Seit ihrem Tiefstand im Juni sind die weltweiten Aktien stark angestiegen, auch der SPI. Es war ein steiler Anstieg, wie er für eine frühe Erholungsphase typisch ist. Viele mögen ihn für eine trügerische Hoffnung halten, nach der weitere Abstürze drohen. Mag sein. Anders als die meisten sonst war dieser Bärenmarkt stimmungsgetrieben – ähnlich einer Korrektur. Er entstand aus den vielen Ängsten, die ihn befeuerten. Doch wie so viele Bärenmärkte zuvor brachte er etwas hervor, was ich seit langem als «Pessimismus des Unglaubens» bezeichne – die Grundlage für eine Erholung.
Über den Pessimismus des Unglaubens habe ich schon vor Jahrzehnten zum ersten Mal geschrieben, hier zuletzt im Juni 2020. Dieses Phänomen tritt auf, nachdem kräftige Einbrüche auf die Stimmung geschlagen haben. Die Anleger fixieren sich auf das Negative und ignorieren gute Nachrichten – oder sie argumentieren, dass aus dem Guten etwas Schlechtes werden wird. Durch diese Haltung wird aus allem, was kein Fiasko ist, eine positive Überraschung – Treibstoff für eine Erholung.
Das gilt jetzt überall. Die Fondsmanager-Umfrage der Bank of America ergab im Juli für den globalen Wachstumsoptimismus ein Rekordtief. Die Konjunkturerwartungen von Sentix für die Schweiz befinden sich auf dem niedrigsten Stand seit Februar 2015 – niedriger als während der Covid-Lockdowns. In den USA, Deutschland und Grossbritannien ist die Stimmung ebenfalls am Boden. Düstere Schlagzeilen warnen vor einer energiegetriebenen Rezession in Europa, weil Russland die Gaslieferungen als Waffe einsetzt – und vor potenziellen Stromausfällen in der Schweiz, falls im Winter Engpässe auftreten.
Pessimismus des Unglaubens
Indessen sind die mächtigen Widerspruchsindikatoren weit verbreitet: Ja, die Probleme in der Lieferkette lösen sich auf, aber diese Entwicklung wird nun durch die Spannungen wegen Taiwan umgekehrt. Ja, die Öl- und Spritpreise haben nachgelassen, aber nun werden durch das Versiegen des Rheins zu einem Rinnsal die Ölimporte der Schweiz gedrosselt. Ja, es herrscht allgemein Angst vor Rezession, aber die Märkte haben sie irgendwie nicht eingepreist.
Das ist nichts Neues. Als ich 2020 über den Pessimismus des Unglaubens schrieb, beherrschten vergangenheitsbezogene Daten die Schlagzeilen, wie beispielsweise der Rückgang der Schweizer Industrieproduktion im April um 18,9 Prozent. «Ja, ... aber ...», lautete die Antwort auf jeden Lichtstrahl und bereitete so eine erfreulich positive Überraschung vor. Der SPI stieg vom Tiefpunkt im März 2020 bis zum Ende des 2. Quartals um 24,5 Prozent. Ein Jahr nach dem Tiefstand war er um 40,3 Prozent gestiegen.
Ken Fisher ist ein US-amerikanischer Autor und Investmentanalyst sowie Gründer und Vorsitzender von Fisher Investments, einer Vermögensverwaltungsfirma mit Niederlassungen in sechs Ländern, die rund 188 Milliarden Dollar verwaltet. Fisher zählt zu den einflussreichsten (und auch reichsten) Investment-Managern der USA.
Der Pessimismus des Unglaubens wütet auch jetzt wieder, mit acht beängstigenden Geschichten, die die Furcht anheizen. Das ist eine wichtige, besondere Wendung. Üblicherweise gibt es in einem Abschwung eine oder zwei Negativgeschichten. Im Jahr 2020 konzentrierte sich alles auf Covid-19 und die Lockdowns – das preisten die Märkte schnell ein. Der globale Einbruch 2018 stand unter dem Zeichen von «Handelskriegssorgen». Von 2015 bis 2016 waren es die «Entwertung» in China und einbrechende Rohstoffe.
Gedrückte Stimmung bereitet die Wende vor
Die Nervosität 2011 – Schuldenkrise in Europa, Kampf um einen Schuldendeckel in den USA und Sorge um eine harte Landung in China – war im Vergleich zu Inflation, Krieg, Energieknappheit, Ölpreisen, Zinsen, Lieferketten, Covid-19, weltpolitischen Animositäten und anderem, was wir heute haben, noch wenig. Selbst die düsteren Herunterstufungen der Wachstumsprognosen der Weltbank und des IWF werden als «zu optimistisch» bezeichnet.
Diese gedrückte Stimmung bereitet die Wende vor – auch wenn sie selbst noch lange anhalten wird. Denken Sie erneut an 2020: Viele behaupteten, dass die steigenden Märkte negative Aspekte «ignoriert» hätten. In dem Jahr sank das Schweizer BIP in Q2 um 6,1 Prozent gegenüber Q1 nach dem Einsetzen des Rally. Die Ausgaben der Verbraucher gingen durch die neuen Beschränkungen zurück. Ganze Wirtschaftszweige wie die Reisebranche und Fluggesellschaften strauchelten. Dennoch stiegen die Aktien. Perfektion war damals keine Voraussetzung. Sie ist es auch heute nicht.
Ich bezeichne den Aktienmarkt oft als «grossen Demütiger». Der Pessimismus des Unglaubens gehört zu seinen wichtigsten Instrumenten. Er verleitet viel zu viele, die auf Klarheit warten, zum Verkauf – während die Aktien steigen. Lassen Sie sich davon nicht irreführen. Nehmen Sie die Unsicherheit an – seien Sie jetzt Aktienbesitzer.