Sprechen Sie doch mal mit meinem Höschen», hauchte ein weibliches Model. Und ihr männliches Pendant meinte viel versprechend: «Sie sollten mal meine Unterhose kennen lernen.» Mit frechen Sprüchen («Soll ich nun rechts oder links mit dem Ding», «Für den Po und nicht fürn Arsch»), oft haarscharf an der Grenze zum guten Geschmack, startete das Wäscheunternehmen Schiesser vor drei Jahren die aufwändigste Fernseh- und Printmedienkampagne in seiner 125-jährigen Geschichte. Hintergrund der gezielten Provokation, die sowohl bei Konsumenten wie firmenintern auf scharfe Kritik stiess: Das Unternehmen, das mit einem Umsatz von einer halben Milliarde Franken zu den führenden Herstellern von Tag- und Nachtwäsche sowie von Freizeitbekleidung gehört, musste sein Schlupfhosen- und Schiesser-Spiesser-Image dringendst abstreifen. Neue Kollektionen und Produkte sollten jüngere Kundensegmente ansprechen und der Marke zu einem frivolen Auftritt verhelfen.
Initiant der Kampagne war Schiesser-Chef Helmut Haller, und abgesegnet wurde sie von Thomas W. Bechtler, Mehrheitsaktionär der Zuger Schiesser-Mutter Hesta Tex. Bechtlers Okay war denn auch das Irritierendste am Schiesser-Werbefeldzug, gilt der 51-Jährige doch als distinguierte Persönlichkeit und feiner Schöngeist, der als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft wie auch als Mäzen den Künsten überaus nahe steht. Leute aus der Kulturszene können sich den Fauxpas nur damit erklären, dass Bechtler einen Aussetzer hatte oder reichlich verzweifelt war.
Eine Art Verzweiflung könnte durchaus mitgespielt haben. Denn nachdem zu Beginn der Neunzigerjahre bei Schiesser noch davon gesprochen worden war, in absehbarer Zeit die Umsatzmilliarde zu knacken, sackte der Umsatz 1996 erstmals unter die 600-Millionen-Grenze; das Ausweisen massiver Verluste konnte verschiedentlich nur dank Millionenzuschüssen der Muttergesellschaft Hesta Tex umgangen werden.
Als Mann fürs Grobe, der den Niedergang stoppen und den Turnaround schaffen sollte, holte Bechtler 1996 Helmut Haller. Dem Juristen aus Österreich, zuletzt Geschäftsführer und Sprecher der Unternehmensgruppe Seidensticker in Bielefeld, eilte der Ruf eines zähen, ausdauernden und marketingorientierten Managers voraus, der schon andere Firmen erfolgreich von produktionsgesteuerten in internationale Markenunternehmen umgewandelt hatte. Anderseits gilt Haller auch als begnadeter Selbstdarsteller mit einem ausgeprägten Hang zu publizitätsträchtigen Auftritten, der nicht zuletzt sich selbst exzellent zu verkaufen weiss. Am Schiesser-Produktionssitz in Radolfzell am Bodensee gehen einige seiner Kaderleute heute noch weiter: Haller habe eine gute One-Man-Show abgezogen und den Bekanntheitsgrad der Marke Schiesser fraglos gesteigert, ist dort zu hören, unter dem Strich aber eigne er sich wohl doch eher für die Leitung einer Werbeagentur.
Jedenfalls setzte der neue Vorstandsvorsitzende Haller die vom zusehends nervös gewordenen Bechtler angeordnete Radikalkur knallhart um: Der Nachfolger von Beat Kaufmann verkaufte die Schiesser-Tochterunternehmen und regionalen Marken Eminence, Athena und Ragno ebenso wie ein Werk in Chemnitz, legte eine Näherei in Engen bei Radolfzell still, und Ende Jahr soll auch das Werk im bayrischen Donndorf geschlossen werden. Die Produktion wurde weitgehend ins Ausland verlagert und in den drei «Beschaffungszentren» in Tschechien, Griechenland und Hongkong gebündelt. Massiv abgebaut wurden auch die Arbeitsplätze. Von den über 7000 Beschäftigten, die Schiesser 1996 zählte, sollen im nächsten Jahr noch etwa 3500 übrig bleiben. «Schiesser ist eine Erfolgsstory», verkündete Haller jüngst. Tatsächlich hat das Unternehmen unter seiner Regie Jahr für Jahr zuvor verlorenes Terrain zurückerobert und die Position als Branchenleader in der Schweiz wie in Deutschland gefestigt. In ihrem Traditionsgeschäft, der Herrenwäsche, kommt Schiesser auf einen Marktanteil von 20 Prozent, im stark wachsenden Damensegment sind es über 10 Prozent.
