon Valley, deshalb nimmt man dies als Referenz. Die Freiheit und die Zukunftsorientierung, kombiniert mit Universitäten und Technoparks, sollen einen ähnlichen Geist entstehen lassen.
Und wie passt hier Sulzer hinein?
Wir haben viele innovative Technologien, die vielleicht nicht gerade wie Google oder Facebook sind – aber zum Beispiel Beschichtungen, ohne die ein Flugzeug nicht so effizient fliegen würde. Wir haben als einzige Firma die ganze Breite der Beschichtungstechnologien in einem Haus. Und diese Technologien könnten wir in diesem Park aufbauen, als eine Art Laboratorium, wo Leute aus ganz Russland hinkommen können – wo man neue Dinge testen kann.
Sie haben also Lust, dorthin zu gehen?
Man hätte dort eine Chance, etwas Gutes aufzubauen. Wenn da auch für Sulzer etwas drinliegt, sind wir voll dabei. Derzeit gibt es dort aber wohl noch nicht mehr als ein Stück Land. Als Erstes muss die Infrastruktur aufgebaut werden.
Bei Sulzer denken viele nur: «Pumpenkonzern.» Wie erklären Sie Neulingen, was Sulzer alles macht?
Ich sage immer, wir sind eine Firma, die betriebskritische Produkte an die Öl- und Gasindustrie und für die Energieerzeugung liefert. Pumpen sind eines unserer Hauptgeschäfte, aber daneben haben wir die Beschichtungen, welche die Energieerzeugung effizienter machen, Trenn- und Mischtechnologien. Und das Geschäft mit der Wartung und Reparatur von Turbinen, Motoren und Generatoren ist auch sehr wichtig für uns.
Betriebskritisch heisst betriebsnotwendig?
Genau. Wenn auf einer Ölplattform eine unserer Grosspumpen aussteigen würde, dann würde das Produktionsverluste auslösen, die innerhalb von Stunden den Wert unserer Pumpe bei weitem überstiegen.
Was kosten Ihre grössten Pumpen?
Der Preis kann schon einen zweistelligen Millionenbetrag erreichen. Es hat auf einer Förderplattform wahrscheinlich 150 bis 200 Pumpen. Davon bauen wir die betriebskritischen vier bis zehn.
Synergien zwischen den Konzernsparten scheint es keine zu geben. Ist Sulzer ein typischer Mischkonzern?
Früher hatten wir 23 Divisionen – damals konnte man uns einen Mischkonzern nennen. Heute sind wir klar fokussiert mit unseren vier Divisionen und sechs Hauptmärkten. Zusammen haben wir in der Konzernleitung sehr viele Kenntnisse in der Öl-, Gas-, Raffinerie- und Kraftwerksindustrie, und damit können wir die Firma stark vorantreiben. Wir sind zusätzlich bewusst auch in frühzyklischen Kundenmärkten wie der Automobilindustrie aktiv. Das ist ein konjunkturelles Frühwarnsystem für die anderen Segmente.
Die klassischen Synergien gibt es also nicht?
Es gibt welche. Zum Beispiel liefern wir viel an Raffinerien, sowohl mit Chemtech als auch mit Pumpen. Wir sind im Kraftwerksgeschäft tätig – mit Pumpen sowie auch mit Gasturbinen-Beschichtungen. Wir haben also oft für verschiedene Divisionen die gleichen Kunden. Da gibt es Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, die dort aktiv genutzt werden, wo sie Sinn machen, aber die man nicht von oben verordnen muss. So etwas löst Widerstand aus und lähmt.
Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit Jürgen Dormann?
Sehr gut. Er ist ein sehr überlegt handelnder Mensch. Er hat Ruhe in den Verwaltungsrat zurückgebracht. Und er bringt unglaublich viel Erfahrung mit. Er hat eine klare Meinung, was die Aufgaben eines CEO und was diejenigen eines Verwaltungsrats sind, und damit können wir beide bestens leben.
Wie sieht das aus?
Er setzt viel Vertrauen in uns: In den ersten Wochen hat er sich angeschaut, wie die Konzernleitung die Firma managt, und uns schnell signalisiert: Wie jede Firma brauchen auch wir bisweilen Impulse, Sparring oder Diskussionen, aber das operative Geschäft kann er in Ruhe der Konzernleitung überlassen.
Wie oft haben Sie Kontakt mit ihm?
Er ist regelmässig hier, letzte Woche beispielsweise zweimal. Wir telefonieren auch regelmässig, ich würde sagen, alle paar Tage einmal.
Dormann gibt sich als hochgradig unabhängiger Verwaltungsratspräsident, der Aktionäre jeglicher Grösse gleich distanziert behandelt. Sind Sie damit als Konzernchef in einer Vermittlerposition zwischen Renova und Konzern?
Er hat sehr viel Erfahrung mit Grossaktionären. Bei Hoechst war der Staat Katar dabei, bei ABB die Wallenbergs, bei Metall Zug sind es die Buhofers.
Bei Adecco mit der Familie Jacobs endete es im Streit.
Diesen ganzen Erfahrungsschatz hat er hierher mitgebracht. Er verhält sich sehr geschickt. Er sucht ja nicht die Konfrontation. Es gibt die Möglichkeit, alle Aktionäre zu vertreten, ohne die Unabhängigkeit zu verlieren. Ich glaube, das gelingt ihm gut.
