Die britischen Konservativen sind nicht mehr, was sie einmal waren. So könnte man die Erkenntnisse von Analysten nach Durchsicht des Wahlprogramms der Tories auf den Punkt bringen. Zwar gelten sie immer noch als unternehmerfreundlicher als die Labour Party von Jeremy Corbyn, jedoch hat Premierministerin Theresa May dem Manifest einen populistischen Touch verliehen und Obergrenzen für die Energiekosten, strengere Prüfung von Firmenübernahmen und Managervergütungen und vor allem einen Austritt aus dem EU-Binnenmarkt versprochen.

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«Da May offenbar stärker interventionistisch agieren wird als ihre konservativen Vorgänger, erwarten wir, dass Fondsmanager zunehmend auf das Kleingedruckte in den Wahlversprechen des Tory-Programms achten werden», sagt David Docherty, Fondsmanager bei Schroders in London.

Nach den Terroranschlägen von London und Manchester hat sich der Fokus vom Brexit auf das Thema Sicherheit verlagert. Eine Reihe von Fehltritten Mays haben ihren Vorsprung bei den Umfragen verringert.

Dies sind die Gewinner und Verlierer im Fall eines Siegs der Konservativen:

Tory-Verlierer Versorger

Sowohl Corbyn als auch May haben sich auf die Energiekosten eingeschossen. Das Versprechen der Konservativen, die Stromrechnungen der Privathaushalte zu deckeln, hatte den Versorgern einen Schlag versetzt; sie erholten sich jedoch, als im Wahlprogramm der Tories wenig Neues zu dem Thema zu finden war.

Unter den Aktien der sechs grossen Energieversorger hatten die von Centrica am wenigsten zurückgewonnen und sich schwächer entwickelt als der britische Markt. Ihr Gewinn werde unter den Auswirkungen der Regulierung am stärksten leiden, glaubt Goldman Sachs. Die deutsche Innogy SE, Mutter des britischen Versorgers Npower, dürfte aufgrund der vorgeschlagenen Deckelung die Insel verlassen, erwarten die Analysten der Deutsche Bank.

Von einem hohen Tory-Sieg dürften Versorgeraktien zunächst profitieren, da der Markt Privatisierungsrsiken im Fall einer Labour-Regierung auspreisen würde. In den darauf folgenden zwölf Monaten dürften die Kurse dann aber fallen, wenn die Preisdeckelungen eingeführt werden, schrieben Strategen der Deutschen Bank um Wolf von Rotberg in einer Analyse vom Dienstag.

Tory-Verlierer M&A

Eine Regierung May wird eine strengere Prüfung von Übernahmen fordern, nationale Infrastrukturbranchen schützen, abgegebene Versprechen in Recht umsetzen und Gebote auf Eis legen.

«Das könnte die M&A-Aktivität abwürgen, gerade zu einer Zeit, wo in Grossbritannien gelistete Firmen wegen der Wechselkursentwicklung attraktiver werden», schrieben Strategen von Bank of America Merrill Lynch um Tommy Ricketts in einer Analyse vom 27. April.

Tory-Verlierer Exporteure und globale Konzerne

Alles dreht sich um das Pfund, das im Fall eines Erdrutschsiegs der Tories aufwerten dürfte. Seit Ankündigung der Neuwahlen hat die Währung etwa drei Prozent zugelegt, in Spekulation darauf, dass eine starke Mehrheit für die Regierungspartei Grossbritannien helfen wird, einen Brexit-Übergangsdeal auszuhandeln und stärker EU-feindliche Tory-Mitglieder aufs Abstellgleis schicken wird. Ein stärkeres Pfund schwächt die Export-Wettbewerbsfähigkeit und drückt die in Pfund gerechneten Gewinne aus dem Aussenhandel. Als die Führung Mays in den Umfragen letzte Woche schrumpfte, fiel das Pfund auf ein Sechs-Wochen-Tief.

Dennoch: Auch wenn das Pfund zuletzt an das Wahlglück von May gekoppelt war, ist nicht klar, ob eine Partei, die sich für einen harten Brexit einsetzt, langfristig unbedingt gut für die britische Wirtschaft und den Wechselkurs sein wird. Die inverse Beziehung zwischen dem Pfund und dem exportlastigen FTSE 100 hat sich zudem in letzter Zeit etwas abgeschwächt.