Auf Verbesserungen auf bescheidenem Niveau – an der GV der Hesta Tex konnte sich die Kontrollstelle gewisse Bemerkungen gleichwohl nicht immer verkneifen – kann Haller bis 1998 auch bei den Zahlen hinweisen. Für das vergangene Jahr gab die Schiesser-Gruppe eine Umsatzsteigerung um 0,8 Prozent auf 510 Millionen Franken bekannt (siehe Grafik auf Seite 56), legte aber mit der Begründung, erst müsse die Umstrukturierung abgeschlossen sein, erstmals kein Geschäftsergebnis vor. Die Zahlen seien aber schwarz, erklärte Haller. Schiesser sei auf gutem Weg, in zwei bis drei Jahren das klar definierte Ziel, einen operativen Gewinn von acht bis zehn Prozent des Umsatzes, zu erreichen.
Davon ist man derzeit meilenweit entfernt. 1998 waren es gerade mal 4,8 Prozent, und vom immer wieder für das kommende Jahr angekündigten Börsengang ist mittlerweile keine Rede mehr. Eine ähnliche Blamage wie beim Modeunternehmen Esprit, das diese Übung am Tag vor der Emission abblasen musste, will Schiesser sich wohl ersparen. So zählt das Unternehmen, wie schon seit vielen Jahren, wohl auch weiterhin zum Kreis der ewigen Going-public-Kandidaten.
Derzeit ist nämlich gar fraglich, ob Schiesser überhaupt schwarze Zahlen schreibt. So berichtete die «Stuttgarter Zeitung» vor wenigen Monaten erstmals von den Problemen der ausländischen Werke, die in Radolfzell zurückgefahrenen Kapazitäten aufzufangen. Wenig später doppelte die «Textil-Revue» nach: Die Lancierung von neuen Produkten sei zwar ebenso gelungen wie die Werbekampagnen und die glanzvoll inszenierten Kollektionspräsentationen, die breiten und vielfältigen Sortimente hätten indes zu äusserst komplexen Informatikproblemen geführt, die letztlich die Lieferbereitschaft tangierten. Betriebswirtschaftliche Grundprinzipien und nachhaltige Strategien, so das Fachblatt weiter, blieben überdies oftmals auf der Strecke. Resultat: mehr Umsatz bei immer rascher erodierenden Margen.
Und schon geriet die Schiesser-Welt, Ende 1999 nach eine Reihe von Imageverbesserungsübungen mit wachsendem Wohlwollen eingedeckt, erneut ins Wanken. Ob die Ertragserosion nun erdrutschartige Züge angenommen hat oder nicht: Dass eine Beraterfirma mit einer vertiefenden Analyse der Ursachen beauftragt wurde, offenbarte den Handlungsbedarf. Gemäss «Textil-Revue» stellte das Team fehlende Elemente in der strategischen und betriebswirtschaftlichen Schiesser-Ausrichtung fest. Mitte September zog Haller die Konsequenzen. Er wechselt zum Jahresende in den Verwaltungsrat der Schiesser Group, zu der die Schiesser AG als hundertprozentige Tochter gehört. Dort steht er dem Unternehmen als Berater für die Bereiche strategische Ausrichtung und Marketing zur Verfügung und wird den Ausbau des Lizenzgeschäfts betreuen, insbesondere die Wäschelinie von Hugo Boss.
Hallers Nachfolger an der operativen Unternehmensspitze wird der bisherige Finanzchef Thomas Weber (40). Weber war Schiesser einst als Controller untergejubelt worden, erinnern sich Mitarbeiter des Unternehmens, und sie sehen im designierten Vorstandsvorsitzenden einen reinen Zahlenmenschen, an dessen «Feuer» und «Feeling» für die Branche sie grösste Zweifel anbringen.