Als Sie CEO wurden, galt der Stuhl als Schleudersitz. Zumal Sie und Ihr Vorgänger Ulf Berg, der mit Vekselberg in Streit geriet, Freunde sind. Wie konnten Sie sich aus den Fronten raushalten?
Das Wort Schleudersitz würde ich nicht benutzen … aber es ist sicher so: Als ich den Arbeitsvertrag unterschrieb, war meine Vorstellung von dem Job eine ganz andere als die Situation, die ich am ersten Arbeitstag vorfand. Aber so viel Flexibilität muss man haben. Das ist Teil der Herausforderung.
Was haben Sie also getan?
Es ist nicht so, dass ich mich zurückgezogen hätte. Ich machte genau das Gegenteil. Ich sagte: Hier steht Ton Büchner, der hält sich nicht ängstlich an seinem Stuhl fest, und das ist die Richtung, in die ich mit dem Konzern gehen möchte, und dies sind meine Ansichten zu den relevanten Themen. Wenn man damit nicht einverstanden ist, diskutiere ich gern und vereinbare gegebenenfalls eine andere Richtung. Es wussten also immer alle, wofür ich stehe, auch in heiklen Fragen. Diese Transparenz hat wohl geholfen, dass ich meinen Job in dieser Situation wirkungsvoll wahrnehmen konnte.
Was war Ihre Haltung zu einer Fusion mit OC Oerlikon?
Ich habe immer gesagt: Ein kompletter Zusammenschluss der Portfolien ergibt strategisch keinen Sinn. Dann wäre man wieder ein Mischkonzern. Sinn machen könnte nur ein Zusammenlegen von Technologien, etwa in der Beschichtung.
Jetzt ist Oerlikon, wie Sulzer eine Vekselberg-Beteiligung, wieder recht solide finanziert. Gibt es neue oder engere Kontakte?
Es gibt recht wenige Kontakte. Die beiden Unternehmen haben sehr unterschiedliche Themen. Und ehrlich gesagt, sind Sie seit langem der Erste, der wieder diese Frage stellt.
Von Renova kommen keine neuen Impulse in dieser Richtung?
Wir fokussieren uns auf unser Wachstum. Wir setzten antizyklisch auf dem Weg ins Konjunkturtal auf ein höheres Akquisitionstempo; mit vielen kleineren Zukäufen, um die strategische Position der Divisionen zu verbessern. Das ist heute auch die Marschrichtung von Konzernleitung und Verwaltungsrat.
Sie haben eine volle Kasse: 553 Millionen Nettoliquidität.
Die Firma steht sehr gesund da. Das ist die Basis für unseren klaren Fokus auf Wachstum. Organisch wollen wir mit bestehenden Produkten und Neuentwicklungen wachsen. Und gleichzeitig wollen wir via Akquisitionen deutlich wachsen. Dafür können wir sicher mehr als eine Milliarde ausgeben.
Wie viel mehr?
Wir haben zwar kein Rating, wollen aber die Kriterien für ein BBB-Rating einhalten. Das gibt uns oberhalb von einer Milliarde schon noch etwas Luft.
Welche Kaufobjekte schauen Sie sich an?
Turbo Services haben wir mit einer Übernahme letztes Jahr verdoppelt. Hier arbeiten die Kollegen an der Integration, die muss erst einmal verdaut werden. Da kommen vorerst allenfalls noch kleinere Käufe obendrauf.
Die drei anderen Divisionen?
Können alle akquirieren. Bei der Pumpensparte ist die Kapitalrendite sehr hoch, und es gäbe Chancen, grössere Firmen zu kaufen; hier gibt es attraktive Kandidaten. Bei der Oberflächensparte Metco gibt es sehr interessante Technologien, wo wir einsteigen könnten. Bei Chemtech wird es eher kleinere Akquisitionen geben: Technologien, geografische Erweiterungen. Die grösseren Möglichkeiten liegen bei Pumpen und Metco.
Sie waren als junger Ingenieur in Asien und hängen dieser Zeit noch nach, man sieht es an den Bildern in Ihrem Büro. Leben Sie gern in der Schweiz, oder wollen Sie zurück?
Die Schweiz ist eines der schönsten Länder, in denen ich jemals gewohnt habe. Es gibt auch Ähnlichkeiten mit den Niederlanden: kleine Länder mit vielen spannenden Firmen und Technologien. Die Schweiz ist vielleicht etwas introvertierter. Aber es gibt so viele globale Firmen, wir sind eine davon, dass man sich hier auch global fühlen kann. Ich vermisse Asien, aber ich bin ein paarmal pro Jahr in Indien, China, Korea, Japan und muss dort nicht noch mal wohnen. Ich fühle mich sehr wohl hier.
Der Unprätentiöse: Er gilt als Prototyp des modernen, uneitlen Managers: Ton Büchner. 1965 in den Niederlanden geboren, graduierte er dort zum Ingenieur, baute Ölplattformen und Pipelines in Asien und erwarb später den MBA an der Lausanner Kaderschmiede IMD. 1994 stiess er zu Sulzer, wo heute der russische Investor Viktor Vekselberg mit 31,2 Prozent beteiligt ist. Büchner leitete für Sulzer den Markt China, baute eine Wartungssparte für den Konzern auf und sanierte anschliessend den Kernbereich Pumpen. 2007 avancierte er zum CEO.