Tory-Gewinner 

Ein Tory-Sieg hätte auf viele Branchen ungefähr dieselben Auswirkungen. Er wäre der günstigere Ausgang für die Rüstungsindustrie, und vor allem für stärker von Grossbritannien abhängige Unternehmen wie BAE Systems oder QinetiQ Group, sagt Sandy Morris, Analyst bei Jefferies LLC. Unterstützung für den Bau neuer Kriegsschiffe könnte zudem Chancen für Babcock International Group bedeuten, ergänzt er.

Zwar ist der Wohnungsbau parteiübergreifend ein wichtiges Thema, jedoch würden politische Stabilität und anhaltende Infrastrukturinvestitionen dem Bausektor zusätzlichen Schub verleihen, sagt Robert Chantry, Analyst bei der Berenberg Bank in London.

Unternehmensdienstleister wie Hays oder Pagegroup würden von der Neigung der Tories profitieren, Funktionen outzusourcen, erwartet die Deutsche Bank. Inlandsfokussierte Einzelhändler wie Marks & Spencer Group oder Tesco dürften vom Tories-Plan zur Senkung der Unternehmenssteuern, einer stärkeren Währung und niedrigerer Inflation profitieren, schreibt die Deutsche Bank.

Brexit bleibt das dominierende Thema

Natürlich ist der Brexit weiterhin das dominierende Thema bei britischen Aktien. Ein Triumph der Tories würde zwar politische Stabilität und einen langen Übergangsdeal mit der EU bringen, jedoch wäre die höhere Wahrscheinlichkeit eines Austritts aus dem Binnenmarkt längerfristig mit Belastungen verbunden, meint Morgan Stanley.

«Das verringerte Risiko eines disruptiven Brexit, gepaart mit stärkerer politischer Stabilität, dürfte die Märkte anfangs unterstützen», schrieb Stratege Andrew Sheets. «Doch je stärker die konservative Mehrheit ist, umso höher ist das Risiko eines harten Brexit, was das Wachstums noch stärker dämpfen könnte.»

Gewinner und Verlierer eines (unerwarteten) Labour-Siegs

Auch wenn sich der Vorsprung der Tories in den Umfragen in der Woche vor der Wahl verringert hat, wäre ein Labour-Sieg am Donnerstag ein Schock für die Finanzmärkte. Zwar hat sich Theresa May im Wahlkampf weniger unternehmensfreundlich gezeigt als ihre Vorgänger, zugleich hat aber Jeremy Corbyn seine Partei mit Versprechen, die Bahn zu verstaatlichen und Löhne und Steuern zu erhöhen, nach links gerückt. Zugleich will Labour, anders als die Tories, an den Segnungen des EU-Binnenmarkts festhalten - ebenso wie die meisten Unternehmen und Investoren. 

Für die Aktienmärkte steht viel auf dem Spiel. Der FTSE 100 ist letzte Woche auf ein Intraday-Hoch gestiegen, als sich mit der Erwartung eines scheinbar sicheren Wahlergebnisses der Fokus auf die Konjunkturerholung und die soliden Gewinne in Europa verlagerte.

«Im unwahrscheinlichen Fall eines Labour-Siegs sind noch dramatischere Schwankungen zu erwarten, aber der Brexit würde weiterhin die Stimmung dämpfen», schrieben Alastair Gunn und Rhys Petheram, Fondsmanager bei Jupiter Asset Management in einer Analyse.

Labour-Verlierer inlandsfokussierte Firmen

Zusätzlich zur stärkeren politischen Unsicherheit dürfte ein Labour-Comeback das Pfund drücken, Importe für inländische Hersteller verteuern und den Konsum dämpfen - eine Situation, in der sich britische Midcaps normalerweise schwächer entwickeln.

Unter dem Labour-Versprechen, den Mindestlohn anzuheben und die Verhandlungsmacht der Arbeiter zu stärken, dürften Unternehmen leiden, die eine grosse inländische Belegschaft haben - darunter Transportfirmen wie IAG, EasyJet oder Interserve sowie Einzelhändler wie Next oder J Sainsbury, erwarten Strategen von JPMorgan Chase & Co. um Mislav Matejka.