Thomas W. Bechtler plagen, zumindest nach aussen, keinerlei Zweifel irgendwelcher Art. «Während der Umbauphase geben wir ausser dem Umsatz, der in diesem Jahr um etwa 3,5 Prozent höher sein wird, keine Zahlen bekannt», sagt er. Und die Spatzen, die ihr Liedchen von der Ertragserosion von den Dächern pfeifen? «Von Ertragserosion kann man nicht reden, aber ich kommentiere in diesem Sinne nicht.» Und die schwarzen Zahlen, von denen Helmut Haller gesprochen hat? «Ich will einfach nicht beginnen, irgendetwas zu sagen.» Immerhin: Gemäss Bechtler werden die Projekte, die bereits aufgegleist sind, Verbesserungen von mehreren Dutzend Millionen Franken mit sich bringen.
«Es ist stets interessant, zu hören, was der Unternehmer Thomas Bechtler sagt, und was danach eintritt», sagt einer seiner Mitgolfer im Zürcher Nobelklub Zumikon. Und er verweist auf Bechtlers börsenkotierte Zellweger Luwa: Dort orakelten die Verantwortlichen für das Jahr 1999 lange von einem ähnlichen Ergebnis wie im Vorjahr, ehe der schlimme Einbruch folgte (siehe Kasten auf Seite 53).
Auch in Finanz- und Wirtschaftskreisen wundern sich manche, dass Bechtler stets mit Samthandschuhen angefasst wird. Einzig «Finanz und Wirtschaft» setzt sich gelegentlich kritisch mit seinem Leistungsausweis auseinander. Und hinter den Kulissen wächst der Kreis der verärgerten Aktionäre, die endlich Resultatsfortschritte sehen möchten. Ansons-ten gilt Bechtler gewissermassen als unantastbar, obwohl er, bei Lichte besehen, seit sieben Jahren sowohl mit Zellweger Luwa wie mit Schiesser an Ort tritt. Allem Kaufen, Verkaufen, Umschichten und Umbauen zum Trotz.
Möglicherweise liegt es am hohen gesellschaftlichen Ansehen, das er geniesst. Thomas W. hat die in den Bechtler-Familien traditionellen künstlerischen Ambitionen in hohem Masse geerbt. In der Kulturszene geniesst er nicht bloss als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft, sondern auch als grosszügiger Sanierer und Mäzen einen vorzüglichen Ruf. Und er sitzt in rund 30 Verwaltungsräten, darunter in solchen vom Kaliber Credit Suisse, Swiss Re, Bucher, Sika, Conzzeta oder Robert Bosch Internationale Beteiligungen, was ihm zu einem wertvollen Beziehungsnetz verholfen hat. Im privaten Umgang wirkt er hoch kultiviert, charmant und zuvorkommend. Auch dem Unternehmer Bechtler werden durchaus positive Eigenschaften zugestanden. Fantasie zum Beispiel oder das Einbringen von Ideen. Nur: Weil er von seinen Ideen unablässig geplagt wird, so heisst es in seiner Umgebung, setzt er irgendwann und gelegentlich wider jegliche Vernunft auch die unmöglichsten durch. Die Macht dazu hat er ja, und von ihr macht er selbstredend Gebrauch. Auch wenn Bechtler sich auf ein VR-Präsidium zurückzieht, gibt er – stets umgeben von einer Vielzahl von Beratern – die Zügel nie aus der Hand; sowohl bei Zellweger Luwa wie bei Schiesser läuft alles über ihn.
Trifft er auf Widerspruch, gewinnt in Bechtler der Patron die Oberhand. Dann kann er ungemein hartnäckig sein. Wer nicht spurt, kann gehen. Das Fatale am Unternehmer Bechtler ist, dass er über Nacht das Interesse an etwas verlieren kann. Das macht ihn, tönt es an den Firmenstandorten, unberechenbar. Kenner der Familie bringen es, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, auf den Punkt: «Bechtler ist zu allem geboren, aber wohl kaum zum Unternehmer.»