Labour-Verlierer Royal Mail und Bahnunternehmen 

Corbyn hat angekündigt, die Royal Mail zu verstaatlichen, ebenso wie Bahnunternehmen, sobald die Konzessionen auslaufen.

Das könnte laut JPMorgan Probleme bedeuten für FirstGroup und National Express, die Transit-Dienste anbieten.

Labour-Verlierer Finanzbranche, insbesondere RBS

Wie zu erwarten, ist der Populist Corbyn kein Fan grosser Banken. Er hat versprochen, Investment- und Retail Banking zu trennen und die Börsenumsatzsteuer SDRT auf mehr Anlageklassen auszuweiten.

Eine Aktie, auf die besonders geachtet werden muss, ist Royal Bank of Scotland: Die Labour Party hat erklärt, sie werde Beratungen zur Aufspaltung der Bank, um neue regionale öffentliche Banken zu schaffen, initiieren.

Labour-Verlierer Verteidigung

Auf die Frage nach seiner Position zum britischen Atomwaffensystem Trident hat sich Corbyn nicht eindeutig geäussert. Das Programm seiner Partei unterstützt jedoch eine Modernisierung, nachdem sie ihn in einer Parteiabstimmung überstimmt hatte.

Sollte das System nicht erneuert werden, könnte BAE Systems viel Geschäft verlieren, sagt Sandy Morris, Analyst bei Jefferies LLC.

Labour-Verlierer M&A

Beide grossen Parteien fordern eine strengere Prüfung von Übernahmen. Labour verlangt von wichtigen Unternehmen einen klaren Plan, wie sie Mitarbeiter und Pensionäre im Fusionsfall schützen.

Thomas Seidl, Analyst bei Sanford C. Bernstein, sieht das als negativ für britische Aktien und erwartet ein «Verschwinden aller verbliebenen M&A-Prämien bei den Aktien».

Labour-Verlierer Versorger

Beide Kandidaten haben die steigenden Energiekosten im Blick, aber laut Citigroup bedeutet Corbyns Plan die grösseren Härten für die Versorger. Die Labour Party hat einen sofortigen 1000-Pfund-Deckel für die durchschnittliche Jahresstromrechnung der Privathaushalte angekündigt, bevor der Übergang zu einem faireren System erfolgt. Ausserdem sollen öffentliche Energie- und Wasserfirmen gegründet werden und Labour will auch die Kontrolle über die Stromnetze wieder übernehmen.

Unter Anderem Pennon Group, Severn Trent, SSE und Centrica wären laut JPMorgan davon betroffen. Aktien auf Grossbritannien fokussierter Versorger gaben bereits nach, als auch die Tories eine Deckelung der Energiekosten versprachen, erholten sich dann aber, als keine klaren Pläne folgten. Im Fall einer Labour-geführten Regierung würden die Kurse von Unternehmen wie Centrica, SSE oder National Grid mindestens zehn Prozent nachgeben, schrieb die Deutsche Bank in einer Analyse von Dienstag.

Labour-Gewinner Exporteure und globale Konzerne

Zwar dürfte der Aktienmarkt unter dem anfänglichen Schock leiden, jedoch zeigt die Widerstandsfähigkeit des FTSE 100, dass eine schwache Währung auch ihre Vorteile hat. Eine Pfund-Abwertung macht Exporte wettbewerbsfähiger und stützt die Gewinne aus dem Aussenhandel in Pfund gerechnet.

Da die Tories offen ein Ausscheiden aus dem EU-Binnenmarkt unterstützen, argumentieren manche Analysten, dass eine Schwächung der Partei den Weg für einen besseren Deal mit der EU ebnen könnte. Eine knappere Tory-Mehrheit oder sogar eine Labour-geführte Regierung könnte laut Morgan Stanley für Risikoaktiva mittelfristig besser sein.

Im Fall einer Pattsituation im Parlament könnte «die gegenseitige Kontrolle besser einen harten Brexit verhindern», schrieb Ken Odeluga, Marktanalyst bei City Index, in einer Analyse. «Sollte Labour gewinnen, wäre ein weicherer Brexit wahrscheinlicher, und der Markt hat klar gemacht, dass ihm ein weicher lieber ist als ein harter.»

(bloomberg/ccr)