Die Familie, seine Herkunft, ist sicher mit ein Grund für das hohe Ansehen, das Thomas W. Bechtler geniesst. Die einstigen Begründer des Bechtler-Firmenkonglomerats, Hans C. und Walter A., zählten zur Elite der Schweizer Wirtschaftsführer und galten von Kindesbeinen an als unzertrennlich. Nie tat der dynamische Hans C. etwas ohne das Einverständnis des vorsichtigen Walter A. Eine ihrer Stärken: Sie legten mit ihren Firmenchefs die Strategien fest, liessen ihnen dann freie Hand und inte-ressierten sich primär für die Resultate. Ihre Schwäche: Sie liessen die Jungen zu spät ran. So zog eines nach dem andern in die Welt hinaus. Als die Gefahr einer die Gruppe zersplitternden Erbteilung dann immer grösser wurde, war letztlich gerade noch Thomas W., Doktor der Rechte mit Studien in Zürich, Genf und Harvard, übrig.
Das Ende der gleichberechtigten Bruderschaft zwischen Hans C. und Walter A. kam 1993, als die Linie von Walter A., konkret dessen Sohn Thomas W., das Oberkommando im Konzern mit damals rund zwei Milliarden Umsatz übernahm. Wer im Regen stand, war Anton H. Bucher-Bechtler, Schwiegersohn von Hans und bis dahin sogar VR-Präsident von Hesta. Dass Thomas W. die bisher im paritätischen Familienpool redlich geteilte Hesta-Mehrheit auf seine Seite ziehen konnte, hatte seinen Preis. Die damals von Analysten geschätzten 300 Millionen Franken mögen über die Realität hinausschiessen, viel Geld aber war es allemal, selbst für die Bechtlers. Die heutige Credit Suisse mit ihrem Chef Rainer E. Gut, zu dessen Paladinen Thomas W. Bechtler gezählt wird, sprang da, wie schon so oft, hilfreich ein.
Im vergangenen Jahr wurde die letzte Tranche überwiesen. Anton H. Bucher-Bechtler hatte nach seiner Ausbootung eigene Wege zum Erfolg gesucht – und sich als wahrer Meister im Geldvermehren erwiesen. Der enorme Immobilienbesitz der von ihm aufgebauten und nach seinen Initialen benannten AHB Estate Holding zieht sich durch ganz Amerika. Daneben ist er Hauptaktionär der Firma Bircher im heimischen Beringen, sitzt in den Verwaltungsräten bedeutender Unternehmen und managt als erfolgreicher Investor das Familienvermögen.
Er habe, so pflegte der greise Hans C. Bechtler die Erbteilung zu kommentieren, «dem Blut den Vorzug gegeben» – dem deutlicher konturierten «homo industrialis» Thomas W. Bechtler gegenüber Anton Bucher-Bechtler. Denkbar, dass er heute zu einem andern Schluss käme.
Initiant der Kampagne war Schiesser-Chef Helmut Haller, und abgesegnet wurde sie von Thomas W. Bechtler, Mehrheitsaktionär der Zuger Schiesser-Mutter Hesta Tex. Bechtlers Okay war denn auch das Irritierendste am Schiesser-Werbefeldzug, gilt der 51-Jährige doch als distinguierte Persönlichkeit und feiner Schöngeist, der als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft wie auch als Mäzen den Künsten überaus nahe steht. Leute aus der Kulturszene können sich den Fauxpas nur damit erklären, dass Bechtler einen Aussetzer hatte oder reichlich verzweifelt war.
Eine Art Verzweiflung könnte durchaus mitgespielt haben. Denn nachdem zu Beginn der Neunzigerjahre bei Schiesser noch davon gesprochen worden war, in absehbarer Zeit die Umsatzmilliarde zu knacken, sackte der Umsatz 1996 erstmals unter die 600-Millionen-Grenze; das Ausweisen massiver Verluste konnte verschiedentlich nur dank Millionenzuschüssen der Muttergesellschaft Hesta Tex umgangen werden.
Als Mann fürs Grobe, der den Niedergang stoppen und den Turnaround schaffen sollte, holte Bechtler 1996 Helmut Haller. Dem Juristen aus Österreich, zuletzt Geschäftsführer und Sprecher der Unternehmensgruppe Seidensticker in Bielefeld, eilte der Ruf eines zähen, ausdauernden und marketingorientierten Managers voraus, der schon andere Firmen erfolgreich von produktionsgesteuerten in internationale Markenunternehmen umgewandelt hatte. Anderseits gilt Haller auch als begnadeter Selbstdarsteller mit einem ausgeprägten Hang zu publizitätsträchtigen Auftritten, der nicht zuletzt sich selbst exzellent zu verkaufen weiss. Am Schiesser-Produktionssitz in Radolfzell am Bodensee gehen einige seiner Kaderleute heute noch weiter: Haller habe eine gute One-Man-Show abgezogen und den Bekanntheitsgrad der Marke Schiesser fraglos gesteigert, ist dort zu hören, unter dem Strich aber eigne er sich wohl doch eher für die Leitung einer Werbeagentur.
Jedenfalls setzte der neue Vorstandsvorsitzende Haller die vom zusehends nervös gewordenen Bechtler angeordnete Radikalkur knallhart um: Der Nachfolger von Beat Kaufmann verkaufte die Schiesser-Tochterunternehmen und regionalen Marken Eminence, Athena und Ragno ebenso wie ein Werk in Chemnitz, legte eine Näherei in Engen bei Radolfzell still, und Ende Jahr soll auch das Werk im bayrischen Donndorf geschlossen werden. Die Produktion wurde weitgehend ins Ausland verlagert und in den drei «Beschaffungszentren» in Tschechien, Griechenland und Hongkong gebündelt. Massiv abgebaut wurden auch die Arbeitsplätze. Von den über 7000 Beschäftigten, die Schiesser 1996 zählte, sollen im nächsten Jahr noch etwa 3500 übrig bleiben. «Schiesser ist eine Erfolgsstory», verkündete Haller jüngst. Tatsächlich hat das Unternehmen unter seiner Regie Jahr für Jahr zuvor verlorenes Terrain zurückerobert und die Position als Branchenleader in der Schweiz wie in Deutschland gefestigt. In ihrem Traditionsgeschäft, der Herrenwäsche, kommt Schiesser auf einen Marktanteil von 20 Prozent, im stark wachsenden Damensegment sind es über 10 Prozent.
Auf Verbesserungen auf bescheidenem Niveau – an der GV der Hesta Tex konnte sich die Kontrollstelle gewisse Bemerkungen gleichwohl nicht immer verkneifen – kann Haller bis 1998 auch bei den Zahlen hinweisen. Für das vergangene Jahr gab die Schiesser-Gruppe eine Umsatzsteigerung um 0,8 Prozent auf 510 Millionen Franken bekannt (siehe Grafik auf Seite 56), legte aber mit der Begründung, erst müsse die Umstrukturierung abgeschlossen sein, erstmals kein Geschäftsergebnis vor. Die Zahlen seien aber schwarz, erklärte Haller. Schiesser sei auf gutem Weg, in zwei bis drei Jahren das klar definierte Ziel, einen operativen Gewinn von acht bis zehn Prozent des Umsatzes, zu erreichen.
Davon ist man derzeit meilenweit entfernt. 1998 waren es gerade mal 4,8 Prozent, und vom immer wieder für das kommende Jahr angekündigten Börsengang ist mittlerweile keine Rede mehr. Eine ähnliche Blamage wie beim Modeunternehmen Esprit, das diese Übung am Tag vor der Emission abblasen musste, will Schiesser sich wohl ersparen. So zählt das Unternehmen, wie schon seit vielen Jahren, wohl auch weiterhin zum Kreis der ewigen Going-public-Kandidaten.
Derzeit ist nämlich gar fraglich, ob Schiesser überhaupt schwarze Zahlen schreibt. So berichtete die «Stuttgarter Zeitung» vor wenigen Monaten erstmals von den Problemen der ausländischen Werke, die in Radolfzell zurückgefahrenen Kapazitäten aufzufangen. Wenig später doppelte die «Textil-Revue» nach: Die Lancierung von neuen Produkten sei zwar ebenso gelungen wie die Werbekampagnen und die glanzvoll inszenierten Kollektionspräsentationen, die breiten und vielfältigen Sortimente hätten indes zu äusserst komplexen Informatikproblemen geführt, die letztlich die Lieferbereitschaft tangierten. Betriebswirtschaftliche Grundprinzipien und nachhaltige Strategien, so das Fachblatt weiter, blieben überdies oftmals auf der Strecke. Resultat: mehr Umsatz bei immer rascher erodierenden Margen.
Und schon geriet die Schiesser-Welt, Ende 1999 nach eine Reihe von Imageverbesserungsübungen mit wachsendem Wohlwollen eingedeckt, erneut ins Wanken. Ob die Ertragserosion nun erdrutschartige Züge angenommen hat oder nicht: Dass eine Beraterfirma mit einer vertiefenden Analyse der Ursachen beauftragt wurde, offenbarte den Handlungsbedarf. Gemäss «Textil-Revue» stellte das Team fehlende Elemente in der strategischen und betriebswirtschaftlichen Schiesser-Ausrichtung fest. Mitte September zog Haller die Konsequenzen. Er wechselt zum Jahresende in den Verwaltungsrat der Schiesser Group, zu der die Schiesser AG als hundertprozentige Tochter gehört. Dort steht er dem Unternehmen als Berater für die Bereiche strategische Ausrichtung und Marketing zur Verfügung und wird den Ausbau des Lizenzgeschäfts betreuen, insbesondere die Wäschelinie von Hugo Boss.
Hallers Nachfolger an der operativen Unternehmensspitze wird der bisherige Finanzchef Thomas Weber (40). Weber war Schiesser einst als Controller untergejubelt worden, erinnern sich Mitarbeiter des Unternehmens, und sie sehen im designierten Vorstandsvorsitzenden einen reinen Zahlenmenschen, an dessen «Feuer» und «Feeling» für die Branche sie grösste Zweifel anbringen.
Thomas W. Bechtler plagen, zumindest nach aussen, keinerlei Zweifel irgendwelcher Art. «Während der Umbauphase geben wir ausser dem Umsatz, der in diesem Jahr um etwa 3,5 Prozent höher sein wird, keine Zahlen bekannt», sagt er. Und die Spatzen, die ihr Liedchen von der Ertragserosion von den Dächern pfeifen? «Von Ertragserosion kann man nicht reden, aber ich kommentiere in diesem Sinne nicht.» Und die schwarzen Zahlen, von denen Helmut Haller gesprochen hat? «Ich will einfach nicht beginnen, irgendetwas zu sagen.» Immerhin: Gemäss Bechtler werden die Projekte, die bereits aufgegleist sind, Verbesserungen von mehreren Dutzend Millionen Franken mit sich bringen.
«Es ist stets interessant, zu hören, was der Unternehmer Thomas Bechtler sagt, und was danach eintritt», sagt einer seiner Mitgolfer im Zürcher Nobelklub Zumikon. Und er verweist auf Bechtlers börsenkotierte Zellweger Luwa: Dort orakelten die Verantwortlichen für das Jahr 1999 lange von einem ähnlichen Ergebnis wie im Vorjahr, ehe der schlimme Einbruch folgte (siehe Kasten auf Seite 53).
Auch in Finanz- und Wirtschaftskreisen wundern sich manche, dass Bechtler stets mit Samthandschuhen angefasst wird. Einzig «Finanz und Wirtschaft» setzt sich gelegentlich kritisch mit seinem Leistungsausweis auseinander. Und hinter den Kulissen wächst der Kreis der verärgerten Aktionäre, die endlich Resultatsfortschritte sehen möchten. Ansons-ten gilt Bechtler gewissermassen als unantastbar, obwohl er, bei Lichte besehen, seit sieben Jahren sowohl mit Zellweger Luwa wie mit Schiesser an Ort tritt. Allem Kaufen, Verkaufen, Umschichten und Umbauen zum Trotz.
Möglicherweise liegt es am hohen gesellschaftlichen Ansehen, das er geniesst. Thomas W. hat die in den Bechtler-Familien traditionellen künstlerischen Ambitionen in hohem Masse geerbt. In der Kulturszene geniesst er nicht bloss als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft, sondern auch als grosszügiger Sanierer und Mäzen einen vorzüglichen Ruf. Und er sitzt in rund 30 Verwaltungsräten, darunter in solchen vom Kaliber Credit Suisse, Swiss Re, Bucher, Sika, Conzzeta oder Robert Bosch Internationale Beteiligungen, was ihm zu einem wertvollen Beziehungsnetz verholfen hat. Im privaten Umgang wirkt er hoch kultiviert, charmant und zuvorkommend. Auch dem Unternehmer Bechtler werden durchaus positive Eigenschaften zugestanden. Fantasie zum Beispiel oder das Einbringen von Ideen. Nur: Weil er von seinen Ideen unablässig geplagt wird, so heisst es in seiner Umgebung, setzt er irgendwann und gelegentlich wider jegliche Vernunft auch die unmöglichsten durch. Die Macht dazu hat er ja, und von ihr macht er selbstredend Gebrauch. Auch wenn Bechtler sich auf ein VR-Präsidium zurückzieht, gibt er – stets umgeben von einer Vielzahl von Beratern – die Zügel nie aus der Hand; sowohl bei Zellweger Luwa wie bei Schiesser läuft alles über ihn.
Trifft er auf Widerspruch, gewinnt in Bechtler der Patron die Oberhand. Dann kann er ungemein hartnäckig sein. Wer nicht spurt, kann gehen. Das Fatale am Unternehmer Bechtler ist, dass er über Nacht das Interesse an etwas verlieren kann. Das macht ihn, tönt es an den Firmenstandorten, unberechenbar. Kenner der Familie bringen es, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, auf den Punkt: «Bechtler ist zu allem geboren, aber wohl kaum zum Unternehmer.»
Die Familie, seine Herkunft, ist sicher mit ein Grund für das hohe Ansehen, das Thomas W. Bechtler geniesst. Die einstigen Begründer des Bechtler-Firmenkonglomerats, Hans C. und Walter A., zählten zur Elite der Schweizer Wirtschaftsführer und galten von Kindesbeinen an als unzertrennlich. Nie tat der dynamische Hans C. etwas ohne das Einverständnis des vorsichtigen Walter A. Eine ihrer Stärken: Sie legten mit ihren Firmenchefs die Strategien fest, liessen ihnen dann freie Hand und inte-ressierten sich primär für die Resultate. Ihre Schwäche: Sie liessen die Jungen zu spät ran. So zog eines nach dem andern in die Welt hinaus. Als die Gefahr einer die Gruppe zersplitternden Erbteilung dann immer grösser wurde, war letztlich gerade noch Thomas W., Doktor der Rechte mit Studien in Zürich, Genf und Harvard, übrig.
Das Ende der gleichberechtigten Bruderschaft zwischen Hans C. und Walter A. kam 1993, als die Linie von Walter A., konkret dessen Sohn Thomas W., das Oberkommando im Konzern mit damals rund zwei Milliarden Umsatz übernahm. Wer im Regen stand, war Anton H. Bucher-Bechtler, Schwiegersohn von Hans und bis dahin sogar VR-Präsident von Hesta. Dass Thomas W. die bisher im paritätischen Familienpool redlich geteilte Hesta-Mehrheit auf seine Seite ziehen konnte, hatte seinen Preis. Die damals von Analysten geschätzten 300 Millionen Franken mögen über die Realität hinausschiessen, viel Geld aber war es allemal, selbst für die Bechtlers. Die heutige Credit Suisse mit ihrem Chef Rainer E. Gut, zu dessen Paladinen Thomas W. Bechtler gezählt wird, sprang da, wie schon so oft, hilfreich ein.
Im vergangenen Jahr wurde die letzte Tranche überwiesen. Anton H. Bucher-Bechtler hatte nach seiner Ausbootung eigene Wege zum Erfolg gesucht – und sich als wahrer Meister im Geldvermehren erwiesen. Der enorme Immobilienbesitz der von ihm aufgebauten und nach seinen Initialen benannten AHB Estate Holding zieht sich durch ganz Amerika. Daneben ist er Hauptaktionär der Firma Bircher im heimischen Beringen, sitzt in den Verwaltungsräten bedeutender Unternehmen und managt als erfolgreicher Investor das Familienvermögen.
Er habe, so pflegte der greise Hans C. Bechtler die Erbteilung zu kommentieren, «dem Blut den Vorzug gegeben» – dem deutlicher konturierten «homo industrialis» Thomas W. Bechtler gegenüber Anton Bucher-Bechtler. Denkbar, dass er heute zu einem andern Schluss käme.
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